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Sagen der Chassidim
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23. Die verschmähte Braut

Es war einmal ein frommer Chassid, der oft zum Rabbi Israel von Kozienice, den man gewöhnlich den Kozienicer Maggid nennt, zu fahren pflegte; und der heilige Rabbi liebte ihn sehr. Der Mann hatte keine Kinder, und er bat oft den Rabbi von Kozienice, er möchte ihm vom Himmel Kinder erflehen. Der Rabbi gab ihm aber darauf niemals Antwort. Das Weib dieses Mannes war darob sehr betrübt, und sie sagte immer, ihr Leben sei ihr nichts wert, wenn sie keine Kinder hätte. Und sie erklärte sich bereit, alles zu tun, was der Rabbi ihr auferlegen würde; doch der Rabbi sagte gar nichts.

Als der Chassid einmal wieder aus Kozienice zurückkam, fing die Frau zu weinen an und sagte, sie wolle weggehen und in der Welt herumirren, wenn der Mann vom Kozienicer Maggid nichts erreichen würde. Und sie weinte so lange, bis der Mann wieder nach Kozienice fuhr und dem Maggid sagte, er könne das Weinen seiner Frau nicht länger aushalten, es durchbohre ihm den Kopf; er werde nicht eher heimfahren, als bis der Maggid ihm endlich einen Bescheid geben würde. Und der Maggid sagte ihm: »Wenn du bereit bist, dein ganzes Vermögen zu verlieren, kannst du Kinder haben.« Und der Chassid antwortete darauf: »Ich will erst mein Weib fragen.« Er fuhr nach Hause und erzählte seinem Weib, was ihm der Maggid gesagt hatte. Das Weib sagte: »Was taugt mir der ganze Reichtum, wenn ich keine Kinder habe! Ich will lieber arm an Geld und reich an Kindern sein.«

Der Mann fuhr wieder nach Kozienice und meldete dem Maggid die Antwort seiner Frau. Der Maggid befahl ihm, nach Hause zu fahren, sein ganzes Vermögen zu holen und wieder zurückzukommen. Dann werde er ihm sagen, was er weiter tun müsse. Er tat so, sammelte sein ganzes Geld zusammen und kam wieder zum Maggid. Dieser sagte ihm nun, er solle nach Lublin fahren, dort den heiligen Lubliner Rabbi Jizchok aufsuchen und ihn fragen, was er tun müsse, um Kinder zu bekommen. Der Mann fuhr nach Lublin, ging zum heiligen Rabbi Jizchok und sagte ihm: »Der Kozienicer Maggid hat mich zu Euch geschickt, daß Ihr mir sagt, was ich tun muß, damit mir der Herr – gesegnet sei sein Name! – Kinder schenke.« Der Rabbi hieß ihn warten, und der Mann blieb einige Zeit in Lublin.

Nach einiger Zeit ließ ihn der Lubliner Rabbi holen und sagte ihm: »Du warst von Kind auf mit einem Mädchen verlobt, doch als du groß wurdest, gefiel dir deine Braut nicht mehr, und du verschmähtest sie. Solange du deine frühere Braut nicht um Vergebung gebeten hast, wirst du keine Kinder haben. Doch die Braut wohnt sehr weit von hier, und du mußt weit reisen, um sie zu suchen. Ich will dir aber einen Rat geben: fahre nach Balta zum Jahrmarkt und erkundige dich überall nach ihr; dort wirst du sie vielleicht finden. Du mußt sie dann um Verzeihung bitten, und wenn sie es dir verzeihen wird, wirst du Kinder haben. Der Kozienicer Maggid wußte das ebenso gut wie ich, doch er wollte es dir nicht sagen.«

Der Mann tat, wie ihm geheißen, und reiste nach Balta. Unterwegs erkundigte er sich nach seiner früheren Braut, doch niemand konnte ihm Auskunft geben. Er kam nach Balta einige Wochen vor dem Jahrmarkte. Er mietete sich ein Stübchen im Gasthaus und saß den ganzen Tag da, studierte den Talmud und weinte viel. Nur einige Stunden am Tage ging er in den Straßen umher, in der Hoffnung, irgend etwas zu erfahren, erfuhr aber nichts. Als der Jahrmarkt begann, ging er den ganzen Tag von früh bis spät in den Straßen umher, hörte aber nichts von seiner früheren Braut. Der Jahrmarkt ging zu Ende, und der Mann wollte schon heimfahren, er gedachte aber der Worte des Lubliner Rabbi, der ihm gesagt hatte, daß er nicht eher von Balta wegreisen dürfe, als bis er seine frühere Braut gefunden haben würde. Und er nahm sein ganzes Gottvertrauen zusammen.

Gegen Abend wollte er in sein Gasthaus zurückkehren, als plötzlich ein starker Regen begann; der Mann wollte in einen Kaufladen gehen, um den Regen abzuwarten. Man ließ ihn aber in den Laden nicht hinein, also blieb er vor dem Laden stehen. Dort standen auch viele andere Menschen. Und der Mann bemerkte neben sich eine jüdische Frau mit reichem Schmuck und prächtig gekleidet. Er rückte von ihr etwas weg. Die Frau merkte das, begann zu lachen und sagte zu ihrer Freundin, die neben ihr stand: »Dieser Mann rückt immer von mir weg. Als ich klein war, war ich seine Braut, doch er verschmähte mich. Nun danke ich dem Herrn, gelobt sei sein Name, daß ich reicher bin als er und daß er vor mir flieht.« Als er dies hörte, wandte er sich zu ihr und fragte sie aus. Und sie sagte ihm: »Erkennst du mich denn nicht? Ich bin ja deine frühere Braut Esther-Schifroh!« Und sie sagte ihm noch verschiedene Anzeichen, und er erkannte sie. Und sie fragte ihn: »Wie geht es dir? Bist du reich? Hast du Kinder?« Und er antwortete: »Um die Wahrheit zu sagen, bin ich nur dazu hergekommen, um dich um Vergebung zu bitten, denn der Rabbi von Lublin hat mir gesagt, daß ich nur dann, wenn du mir verzeihst, Kinder haben werde.« Und er bot ihr soviel Geld sie wollte, wenn sie ihm verziehe. Doch sie sagte: »Ich brauche kein Geld, denn ich bin durch Gottes Hilfe selbst reich. Ich habe aber einen Bruder, er ist Talmudgelehrter und wohnt in einem Dorfe bei Suwalki. Er muß jetzt eine Tochter verheiraten, hat aber keinen Pfennig Geld. Fahre zu ihm hin und gib ihm zweihundert Dukaten für die Mitgift. Dann werde ich dir verzeihen, und der Herr – gelobt sei sein Name – wird dir gewiß helfen, und du wirst fromme und gelehrte Kinder haben.«

Der Mann sagte ihr: »Ich will die zweihundert Dukaten dir übergeben, damit du sie ihm mit der Post schickst. Warum soll ich noch die weite Reise machen? Mich hat die Reise nach Balta fast mein ganzes Vermögen gekostet.« Sie erwiderte aber: »Tu, wie du willst. Ich kann meinem Bruder das Geld mit der Post nicht schicken: wenn es seine Gläubiger erfahren, werden sie ihm alles wegnehmen, und er wird wieder nichts haben, um die Tochter zu verheiraten. Und ich selbst kann nicht hinfahren. Wenn du mir folgen willst, so fahre schnell hin und mache ihm die Freude. Und ich will dir noch sagen, daß ich bald von hier wegfahre und jetzt keine Zeit mehr habe. Reise hin, grüße meinen Bruder, und der Herr wird dir fromme und gelehrte Kinder schenken.« Und mit diesen Worten ging sie von ihm weg. Er ging ihr nach und bat sie, sie möchte ihm doch die weite Reise ersparen; sie geriet aber in einen Haufen von Weibern, und er konnte sie nicht mehr finden. Also mußte er ein Fuhrwerk nach Wilna mieten.

Es versteht sich von selbst, daß diese Reise ihn den Rest seines Vermögens kostete, außerdem mußte er ja zweihundert Dukaten dem Bruder der Frau geben. Doch viel schwerer als das war für ihn die Reise durch fremde Gegenden, in denen er noch niemals gewesen war. Mit Gottes Hilfe kam er aber nach Wilna und fand dort eine Fuhre nach Suwalki. Wie er nach Suwalki kam, erfragte er das Dorf und kam direkt zum Bruder seiner früheren Braut, der Pächter war. Der Pächter war sehr traurig; er begrüßte den Fremden, sagte ihm aber sonst kein Wort. Der Fremde fragte ihn: »Warum seid Ihr so traurig? Sagt es mir, vielleicht werde ich Euch irgendwie helfen können.« Der Pächter erwiderte: »Was werde ich davon haben, wenn ich es Euch erzähle? Kein Mensch kann mir helfen, nur der Herr selbst.« Der Gast drang in ihn ein, und der Pächter erzählte: »Meine Tochter ist mit einem vornehmen Mann in Suwalki verlobt, und ich hatte zweihundert Silberrubel Mitgift und die ganze Aussteuer versprochen. Ich hatte das Geld schon zusammengespart, doch vor dem Pessachfeste geschah mir das Unglück: der Besitzer des Dorfes erhöhte den Pachtzins und verlangte das Geld für ein ganzes Jahr voraus. Ich habe aber viele Schulden und kann die Pacht nicht lassen. Also mußte ich alle meine Ersparnisse weggeben und kann jetzt die Tochter nicht verheiraten. Gestern bekam ich vom Vater des Bräutigams einen Brief mit dem Verlobungsvertrag; er schreibt mir, daß, wenn ich die Mitgift nicht innerhalb dreier Tage einzahle, er seinen Sohn mit einem andern Mädchen verheiraten wird. Meine Tochter vergießt Tränen, denn der Bräutigam ist ein trefflicher Jüngling, wie man seinesgleichen in der Stadt nicht mehr findet. Auch mir ist es bange ums Herz. Was kann ich aber tun? Ich gehe umher mit zerbrochenem Herzen, vielleicht wird sich der Herr meiner erbarmen.« So sagte der Pächter zum Gast.

Und der Gast antwortete ihm: »Seid unbesorgt: ich will Euch zweihundert Dukaten geben, und Ihr werdet genug für die Mitgift und alle Auslagen haben.« Der Pächter fragte: »Warum wollt Ihr mir so viel Geld schenken?« Und der Gast antwortete: »Ich war einmal mit Eurer Schwester Esther-Schifroh verlobt, habe sie aber nicht geheiratet. Nun bin ich zu ihr gefahren, um sie um Verzeihung zu bitten, sie wollte mir aber nur unter der Bedingung verzeihen, daß ich Euch zweihundert Dukaten gebe.«

Als der Pächter das hörte, geriet er in Zorn und sagte: »Geht weg, denn Ihr spottet meiner: meine Schwester ist seit fünfzehn Jahren tot.« Doch der Chassid sagte zum Pächter: »Ich schwöre Euch, daß ich nicht spotte. Es ist aber möglich, daß Ihr nicht der Mensch seid, zu dem man mich geschickt hat. Sagt mir also bitte, ob Ihr Reb Lejb heißt und ob Ihr eine Schwester namens Esther-Schifroh habt.« Und der Pächter sagte: »Das stimmt. Kommt, ich will Euch das Grab meiner Schwester zeigen. Sagt mir aber, wie und wo Ihr sie gesehen habt.« Der Chassid antwortete: »Nehmt das Geld, das mir Eure verstorbene Schwester Euch zu bringen befahl.« Und er erzählte ihm die ganze Geschichte, die wir oben geschildert haben. Nun sah auch der Bruder, daß der Mann die Wahrheit sprach, und er dankte dem Schöpfer, der ihm in einer so schwierigen Lage geholfen hatte.

Der Chassid nahm Abschied vom Pächter und reiste in seine Heimat. Er ging zum Kozienicer Maggid und erzählte ihm alles, was er erlebt hatte. Und der Maggid sagte ihm: »Es hat gar nicht anders sein können. Weil du einst deine Braut verschmäht hast, wurde über dich die Strafe verhängt, daß du niemals Kinder haben sollst. Wir beteten aber für dich, und darum sandte man die Braut vom Himmel herab, damit du sie um Vergebung bitten konntest. Und da du ihren Wunsch erfüllt hast, wird dich der Himmel mit frommen und gelehrten Kindern belohnen.« Und so geschah es auch. Darum soll man es nicht für gering halten, eine Verlobung zu lösen.


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