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Sagen der Chassidim
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21. Von der Macht des Arztes

Ein Wilnaer Jude kam einmal zum großen und heiligen Rabbi Dojw-Ber von Mizricz, den man gewöhnlich den Maggid von Mizricz nennt. Der Mann gehörte nicht zu den Chassidim und glaubte nicht an die Wunderkraft des Maggids. Da er aber viel von seiner Weisheit gehört hatte, besuchte er ihn, um ihn zu prüfen. Kaum war er eingetreten, als der heilige Maggid ihm sagte:

»Merke dir, mein Kind, daß es nicht die Arzneien sind, die den Kranken heilen, sondern die Ärzte selbst: denn jeden Arzt begleitet ein Engel, und den größten Arzt – der Engel Raphael selbst.«

Der Mann aus Wilna begriff nicht, was der heilige Maggid damit sagen wollte. Er sagte sich: »Was hat er mir da gesagt? Ich bin ja, gottlob, gesund und brauche keinen Arzt. Was meinte er damit?«

Und als er den Maggid verlassen hatte, überlegte er sich noch lange hin und her, wie er diese Worte verstehen müsse, konnte aber den Sinn nicht erfassen. Und er vergaß bald den Ausspruch des heiligen Dojw-Ber von Mizricz.

Er verbrachte noch drei Monate auf Reisen, und als er nach Wilna zurückkam, wurde er schwer krank. Niemand konnte erraten, woher diese Krankheit kam, und keiner der Ärzte, die man herbeirief, konnte ihm helfen. Und es ging ihm von Tag zu Tag schlimmer, so daß man glaubte, es sei sein Ende. Der Mann war aber in Wilna sehr beliebt, und die Leute hatten um ihn große Sorge. Als man hörte, daß er im Sterben lag, kamen so viele Leute zu ihm, daß das Haus voll war und viele auf der Straße stehen mußten. Und wie sie so standen, ging plötzlich das Gerücht, daß der König von Preußen nach Wilna gekommen sei. Die Leute beschlossen, zum König zu gehen und ihn zu bitten, er möchte erlauben, daß sein Leibarzt den Kranken aufsuche; vielleicht werde er ihn retten können. Und die ganze Gemeinde begab sich zum König und brachte durch einen Hofbeamten die Bitte vor.

Der König gab die Erlaubnis, und der Leibarzt begab sich zum Kranken. Als er seinen Zustand sah, wurde er böse, daß man ihn gerufen hatte. »Bin ich denn ein Gott«, sagte er, »daß ich einen Toten lebendig machen soll?« Und er wollte das Krankenzimmer verlassen, konnte es aber nicht, denn die Leute, die mit ihm zugleich gekommen waren, standen so dicht gedrängt, daß er nicht einmal zur Türe gelangen konnte. Also blieb er noch eine Weile im Zimmer. Und wie er noch einmal nach dem Kranken sah, merkte er, daß sein Zustand sich ein wenig gebessert hatte, so daß er es nicht mehr für unmöglich hielt, daß eine Arznei helfen könnte.

Also setzte sich der Arzt hin, schrieb ein Rezept und schickte es mit einem Boten in die Apotheke. Und wie er wieder nach dem Kranken sah, merkte er, daß sein Zustand sich noch mehr gebessert hatte, so daß das erste Rezept nicht mehr nötig war. Er schrieb ein neues Rezept und schickte einen andern Boten, der den ersten einholen sollte.

Und kaum war der zweite Bote fort, als der Arzt sah, daß auch das zweite Rezept nicht mehr nötig war. Man rief den Boten zurück, und der Arzt schrieb ein drittes Rezept. Und so ging es mehrere Male. Der Arzt war sehr erstaunt, denn er hatte dergleichen noch nie erlebt. Und wie er so steht und sich wundert, richtet sich der Kranke plötzlich im Bette auf, setzt sich hin und sagt:

»Ich bitte Euch, bleibt noch ein wenig bei mir. Eure Anwesenheit ist's, was mich heilt. Denn der heilige Rabbi hat mir gesagt, daß den großen Arzt der Engel Raphael begleitet. Also kann ich ganz ohne Arzneien gesund werden. Damals verstand ich nicht, was der Rabbi meinte, doch heute sehe ich, daß er die Wahrheit gesprochen hat.«

Der königliche Leibarzt war aber Jude. Er fragte den Kranken, von welchem Rabbi er spreche; und dieser sagte, es sei der Maggid Dojw-Ber von Mizricz gewesen. Und der Arzt meinte, daß der Maggid, der solches gesagt habe, ein heiliger Mann sein müsse. Und der Leibarzt reiste später zum heiligen Maggid nach Mizricz und wurde mit der Zeit selbst ein heiliger Rabbi und Wundertäter. Die göttliche Vorsehung sei mit uns, und wir möchten der Gnade teilhaftig werden, recht bald Zion und Jerusalem zu schauen. Amen.


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