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Sagen der Chassidim
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24. Das Gleichnis vom Ofenheizer

Als der heilige Rabbi Sussje noch ein junger Mann war, verkehrte er viel mit den Anhängern des heiligen Rabbi Dojw-Ber von Mizricz. Er verbrachte ganze Tage in Wäldern und Einöden, sang Psalmen, tat Buße mit großer Inbrunst und heißer Andacht. Er war mit seinem ganzen Herzen und allen seinen Gedanken ständig mit dem Herrn, gelobt sei sein Name, und diente ihm mit seiner ganzen Liebe Tag und Nacht. Sein Bruder Rabbi Elimelech gehörte um jene Zeit noch nicht zu den Chassidim; er saß den ganzen Tag im Bethause und studierte den Talmud und andere Bücher. Er sah das merkwürdige Gebaren seines Bruders, der immer in sich versunken war, und fragte ihn, warum er nicht gleichfalls den Talmud studierte, wie alle anderen Juden. Und Rabbi Sussje sagte darauf:

»Mein Bruder, ich will dir eine wunderliche Geschichte erzählen, die dir alles erklären wird. In einem Lande war einmal ein sehr weiser König, und alle Leute liebten ihn sehr. Und im gleichen Lande lebte ein Handwerker, der durch seine Arbeit reich geworden war. Eines Tages sagte sich der Handwerker: &›Was habe ich von meinem großen Vermögen? Von Vergnügungen halte ich von Jugend auf nichts. Alles, was ich von meinem vielen Gelde habe, ist das Brot, das ich esse, und das Kleid, das ich trage.‹ Und er beschloß, seinen ganzen Besitz zu verkaufen und mit dem Gelde in die Hauptstadt zu ziehen. Mit seinem vielen Gelde würde er es vielleicht erreichen, den König jeden Tag zu sehen. Das würde seine größte Freude sein. Er tat so, verkaufte seinen ganzen Besitz und zog in die königliche Stadt. Und er ging zu allen Höflingen und fragte, ob nicht irgendeine Stellung bei Hofe frei wäre, die er hätte übernehmen können. Man antwortete ihm, daß es keinerlei Stelle gäbe, nur die Stelle eines Ofenheizers sei frei. Dieses Amt sei aber sehr wichtig und dürfe nur mit Einverständnis des Königs selbst besetzt werden. Der Handwerker sagte sich: &›Ich bin ja hergekommen, nur um ständig in der Nähe des Königs zu sein und ihn jeden Tag sehen zu können, weil ich ihn so sehr liebe. Welcher Unterschied ist nun, was für eine Stellung ich einnehme? Ich will zu den Hofleuten gehen und ihnen Geld geben, damit sie mir die Stelle des Ofenheizers verschaffen. Ich will zufrieden sein, wenn ich dem König auch mit einem so gemeinen Dienst diene, denn ich liebe den König mit meinem ganzen Herzen.‹ Er tat so, und die Hofleute verschafften ihm wirklich die Stelle eines Ofenheizers beim König.

Jedesmal, nachdem er eingeheizt hatte, horchte er an der Tür des Gemachs, in dem sich der König befand, um zu hören, was der König über das Heizen sagt: ob es zu warm oder zu kalt oder gerade recht sei. Er bemühte sich mit allen Kräften, den König zufriedenzustellen; er beschäftigte sich den ganzen Tag mit dem Holz, er wog und maß die Holzscheite, damit die Wärme alle Tage gleichmäßig sei. Dem König fiel die schöne gleichmäßige Wärme auf, und er fragte die Hofleute, wer die Öfen heize. Die Hofleute erzählten ihm: &›In deinem Reiche, o König, lebt ein Mann, der mit solcher Liebe an dir hängt, daß er seinen ganzen Besitz verkaufte und es sich viel Geld kosten ließ, um irgendeine Stelle bei Hofe zu bekommen. Und da es keine andere Stelle gab, stellte man ihn als Ofenheizer an. Der Mann taugt auch zu keinem andern Amt, denn er kann weder schreiben noch fremde Sprachen sprechen; er ist ein ganz einfacher und ungebildeter Mensch. Und da er dich, König, sehr liebt, ist er nur auf das eine bedacht, wie er dich mit seinem Heizen zufriedenstellte.‹ Das gefiel dem König sehr gut, und er ließ den Ofenheizer zu sich kommen, denn er wollte den Menschen, der seinen König so sehr liebt, kennenlernen. Als der Ofenheizer vor ihm erschien, fragte ihn der König: &›Sag mir, Geliebter, mit welchen Ehren kann ich dich für deine große Liebe zu mir belohnen?‹ Und der Mann antwortete: &›Ich will keine Ehren und Titel. Ich liebe den König so sehr, daß ich mein ganzes Vermögen opferte, nur um den König bedienen zu können. Doch um eine Gnade bitte ich den König: er möchte mir erlauben, daß ich jedesmal, wenn ich in Liebe zu ihm entbrenne, sein Antlitz sehen darf.‹

Der König freute sich sehr darüber, daß der Mensch mit solcher Liebe an ihm hing. Doch er konnte sich nicht entschließen, den Wunsch des Ofenheizers zu erfüllen: denn es paßt nicht, daß der König sich einem niedrigen Knechte so oft zeigt, wie dieser es wünscht: selbst die höheren Diener bekommen den König höchstens einmal in der Woche und viele nur einmal im Jahr zu sehen. Darum sagte der König zum Ofenheizer: &›Deinen Wunsch kann ich nur so erfüllen, daß man oben in die Decke meines Gemachs ein Loch bohrt und in dieses Loch ein Vergrößerungsglas hineinsetzt, das alle Dinge tausendmal vergrößert. Und sooft du mich sehen willst, kannst du zu diesem Vergrößerungsglas gehen und hineinsehen, doch dich wird niemand sehen.‹ Der Ofenheizer bedankte sich für die Gnade und ging an seine Arbeit. Und sooft er den König sehen wollte, ging er zum Vergrößerungsglas und sah mit Freuden das Antlitz des Königs.

Einmal machte der König ein Mahl für seinen ganzen Hof, und sein einziger Sohn war auch bei der Tafel. Der Königssohn trank zuviel Wein und begann bei der Tafel solche Worte zu sprechen, die man nicht sprechen darf. Der König erzürnte und jagte seinen Sohn aus dem Saal; und er verbot ihm, ein ganzes Jahr vor seine Augen zu treten. Es vergingen einige Monate, und der Königssohn sehnte sich sehr nach seinem Vater, doch er durfte ihn nicht sehen. Einmal sah er, wie der Ofenheizer auf den Dachboden hinaufging, sich neigte und hinuntersah. Er fragte den Ofenheizer, was er sehe, und dieser erzählte ihm die ganze Geschichte mit dem Loch und dem Vergrößerungsglas. Der Königssohn bat den Ofenheizer, daß er auch ihn hineinschauen lasse, und er sah hinein und sah das Antlitz seines Vaters.

Und der Ofenheizer sagte zum Königssohn: &›Ich bin ein ganz einfacher und ungebildeter Mensch, und es ziemt sich nicht, daß ich den König jeden Tag sehe. Und doch sprach ich mit dem König, und er zürnte mir nicht ob meiner Bitte und erlaubte mir, daß ich das Loch mit dem Vergrößerungsglas mache und ihn sehe, sooft ich will. Und du bist der einzige Sohn des Königs, weise und erfahren in vielen Wissenschaften, und du saßest beim königlichen Mahle neben dem König; und doch konntest du nicht auf deine Rede achtgeben: du hast den König mit deinen Worten erzürnt, und darum hat er dich von seinem Antlitz verbannt. Nun sollst du auf deine Worte besser achtgeben; dann wirst du bei ihm wieder Gnade finden und sein Antlitz ständig sehen dürfen.‹«

Rabbi Sussje schloß seine Erzählung und sagte zu Rabbi Elimelech: »Mein Bruder, mein Bruder! Du weißt, daß ich in keiner Wissenschaft erfahren, einfältig und ungebildet bin; darum muß ich wie ein gemeiner Knecht arbeiten, um das Antlitz des Königs sehen zu dürfen. Doch du, der du weise und gelehrt bist, mußt ständig auf deine Worte, deine Gelehrsamkeit und deine Gebete achtgeben, daß deine Gedanken immer eins sind mit deinen Worten, deiner Gelehrsamkeit und deinen Gebeten. Nur dann wirst du an der Tafel des Herrn sitzen und sein Antlitz immer schauen.«

Beide Brüder reisten bald darauf nach Mizricz zum heiligen Rabbi Dojw-Ber, und Rabbi Sussje wurde dessen Schüler.


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