Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Durch das schwere Gewölk, welches sich über dem Serapeum entlud, schimmerte das junge Licht des nahenden Morgens, aber die geängstigten Heiden merkten es nicht. Kein Führer, kein Ruhestifter, kein Tröster gab ihnen Muth und Fassung zurück; denn Olympius und seine Gäste, die Führer des geistigen Lebens in der Stadt Alexander's, auch die Leiter dieses Heiligthumes unter ihnen, ließen lange auf sich warten.

Der Blitz, welcher in die eherne Kuppel geschlagen und abspringend einer Fahnenstange gefolgt war, hatte auch die freien Denker und Philosophen erschreckt, und das Symposion war zu einem Abschlusse gelangt, welcher nur um wenig würdiger verlief als die Orgie in den Hallen des Tempels.

Unter den Freunden des Oberpriesters hatten sich allerdings nur Wenige hinreißen lassen, ihre Todesangst unbemäntelt zu zeigen; dafür war aber an der Tafel des Olympius, sobald das Verhängniß hereinzubrechen schien, um so mehr deklamirt und geschauspielert worden, und Gorgo's Achtung vor ihren Glaubensgenossen wäre nicht sonderlich gestiegen, wenn sie mit zugehört hätte, wie der berühmte Grammatiker und Biographieenschreiber Helladius mit wankenden Knieen und blutlosen Lippen einige Verse aus dem gefesselten Prometheus in das Donnerrollen hineinrecitirte, und wie der Grammatiker Ammonius, der ein berühmtes Buch über die ähnlichen und verschiedenen Ausdrücke geschrieben, das Gewand aufriß und die nackte Brust mit einem die Bewunderung der Anwesenden herausfordernden Rundblick dem Blitze zur Zielscheibe darbot. Leider wurde seine heroische Haltung nur von Wenigen bemerkt; denn die Meisten, und unter ihnen der neuplatonische Philosoph, Geschichtschreiber und glühende Christenfeind Eunapius, hatten das Haupt verhüllt und warteten in dumpfer Ergebung auf das Ende der Dinge. Einige waren zu Boden gesunken, um mit hoch erhobenen Händen zu beten oder Beschwörungen zu murmeln, und ein Poet, welcher mit seinem Lehrgedicht: »Der Mensch, der Herr und Meister der Götter«, Kränze errungen, war in Ohnmacht gesunken und sein Lorbeer auf die Austern neben seinem Lager gefallen.

Olympius hatte sich schnell von dem Symposiarchensitze erhoben und lehnte sich ruhig an den Thürpfosten, um mit männlichem Muth den Tod zu erwarten.

Auch Vater Karnis, der dem Weine reichlich zugesprochen, aber beim Ausbruch des Gewitters die Nüchternheit wieder gefunden hatte, war aufgesprungen und an dem Oberpriester vorbei hinausgeeilt. Er wußte Gattin und Sohn in seiner Nähe, und wollte mit ihnen vereint das Ende erwarten.

Porphyrius gehörte, wie sein Nachbar, der große Arzt Apulejus, zu denen, welche das Haupt verhüllt hatten. Ruhiger als mancher Andere konnte er dem nahenden Verderben entgegensehen; denn als vorsichtiger Mann und weitsehender Kaufherr hatte er für Alles gesorgt.

Blieb die Welt trotz des Sieges der Christen stehen und trat dann das Gesetz, welches das Testament eines Abtrünnigen für ungültig erklärte, gegen ihn in Kraft, so lag ein fürstliches Vermögen, an das weder Staat noch Kirche rühren durften, bei einem reichen und zuverlässigen Freunde für die Seinen bereit; stürzten dagegen Himmel und Erde zusammen, so war er vor einem langsamen und qualvollen Ende durch ein unfehlbares Mittel, welches er bei sich führte, gesichert.

Unter Blitz und Donner hatte er mit den anderen Gästen des Olympius lange und bange Minuten verlebt; da stürzte Orpheus, des Karnis Sohn, in den Saal und rief ebenso stürmisch und fassungslos wie wenige Minuten vorher in der großen Halle des Tempels: »Das Ende, das Ende! Die Welt stürzt zusammen! Es fällt Feuer vom Himmel! Flammen! Feuer verzehrt schon die Erde. Hier, mit diesen Augen hab' ich's gesehen! Ich komme vom Dache, Vater! Wo ist mein Vater?«

Die Gäste des Olympius fuhren bei diesem Rufe mit neuem Entsetzen empor, und der Mathematiker Pappus schrie: »Der Weltenbrand hat begonnen! Aus dem Himmel bricht zehrendes Feuer!«

»Verloren, verloren!« klagte Eunapius; der Kaufherr Porphyrius aber griff schnell in die Falten seines purpurnen Festgewandes, zog ein krystallenes Fläschchen hervor und ging bleich, doch gefaßt auf den Oberpriester zu, legte ihm die Hand auf den Arm, schaute ihn, an dem er sein Lebenlang mit Zärtlichkeit und Bewunderung gehangen, liebreich an und raunte ihm hastig zu: »Lebe wohl, Freund! Wie oft haben wir über Cato und sein Ende gestritten, Du gegen, ich für ihn. Jetzt thu' ich's ihm nach. Sieh her; es reicht für uns Beide!«

Dabei führte er das Fläschchen schnell zum Munde, und ein Theil seines Inhalts hatte schon seine Lippen benetzt, bevor Olympius der Überraschung Herr geworden und ihm in den Arm gefallen war.

Die Wirkung des tödlichen Saftes zeigte sich augenblicklich. Aber kaum hatte den Kaufherrn das Bewußtsein verlassen, als ihm auch schon der Arzt Apulejus zu Hülfe geeilt war.

Dieser treffliche Mann hatte sich von dem allgemeinen Schrecken mit überwältigen lassen und in dumpfer Ergebung das Ende der Dinge erwartet; sobald aber der Ruf nach ärztlicher Hülfe durch das Gemach geklungen war, hatte er das Haupt von seiner Vermummung befreit und war an die Seite des Kaufherrn geeilt, um so klar und entschieden wie in seinen besten Stunden am Krankenbette oder im Hörsaal die Wirkung des Giftes zu bekämpfen.

Wenn der Seele das Rückgrat gebrochen zu sein scheint, so ist das Bewußtsein der Pflicht das Einzige und Letzte, was es zusammenhält und wieder hochhebt, und es ist uns eine so hohe, unerschütterliche Achtung eingepflanzt vor dem Leben, dem wir gern so viel Übles nachsagen, daß wir es noch einen Schritt vor seinem Ende gerade so sorgsam und zärtlich hegen wie auf seiner Höhe und fern von seinem Abschluß.

Die verzweifelte That des Kaufherrn war dicht vor den Augen des Orpheus vor sich gegangen, und das neue Entsetzen drängte das frühere so weit in den Schatten, daß er dem Arzte ungerufen half, den Besinnungslosen auf die nächsten Polster zu legen. Dann eilte er wieder auf die Thür zu, um seine Eltern zu suchen. Aber Olympius, welcher angesichts der Schwäche des Freundes neu empfand, wie viel in diesen Stunden von seiner männlichen Besonnenheit abhieng, hielt ihn auf und verlangte streng klare Auskunft über das, was sich auf dem Dache begeben.

Der junge Sänger gehorchte, und was er mitzutheilen hatte, klang beunruhigend genug.

Eine Feuerkugel war unter furchtbarem Getöse auf die Kuppel gefallen und hatte sich mit einem Flammenstrome, welcher von der Erde auszugehen schien, vermählt. Dann hatte sich der Himmel wieder mit blendendem Glanze geöffnet, und dabei waren des Orpheus eigene Augen einem riesengroßen Unthier, vielleicht einem wandernden Berge, begegnet, welcher sich langsam und mit schauererregendem Gerassel der Hinterwand des Heiligthums genähert hatte. Kein Regen, sondern Ströme, volle, kräftige Wasserströme waren auf ihn und seine Gefährten niedergerauscht.

»Poseidon,« rief Orpheus, »führt die Meerflut gegen den Tempel heran, und das Gewieher seines Viergespannes, ich hab' es – es war keine Täuschung – ich hab' es mit diesen meinen Ohren vernommen!«

»Die wiehernden Rosse Poseidon's?« unterbrach ihn Olympius. »Kaiserliche Pferde sind es gewesen!«

Und nun eilte er schnell wie ein Jüngling an das Fenster, riß den Vorhang zurück und schaute in's Freie gen Osten.

Der Wolkenbruch war so schnell verschwunden, wie er gekommen war.

Es tagte.

Über dem rosenrothen Kleide der Eos lag wie ein faltiges Obergewand in dichten, schweren Puffen graues und schwarzes Gewölk, an den Rändern eingefaßt von Lichtstreifen in köstlichem Goldglanz. Im fernen Norden flammte bisweilen noch ein matter Blitz durch die Wolken, und der Donnerhall des weichenden Gewitters war kaum mehr hörbar; die Rosse aber, deren Gewieher Orpheus und die Wache erschreckt hatte, waren dem Heiligthume näher gekommen, und sie hielten dicht unter der südlichen Hinterwand des Tempels, an der es weder Thüren noch andere Zugänge gab.

Was wollten die Kaiserlichen an dieser festen, unzugänglichen Stelle?

Doch hier frommte kein langes Besinnen, und wie eine Mahnung durchdröhnte in diesem Augenblicke das Erz, welches die Vertheidiger des Serapeums zusammenzurufen bestimmt war, den Tempel.

Aber Olympius bedurfte keiner Aufmunterung mehr.

Mit der feurigen Leidenschaft des fanatischen Parteihauptes, des Vorkämpfers für eine große, schwer gefährdete Sache, wandte er sich seinen Gästen zu und gebot ihnen, sich zu ermannen und mit ihm Widerstand zu leisten bis in den Tod.

Seine Stimme klang heiser vor Erregung bei diesem kurzen, markigen Ruf zu den Waffen, und er wirkte gewaltig, gerade weil der gefeierte Redner, hingerissen von stürmischer innerer Bewegung, es unterlassen hatte, durch den Wohllaut der Stimme und prunkenden Wortschmuck auf die rede- und schriftkundigen Männer, die ihn umgaben, zu wirken.

Mit ergriffen von der Glut des begeisterten Greises, rafften sie sich auf und eilten ihm nach in das Gemach, wo Waffen für sie bereit standen.

Der Panzer an der Brust, das Schwert, welches man in der Hand wog, machte Soldaten aus den Gelehrten und fachte den Mannesmuth kräftig an. Unter diesen Helden »des großen Wortes« wurde nur noch wenig geredet. Es war ihnen jetzt ernst mit dem Handeln.

Olympius hatte den Arzt Apulejus gebeten, den vergifteten Kaufherrn, gegen dessen Erstarrung bisher kein Mittel geholfen, in sein Privatzimmer neben dem Hypostyl zu begleiten. Tempeldiener trugen ihn auf einer Nebenstiege hinunter, während der Oberpriester seine gerüsteten Freunde schnell und schweigend auf der Haupttreppe in die großen Hallen führte.

Dort warteten der kampfbereiten Schaar Überraschungen und Enttäuschungen, wie sie verhängnißvoller nicht gedacht werden konnten. Selbst Olympius fühlte sich hier anfänglich rathlos; denn aus seinen schwärmerischen Gesinnungsgenossen waren in dieser einen Nacht Memmen und Meuterer geworden, und in den geweihten Räumen seines Tempels sah es aus wie nach einer verlorenen Schlacht.

Zertrümmertes und fortgeworfenes Geräth, zerbrochene Instrumente, zerrissene und durchnäßte Zeugstücke und entblätterte und zerfetzte Blumen und Guirlanden lagen überall umher. Wie Menschenblut schwamm der rothe Wein in großen Lachen auf dem zerkratzten Wunderwerk des Estrichs, hier und da lag am Fuß einer Säule der Leib eines Mannes – ob todt oder bewußtlos, wer konnte es sagen? – und der widrige Qualm von hundert verschwelenden Lampendochten beleidigte die Sinne, denn in diesem Wirrwarr mochte brennen oder verlöschen, was wollte.

Und welchen kläglichen Anblick boten die ernüchterten, geängstigten, überwachten Männer und Weiber!

Die dumpfe Empfindung, den Gott beleidigt und seinen Zorn herausgefordert zu haben, war in jeder Seele lebendig. Manchem wäre ein schnelles Ende willkommen gewesen, und ein reich begabter Schüler des Helladius hatte den Sprung aus dem Sein in das Nichtsein, welches nach seiner Überzeugung jenseits des Todes begann, wirklich gewagt, war mit dem Haupt an den harten Marmor gerannt und lag mit zerschmettertem Schädel am Fuß einer Säule.

Mit wirrem Hirn, schmerzendem Haupt und angstbeklommenem Herzen waren diese Unglücklichen dahin gelangt, die Gegenwart zu verwünschen, und wer von ihnen an die Zukunft zu denken wagte, dem erschien sie wie ein grauenerregender Abgrund, dem ihn die fließenden Stunden mit unmerklicher und doch unwiderstehlicher Gewalt entgegentrieben.

Und die Zeit schritt vorwärts und vorwärts. Jeder empfand, Jeder sah es: die Nacht war verschwunden, es hatte zu tagen begonnen; das Gewitter verzog sich, aber an Stelle der unerbittlichen Naturkraft trat nun als neues Schreckniß die nicht weniger unerbittliche Kriegsmacht des Kaisers.

Im Kampfe des Menschen gegen die Götter gab es für jene nur ein mögliches Ende: das Unterliegen. Im Streit der Menschen gegen den Menschen war es vergönnt, wenn auch nicht an einen siegreichen Ausgang, so doch an ein Entkommen zu denken.

Der einarmige Veteran Memnon hatte während der Orgie auf dem Dache des Tempels Wache gehalten und Vorbereitungen getroffen, den heranstürmenden Feind abzuwehren, bis das Unwetter ausgebrochen und mit Blitz und Donner in seine Getreuen gefahren war. Da hatte sich der größte Theil der Besatzung des Daches in die unteren Räume des Tempels gerettet. Nur der alte Feldhauptmann war in Sturm und Wolkenbruch auf dem Posten geblieben.

Mit dem einen Arme, der ihm geblieben, hatte er sich an eine Statue auf der Brüstung des Daches geklammert, um nicht in die Tiefe geweht und geschwemmt zu werden. Von dort aus hatte er Befehle ertheilt, aber das Brüllen des Orkans war lauter gewesen als seine Stimme, und von den wenigen Zurückgebliebenen hatte keiner auf sein Kommando gehört.

Auch ihm war das Pferdegewieher und der wandernde Berg, welcher Orpheus in die Flucht getrieben, nicht entgangen. Was da nahte, waren römische Belagerungsmaschinen, und so treu es der Veteran auch mit der Sache meinte, deren Führung er hier übernommen, so zog doch etwas wie Freude durch seine alte Kriegerseele; denn er sah, daß den kaiserlichen Feldzeichen, unter denen er mehr als einmal sein Herzblut vergossen, doch noch echte und rechte Soldaten folgten.

Seine alten Waffengefährten hatten es nicht verlernt, dem Ungewitter zu trotzen, und ihr Führer war wohlberathen gewesen, als er den ersten Angriff auf die scheinbar festeste Stelle des Tempels zu richten befahl.

Es galt hier, gegen echte Krieger zu kämpfen, und mit einem grimmen Fluche, mit höhnischem Lächeln gedachte er der zusammengelaufenen Nichtsoldaten, über die er gebot.

Gestern hatte er die hochfliegenden Hoffnungen des Olympius zu mäßigen gesucht und ihm zugerufen: »Nicht mit Begeisterung, sondern mit Kriegskunst schlägt man den Feind!«

Nun stand seinem eigenen Können ein ebenbürtiges entgegen, und wie es mit der todesmuthigen Begeisterung der Jugend, welche er zu führen übernommen und von der er doch im Stillen Schönes erwartet, bestellt war, das sollte er nur zu bald erfahren.

Es galt die Bresche, welche die Christen in die Hinterwand des Heiligthums zu legen gedachten, bis zum Eintreffen des libyschen Entsatzheeres unmöglich zu machen und die Front des Heiligthums vom Dache aus zu vertheidigen. Für Jeden, welcher einen Stein heben und ein Schwert schwingen konnte, gab es Verwendung in diesem Kampfe, und als er die Zahl seiner Streiter überschlug, meinte er das Heiligthum eine Zeitlang mit Erfolg behaupten zu können. Aber er rechnete mit falschen Zahlen; denn er wußte nicht, welche Anziehungskraft das Wettfahren auf seine »begeisterte Jugend« geübt, und welche Veränderung die Stimmung derselben erlitten hatte.

Sobald der Orkan so weit verbraus't war, daß er die Hand von der Stütze entfernen konnte, rief er die Zurückgebliebenen zusammen und ließ die mannshohe Erzscheibe schlagen, welche die Streiter auf das Dach rufen sollte, und ihr metallener Klang durchgellte die Dämmerung mit gewaltigen Schwingungen. Ein Schwerhöriger mußte ihn im tiefsten Kellergelaß des Heiligthums vernehmen, und dennoch vergieng Minute auf Minute, und der vierte Theil einer Stunde hatte sich erfüllt und nicht Einer war auf dem Dache erschienen.

Die Ungeduld des Alten verwandelte sich in Erstaunen, das Erstaunen in Ingrimm. Die Boten, welche er ausgesandt hatte, kehrten nicht wieder, und das Schutzdach der Römer rückte der Südwand des Tempels näher und näher und beschirmte die Schanzgräber vor den spärlichen Steinwürfen, mit denen die Zurückgebliebenen sie auf seinen Befehl belästigen mußten.

Der Feind beabsichtigte eine Unterlage für den Sturmblock zu schaffen, dessen eiserner Widderkopf Bresche in die Tempelwand legen sollte.

Jeder Augenblick des Zauderns von Seiten der Belagerten kam dem Gegner gewaltig zugute. Hundert, zweihundert Hände mehr auf dem Dache und sein Unternehmen konnte vereitelt werden!

Der Zorn und das bittere Gefühl der Ohnmacht trieben dem alten Krieger Thränen des Ingrimms in die Augen, und als endlich ein Bote zurückkam und die Mittheilung brachte, daß sich die Männer und Weiber da unten wie unsinnig geberdeten und Jeder sich weigere, das Dach zu besteigen, stieß er einen gewaltigen Fluch aus und stürmte die Treppe hinunter.

Wüthend stürzte er unter die jammernde Menge, und als er mit eigenen Augen sah, was aus seinen Streitern in dieser verhängnißvollen Nacht geworden, donnerte er wüthend auf sie ein, stellte ihnen in wenigen klaren Worten vor, was es galt, kommandirte, ohne Gehorsam zu finden, zeterte die Widerspenstigen an, stieß Einzelne ingrimmig vor sich her, und als er bemerkte, daß Viele mit ihren Mädchen auf das Thor zu flohen, welches in den geheimen Gang führte, stellte er sich ihnen mit gezogenem Schwerte entgegen und drohte Jeden niederzuhauen, der zu entweichen versuchen werde.

Während dieses Vorgangs hatte Olympius mit den Seinen die große Halle betreten, und als er da, wo das lauteste Geschrei sich erhob, den Feldherrn mit meuternden Flüchtlingen, welche ihm das Schwert zu entreißen suchten, ringen sah, eilte er ihm mit seinen Gästen zu Hülfe und hielt mit ihnen die drängenden Hunderte von dem Ausgange zurück.

Es that dem Greise weh, die Waffen, zu denen er und die Seinen in frommer Erhebung gegriffen, gegen die entarteten eigenen Gesinnungsgenossen zu gebrauchen, aber es mußte geschehen, und während die Seinen, zu denen auch Karnis und Orpheus getreten waren, die drängende Menge von den unterirdischen Räumen mit Lanzen und Schilden zurückhielten, unterredete er sich mit dem kriegskundigen Alten, und sie kamen schnell zu dem Entschluß, die Weiber aus dem Tempel zu treiben und die Männer in zwei Schaaren zu theilen, von denen die eine auf das Dach gesandt, die andere an die Hinterwand des Tempels, wo der römische Sturmblock seine Thätigkeit bald beginnen mußte, geführt werden sollte.

Olympius stellte sich muthig zwischen die Seinen und die auf Flucht bedachten Männer und Weiber und forderte sie mit kräftigen, weithin vernehmbaren Worten auf, ihrer Pflicht zu gedenken.

Ruhig und achtungsvoll hörte man ihm zu; als er aber den Entschluß verkündigte, die Weiber aus dem Tempel zu entfernen, erhoben diese ein lautes Zetergeschrei. Viele klammerten sich an den Geliebten, andere stachelten die Männer an, die Flucht zu ertrotzen.

Mehrere Frauen, und die schöne Glycera, welche vor wenigen Stunden als Aphrodite ihren Anbetern siegesgewiß zugelächelt hatte, an ihrer Spitze, machten sich die Möglichkeit, dieser Stätte des Schreckens zu entrinnen, sogleich zunutze und eilten auf den Eingang in die unteren Räume zu. Es fehlte ihnen auch in der Stadt nicht an Verehrern.

Aber sie kamen nicht weit; denn ein Tempeldiener stürzte ihnen entgegen und befahl ihnen, umzukehren – die Kaiserlichen hätten den Eingang in den Kanal entdeckt und hielten den Holzplatz besetzt.

Nun folgten sie dem Wächter mit lautem Gejammer, und als sie die großen Hallen kaum wieder betreten hatten, stürmte dort ein neuer Schreck auf sie ein; denn der eherne Sturmblock prallte mit seiner eisernen Widderstirn zum ersten Mal an die Hinterwand des Tempels.

Die Kaiserlichen beherrschten den geheimen Gang und hatten den Angriff begonnen. Es war viel, aber noch nicht Alles verloren, und in dieser verhängnißvollen Stunde bewährten sich Olympius und Memnon.

Jener befahl die großen Fallsteine niederzulassen und die Brücken über dem Abgrunde in den für die Weihen bestimmten unterirdischen Räumen abzubrechen, und diese Aufgabe konnte rechtzeitig gelöst werden; denn die Truppen hatten es noch nicht gewagt, in den geheimnißvollen Gang, wo es an Fallen und Hinterhalten nicht fehlen mochte, zu dringen; Memnon aber eilte zu der Stelle, an die der Aries zum zweiten Mal stieß und rief in die Menge hinein: Jeder, der kein elender Wicht sei, möge ihm folgen.

Da schaarten sich die Freunde des Olympius, und unter ihnen auch Karnis und Orpheus, um ihn, und er befahl, Alles, was beweglich war in den heiligen Hallen, als Schutzwall vor der gefährdeten Stelle aufzuthürmen, und weder die edelsten und heiligsten Bildsäulen, noch die marmornen und ehernen Stelen und Opferaltäre zu schonen.

Von diesem Schutzwalle aus galt es, wenn die Bresche sich zeigte, das weitere Vordringen des Feindes mit Bogen und Lanzen, an denen es nicht fehlte, zu hemmen.

Dem Alten war es recht, daß den auf Flucht Bedachten der Weg verlegt war, und sobald er Bildsäulen von den Postamenten werfen, Opferaltäre von den geweihten Plätzen, welche sie während eines halben Jahrhunderts behauptet hatten, fortschleifen, Bänke und Alabasterkrüge zusammenschleppen und den steinernen Schutzwall wachsen sah, warb er eine kleine Schaar für die Arbeit auf dem Dache.

Es gab kein Entrinnen mehr, und Mancher, der noch vor Kurzem zu fliehen gehofft hatte, erstieg nun die Höhe des Tempels mit bebenden Knieen, weil er sich dort sicherer vor dem Feinde wähnte als bei der Bresche.

Olympius vertheilte Waffen, gieng ermuthigend von Einem zum Andern und traf dabei auch auf Gorgo, welche noch immer mit der Wittwe des Asklepiodor unter der Statue der Gerechtigkeit weilte.

Er theilte ihr mit, daß ihr Vater erkrankt sei, und ließ sie in sein Privatzimmer führen, damit sie dem Arzte bei der Pflege helfe.

Die trauernde Matrone war nicht zu bewegen, ihren Platz zu verlassen. Sie sehnte sich nach dem Ende und wußte, daß es nicht fern sei. Mit gespanntem Ohr lauschte sie auf die Stöße des Sturmblocks. Ein jeder erschien ihr wie ein Schlag auf die Fugen, welche den Weltenbau zusammenhielten. Noch einer und wieder einer, und zuletzt brach das morsche Gebäude zusammen, und der gleiche Abgrund, in den ihr Sohn und vor vielen Jahren ihr Gatte gesunken, verschlang auch sie sammt ihrem Jammer. Fröstelnd zog sie den Überwurf über das Antlitz, um sich vor dem Sonnenscheine zu schützen, der durch die Fenster zu strahlen begann. Das Licht that ihr weh. Sie hatte gehofft, es werde nie wieder tagen.

Die Weiber, und mit ihnen einige Weichlinge, hatten sich in die Rotunde zurückgezogen, und bald gab es dort muthwillige Worte und Gelächter zu hören.

Von dem Dache sausten indessen Quadern und Bildsäulen auf die Angreifer nieder.

Wem in den unteren Hallen der Schweiß von der Stirn troff, den verdroß es, den Andern müßig zu sehen; auch der Widerstrebende ward gezwungen, die Hände zu rühren, und der Schutzwall an der inneren Hinterwand des Tempels wuchs mächtig an.

Aus edlerem Werkstücke hatte noch keine Mauer bestanden, ein jedes war ein auserlesenes Kunstwerk, hatte jahrhundertelang für heilig gegolten oder bewahrte in schöner Schrift das Gedächtniß an würdige Thaten. Dieser Wall sollte den höchsten der Götter beschützen, und zu den Vertheidigern, welche ihn bald bestiegen, gehörte auch Karnis mit seinem Sohne und Weibe.


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