Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der große Hippodrom lag außerhalb des kanopischen Thores, nördlich von der nach Eleusis führenden Straße, und diese war heute voll von Menschen, welche alle nach der gleichen Richtung hindrängten. Der Wirrwarr, welchen die Nachricht vom Sturze des Serapis im Stadium hervorgerufen, trieb die Ruhigeren und Friedliebenden unter den Zuschauern nach Hause, und gerade zu diesen gehörten die Wohlhabenden, welche zu Wagen und in Sänften gekommen waren. So blieb denn auf der weiten Straße wenig Raum für Fußgänger, aber diese kamen doch vorwärts; denn Alles strömte auf die Stadt zu, und die Heiden, welche den ersten Unglücksboten aus dem Serapeum in den Hippodrom folgten, hatten es schwer, sich durch die Heimkehrenden Bahn zu brechen.

Marcus und Dada ließen sich von der Menge, welche auf die Ringmauer und das kanopische Thor zustrebte, mit fortreißen.

Phabis, der alte Hausmeister der Maria, welcher beauftragt gewesen war, seinem jungen Herrn nach dem Schluß der Rennen beim Umkleiden behülflich zu sein, hatte ihm die Agitatorenmütze vom Haupte genommen, ihm einen Mantel umgehängt und war ihm gefolgt, als er sich mit der Sängerin entfernte. Der Alte konnte sich recht wohl erklären, was hier vorgieng; denn er war es, welcher Frau Herse zu seiner Gebieterin geführt hatte. Jene war ihm damals wie eine verständige und wohlgesinnte Frau vorgekommen, und jetzt ergab es sich, daß sie auch im Rechte gewesen war, als sie Marcus beschuldigt hatte, ihrer schönen Pflegebefohlenen nachzustellen. Damals war es ihm schwer gefallen, ihr Glauben zu schenken; denn er hatte seinen jungen Herrn noch nie auf verbotenen Wegen ertappt, aber Marcus war ja seines Vaters Kind, und bei wie vielen Liebeshändeln des Apelles hatte der Alte als junger Mann die Haut mit zu Markte tragen müssen! Jetzt kan. die Reihe auch an den Sohn, und wenn der die Neigung zu dem anmuthigen Mädchen an seiner Seite so ernst nahm wie alle anderen Dinge und es sich gar einfallen ließ, die Sängerin zu seiner Gattin machen zu wollen, welche Kämpfe standen ihm dann mit seiner Mutter bevor!

Der alte Diener versuchte es, Marcus zu folgen, und dieser bemerkte es nicht; denn er hatte nur Auge und Sinn für seine schöne Beute, und mit ihr am Arme strebte er mitten in der Menge dem Thore zu. Es war ihm, als thue der Himmel für ihn Wunder auf Wunder, denn er hatte ihm Dada zugeführt, und sie trug blaue Schleifen und auf seine Frage, was das bedeute, hatte sie erwidert: »Um Deinetwillen und weil mir Dein Glaube gefällt.« Er war auch zum Hinsinken müde gewesen; aber sobald Dada den Arm in den seinen gelegt hatte, war er wie durch einen Zauber wieder frischer geworden. Zwar thaten ihm die geschwollenen Hände weh, zwar zogen sich ihm die Schulterblätter manchmal schmerzhaft zusammen; aber sobald sie seinen Arm an sich drückte und ihm das freudige Antlitz zukehrte, um ihm zu sagen, wie glücklich sie sich fühle, und sich sein »Ich liebe Dich!« wiederholen zu lassen, fühlte er sich wie im Himmel, und Mißbehagen und Schmerz waren vergessen. Das Gedränge erlaubte ihnen nur wenige kurze Worte zu sprechen; aber was sie einander mit Mund und Augen mittheilten, war das Liebste und Schönste, was Jedes von ihnen nur immer erfahren konnte.

So kamen sie durch das Thor in die kanopische Straße; dort aber bemerkte Dada, daß seine Lippen die Farbe verloren und ein leises Zittern seinen Arm, in dem der ihre ruhte, ergriff. Da fragte sie ihn, was über ihn gekommen sei, und als er ihr die Antwort schuldig blieb und nur mit der Linken nach der Stirn griff, zog sie ihn in den Volksgarten, welcher sich zu ihrer Rechten zwischen dem kleinen Stadium und der mäandrischen Rennbahn ausbreitete. In den mit Lenzgrün und frischen Blumen geschmückten Anlagen fand sie bald eine freie Bank, hinter der sich wie ein schattenspendender Schirm ein Halbkreis von dichten dunklen Tamariskensträuchern erhob, und nöthigte ihn, sich dort niederzulassen. Er widerstand ihr nicht, und seine leichenblassen Wangen und der gläserne Blick seiner Augen lehrten sie, daß ihn eine Ohnmacht befalle.

Wie erschöpft mußte er nach den furchtbaren Anstrengungen dieses Vormittags sein, und nach dem Siege hatte er sich keinen erfrischenden Trunk, keinen stärkenden Bissen gegönnt. Es war so natürlich, daß die Kraft ihm erlahmte, und ohne sich sonderlich um ihn zu ängstigen, aber voll von Mitleid und dem Wunsche zu helfen, sprang sie auf und eilte auf den Obsthändler zu, an dessen Stand zwischen dem Garten und der Straße sie vorbeigekommen waren.

Wie froh war sie, daß sie die vier Drachmen noch besaß, welche sie dem Karnis im Xenodochium der Maria abgebettelt hatte. Sie konnte nun für den Geliebten einkaufen nach Herzenslust; und als sie zu ihm zurückkehrte mit Orangen, Äpfeln, hartgekochten Eiern, Salz und Brod in dem aufgenommenen Gewande und einem Fläschchen gemischten Weins nebst einem Kürbisbecher in der freien Hand, fand sie ihn besinnungslos wieder. Aber nachdem sie ihm Stirn und Lippen befeuchtet hatte, schlug er die Augen wieder auf, und dann schälte sie ihm die Orangen so zierlich, wie nur sie es konnte, und lud ihn zum Zugreifen ein, und weil sie selbst hungrig war, aß sie wacker mit. Es freute sie, daß er ihr Gast war und daß ihr bescheidenes Mahl ihm mundete und daß er sich so schnell wieder erholte. In der That durchdrang ihn sehr bald neues Behagen und neue Kraft; und wie er nun weit zurückgelehnt und mit Dada's Hand in der seinen ihr in wohliger Ruhe froh und dankbar in die Augen schaute, überkam ihn ein Wonnegefühl ohnegleichen. Ein so schönes Mahl wie das, welches ihm Dada hier darbot, und so köstlichen Wein wie den schlechten mareotischen des Obsthändlers meinte er noch nie genossen zu haben. Er nahm ihr den Apfel aus der Hand und aß ihn da weiter, wo sie mit den weißen Zähnen eingebissen; sie mußte ihm aus dem Kürbisbecher vortrinken, und als Jedes eins von den drei Eiern, die sie mitgebracht, verzehrt hatte, stritten sie sich um das dritte, bis er endlich nachgab und es auf seinen Theil nahm.

Nachdem sie Dada's Einkauf bis auf den letzten Bissen verzehrt hatten, fragte sie ihn zum ersten Male, wohin er sie zu führen gedenke, und er entgegnete, sie werde seinem alten Lehrer, dem Diakonus Eusebius, ein willkommener Gast sein und dort auch ihre Gefährtin Agne wiederfinden. Das freute sie innig, und als sie dann auch, durch den Titel »Diakonus« aufmerksam gemacht, herausgefragt hatte, daß ihr künftiger Beschützer derselbe würdige Greis sei, dessen Worte ihr in der Marcuskirche so tief in's Herz gedrungen waren, erzählte sie Marcus, wie sie in das Gotteshaus gekommen und wie es seitdem viel ruhiger in ihr geworden. Es sei ihr dort etwas ganz Neues aufgegangen und seitdem habe sie sich immer gesehnt, ihn wiederzusehen, und mit ihm über das Alles zu reden: was sie auch von der Lehre Christi erfahren, thue dem Herzen wohl und richte den Muth auf. Die Welt sei so schön, und es gebe doch weit mehr gute als schlechte Menschen. Den Nächsten lieb haben sei eine Freude, und Unrecht verzeihen, das habe sie immer gekonnt. Es müsse doch köstlich auf Erden sein, wenn Jeder dem Andern so gut sei, wie sie ihm und er ihr, und das Leben werde schon ganz leicht, wenn man in jeder Noth gleich Jemanden habe, der bereit sei, uns anzuhören und uns aus bloßer Güte zu helfen.

Und diese Worte kamen Marcus vor wie das größte aller Wunder, mit denen dieser Tag ihn beschenkte. Die Seele, welche der Himmel ihm im Traum zu retten befohlen, sie wandelte jetzt schon auf dem Pfade des Heils, und nun schilderte er ihr Mancherlei, was ihm besonders erhaben und herrlich an seinem Glauben erschien, und endlich bekannte auch er, daß er den Nächsten zwar immer um Christi willen geliebt habe, daß ihm aber doch erst durch sie die ganze rechte und volle Liebe offenbar geworden sei. Keine Macht der Welt könne ihn je von ihr trennen, und wenn sie die Taufe empfangen habe, dürfe ihre Liebe auch fortdauern bis über den Tod, so lange die endlose Ewigkeit währe; sie aber hörte ihm glückselig zu und sagte, daß sie sein eigen sein und bleiben wolle immer und immer.

Es waren heute nur wenige Menschen in dem Garten, welcher sonst gerade in dieser Nachmittagsstunde von müßigen Leuten und Kindern mit ihren Wärterinnen erfüllt zu sein pflegte; aber diese wurden durch die Unruhe auf der Straße zu Hause gehalten und jene zog es in den Hippodrom und das Getümmel.

Dies kam den Liebenden zugute, und sie konnten sich ungestört Hand in Hand in die Augen sehen: ja, wie der alte Phabis, welcher sie lang aus den Augen verloren und sie endlich doch wieder im Volksgarten entdeckt hatte, näher an sie herantrat, sah er aus seinem Verstecke, wie sein junger Herr sich scheu umschaute und der Sängerin zuerst einen Kuß auf die Locken, dann über die Augen und endlich sogar auf die Lippen drückte.

So vergiengen ihnen die Stunden wie im Flug unter ernstem Gespräch und wonnigem Getändel, und als sie sich endlich von dem stillen Ruheplatze trennten, dämmerte es schon.

Bald befanden sie sich wieder in der kanopischen Straße mitten unter der Menge, der sie jetzt oft entgegenstreben mußten, weil die Heimkehrenden sich längst verlaufen hatten und nun Tausende zum Hippodrom, wo es lebhaft hergehen sollte, hinausströmten.

Bei seinem väterlichen Hause hemmte Marcus den Schritt, so gut es gehen wollte, zeigte es Dada und sagte, daß der Tag nicht ferne sei, an dem er sie in dasselbe einführen werde.

Da ward sie auf einmal ernst und rief leise: »Nein, nein; nicht hieher, nicht in den großen Palast an der Straße! In einem kleinen Hause wollen wir wohnen, ganz still und für uns allein. Ein Garten darf auch dabei sein mit Ruhesitzen im Schatten. Hier, hier wohnt ja auch Deine Mutter!«

Dabei erröthete sie tief und schaute zu Boden; er aber ahnte, was in ihr vorgieng, und bat sie, nur Geduld zu haben, denn wenn sie erst eine Christin sei, werde Eusebius schon für sie eintreten. Dann lobte er die Frömmigkeit und Güte seiner Mutter und fragte Dada, ob sie dieselbe im Stadium gesehen.

»Ja!« versetzte sie zaghaft, und als er weiter forschte, ob sie Maria nicht auch schön und ehrwürdig finde, versetzte sie offen: »Ja, gewiß; aber sie ist dabei so groß und vornehm, und sie muß sich wohl eine ganz andere Tochter wünschen als so eine arme, verlassene Waise, wie ich bin, so ein Sängermädchen, das Niemand achtet. Aber Dir, Dir bin ich recht, wie ich bin, und Du weißt, daß ich Dich liebe. Wenn ich den Oheim nicht wiederfinde, so hab' ich keinen Menschen auf Erden wie Dich; aber ich brauche auch keinen andern, denn Du bist mein Ein und Alles, und für Dich und mit Dir zu leben ist mir genug. Doch Du mußt mich auch niemals verlassen, sonst sterb' ich! Du darfst es nicht, denn Du hast mir gesagt, daß Dir meine Seele lieber sei als das eigene Leben, und wenn ich Dich habe und Deine Liebe, so werd' ich besser werden und immer besser; aber wenn Du Dich von mir trennen läßt, dann geh' ich zu Grunde; daß Du's noch einmal hörst: dann geh' ich zu Grunde an Leib und Seele! Ich weiß nicht, warum mir so angst wird! Laß uns an dem Hause vorübergehen; wenn Deine Mutter uns sähe!«

Er that ihr den Willen und suchte sie zu beruhigen, indem er mit der blinden Liebe des Kindes die Tugenden seiner Mutter pries. Aber sie hörte nur mit halbem Ohr auf diese Lobreden, und er wurde auch bald unterbrochen, denn je mehr sie sich der RhakotisDas Viertel der Ägypter, der älteste Theil der Stadt, an den Alexander der Große die Gründung derselben geknüpft hatte. näherten, desto dichter wurde das Gedränge, und von nun an stockte ihr Gespräch und sie konnten nur noch an ihr Vorwärtskommen denken; aber sie waren doch glücklich.

So gelangten sie bis zur Straße der Sonne, einer der Hauptverkehrsadern der Stadt, welche die kanopische Straße rechtwinkelig durchschnitt, und sie folgten ihr nach der Stadtmauer und dem Thore des Helios hin. Das Serapeum lag nun zu ihrer Rechten, und mehrere Wege führten von der Straße der Sonne auf dasselbe zu. Um zu der Gasse zu gelangen, wo der alte Eusebius wohnte, hätten sie in die Akropolisstraße einbiegen müssen, aber ein dichter, wüster Menschenknäuel, welcher vom Serapeum herkam, wälzte sich ihnen durch dieselbe tobend entgegen und über der TotenstadtBesonderes Viertel mit Friedhöfen und Katakomben im äußersten Westen der Stadt. näherte sich die Sonne schon dem westlichen Horizonte.

Nun versuchte es Marcus, auf der Mitte des Fahrdammes zu entkommen und Dada an das Eckhaus zu ziehen, aber vergeblich; denn die Menge, welche aus der Akropolisstraße hervorquoll, war wie rasend und dachte an nichts als die Trophäen, deren sie sich bemächtigt hatte.

Vor einem großen Karren, welcher sonst zum Transport von Balken, Säulen und Quadern diente, hatten sich mehrere Dutzend von weißen und schwarzen Burschen, und außer ihnen auch einige Mönche und Weiber gespannt und zogen einen unförmigen gewaltigen Holzblock, den Kern des zerstörten Serapisbildes, durch die Straßen.

»In den Hippodrom! Verbrennt ihn! Nieder mit den Götzen! Seht den Götterleib des Serapis!« so überschrieen Tausende von Lippen den lauten, das Ohr zerreißenden Lärm des vorwärts stürmenden Auflaufs.

Mönche hatten den entheiligten Klotz aus der Nische im Serapeum durch den Tempel in's Freie gerissen und führten ihn nun durch die Stadt in die Arena, um ihn dort zu verbrennen. Andere Schaffellträger und christliche Bürger, welche die Zerstörungswuth mit ergriffen hatte, waren in das dem Serapeum benachbarte Heiligthum des Anubis gedrungen, hatten den schakalköpfigen Götzen und die Kanopengötter, vier gewaltige Krüge, auf denen als Deckel das Haupt eines Menschen, Affen, Sperbers und Schakals gestanden, von dem Altar gestürzt und zertrümmert. Jetzt trugen sie die wunderlichen Thierhäupter vor sich her, während Andere die Glieder von zerschlagenen Statuen des Apollo, der Athene und Aphrodite auf der Schulter, in Körben oder auf Tragbahren mit sich schleppten, um sie im Hippodrom dem hölzernen Serapisklotze nach in die Flammen zu werfen.

Der Pöbel hatte die Nasen von den Götterhäuptern geschlagen, den Marmor mit Pech bespritzt oder mit rother Farbe, welche man in der Schreibstube des Serapeums gefunden, wunderlich bepinselt. Wer sich dem Klotze oder einem Stück der zertrümmerten Götzen nähern konnte, der bespie es, schlug oder stach darnach, und kein Heide hatte es bisher gewagt, diesem Treiben Widerstand entgegen zu setzen.

Hinter dem eichenen Kern des Serapisbildes und den anderen Trophäen her drängte sich eine unabsehbare Schaar von Männern in jedem Alter, von Weibern und Mönchen, und zwang eine große Carruca,Ein vierräderiger Wagen, dessen man sich nicht nur auf Reisen, sondern auch in der Stadt bediente. welche unter sie gerathen war und dicht von ihr umdrängt ward, sich mit ihr in langsamem Schritt fortzubewegen. Die edlen Rosse vor diesem Fuhrwerk mußten am Zaum geführt werden; denn sie zitterten vor Ungeduld und Erregung und versuchten es, bald über den Strang zu schlagen, bald sich zu bäumen.

In der Carruca saßen der Kaufherr Porphyrius, welcher das Bewußtsein voll zurückerlangt hatte, und Gorgo.

Konstantin war, bis der Arzt Apulejus seine Aufgabe als gelös't bezeichnet und der Dienst ihn selbst abgerufen hatte, bei dem Genesenen geblieben, von dem die Vereinigung seiner Tochter mit ihrem Jugendgespielen wie etwas Willkommenes, Langerwartetes aufgenommen worden war.

Einige Reiter des Präfekten hatten den Auftrag erhalten, den Wagen des Porphyrius an die Pforte des Serapeums zu führen, und ein Abt, welchen der Präfekt aus Arsinoë kannte, gab der Carruca auf dem Heimwege das Geleit und schützte sie vor dem Anfall der rasenden Menge.

An der Stelle, wo sich die Akropolisstraße mit der der Sonne verband und Marcus mit Dada, ohne vorwärts oder rückwärts zu können, festgehalten wurde, stürmte, gerade als das Fuhrwerk sie erreicht hatte, eine Schaar bewaffneter Heiden den Christen entgegen, fiel über die Todfeinde her, welche ihr Heiligstes mit schmählichem Spott zu verunglimpfen wagten, und nun entstand ein wüstes Gebalge. In der Nähe des jungen Christen stieß ein Heide den Träger eines besudelten Musenkopfes nieder. Dada schmiegte sich ängstlich an den Geliebten, und dieser begann schon ernstlich für sie zu fürchten, als er, während er nach Rettung ausspähte, seinen Bruder Demetrius wahrnahm, der sich mit lebhaften Winken durch die Menge Bahn zu ihm brach. Auch mit den Insassen der Carruca wechselte der Landmann Zeichen, und als er Marcus endlich erreicht hatte, bedeutete er ihn kurz, daß Dada zuerst in Sicherheit gebracht werden müsse.

Froh, dem Gedränge und der Gefahr zu entrinnen, stieg sie behend in den Wagen und winkte, nachdem sie Vater und Tochter flüchtig begrüßt hatte, Marcus zu, daß er ihr folge; aber der Landmann hielt ihn zurück, und nachdem mit fliegender Eile festgesetzt worden war, daß das Mädchen am Abend aus dem Hause des Kaufherrn abgeholt werden solle und Demetrius Gorgo manches lobende Wort über die Sängerin zugeflüstert hatte, setzte das Fuhrwerk sich wieder in Bewegung.

Unter den Heiden, welche dasselbe nunmehr umgaben, kannten Viele den edlen Freund des Olympius, machten seinem Wagen Platz, und so gelangte er unangefochten in die außerhalb der Stadtmauer gelegene Euergetenstraße, welche Eingang zu der Rückseite des Isistempels, der Werft des Clemens und des Hauses des Kaufherrn gewährte.

In dem Wagen wurden nicht viele Worte gewechselt, denn die Rosse gelangten nur Schritt für Schritt und unter mancherlei Hindernissen vorwärts.

Es war dunkel geworden, und der Auflauf hatte sich auch in die sonst so stille Euergetenstraße gezogen. Glühender Feuerschein, welcher über dem Tempel und der Werft den nächtlichen Himmel mit prächtigem Purpurglanz schmückte, zeigte an, was die Menge hieherzog.

Die Mönche hatten Feuer in den Isistempel geworfen, die Flammen waren vom Nordwestwind in die Werft des Clemens getrieben worden und hatten dort an den gewaltigen Holzvorräthen und den Schiffskörpern willkommene und köstliche Nahrung gefunden. Aus den Werkstätten rauschten und prasselten reiche Springquellen von strahlenden Funken dem jungen Licht der Sterne entgegen.

Porphyrius sah auch sein Haus bedroht, aber dank der Umsicht des Hausmeisters und der emsigen Arbeit der Sklaven war es unberührt von den Flammen geblieben.

Unterdessen hatten die Brüder das Gedränge längst hinter sich gelassen.

Der Landmann war nicht allein gewesen, und sobald er seinen Begleiter, einen Abt von freundlichem Ansehen, mit Marcus bekannt gemacht hatte, gab Jener seiner Freude, auch dem zweiten Sohne seines Lebensretters Apelles zu begegnen, lebhaften Ausdruck; Demetrius aber theilte dem Bruder mit, was ihm in den letzten Stunden begegnet und wie er zu dem würdigen Vater gekommen war.

Während er Dada in der Arena dem Marcus zugeführt hatte, war er desselben ägyptischen Sklaven Anubis ansichtig geworden, welcher seinen Vater als Leibdiener nach Syrien begleitet hatte und der seit dem Tode des Apelles verschwunden geblieben war. Ungesäumt hatte der Landmann sich dem Ägypter nachgestürzt, ihn gepackt, ihn nicht ohne Gefahr überwältigt und ihn dann von Sicherheitswächtern in das Gefängniß neben der Präfektur führen lassen. Hier war es Demetrius gelungen, den Sklaven zum Reden zu bringen, und aus seinen Mittheilungen war hervorgegangen, daß Apelles allerdings im Kampfe mit Saracenen um's Leben gekommen sei. Der Ägypter hatte sich nur den Tod seines Gebieters zunutze gemacht, um mit dem Gelde desselben das Weite zu suchen. Der Sklave war nach Kreta entkommen, hatte sich dort von dem reichen Raube ein Gütchen gekauft und war, von Sehnsucht nach Weib und Kindern getrieben, zurückgekehrt, um sie mit in die neue Heimat zu nehmen. Endlich hatte er, um die Wahrheit seiner Erzählung zu bekräftigen, die ihn von dem Morde seines Herrn freisprach und darum wenig Glauben verdiente, mitgetheilt, daß er einem der Klausner, welche dem Ende seines Gebieters beigewohnt hatten, gestern in Alexandria begegnet sei, und der Landmann hatte sich dann sogleich aufgemacht, um diesen durch Umfrage bei den Mönchen wiederzufinden. Dies war ihm bald gelungen, und Kosmas, welcher seitdem von der Brüderschaft des nitrischen Klosters, zu der er gehörte, zum Abt erwählt worden war, erzählte nun auch dem Marcus, wie heldenhaft sein Vater den Ungläubigen, die seinen Reisezug überfallen, entgegengetreten sei. Apelles, berichtete er, habe ihm selbst und zwei anderen Anachoreten, von denen der eine gleichfalls in Alexandria weile, das Leben gerettet. Sieben an der Zahl wären sie von Hebron nach Aila gewandert, hätten sich unter den Schutz der Geleitsmannschaft des Alexandriners gestellt und Alles sei vortrefflich gegangen, bis sie ungläubige Saracenen im Gebirge südlich von Petra überfallen hätten. Vier Klausner seien sogleich niedergemetzelt worden; aber Apelles habe sich mit einigen Entschlosseneren unter seinem Geleit den Heiden entgegengeworfen und mit dem Muthe eines Löwen gestritten. Er und zwei seiner Gefährten seien, während der Alexandriner mit den Ungläubigen rang, glücklich entkommen; aber von dem Felsen aus, den sie fliehend erstiegen, hätten sie ihn fallen sehen und ihn von nun an stets in ihr Gebet eingeschlossen. Mit freudiger Genugthuung werde es ihn erfüllen, das Seine zu thun, einem Manne wie Apelles den Platz, welcher ihm in den Listen der Märtyrer gebühre, zu verschaffen.

Von freudiger Ungeduld ergriffen, wollte Marcus sogleich zu seiner Mutter eilen und ihr mittheilen, was er erfahren; aber Demetrius hielt ihn zurück.

Der Bischof, theilte er dem Jüngling mit, habe ihn zu sich entboten, um ihm zu seinem Siege Glück zu wünschen; es sei seine Pflicht, dieser Einladung zu folgen und die günstige Gelegenheit ungesäumt zu benützen, dem verstorbenen Vater die Ehre, welche ihm zukomme, zu verschaffen.

Zwar befremdete es Marcus, daß sein Bruder nun für eine Sache eintrat, welche ihm noch vor Kurzem zuwider gewesen, aber er betrat doch sogleich mit dem Abte den bischöflichen Palast, und nachdem der Landmann eine halbe Stunde vor demselben gewartet, erschien sein Bruder wieder mit strahlenden Augen und erzählte, der Kirchenfürst habe ihn gnädig empfangen, ihm für seinen Sieg gedankt und ihn aufgefordert, ihm eine Bitte vorzutragen. Darauf habe er sogleich des Vaters gedacht und sich auf das Zeugniß des Abtes berufen. Dieser sei sofort verhört worden, und dann habe Theophilus sich mit Freuden bereit erklärt, den Namen des Apelles zu der Liste der syrischen Märtyrer zu fügen. Der Bischof habe sich schon bis dahin nur ungern dem Drängen einer so guten und werkthätigen Christin wie Maria widersetzt; nachdem er aber vollends gültiges Zeugniß über die Todesart ihres Gatten empfangen, gewähre es ihm wahre Genugthuung, dem Sieger und seiner trefflichen Mutter diese höchste aller Ehren zuzuerkennen. »Und nun,« schloß Marcus, »nun eile ich nach Hause, und mit welcher Freude wird doch die Mutter –«

Aber der Landmann ließ ihn nicht ausreden, sondern ergriff ihn fest bei der Schulter und rief: »Geduld, mein Lieber, Geduld! Du bleibst jetzt bei mir und siehst die Mutter erst wieder, nachdem ich mit ihr in Ordnung gebracht habe, was noth thut. Keinen Widerspruch, bitt' ich, wenn Du mir nicht den Genuß verderben willst, an Deiner hübschen Freundin schweres Unrecht gut zu machen. Was ihr vor allen Dingen bedürft, ist der Segen der Mutter, und denkst Du etwa, daß er leicht zu erlangen sein wird, Junge? Mit nichten! Aber ich will und kann ihn euch schaffen, vorausgesetzt, daß Du mir folgst und daß die Nichte des alten Heiden Karnis einwilligt, sich taufen zu lassen.«

»Sie ist schon Christin!« rief Marcus eifrig; Demetrius aber fuhr gelassen fort: »So ist sie morgen Dein, wenn Du Dich den Anordnungen Deines ältern und verständigern Bruders fügst. Das kann Dir nicht schwer fallen; denn Du wirst mir zugeben müssen, daß, hätte ich mich nicht mit dem Anubis gebalgt – der Kerl biß dabei um sich wie ein verwundeter Fuchs – hätt' ich ihn nicht festgenommen und mir nicht auf der Jagd nach dem würdigen Abt die Beine müde gelaufen, der Vater um die Ehre gekommen wäre, die ihm nun endlich zu Theil wird. Wer mir gesagt hätte, ich würde mich je über diese Märtyrerkrone freuen! Bei den Göttern ist eben nichts unmöglich, und ich denke, die Manen des Verstorbenen werden mir um Deinetwillen vergeben. Aber es wird immer später, und darum nur noch dies: was mich betrifft, so nehm' ich als mein Recht in Anspruch, die Mutter von dem Geschehenen zu unterrichten, und was Dich angeht, so gehst Du zuerst zu Eusebius und bittest ihn, Dada bei sich aufzunehmen. Willigt er ein – und er thut es – so geht ihr zusammen zum Oheim Porphyrius und wartet dort auf mich, damit ich euch, wenn Alles gut geht, zu der Mutter, oder, wenn es anders kommt, zu Eusebius begleite.«

»Dada mit mir zu der Mutter!« rief Marcus. »Aber wie wird sie . . .«

»Sie wird sie als Tochter aufnehmen,« unterbrach ihn der Landmann, »wenn Du das Vorgefallene hübsch für Dich behältst, bis ich Dir zu reden gestatte. Da schließt der lange Thorhüter schon den bischöflichen Palast, und von da aus dringt also heute nichts mehr in die Stadt. Auf Wiedersehen, Du Glückskind; ich habe Eile!«

Damit entfernte sich der Landmann und ließ die tausend Fragen unbeantwortet, welche Marcus ihm noch vorzulegen hatte; dieser aber begab sich, wie ihm geheißen, hoffnungsvoll und doch nicht frei von mancherlei Bedenken, zu seinem alten Lehrer und Freunde.


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