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Sagen der Chassidim
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37. Die verkaufte Sünde

In der Stadt Ostrog lebten zwei Juden, die ihre Geschäfte stets zusammen betrieben. Sie waren auch sonst gute Freunde. Einmal hörten sie, daß eine Fürstin im Innern Rußlands zu einem sehr wohlfeilen Preise Leinwand zu verkaufen habe. Also reisten sie hin. Wie sie ankamen, wollte sie die Fürstin anfangs nicht empfangen; darum ließen sie ihr sagen, daß zwei jüdische Kaufleute angekommen seien, die ihre ganze Leinwand aufkaufen wollten. Sie schickte ihnen ihren Diener heraus, und mit diesem wurden sie handelseinig und übergaben ihm auch den Kaufpreis. Als der Diener das Geld seiner Herrin überbrachte, fragte sie ihn, wie diese Juden aussehen. Denn sie hatte noch nie in ihrem Leben einen Juden gesehen. Der Diener sagte ihr, daß sie genau wie andere Menschen aussehen, worauf sie erwiderte: »Ich hörte aber immer von meinen Eltern, daß alle Juden Mörder und Räuber seien, denn sie haben unsern Heiland getötet!« Der Diener sagte ihr darauf: »Falsch haben dich deine Eltern unterrichtet! Denn die Juden sind genau so wie die anderen Menschen: es gibt unter ihnen Heilige und Nichtheilige, Kluge und Närrische, Ehrliche und Diebische – wie bei allen andern Völkern.«

Nun sagte die Fürstin, daß sie sich diese Juden ansehen möchte, und ging zu ihnen hinaus. Einer von den beiden war aber sehr schön von Gestalt, und sein Antlitz leuchtete wie der Morgenstern. Als die Fürstin ihn erblickte, entbrannte sofort ihr Herz, es gelüstete sie nach seiner Schönheit, und sie konnte von ihm ihre Augen nicht wenden. Sie rief ihn zu sich heran und zog ihn in ein Gespräch. Er sprach aber recht gut russisch.

Kurz und gut, die Fürstin war in den Juden so sehr verliebt, daß sie vor Liebe erkrankte. Die Kaufleute übernahmen indessen die Ware und mieteten Fuhren, um sie nach Hause zu fahren. In diesem Dorfe konnten sie aber nicht genügend Fuhren auftreiben, darum fuhr der eine von ihnen in ein anderes Dorf, um noch mehr Fuhren zu suchen. Der andere Kaufmann aber, der schöne, blieb zurück, um die gekaufte Ware aufzuladen. Als nun die Fürstin hörte, daß er allein geblieben war, ließ sie ihn des Nachts zu sich kommen. Und als er kam, sagte sie ihm, was sie von ihm verlangte, und sie schenkte ihm das ganze Geld, das sie von den beiden als Kaufpreis für das Leinen bekommen hatte. Und sie gab ihm noch mehr Geschenke, damit er ihr zu Willen sei. Er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Und sie schenkte ihm noch viel Geld.

Am nächsten Morgen verließ er sie und ging zu den Fuhren, um den Rest der Ware aufzuladen. Da kam auch sein Freund an mit den neugemieteten Fuhren; sie luden alles auf und fuhren vergnügt nach Hause. Der Jude bleibt aber doch immer Jude: er hat gesündigt, und es wird ihm gleich davon bange. Er nahm sich die Sache sehr zu Herzen und begann bald zu weinen und zu jammern. Und als sein Freund ihn nach der Ursache fragte, sagte er ihm jedesmal einen anderen Grund. Da verstand der Freund, daß es etwas Wichtiges sein mußte, und zwang ihn, die Wahrheit zu sagen. Er erzählte ihm die ganze Begebenheit mit der Fürstin und zeigte ihm auch das Geld, das sie ihm geschenkt hatte. Der Freund versuchte ihn zu trösten und sagte ihm: er könne durch Reue die Sünde wiedergutmachen, auch solle er das empfangene Geld an Arme verschenken.

Da aber der andere nicht aufhörte zu weinen und zu jammern, schlug ihm der Freund vor: »Weißt du was? Ich will dir deine Sünde abkaufen! Was gibst du mir, wenn ich sie auf mich nehme?« Der Sünder willigte gerne ein und sagte: »Ich gebe dir dafür das ganze Geld, das ich von der Fürstin bekommen, und noch meine Hälfte der Leinwand dazu.« Kurz und gut – sie wurden schnell handelseinig, schlossen einen Kaufvertrag ab, und der, der die Sünde begangen hatte, wurde sofort ruhig. Als sie wieder nach Ostrog kamen, verkaufte derjenige, der die Sünde gekauft hatte, die ganze Leinwand mit großem Gewinn und wurde sehr reich. Er konnte sich aber dessen nicht lange freuen, denn einige Jahre darauf starb er.

Als er nun vor dem himmlischen Gerichtshofe stand und man ihm seine Sünden vorrechnete, wurde unter seinen Sünden auch die Buhlerei mit der Tochter eines fremden Volkes genannt. Er sagte, daß er eine solche Sünde niemals begangen habe. Darauf antwortete man ihm: »Du hast diese Sünde deinem Freunde abgekauft.« Und er: »Warum soll ich für die Sünde aufkommen müssen, die der andere begangen hat?« Nach vielen Reden wurde endlich beschlossen, daß der Tote sich mit dem Lebenden, der ihm seine Sünde verkauft hatte, vor Gericht auseinandersetzen müsse.

Der Tote erschien dem Lebenden im Traume und rief ihn vor den himmlischen Gerichtshof. Doch der Lebende weigerte sich und sagte: »Ich habe mit dir nichts zu verhandeln, denn ich habe dir die Sünde verkauft, und damit ist die Sache erledigt.« Doch der Tote ließ nicht ab und erschien ihm jede Nacht im Traume, so daß der Lebende vor Aufregung krank wurde.

Um jene Zeit lebte in Ostrog der große Wundertäter Rabbi Schmuel Edels, genannt Maharscho. Der Kranke verlangte, daß man ihn mit seinem Bette zum Rabbi hintrage, denn er wolle ihm vor seinem Tode etwas anvertrauen. Und man tat so. Der Kranke erzählte dem Rabbi die ganze Sache und bat ihn um Rat, wie er sich vom Toten retten solle. Und der Rabbi sagte: »Geh nach Hause, und wenn er dir wieder erscheint, so sage ihm, daß diese Sache vor einen irdischen Gerichtshof gehört, und wenn er sich mit dir auseinandersetzen will, so soll er mit dir zu mir kommen, und ich werde den Fall entscheiden. Und wenn er sich weigert, so sag ihm, daß ich seinen Geist bannen werde, so daß er aufhören wird, zu dir zu kommen.«

Als der Tote wieder dem Kranken erschien, sagte ihm dieser, was der Rabbi befohlen hatte. Der Verstorbene sagte darauf: »Gut, soll sein, wie du sagst. Ich werde zur Verhandlung beim Rabbi kommen.« Der Kranke bat noch den Verstorbenen, er möchte ihn für einen Monat in Ruhe lassen, damit er sich erholen könne.

Nach einem Monat war der Mann genesen. Er ging zum Rabbi und sagte, daß er bereit sei, zur Gerichtsverhandlung zu kommen. Der Rabbi ließ die angesehensten Bürger der Stadt sowie die ganze Gemeinde laden und schickte den Synagogendiener auf den Friedhof, um am Grabe des Verstorbenen zu verkünden, daß die Zeit der Gerichtsverhandlung gekommen sei. Er ließ auch im Hause, wo die Verhandlung stattfinden sollte, einen abgesonderten Platz für den Verstorbenen vorbereiten. Als alles fertig war und alle erschienen waren, befahl der Rabbi, daß der Lebende beginnen solle. Und dieser sagte zum Toten:

»Es ist wahr, daß ich die Sünde begangen habe; ich habe sie aber sofort bereut, und wenn du sie mir nicht abgekauft hättest, so hätte ich so lange Buße getan, bis man sie mir verziehen hätte. Da ich mich aber von der Sünde frei glaubte, habe ich keine Buße getan. Warum soll ich jetzt die Strafe für diese Sünde erleiden?«

Und der Tote erwiderte darauf:

»Ich wußte nicht, daß man eine Sünde rechtmäßig kaufen kann, und ich wollte sie auch gar nicht kaufen. Da ich aber deinen großen Kummer sah, tat ich das aus Mitleid mit dir, damit du dich erleichtert fühlst. Allerdings schulde ich dir noch das Geld, das du mir gezahlt hast; ich will darum meinen Erben befehlen, daß sie es dir zurückgeben. Und jetzt lasse mich in Ruhe.«

Und sie redeten noch viel hin und wider, und als beide nichts mehr vorzubringen hatten, verkündigte Rabbi Maharscho das Urteil:

»Kauf bleibt Kauf und kann nicht rückgängig gemacht werden. Denn hättest du ihm die Sünde nicht abgekauft, so hätte er sie schon längst abgebüßt.« Kaum hatte der Rabbi das gesagt, als alle ein schreckliches Weinen hörten, und der Tote sprach:

»Wehe mir! Ich dachte mir: da mein Freund am Leben ist, kann er noch vieles gutmachen. Ich kann mir aber nicht mehr helfen. Man hätte beschließen sollen, daß er Buße tun soll. Ich habe genug eigene Sünden, für die ich aufkommen muß. Nun hat aber der heilige Rabbi sein Urteil schon gesprochen.«

Die ganze Gemeinde weinte vor Mitleid, und alle flehten den Rabbi, er möchte für den Toten etwas tun. Und der Rabbi sagte zu ihm:

»Ich werde mich bemühen, für dich etwas zu tun. Doch das Urteil, das ich nach den Gesetzen der Thora gefällt habe, bleibt bestehen.«

Kaum hatte er das gesagt, als die Gemeinde sah, wie sich der Raum mit Rauch füllte, und als sich der Rauch verzog, war der Tote verschwunden.

Aus dieser Geschichte kann man ersehen, daß es nichts Geringes ist, wenn man das Seelenheil kauft und verkauft, wie es manche Menschen tun. Denn daraus kann nichts Gutes herauskommen. Der Herr, gesegnet sei sein Name, möge uns vor allem Bösen behüten und auf einen guten Weg führen. Amen.


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