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Sagen der Chassidim
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3. Seelenwanderung

In den Tagen des heiligen Rabbi Israel ben Elieser, des Baal-Schem, lebte in Miedziborz ein Talmudgelehrter, der Tag und Nacht studierte. Er war sehr arm und lebte mit seiner ganzen Familie von der Mildtätigkeit anderer Leute. Sein Weib, das sehr fromm war, verlangte von ihm niemals, daß er sich nach einem Verdienst umsehe, denn sie wollte nicht, daß er sein Studium aufgebe. Als aber die Kinder erwachsen waren, sagte das Weib zu ihm:

»Es ist ja wahr, daß wir immer im Vertrauen auf die Hilfe des Herrn lebten und daß er uns bisher nicht verlassen hat. Was sollen wir aber jetzt tun, da die Kinder schon erwachsen sind? Es ist nicht schön, daß unsere großen Töchter noch unverheiratet herumgehen!«

Der Mann sagte darauf: »Was soll ich tun, solange der Herr seine Hilfe nicht gesandt hat?«

Und das Weib erwiderte: »Folge mir, mein Mann: in unserer Stadt lebt ja der heilige Baal-Schem, der schon so vielen Menschen geholfen hat. Du siehst ja: die Leute aus den andern Städten stürzen sich in Unkosten und reisen zu ihm. Warum sollst du nicht auch zu ihm gehen, wo wir in der gleichen Stadt wohnen? Laß deinen Stolz, beuge dich vor dem heiligen Rabbi, und es wird dir geholfen werden!«

Der Gelehrte war ein Gegner der chassidischen Lehre und glaubte nicht an die Wunderkraft des heiligen Rabbi. Doch was sollte er tun, da seine Frau ihm keine Ruhe gab und auch die Not sehr schwer war? Er ging also zum Baal-Schem und erzählte ihm von seiner großen Not und Armut; auch daß die Kinder erwachsen seien und die Töchter unter die Haube müßten, er aber keinen Heller besitze.

Der Baal-Schem sagte ihm darauf: »Fahre in die Stadt Kazimierz und erkundige dich dort nach einem Handwerker mit Namen so und so.« Er sagte ihm den Namen und den Vatersnamen des Handwerkers und gab ihm noch andere Zeichen, damit er den Mann leichter finden könne. In diesem Handwerker werde er ein Heilmittel für seine Not finden, und er werde dann seine Lage recht verstehen.

Der Gelehrte beschloß, die vom Baal-Schem befohlene Reise anzutreten. Er hatte aber gar kein Geld und wanderte daher zu Fuß von Stadt zu Stadt, bis er in Kazimierz anlangte, wohin ihn der heilige Rabbi geschickt hatte.

Es ist ja allgemein Sitte, daß, wenn ein Armer in eine Stadt kommt, er sich zuallererst in ein Bethaus begibt, um dort auszuruhen. Und wie der Gelehrte in ein Bethaus kam, traf er dort sehr viele Menschen, und er begann sie sofort nach dem Handwerker auszufragen, von dem ihm der Baal-Schem gesprochen hatte. Die Leute sagten ihm aber: »In unserer Stadt gibt es keinen Handwerker mit diesem Namen.« Der Gelehrte seufzte ob der großen Mühe, die ihm die Reise gemacht hatte und die nun vergeblich sein sollte. Er erkundigte sich noch in einem andern Bethause und bekam die gleiche Antwort, daß es einen solchen Handwerker in dieser Stadt gar nicht gebe. In diesem zweiten Bethause saßen aber einige Greise; sie riefen den Gelehrten zu sich heran und fragten ihn noch einmal nach dem Namen und den anderen Kennzeichen des Handwerkers. Und dann sagten sie ihm:

»Lieber Freund! Was erkundigt Ihr Euch nach diesem Bösewicht? Er ist ja schon seit sechzig Jahren tot. Ein Handwerker mit diesem Namen hat einmal wirklich in dieser Stadt gelebt, er war aber ein großer Bösewicht und Denunziant, und es gibt keine noch so große Sünde, die der Mann nicht getan hätte. Als er vor sechzig Jahren starb, freute sich die ganze Stadt darüber. Wozu braucht ihr also diesen Mann, und warum fragt Ihr nach ihm?«

Als der Gelehrte das hörte, erkundigte er sich noch bei andern alten Leuten, und alle sagten ihm dasselbe.

Der Gelehrte war sehr bestürzt und machte sich auf den Heimweg, ohne Hilfe gefunden zu haben, und sehr traurig. Als er ganz müde und erschöpft zu Hause anlangte, begab er sich zum heiligen Rabbi Baal-Schem, um ihn zu fragen, wozu er ihn nach Kazimierz geschickt hatte; er erzählte ihm alles: wie er in die Stadt kam, wie er sich nach dem Handwerker mit dem und dem Namen erkundigte und wie ihm alle Leute sagten, daß der Mann vor sechzig Jahren gestorben wäre und daß er bei Lebzeiten ein großer Bösewicht gewesen sei, der keine noch so große Sünde ungetan gelassen hätte.

Darauf antwortete ihm Baal-Schem:

»Du bist ja ein gottesfürchtiger Mensch und glaubst wohl an die Gemara und die Weisen, die die Seelenwanderung lehren, daß nämlich ein Mensch verwandelt werden kann, um im neuen Dasein seine Vergehen abzubüßen und das im ersten Dasein nicht Erfüllte zu erfüllen?«

Und als der Gelehrte bestätigte, daß er an alle diese Dinge glaubte, fuhr der heilige Baal-Schem fort:

»Wisse, daß du dieser selbe Bösewicht bist, der vor sechzig Jahren gestorben ist und der jede Sünde, die es nur gibt, auf dem Gewissen hatte! Und nun frage ich dich: willst du wirklich, daß es dir gut gehe und daß du Reichtum und Ansehen genießest, wo du alle die Sünden abbüßen mußt, die du in deinem ersten Dasein getan hast? Denn die Not, die du jetzt leidest, ist nur eine Sühne für die großen Sünden deines früheren Daseins!«

Als der Gelehrte das hörte, war er sehr erschrocken. Er weinte vor dem heiligen Baal-Schem und bat ihn, er möchte ihm die Verzeihung für die früheren Sünden erwirken. Und er gab sich noch mehr der heiligen Thora hin, betete und studierte und wurde zu einem der berühmtesten Schüler des heiligen Baal-Schem.

Aus dieser wunderlichen Geschichte soll jeder die Lehre entnehmen, daß man gegen sein Schicksal nicht murren darf, sondern zum Schöpfer um Vergebung aller Sünden beten und auf ihn vertrauen soll. Der Herr möchte uns helfen, alle unsere Sünden und Vergehen abzubüßen und gutzumachen, auf daß uns schnelle Hilfe komme. Amen.


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