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Das Motto zu Kapitel 78 (in dieser Übersetzung Band 4, Kapitel 16):
Would it were yesterday and I i' the grave,
With her sweet faith above for monument.
Rosamunde und Will standen, sie wußten selbst nicht, wie lange, regungslos da, er den Blick auf die Stelle geheftet, wo Dorothea gestanden hatte, und sie ihn zweifelnd ansehend.
Rosamunden schien es eine endlose Zeit, und was sie in innerster Seele empfand, war nicht sowohl Verdruß als Befriedigung über das eben Vorgefallene. Leere Naturen träumen von einer leichten Herrschaft über die Erregungen Anderer; sie vertrauen dabei ihrer kleinen Zauberkraft, daß sie die tiefsten Ströme abzulenken vermöge, und meinen zuversichtlich, sie könnten durch hübsche Gesten und Bemerkungen glauben machen, das, was nicht ist, sei wirklich vorhanden. Sie wußte, daß Will einen schweren Schlag erhalten habe, aber sie hatte sich wenig gewöhnt, sich mit dem Gemüthszustande Anderer zu beschäftigen, außer insofern sie denselben als einen nach ihren Wünschen zu gestaltenden Stoff verwendete. Und sie glaubte an ihre Gewalt, zu besänftigen oder zu unterwerfen.
Selbst Tertius, dieser unbeugsamste aller Männer, hatte sich doch schließlich immer fügen müssen. Die Ereignisse hatten sich widerspenstig erwiesen, aber doch würde Rosamunde auch jetzt noch, wie vor ihrer Heirath gesagt haben, daß sie noch nie das, was sie sich fest vorgenommen, aufgegeben habe.
Sie streckte den Arm aus und legte ihre Fingerspitzen an Will's Rockärmel.
»Rühren Sie mich nicht an!« sagte er einem Ton, der wie ein Peitschenhieb klang, indem er vor ihr zurückfuhr und wiederholt die Farbe wechselte, wie wenn sein ganzer Körper von einem stechenden Schmerz erzittere. Er stürzte an die andere Seite des Zimmers, stellte sich, die Fingerspitzen in den Taschen und den Kopf in den Nacken geworfen, ihr gegenüber und sah mit wildem Blick nicht auf Rosamunde, sondern auf einen dicht neben ihr befindlichen Punkt.
Sie fühlte sich empfindlich beleidigt, aber die Art, wie sie das ausdrückte, wäre nur für Lydgate verständlich gewesen.
Sie wurde plötzlich ruhig und setzte sich nieder, nachdem sie ihren in den Nacken hängenden Hut losgebunden und denselben mit ihrem Shawl bei Seite gelegt hatte. Ihre kleinen Hände, die sie auf dem Schoß gefaltet hielt, waren sehr kalt.
Es wäre sicherer für Will gewesen, sofort seinen Hut zu ergreifen und davon zu gehen; aber er hatte sich dazu nicht aufgelegt gefühlt; im Gegentheil empfand er eine furchtbare Lust zu bleiben und Rosamunde mit seinem Zorn zu zermalmen. Es schien ihm so unmöglich, das Verhängniß, das sie über ihn gebracht hatte, zu tragen, ohne seiner Wuth Luft zu machen, wie es für den Panther sein würde, die ihm von einem Wurfspieß beigebrachte Wunde zu ertragen, ohne anzuspringen und zu beißen.
Und doch, wie konnte er einer Frau sagen, daß er ihr fluchen möchte? Er raste in den Fesseln eines bändigenden Gesetzes, welches er anzuerkennen genöthigt war. Er war in einem gefährlichen Schwanken begriffen, bis Rosamunden's Stimme den Ausschlag gab.
In einem flötengleichen sarkastischen Ton sagte sie:
»Sie können ja nur Frau Casaubon nachgehen und ihr Ihre Vorliebe für sie erklären.«
»Ihr nachgehen!« brach er in schneidend scharfem Tone aus. »Glauben Sie, sie würde mich nur eines Blickes würdigen oder irgend ein von mir gegen sie geäußertes Wort je höher achten als ein ihr angeflogenes Stäubchen? – Erklären! Wie kann ein Mann auf Kosten einer Frau eine Erklärung abgeben?«
»Sie können ihr sagen, was Sie wollen,« antwortete Rosamunde mit zitternder Stimme.
»Glauben Sie, sie würde mich lieber haben, wenn ich Sie opferte? Sie ist nicht die Frau, die sich dadurch, daß ich mich verächtlich gemacht hätte, geschmeichelt fühlen könnte, die glauben könnte, ich müßte treu gegen sie sein, weil ich mich feige gegen Sie benommen habe.«
Er sing an, mit der Ruhelosigkeit eines wilden Thieres, das Beute sieht, sie aber nicht erreichen kann, umher zu gehen.
Plötzlich brach er wieder aus:
»Ich hatte auch vorher wenig oder keine Hoffnung, daß es besser für mich werden würde; aber ich hatte eine Gewißheit – daß sie an mich glaubte. Was auch die Leute in Betreff meiner sagen oder thun mochten, sie glaubte an mich. – Das ist nun vorbei! Sie wird mich nie wieder für etwas anderes halten, als für einen jämmerlichen Scheinmenschen, der zu wählerisch ist, den Himmel anders als unter angenehmen Bedingungen anzunehmen, und der sich doch heimlich für jede Höllenvorspiegelung dem Teufel verkauft. Sie wird mich betrachten wie eine incarnirte Insulte gegen sich, von dem ersten Augenblick an, wo wir …«
Will hielt inne, wie wenn er plötzlich auf etwas gestoßen wäre, das nicht weggeworfen und zerschmettert werden dürfe. Er fand einen anderen Weg, seiner Wuth Luft zu machen, indem er Rosamunden's Worte wieder aufgriff, wie wenn sie Gewürm wären, das man ersticken und von sich werfen müsse.
»Erklären? heißen Sie doch einen Mann erklären, wie er in die Hölle gerathen ist. Meine Vorliebe für sie erklären? Ich hatte nie eine Vorliebe für sie, so wenig wie ich eine Vorliebe dafür habe, zu athmen. Neben ihr giebt es gar keine andere Frau. Ich möchte lieber ihre todte Hand als die lebende Hand irgend einer anderen Frau berühren.«
Rosamunde verlor, während Will diese vergifteten Pfeile gegen sie schleuderte, fast das Bewußtsein ihrer Persönlichkeit und empfand, wie wenn sie zu einem neuen schrecklichen Dasein erwache. Sie hatte nicht mehr das Gefühl eines kalten entschlossenen Widerwillens, einer schweigenden Rechtfertigung vor sich selbst, wie es ihr bei Lydgate's ungestümsten Aeußerungen des Mißfallens geläufig gewesen war; ihr ganzes Empfindungsvermögen verwandelte sich in einen einzigen Schmerz, der sie durch seine Neuheit nur um so fassungsloser machte. Sie fühlte ein neues entsetzliches Zurückbeben unter einer Geißel, wie sie noch nie über ihr geschwungen war.
Was eine andere Natur im Widerspruch mit der ihrigen fühlte, wurde ihr ins Bewußtsein wie gebrannt. Als Will zu reden aufgehört hatte, war sie ein Bild des Jammers geworden; ihre Lippen waren bleich, und aus ihren thränenlosen Augen blickte Bestürzung und Schrecken. Wenn ihr Tertius gegenüber gestanden hätte, würde ihm dieser Ausdruck des Jammers ein Vorwurf gewesen sein, und er würde neben sie hingesunken sein, um sie zu trösten, mit jenem stark bewehrten Trost, den sie oft so gering geachtet hatte.
Man verzeihe es Will, daß er keine solche Regung des Mitleids empfand. Ihn hatte früher kein Band an diese Frau gefesselt, die ihm den idealen Schatz seines Lebens zerstört hatte, und er hielt sich für vorwurfsfrei. Er wußte, daß er grausam sei, aber noch fühlte er sich nicht milder gestimmt.
Nachdem er gesprochen hatte, ging er noch halb abwesend auf und ab, und Rosamunde saß vollkommen ruhig da. Endlich schien sich Will auf sich zu besinnen; er ergriff seinen Hut, stand aber noch einige Augenblicke unentschlossen da. Er hatte in einer Weise zu ihr geredet, die es schwer machte, eine gewöhnliche Höflichkeitsphrase auszusprechen, und doch! da er jetzt im Begriff stand, sie ohne ein weiteres Wort zu verlassen, schreckte er davor wie vor einer Brutalität zurück; er fühlte sich in seinem Zorne gehemmt.
Er trat an das Kaminsims, stützte seinen Arm auf dasselbe und wartete schweigend auf – er wußte selbst nicht recht auf was. Der Rachedurst brannte noch in ihm, und er vermochte kein Wort des Widerrufs auszusprechen; aber doch konnte er es nicht vergessen, daß er an diesem häuslichen Heerde, an welchem er so lange einer zärtlichen Freundschaft genossen, bei seiner Rückkehr das Unglück gelagert gefunden hatte. Hier hatte sich ihm plötzlich ein Ungemach offenbart, das seine Wurzeln in äußeren und inneren Verhältnissen hatte. Und wie mit langsamen Zangen marterte ihn die bange Ahnung, daß sein Leben vielleicht dem Dienste dieser hülflosen Frau, die sich in dem tiefen Jammer ihres Herzens an ihn geklammert, hatte, gewidmet sein müsse.
Aber in finsterem Groll lehnte er sich gegen diese Thatsache auf, die seine Neigung zu raschen Befürchtungen ihm vorspiegelte, und als seine Augen auf Rosamunden's wie verwelkt aussehendes Gesicht fielen, schien es ihm, daß er der Bemitleidenswerthere von ihnen beiden sei; denn der Schmerz muß erst in das Stadium verklärender Erinnerung getreten sein, bevor er sich in Mitleid verwandeln kann.
Und so blieben sie lange Minuten schweigend und innerlich weit getrennt einander gegenüber; Will's Gesicht trug noch immer die Spuren stummer Wuth; in Rosamunden's Zügen malte sich noch immer stummer Jammer. Das arme Kind hatte ihm keine Leidenschaft entgegen zu werfe!l Der schreckliche Zusammensturz der Illusionen, auf welche ihre ganze Hoffnung gebaut gewesen, war ein allzu erschütternder Schlag für sie; ihre kleine Welt lag in Trümmern vor ihr, und sie fühlte sich inmitten derselben als eine einsame fassungslose Seele dahinschwanken.
Will wünschte, sie möchte reden und damit einen mildernden Schatten auf seine grausamen Worte fallen lassen, welche ihnen beiden wie ein Hohn auf jeden Versuch zur Wiederherstellung freundlicher Gefühle entgegen zu starren schienen. Aber sie sagte nichts, und endlich gewann es Will mit einer verzweifelten Anstrengung über sich, zu fragen:
»Soll ich diesen Abend zu Lydgate kommen?«
»Wenn Sie mögen,« antwortete Rosamunde kaum hörbar.
Und darauf ging Will fort, während Martha gar nicht wußte, daß er dagewesen sei.
Als er fort war, versuchte es Rosamunde von ihrem Stuhl aufzustehen, sank aber ohnmächtig zurück. Als sie wieder zu sich kam, fühlte sie sich zu elend, um aufzustehen und die Glocke zu ziehen, und so blieb sie hülflos liegen, bis das Mädchen, dem ihre lange Abwesenheit auffiel, endlich auf den Gedanken kam, in allen Parterrezimmern nach ihr zu sehen. Rosamunde sagte ihr, sie habe sich plötzlich elend gefühlt und sei ohnmächtig geworden, sie möge sie hinaufbringen.
In ihrem Zimmer angelangt, warf sie sich angekleidet auf ihr Bett und lag wie erstarrt auf demselben, wie sie es schon früher einmal an einem kummervollen Tage gethan hatte.
Lydgate kam, früher als er es erwartet hatte, um etwa halb sechs Uhr nach Hause und fand Rosamunde so vor. Vor der Wahrnehmung, daß sie krank sei, trat jeder andere Gedanke bei ihm zurück. Als er ihr den Puls fühlte, ruheten ihre Augen länger auf ihm, als sie es seit lange gethan hatten, wie wenn es ihr einige Befriedigung gewähre, daß er da sei.
Er bemerkte das sofort, setzte sich an ihr Bett, legte seinen Arm sanft unter ihren Kopf und sagte über sie hingebeugt:
»Meine arme Rosamunde, hat Dich etwas aufgeregt?«
Sie, klammerte sich an ihn und verfiel in ein hysterisches Schluchzen und Weinen, so daß er eine Stunde lang nichts thun konnte, als sie besänftigen und pflegen. Er dachte sich, Dorothea sei bei ihr gewesen, und diese ganze Erregung ihres Nervensystems, die ersichtlich eine Rückkehr zu ihm im Gefolge gehabt hatte, sei durch die Aufregung der neuen Eindrücke, welche dieser Besuch auf sie hervorgebracht, bewirkt.