Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Sechstes Kapitel.

Demetrius hatte, nachdem er seine Stiefmutter verlassen, die Zeit wohl benützt und dem griechischen Schreibsklaven, welcher ihm nach Alexandria gefolgt war – ihm selbst gereichte es zur Qual, die Feder zu führen – mehrere Briefe diktirt. Sie bezogen sich auf seinen Abschied von der Cyrenaïca und sein Vorhaben, das eigene Gut selbst zu verwalten. Nun sie gerollt, mit der Schnur umwunden und versiegelt vor ihm lagen, kamen sie ihm vor wie Grenzsteine an der Bahn seines Lebens.

Schweigend wandelte er auf und nieder und vergegenwärtigte sich das Schicksal der Sklaven und Bauern, welche ihm so lange treue Diener und Mitarbeiter gewesen waren, deren Zutrauen er erworben und unter denen er Manchen lieb gewonnen hatte.

Er konnte sich das Leben dieser Leute, ihre Thätigkeit, ihre Feste ohne Götterbilder, Opfer, Kränze und frohen Gesang nicht denken. Sie kamen ihm vor wie Kinder, denen Spiel und Lachen untersagt werden sollten; und wieder mußte er an seine Knabenzeit denken und den ersten Tag, an dem er in die Schule gegangen war und dort, statt sich fröhlich in dem sonnigen Garten des väterlichen Hauses zu tummeln, in einem dumpfen Gemach hatte still sitzen müssen.

Ob wohl die Welt jetzt auch an jene Grenzmark im Dasein getreten sein mochte, bei der Freiheit und sorgloser Lebensgenuß aufhört und das schwere Ringen nach höheren Gütern beginnt?

Enthielt das Evangelium die Wahrheit und ging das in Erfüllung, was es verhieß, dann war es vielleicht gerathen, den Schuldschein anzunehmen und manchen glänzenden Schmuck des Daseins hinzugeben für die unvergänglichen Schätze, die es verhieß. Mancher gute und kluge Mann, dem er im Leben begegnet, und der Kaiser, der große und weise Theodosius selbst, waren mit ganzer Seele der Lehre Christi ergeben. Demetrius wußte auch aus Erfahrung, daß der Glaube seiner Mutter, in welchen er als Knabe eingeführt worden war und von dem ihn derselbe Vater, der ihn an den Taufstein geführt, früh abwendig gemacht hatte, armen Menschen mit verkümmertem Dasein großen Trost und eine starke Stütze gewähre.

Aber seine Bauern und Feldarbeiter? Waren sie nicht gesund und zufrieden?

Welche Macht der Erde konnte sie, die zäh am Gewohnten hingen, bewegen, den väterlichen Glauben, die ehrwürdigen Gewohnheiten, denen sie Wohlbefinden und Freude am Dasein verdankten, aufzugeben und im Ungewissen zu suchen, was sie jetzt schon ihr Eigenthum nannten?

Seine Festigkeit reute ihn nicht, aber er sagte sich doch, daß Maria nur zu bald auch ohne ihn ihren Vorsatz zur Ausführung bringen und ihr Zerstörungswerk durchführen werde, und jeder Tempel, jedes Marmorbild, jede lauschige Grotte, jeder von frommen Händen gesalbte Stein aus den Gütern, welche dem Untergang erlesen, stellten sich ihm vor das innere Auge.

Er war gewohnt, den Tag mit dem ersten Hahnenschrei zu beginnen und sich früh zur Ruhe zu legen. Auch heute schickte er sich an, das Schlafgemach zeitig aufzusuchen, als Marcus bei ihm eintrat und ihn bat, ihm noch eine Stunde zu gönnen.

»Du grollst der Mutter,« sagte der Jüngling und blickte ihn traurig und bittend an; »aber Du weißt ja, daß sie für den Glauben Alles hingiebt und opfert. Wie bitter Du wieder lächelst! Versetze Dich nur in meine Seele. Wenn man Einen so lieb hat wie ich die Mutter, so schmerzt es, wenn ein Anderer, dem man auch gut ist – und Du bist doch mein Freund und Bruder – dann schmerzt es, den Einen sich so widerwillig von dem Andern abwenden zu sehen. Das Herz ist mir heut ohnehin schwer.«

»Armer Junge,« entgegnete der Landmann. »Freilich bin ich Dein Freund und will es auch bleiben; Du trägst ja keine Schuld an dem Allen! Übrigens bin ich selbst nichts weniger als froh. Ihr habt gut verordnen: Nieder mit den Heiligthümern, in's Elend mit Denen, die anders denken als wir! – Faßt das Ding an wie ihr wollt, hie und da wird es doch zu Gewaltthätigkeiten kommen; ja, wenn kein Blut fließt, ist es ein Wunder. Für euch handelt sich's dabei nur um einen allgemeinen Begriff: die heidnischen Bauern des Gutes. Für mich steht es anders! Ich kenne die Sklaven und Pächter, ihre Weiber und Kinder bei Namen und weiß wie sie aussehen. Jeder von ihnen hat mir den Morgen- und Abendgruß geboten und die Hand geschüttelt oder den Rock geküßt. Mancher ist weinend zu mir gekommen und hat mich heiter verlassen. – Beim Donnerer Zeus! Weichherzig hat mich noch Niemand genannt, aber ich wollte heut, daß ich's weniger wäre! Und die Galle läuft mir über, wenn ich frage: Wozu, wofür denn das Alles?«

»Um des heiligen Glaubens willen, Demetrius; gewiß nur für das ewige Heil dieser Leute!«

»So?« fragte der Landmann gedehnt. »Das weiß ich besser. Wäre das, und das allein, wirklich die Meinung, dann baute man Kirchen und Kapellen, schickte uns würdige Priester – ich denke an Eusebius und seinesgleichen – und versuchte mit jener Liebe, die ihr so eifrig im Munde führt, die Menschen für euren Herrn zu gewinnen. Das zu thun hab' ich heute früh Deiner Mutter selbst gerathen. Ich glaube, es ließe sich damit, wie anderwärts so auch bei uns, zu dem Ziele gelangen, das ja nun einmal erreicht werden soll, aber freilich nicht heut oder morgen. Der Bauer, der sich in die Kirche gewöhnt und Zutrauen zu dem neuen Gotte gefaßt hat, giebt schon von selbst die alten Götter und ihre Heiligthümer auf; dafür habe ich an jedem Finger ein Beispiel. Das hätt' ich auch ruhig mit ansehen können, denn ich brauche die Arme und Beine und nicht die Seelen der Leute; aber das alte Haus verbrennen, bevor man auch nur Holz und Stein für das neue besitzt, das nenn' ich freveln, das ist grausam und thöricht, und wenn eine so kluge Frau wie Deine Mutter sich steift, dergleichen über Hals und Kopf durchzusetzen, dann steckt etwas Besonderes dahinter.«

»Du denkst, sie wolle Dich, Dich, Demetrius, beseitigen?« fiel ihm Marcus lebhaft in's Wort. »Aber darin irrst Du, Du irrst ganz gewiß. Was Du auf den Gütern geleistet . . .«

»Das, das!« rief der Andere. »Was habe ich, was hat meine Arbeit mit dem Allen zu schaffen! Über's Jahr – ich höre den Hasen laufen – über's Jahr soll aus den Dörfern und von den Feldern der frommen Maria Alles verschwunden sein, was an die heidnischen Götter erinnerte. Das hat man im Sinn! Mit dieser frohen Kunde wird dann zum Bischof geeilt, und wenn man ein Wunder zum andern fügt, so wächst die Anwartschaft auf die künftige Heiligenkrone. Daher dieser Eifer, nur daher!«

»Du redest von meiner Mutter!« rief Marcus und hob die Augen mit rührender Bitte zu dem Bruder empor.

Da schüttelte der Landmann das buschige Haupt und fuhr in milderem Tone fort: »Ja, Kind, das hatte ich vergessen, und es könnte wohl sein, daß ich irre; aber ich bin auch nur ein Mensch! Es kommt hier Eins zum Andern, und es schlägt in diesem Hause so viel auf mich ein, daß ich mich selbst nicht mehr kenne. Der alte Phabis meint, es sei nun ernstlich im Werke, den Vater zum Märtyrer zu stempeln.«

»Die Mutter ist überzeugt, daß er für den Glauben gestorben, und weil sie ihn so innig geliebt hat . . .«

»Also doch!« knirschte Demetrius und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Die Lüge, die Einer gesät, das verfluchte Unkraut, überwuchert dies arme Haus bis über das Dach! Du freilich, was kannst Du noch von unserem Vater wissen? Aber ich, ich hab' ihn gekannt. Ich bin dabei gewesen, wenn er mit seinen Philosophen über Alles gelacht hat, was nicht euch Christen allein, nein, was auch frommen Heiden für das Heiligste gilt. Der Lucrez war sein Evangelium. Die Kosmogonie dieses Gottesleugners lag neben seinem Bette, und wenn er verreiste, nahm er sie mit.«

»Er hat die heidnischen Dichter geliebt, aber darum war er dennoch ein Christ,« entgegnete Marcus.

»Nicht mehr und nicht weniger als der Oheim Porphyrius und ich!« rief der Landmann. »Seit unser Großvater Philippus die Taufe empfangen, hat sich Glück und Eintracht von diesem Hause gewandt. Um der Kornlieferungen für Staat und Kaiser nicht verlustig zu gehen, fiel er ab von den alten Göttern und wurde ein Christ und machte seine Söhne zu Christen. Aber er ließ sie von seinen heidnischen Freunden erziehen, und so galten sie für das, was sie nicht waren. Wenn es sein mußte, zeigte er sich mit ihnen in der Kirche; aber ihr tägliches Dasein, ihr Genuß, ihre Erholung waren heidnisch, und wenn des Lebens Ernst an sie herantrat, brachten sie den Göttern ein blutiges Opfer. Zurückzutreten war ihnen nicht möglich, denn der Christ, welcher abtrünnig wird und sich wieder zu den alten Göttern bekennt, verliert das Recht, über das Seine im Testament zu verfügen. Du kennst das Gesetz, und wenn Du mich fragst, warum ich selbst ohne Weib und Nachkommen – und ich liebe die Kinder, auch wenn sie Anderen gehören – als einsamer Mann mit kargem Lebensgenuß meine Tage und Nächte hinschleppe, so magst Du's erfahren: Ich diene den alten Göttern offen und frei und gehe nicht in die Kirche, weil ich die Lüge verachte! – Was soll ich mit Kindern, denen ich durch meinen Wandel entziehen würde, was mein ist? Das Testament, das allein hat unsern Vater bewogen, mich als Knaben taufen zu lassen und sich als Christ zu geberden. Mit dem Lucrez im Ledersacke – ich hab' das Röllchen mit diesen Händen zu der Geldtasche gelegt – ist er nach Petra gereist, um die Kornlieferung für die Felsenstadt zu erlangen. Auf dem Heimweg ward er erschlagen; wahrscheinlich von seinem eigenen Diener Anubis, denn der hat den Inhalt der Tasche gekannt und ist seitdem spurlos verschwunden. Zu derselben Zeit hatten heidnische Sarazenen in der Gegend zwischen Petra und Aila christliche Wanderer und Anachoreten überfallen und getötet, und darauf, nur darauf gründet die Mutter das Recht, unsern Vater einen Märtyrer zu nennen. Und dennoch hat sie seine Gesinnung recht wohl gekannt und manche Thräne um ihretwillen vergossen. – Nun steuert sie große Summen für jeden Kirchenbau, nun hat sie ihr Xenodochium gegründet, nun wirft sie ihr Geld mit vollen Händen den Mönchen und Klöstern in den nimmersatten Rachen. Zu welchem Zwecke? Unser Vater soll als Märtyrer anerkannt werden! Aber bisher hat sie Geld und Mühe verschwendet. Der Bischof ist für mich ein hassenswerther Tyrann: kenn' ich ihn recht, so nimmt er an, was sie bietet, und thut ihr doch nicht den Willen! Jetzt führt sie ihre beste Phalanx in's Feld und überrascht ihn mit einem neuen Wunder. Wie ein Taschenspieler, der aus einem weißen ein schwarzes Ei macht, verwandelt sie im Handumdrehen eine heidnische in eine christliche Landschaft. Was mich betrifft, so helf' ich ihr nicht bei dem Kunststück!«

Marcus hatte bei dieser Erzählung bald den Blick gesenkt, bald die großen Augen ängstlich zu dem Bruder aufgeschlagen. Eine Zeitlang fand er kein Wort der Entgegnung, und man sah ihm an, daß er schwer mit sich kämpfte.

Demetrius störte ihn nicht und ordnete schweigend die Papyrusblätter auf dem Tische, bis Marcus ihn anrief und nach einem tiefen Athemzuge im Tone sicherer Überzeugung und mit einem glückseligen Lächeln, welches sein ganzes Antlitz verklärte, ausrief:

»Die arme Mutter! Wie Du, so werden sie Viele verkennen; war ich doch selbst in Gefahr, an ihr zu zweifeln. Aber nun meine ich sie ganz zu verstehen! Sie hat den Vater so innig geliebt, und was er im Fleische für sich selbst zu erwerben unterließ, das will sie nun für seine ewige Seele erringen. Er hatte die Taufe empfangen, und ihr Gebet, ihre Opfer sollen ihm Gnade bei Dem erwirken, der ja so gerne verzeiht. Sie glaubt an den Märtyrertod unseres lieben Verstorbenen, und wenn die Kirche ihn Denen zugesellt, welche für sie geblutet, dann ist er gerettet und sie findet ihn wieder da drüben, und in reinerem Lichte streckt er, wenn der Herr sie einst abruft, der treuen Gefährtin, die seine Seele gerettet, überfließend von Liebe und heißem Dank, die Arme entgegen. Ja, nun verstehe ich sie völlig, und ich will ihr von heute an helfen, und das Schwerste soll mir nicht zu schwer, das Beste nicht zu gut sein, um der armen gefährdeten Seele des Vaters das Himmelsthor zu erschließen!«

Bei den letzten Worten hatte des Jünglings Blick in schwärmerischem Glanze geleuchtet; dem Landmann aber wurde das Herz weich und um seine Rührung zu verbergen, rief er leichtfertiger und derber als sonst:

»So wird es sich wohl verhalten, mein Junge!« Dann fuhr er sich rasch mit der Hand über die Augen, schlug Marcus fest auf die Schulter und fuhr munter fort: »Lieber ersticken als hinunterschlucken, was man für recht hält. Frei von der Leber weg reden hat noch Niemand geschadet. Stimmt man dabei auch nicht überein, so lernt man doch einander verstehen. Ich habe meine Art, ihr habt die eure. So wären wir denn also im Reinen; aber auf die Tragödie folgt das Satyrspiel, und ich denke, wir schließen diesen aufregenden Abend mit einem harmlosen Geplauder.«

Damit streckte sich Demetrius auf ein Polster aus, lud Marcus ein, das Gleiche zu thun, und bald ging die Unterhaltung, wie gewöhnlich, wenn diese Beiden zusammen waren, auf die Pferde über. Marcus lobte die Stuten, welche sein Bruder für ihn auferzogen und die er heute im Hippodrom um die NyssaDas steinerne Ziel in der Rennbahn, die meta der Römer. gelenkt hatte, und der Landmann fügte selbstgefällig hinzu:

»Alle vier von demselben Vater und ausgesucht trefflichen Müttern. Ich hab' sie selbst eingefahren und möchte . . . Aber warum warst Du heute früh nicht im Stalle?«

»Ich konnte nicht,« entgegnete Marcus und erröthete leicht.

»Dann fahren wir morgen nach Nikopolis hinaus, und ich zeige Dir, wie Du die Megäre an dem Taraxippus vorbeibringst.«

»Morgen, sagst Du?« fragte Marcus verlegen. »In der Frühe soll ich zu Eusebius kommen und dann . . .«

»Nun, dann?«

»Dann müßte ich, das heißt, dann würde ich gern . . .«

»Was?«

»Allerdings . . . Vielleicht könnte ich dennoch. – Aber nein, nein, es läßt sich nicht machen . . . Ich habe . . .«

»Was, was, was?« fragte der Landmann mit wachsender Ungeduld. »Meine Zeit ist gemessen, und wenn Du die Rappen rennen lassen willst und kennst meine Art nicht, so leisten sie sicher nicht, was sie können. Wenn der Markt sich füllt, fahren wir hinaus. Für den Hippodrom brauchen wir einige Stunden, dann wird beim Damon gespeis't, und bevor es dunkelt . . .«

»Nein, nein,« versetzte Marcus, »gerade morgen werde ich sicher nicht können . . .«

»Wer nichts zu thun hat, dem fehlt es gewöhnlich an Zeit,« versetzte der Landmann. »Ist morgen ein Festtag?«

»Das nicht, aber, gütiger Himmel, wenn ich auch möchte . . .«

»Möchte, möchte!« rief Demetrius unwillig und stellte sich mit gekreuzten Armen dem Bruder gegenüber. »Sage kurz: ›Ich will nicht,‹ oder: ›Was ich da vorhabe, ist mein Geheimniß und geht Dich nichts an;‹ aber laß dies nichtsnutzige Gezerre!«

Diese lebhaften Worte steigerten die Verlegenheit des Jünglings, und während er nach einer Antwort suchte, die der Wahrheit nahe kam und ihn doch nicht verrieth, rief Demetrius, welcher ihn nicht aus den Augen gelassen:

»Bei der schaumgeborenen Aphrodite, da ist ein Stelldichein im Spiel! Weiber, Weiber – überall Weiber!«

»Ein Stelldichein!« sprach Marcus dem Andern nach und schüttelte dabei verweisend den Kopf. »Es erwartet mich Niemand; und doch . . . Lieber magst Du mich verkennen, als daß ich lüge. Ja denn, ich suche ein Weib, und wenn ich's morgen nicht finde, wenn ich morgen nicht erreiche, wozu mich das Herz drängt, dann kann sie verloren sein, nicht etwa für mich – denn ich, ich werfe die himmlische Liebe nicht fort für die Liebe des Fleisches – sondern für meinen Herrn und Heiland. Um Leben, ewiges Leben oder ewigen Tod für ein schönes Ebenbild Gottes handelt sich's morgen.«

Die Verwunderung des Landmanns stieg, und mit einem ungeduldigen Kopfschütteln sprach er: »Da hast Du wieder das Gebiet überschritten, auf dem wir einander verstehen. Ich sollte denken, daß Du für die Rettung von gefährdeten Seelen schöner Frauen noch nicht alt genug bist. Sieh Dich vor, mein Junge! Mit denen, die oben schwimmen, geht man ohne Gefahr in's Wasser, aber die Sinkenden ziehen uns mit sich hinab. Du bist ein schmucker Bursche, hast Geld und stattliche Rosse, und es giebt hier abgefeimte Weiber genug, die ihre Netze . . .«

»Was fragt sie nach mir!« entgegnete Marcus mit Eifer. »Ich bin hier der Fischer, ein Seelenfischer, und jeder Gläubige sollte es sein. Sie ist die Unschuld, die Einfalt selbst bei all ihrer lieblichen Schalkheit. Aber sie ist in die Hände von sündigen Heiden gefallen, und hier, wo die Verführung einhergeht wie ein brüllender Löwe, wird sie verloren gehen, wenn ich sie nicht rette. Ich habe sie zweimal im Traume gesehen, einmal dicht vor der Höhle eines wüthenden Drachens und das andere Mal am Abhang eines schroff aufragenden Felsens, und beide Male rief ein Engel mich an und befahl mir, sie vor den Zähnen des Unholdes und dem Sturz in die Tiefe zu bewahren. Seitdem seh' ich sie vor mir zu jeder Stunde: beim Mahl, im Gespräch, auf dem Wagen, und stets vernehm' ich dabei die mahnende Stimme des Engels. Und sie, an die der Höchste alle Gaben verschwendet, mit denen er Eva geziert hat, sie, sie auf den Pfad des Heiles zu leiten, das ist eine selige Pflicht, und ich will sie erfüllen.«

Der Landmann war den begeisterten Worten des Bruders mit wachsender Besorgniß gefolgt. Jetzt zuckte er die Achseln und sagte: »Man möchte Dich um die Bekanntschaft mit diesem Götterlieblinge beneiden, aber ich sollte meinen, daß sich Dein Rettungswerk verschieben ließe. Ein halbes Jahr lang bist Du fort von Alexandria gewesen, und wenn sie sich so lange über Wasser gehalten . . .«

»Sprich nicht so; so darfst Du nicht reden!« rief Marcus und preßte die Hand auf's Herz, als ob es ihn schmerze. »Ich habe keine Zeit zu verlieren, denn ich muß erfahren, wohin sie der alte Sänger geführt hat. Ich bin so unerfahren nicht, wie Du denkst. Er führt sie hieher, um ihre Schönheit zu mißbrauchen und sich zu bereichern. Du bist ihr auch auf dem Schiffe begegnet. Hier hatte ich ihnen Unterkunft geschafft, Du weißt, im Xenodochium der Mutter.«

»Wem?« fragte Demetrius und faltete die Hände.

»Den Sängern, die ich in Ostia mit mir auf's Schiff nahm. Und jetzt, jetzt sind sie aus der Herberge verschwunden, und Dada . . .«

»Dada?« rief Demetrius und brach in ein schallendes Gelächter aus, ohne zu beachten, daß Marcus glühend vor Empörung von ihm zurücktrat. »Die Dada, das blonde Dirnchen steht Dir Tag und Nacht vor Augen, und ein Engel befiehlt Dir, das muntere Ding zu erretten? Schäme Dich, Junge! Was gilt die Wette? Wenn ich diese Goldrolle opfere, fährt sie morgen mit mir, dem knochigen Bauern, der überall, wo ihn der Rock nicht deckt, wie ein Kibitzei mit Sommersprossen besät ist, fährt sie mit mir, dem die Haare wie ein Staubbesen zu Berge stehen, nach Arsinoë oder wohin ich sonst will. Laß das Dirnchen laufen, Du närrische Unschuld! An dieser Seele ist auch einem genügsameren Himmel als eurem wenig gelegen!«

»Das nimmst Du zurück!« rief Marcus außer sich und ballte die Faust. »Aber so seid ihr! Mit euren unreinen Augen und Herzen besudelt ihr auch das Reinste, seht ihr Flecken auch an der Sonne. Von der ›Sängerin‹ ist Alles zu glauben gestattet, ich weiß es. Aber das, das ist es ja eben! Vor diesem Fluche will ich sie retten! Weißt Du sie einer Schuld zu zeihen, so rede; weißt Du es nicht, und Du willst nicht als elender Ehrabschneider vor mir dastehen, so nimmst Du auf der Stelle zurück, was Du gesagt hast!«

»Ich nehme Alles zurück,« versetzte Demetrius gelassen, »denn ich weiß nichts von Deiner Schönen, als was sie Dir und mir und Cynegius und seinen Schreibern mit den hübschen, lustigen Augen zu rathen aufgegeben hat. Aber die Augensprache, sagen die Leute, lüge bisweilen. Also nichts für ungut! Hab' ich Dich recht verstanden, so weißt Du nicht, wo der Sänger jetzt steckt. Wenn Du nichts dawider hast, helf' ich Dir suchen.«

»Wie Du willst,« entgegnete Marcus gereizt. »Trotz Deines Spottes werde ich thun, was meine Pflicht ist.«

»Recht, recht,« entgegnete der Landmann. »Vielleicht ist dies Mädchen anders als die Sängerinnen, mit denen mir früher mancher Abend lustig verrauscht ist. Ich habe einmal zu Barka mit eigenen Augen einen weißen Raben gesehen, aber es ist vielleicht doch nur eine Taube gewesen. Dein Urtheil wiegt in diesem Falle schwerer als meines, denn Du hast Dich um das Mädchen gekümmert, ich nicht; aber es ist schon sehr spät. Auf morgen denn, Marce!«

Die Brüder trennten sich, und sobald Demetrius allein war, ging er kopfschüttelnd auf und nieder.

Als sein Leibsklave kam, um seine Sachen zu packen, rief er ihm mürrisch zu:

»Laß das, – wir werden noch einige Tage in Alexandria bleiben!«

Marcus ging nicht zur Ruhe. Des Bruders Hohn hatte seine Seele in ihren Grundfesten erschüttert. Eine innere Stimme sagte ihm, daß der welterfahrene Mann Recht haben könne, aber er fand sich zugleich nichtswürdig und hassenswerth, daß er dieser Stimme überhaupt Gehör gab. Auf Dada lastete der alte Fluch ihres Standes, sie selbst war rein, rein wie die Lilie, rein wie das Herz eines Kindes, rein wie das Blau ihres Auges und das Metall ihrer Stimme. Was ihn der Engel geheißen, er wollte es vollbringen! Er mußte, er konnte sie retten!

Tief erregt trat er durch das große Hausthor auf die kanopische Straße und folgte derselben. Wie er in eine Querstraße einbiegen wollte, um zum Meere zu gelangen, fand er dieselbe von Soldaten gesperrt, denn sie führte zur Präfektur, wo der Abgesandte des Kaisers, Cynegius, wohnte, von dem es hieß, daß er gekommen sei, um die Tempel zu schließen, und das erregte Volk hatte sich am Nachmittag vor derselben zusammengerottet, um seinen Widerspruch zur Geltung zu bringen. Gegen Sonnenuntergang war die bewaffnete Macht eingeschritten und hatte es auseinandergesprengt. Auf einem andern Wege gelangte der junge Christ endlich dennoch an das Gestade des Meeres.


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