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Sagen der Chassidim
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36. »Sollst leben!«

Als der heilige Rabbi Jaakew-Jizchok von Lublin berühmt wurde, begannen die Chassidim aus der ganzen Gegend, zu ihm zu fahren. So stahl sich auch ein junger Mann hinter dem Rücken seiner Frau und seiner Schwiegereltern aus dem Hause und fuhr zum Sukkosfeste nach Lublin. Als er zum Rabbi kam und ihn begrüßte, sagte ihm dieser: »Du sollst hier nicht bleiben, sondern sofort nach Hause zurückkehren.« Der junge Mann begann zu bitten: »Rabbi, es hat mich doch solche Mühe gekostet, mich hinter dem Rücken meiner Frau und meiner Schwiegereltern aus dem Hause zu stehlen, nur um hier das Fest verbringen zu können! Warum soll ich nun vor dem Feste wieder zurückfahren?« Der Rabbi ließ ihn aber nicht viel reden, sondern sagte: »Fahre heim!« Und der junge Mann mußte sich fügen.

Auf der Heimreise kehrte er in ein Gasthaus ein, um da zu übernachten. Er hatte großen Kummer wegen der Sache und sagte sich: »Warum schickt mich der heilige Rabbi nach Hause? Das muß doch einen Grund haben. Nun bleibt mir keine Zeit, um noch vor dem Feste nach Hause zu kommen.« So lag er schlaflos da und wünschte, daß schon der Tag kommen möchte. Inzwischen versammelten sich im Gasthause viele Chassidim, die sämtlich nach Lublin zum heiligen Rabbi fuhren. Einige von den Leuten erkannten den jungen Mann und fragten ihn: »Wann bist du denn von zu Hause weggefahren, daß du noch immer unterwegs bist?« Er sagte ihnen: »Ich fahre schon zurück.« Und er erzählte ihnen die ganze Geschichte. Die Leute ließen sich Branntwein geben, tranken einander zu und sagten dabei: »Sollst leben!« Und ein jeder von ihnen drückte dem jungen Mann die Hand, trank auch ihm zu und sagte: »Sollst leben!« Und sie sagten ihm noch: »Brauchst nicht nach Hause zurückzukehren, sondern fahre mit uns wieder nach Lublin zum heiligen Rabbi und sei unbesorgt!« Und sie zechten weiter bis zum Morgen.

Als es Tag wurde, beteten sie das Morgengebet und fuhren alle, auch der junge Mann mit ihnen, nach Lublin zum Rabbi und waren lustig und guter Dinge. Wie sie in Lublin ankamen, begaben sie sich zum Rabbi, um ihn zu begrüßen. Auch der junge Mann ging mit ihnen. Als der heilige Rabbi ihn wieder bei sich sah, sagte er ihm nicht mehr, daß er nach Hause zurückfahren solle, sondern fragte ihn: »Sag mir, bei welchem heiligen Rabbi bist du inzwischen gewesen?« Der Mann sagte, er sei bei gar keinem Rabbi gewesen, und erzählte, was er unterwegs erlebt hatte: wie die Chassidim mit ihm im Wirtshause gezecht und ihn dann überredet hatten, wieder nach Lublin zu fahren.

Der heilige Rabbi sagte darauf: »Nicht umsonst habe ich immer gesagt, daß zehn Chassidim mehr wirken können als der heiligste Rabbi!« Der Rabbi hatte nämlich in seinem heiligen Geiste gesehen, daß im Himmel der Tod des jungen Mannes beschlossen war. Darum schickte er ihn nach Hause, damit er nicht in der Fremde, sondern bei sich zu Hause sterbe. Doch dadurch, daß die Chassidim auf sein Wohl getrunken und ihm Leben gewünscht hatten, wurde der himmlische Beschluß umgestoßen und sein Leben verlängert.


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