Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Elftes Kapitel.

Agne's Flucht blieb zunächst unbemerkt, denn jedes Mitglied der Familie des Kaufherrn wurde in besonderer Weise in Anspruch genommen.

Nach dem Aufbruch der Sänger war Gorgo eine Zeitlang bei ihrer Großmutter geblieben und hatte sich zuletzt in den Säulengang an der Gartenfront des Hauses begeben, von wo aus sich die Terrassen des Parkes und das Gestade des Sees bis zur Werft hin überblicken ließen. Da lehnte sie nun an dem Schaft einer Säule und blickte, beschattet von den veilchenblau blühenden Sträuchern, ernst und nachdenklich gen Süden.

Sie dachte an ihre Kindheit und was sie in derselben entbehrt und genossen.

Die Schickung hatte ihr den Sonnenschein des Lebensfrühlings, die Mutterliebe, versagt.

Dort unten in dem prächtigen Mausoleum von dunklem Porphyr ruhte die sterbliche Hülle der schönen Frau, der sie das Leben dankte, und die ihr entrissen worden war, bevor sie ihre erste Liebkosung genossen.

Aber rings um das düstere Denkmal her prangte im vollen Sonnenscheine der blühende Garten, und dort, jenseits der mit rankendem Grün überzogenen Mauer lag die Werft, der Schauplatz zahlloser glückseliger Kinderspiele. Tief aufathmend schaute sie nach den hochragenden Schiffskörpern hin und harrte des Mannes, dem ihr Herz seit seinem Erwachen gehörte, mit dessen Bilde sich Alles verband, was sie Schönes in ihrer Kindheit genossen und was ihrer jungen Seele Kummer bereitet.

Konstantin, der jüngste Sohn des Schiffsbaumeisters Clemens, war der Unterrichtsgenosse und beste Freund ihrer Brüder gewesen. Er hatte diese Beiden hoch überragt an Geist und Gaben und jedes ihrer Spiele angeführt wie ein Feldherr. Als ganz kleines Ding war sie den Buben nachgelaufen, und Konstantin hatte sie immer geduldet, immer hervorgezogen und beschützt. Darauf war die Zeit gekommen, in der die Brüder und er um ihre Theilnahme an ihrem fröhlichen Treiben warben. Wenn die Großmutter in den Sternen gelesen, daß üble Einflüsse die Bahn des Planeten ihrer Enkelin kreuzten, war Gorgo ängstlich im Hause gehütet worden; sonst aber hatte sie den Knaben ungehindert in den Garten, auf den See und die Werft folgen dürfen. Dort wurden Schiffe und Häuser von den fröhlichen Genossen gebaut, dort formte in einem besonderen Raume der alte Melampus Bildwerke für die Schiffsschnäbel der fertigen Fahrzeuge und gab ihnen Thon und gestattete ihnen, ihm zu helfen. Konstantin war sein gelehriger Schüler, und sie saß still, wenn er ihren Kopf modellirte, und unter den zwanzig Bildnissen, die er von ihr gemacht, waren manche ganz ähnlich geworden.

Melampus versicherte, sein junger Herr würde ein großer Bildhauer werden können, wenn er armer Leute Kind wäre, und Gorgo's Vater beachtete sein Talent und freute sich, wenn der frische Knabe die schönen Büsten und Statuen in seinem Hause nachzubilden versuchte; aber den Eltern und besonders der Mutter des jungen Künstlers waren diese Versuche ein Greuel, und es kam ihm selbst niemals ernstlich der Gedanke, sich solchem heidnischen Handwerk zu widmen, denn der christliche Geist seines Hauses durchdrang ihn ganz, und er wußte auch die Söhne des Porphyrius, welche früh die Taufe empfangen hatten, mit Eifer für ihren Glauben zu erfüllen.

Der Kaufherr bemerkte dies wohl und duldete es schweigend, denn um des Testamentes willen mußten die Knaben Christen bleiben, und seine ursprünglich edle, aber wenig widerstandskräftige Natur empfand die Nothwendigkeit, sich zu einem Glauben zu bekennen, der ihm verhaßt war, so unwillig und schmerzlich, daß er seinen Söhnen diese Pein ersparen wollte und sie mit Achselzucken, aber stiller Billigung Konstantin in die Kirche folgen und bei Rennen und öffentlichen Spielen die blaue Farbe der Christen anlegen ließ.

Mit Gorgo stand es anders. Sie war ein Weib, brauchte im Leben nicht Farbe zu bekennen, und es machte den Vater glücklich, sie seine Begeisterung für die alten Götter und seine griechische Weltanschauung theilen zu sehen. Sie war die Zier seines Lebens, und wenn er aus ihrem kindlichen Geplauder und später aus ihren Gesprächen und ergreifenden Gesängen in sein Ohr klingen hörte, was selbst ihm die Seele bewegte, so war er der Mutter und dem Freunde Olympius dankbar, welche diese Gesinnung in ihr geweckt und gepflegt hatten.

Konstantin's Versuche, ihr die Schönheit seines Glaubens zu zeigen und sie für denselben zu gewinnen, scheiterten gänzlich, und je älter Beide wurden, desto schwerer verstanden sie einander, desto unwilliger ertrug das Eine den Widerspruch des Andern.

Eine frühe und leidenschaftliche Neigung zog den Schiffsbauersohn zu der lieblichen Spielgefährtin, und mit je feurigerer Begeisterung er dem eigenen Glauben anhieng, desto heißer glühte er vor Verlangen, sie für denselben zu gewinnen. Aber die Schülerin des Olympius war nicht leicht zu besiegen, ja, sie trieb ihn oft genug mit Fragen und Gründen in die Enge, und während für sie der Streit für den Glauben nicht mehr war als ein ergötzliches Ringspiel, bei dem es alle Kräfte einzusetzen galt, war er für ihn Sache des Herzens.

Damia und Porphyrius hatten eitel Freude an den eifrigen Disputationen der Beiden und klatschten wie beim Wettspiele Beifall, wenn Gorgo den vor Erregung glühenden Gegner lachenden Mundes mit schlagenden Gründen bedrängte.

Dann kam ein Tag, an dem Konstantin bemerkte, daß sein begeistertes Eintreten für das, was ihm das Heiligste war, benützt wurde, um darüber zu lachen und sich daran zu ergötzen, und von nun an hielt sich der Knabe, welcher schon an die Grenze des Jünglingsalters trat, ferner von dem Hause der Nachbarn. Aber Gorgo zog ihn doch immer wieder dahin zurück, und wenn sie allein waren, brach der alte Streit bisweilen wieder aus, und dann ernster und bitterer als früher.

Wie sie ihm, so war er ihr theuer, und wenn er es über sich gewonnen hatte, längere Zeit auszubleiben, konnte sie sich vor Sehnsucht nach ihm verzehren. Sie fühlten, daß sie zu einander gehörten, aber sie empfanden auch, daß eine unüberschreitbare Kluft sich zwischen ihnen öffne, und so oft sie es versuchten, sich über dieselbe hin die Hände zu reichen oder sie auszufüllen, trieb sie ein geheimnißvoller, unwiderstehlicher Reiz, sie durch neuen Streit zu vertiefen, und endlich ward es Konstantin unerträglich, gerade von ihr sein Heiligstes verachten und in den Staub ziehen zu sehen.

Er wollte fort von Gorgo, fort von Alexandria um jeden Preis!

Die Erzählungen der Schiffsführer von der Handels- und Kriegsflotte, welche das Haus seines Vaters häufig besuchten, hatten ihn ohnehin mit Lust zu Gefahr und Abenteuern, mit dem Verlangen erfüllt, entlegene Länder und Völker kennen zu lernen. Das väterliche Gewerbe, für das er bestimmt war, zog ihn nicht an. Er wollte fort, nur fort, und ein glückliches Ungefähr wies ihm denn auch bald den Weg in die Fremde.

Eines Tages hatte ihn Porphyrius bei einem Ausfluge nach Kanopus mitgenommen. Der alte Herr war im Wagen gefahren, und seine Söhne und Konstantin hatten ihn zu Pferde begleitet. Vor dem Thore war ihnen Romanus, der Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, mit einem Gefolge von hohen Offizieren begegnet, hatte bei dem Fuhrwerk des vornehmen Kaufherrn stillgehalten und ihn endlich, auf Konstantin weisend, im Gespräche gefragt, ob das sein Sohn sei.

»Nein,« hatte Porphyrius entgegnet; »aber ich wollte, er wär' es.«

Bei diesen Worten war der Schiffsbauersohn über und über erröthet, Romanus aber hatte das Roß dem seinen zugewandt, ihm die Hand auf den Arm gelegt und dem Obersten der Panzerreiter von Arsinoë zugerufen: »Ein Soldat nach dem Herzen des Ares. Halt' ihn fest, Columella!«

Bevor die Staubwolke, welche die Hufe der davonsprengenden Pferde aufwirbelten, verflogen war, hatte Konstantin den festen Entschluß gefaßt, Soldat zu werden; aber in seinem elterlichen Hause wurde dies Vorhaben in sehr verschiedener Weise aufgenommen.

Der Vater fand wenig gegen dasselbe einzuwenden, denn er besaß nur zwei Werften und drei Söhne. Den Ausschlag gab die Erwägung, daß Konstantin mit seinem entschiedenen und kräftigen Wesen sich wohl für den Soldatenstand eigne. Die fromme Mutter berief sich dagegen auf die großen Lehrer Clemens und Tertullian, welche den Gläubigen verboten, als Soldaten das Schwert zu führen, und erzählte die Geschichte des heiligen Maximilianus, der unter Diokletian gezwungen worden war, in das Heer zu treten, und den Tod durch Henkershand erlitten hatte, weil er nicht zu bewegen gewesen war, im Kampfe das Blut seines Nächsten zu vergießen. Das Waffenhandwerk, erklärte sie, sei unvereinbar mit einem gottgefälligen, christlichen Wandel.

Aber der Vater ließ diese Gründe nicht gelten, denn neue Zeiten waren gekommen, der größte Theil des Heeres hatte die Taufe empfangen, die Kirche betete für den Sieg desselben, und an seiner Spitze stand der große Kaiser Theodosius, das Muster eines rechtgläubigen und eifrigen Christen.

Clemens war Herr im eigenen Hause, und so trat Konstantin bei den Panzerreitern in Arsinoë ein.

Im Kampfe gegen die Blemmyer gelang es ihm, die ersten Auszeichnungen zu verdienen. Später wurde Arsinoë wiederum seine Garnison, und weil Alexandria von dieser Stadt aus schnell erreicht werden konnte, blieb er in stetem Verkehr mit den Seinen und dem Hause des Kaufherrn.

Vor nicht ganz drei Jahren hatte er die Meuterei, welche zu Gunsten des Usurpators Maximus in seiner Vaterstadt ausgebrochen war, mit niederzuwerfen gehabt und war bald darauf nach Europa berufen worden, um an dem Kriege theilzunehmen, welchen Theodosius gegen denselben Maximus unternommen hatte.

In Konstantin's Abschied von Gorgo hatte sich ein widriger Mißklang gemischt, denn die alte Damia hatte ihm, als er auch ihr die Hand bot, verheißen, mit ihrer Enkelin von Zeit zu Zeit für sein Wohlergehen ein Opfer zu schlachten. Vielleicht war diese Zusage nicht böse gemeint gewesen; er hatte sie jedoch als Spott empfunden und sich gekränkt zum Gehen gewandt. Aber es war Gorgo unerträglich gewesen, ihn so scheiden zu sehen, und ohne auf das Erstaunen der Großmutter zu achten, hatte sie ihn zurückgerufen, ihm beide Hände gereicht und ihm ein warmes »Lebewohl« geboten.

Damia hatte ihm schweigend nachgeschaut und es später vermieden, seinen Namen vor Gorgo zu nennen.

Nach dem Siege über Maximus war Konstantin in unerhört jungen Jahren an Stelle des Columella mit dem Kommando der Panzerreiter betraut worden und gestern als Präfekt mit seiner ala miliariaEine ala miliaria bestand aus 24  turmae oder 960 Pferden und Reitern; an ihrer Spitze stand ein Präfekt. in Alexandria eingezogen.

Gorgo hatte nicht aufgehört, sich heiß nach ihm zu sehnen, aber die Leidenschaft für ihn war ihr wieder und wieder wie ein Verrath, wie ein Treubruch gegen die Götter erschienen, und um den Fehler, welchen sie auf der einen Seite beging, auf der andern wieder gut zu machen, war sie aus der Abgeschlossenheit des väterlichen Hauses hervorgetreten und hatte Olympius in seinem Kampfe für den Glauben der Väter werkthätig beigestanden. Sie war eine tägliche Besucherin des Isistempels geworden, und die Aussicht, sie singen zu hören, hatte diesen bei hohen Festen schon mehr als einmal gefüllt. Während Olympius dann das Heiligthum des Serapis gegen die Angriffe der christlichen Menge vertheidigte, waren sie und ihre Großmutter an die Spitze der Frauen getreten, welche die kämpfenden Glaubensgenossen mit Lebensmitteln versorgten.

Das Alles hatte ihrem Leben Inhalt verliehen, aber jeder kleine Sieg, der ihr in diesem Kampfe zugefallen war, hatte ihre Seele mit Pein und Unruhe erfüllt. Monde und Jahre waren ihr als Gegnerin des Glaubens ihres Geliebten dahingegangen. Das frohe, lebhafte Kind hatte sich in eine ernste Jungfrau, ein willensfestes Weib verwandelt. Sie war die Einzige im Hause, welche der Großmutter zu widersprechen und auf Allem zu bestehen wagte, was sie für recht hielt. Das Verlangen ihres Herzens blieb ungestillt; aber ihr starker Geist fand in ihrer Umgebung, was er begehrte, und so würde er die Oberhand gewonnen und ihr Sein und Handeln völlig beherrscht haben, wenn nicht Gesang und Musik die weicheren Regungen ihres tiefen Frauengemüthes wach und lebendig gehalten hätten.

Die Nachricht von Konstantin's Heimkehr hatte sie in den Grundfesten ihres Wesens erschüttert. Brachte sie ihr das höchste Glück oder neue Unruhe und Qual?

Da war er.

Da tauchte sein Helmbusch aus dem Grün hervor, und nun seine ganze Gestalt aus dem Strauchwerk hervortrat, drängte sie sich fester an die Säule, weil sie fühlte, daß die Kniee ihr wankten.

Stolz und hochaufgerichtet, in glänzendem Waffenschmucke, ein Mann, ein Held, kam er ihr entgegen, so, ganz so, wie sie ihn in mancher schlaflosen Nachtstunde vor dem inneren Auge gesehen hatte.

Nun schritt er an dem Mausoleum ihrer Mutter vorüber, und da war es ihr, als lege sich eine kalte Hand warnend auf ihr laut pochendes Herz. Mit Blitzesschnelle zeigte sich ihr das Bild des väterlichen Hauses in seinem reichen künstlerischen Schmuck und daneben das Heim des Schiffsbaumeisters mit seinen einfachen, herzerkältend nackten, unwohnlichen Räumen, und es war ihr, als müßte sie in ihnen erstarren, verdorren, zu Grunde gehen. Aber dann erschien er ihr selbst an der väterlichen Schwelle, und es war ihr, als höre sie wieder das silberhelle Lachen seiner Knabenstimme, und nun wurde ihr wieder warm um's Herz. Sie, das klare, im Sinn ihres Lehrers auf Selbsterkenntniß bedachte Weib vergaß, daß sie sich in der vergangenen Nacht gesagt hatte, er werde ebensowenig von seinem Christus lassen, wie sie von ihrer Isis, und, das höchste Ziel ihrer Sehnsucht erreichen, werde darum für sie wie für ihn kurze Seligkeit und langes Elend bedeuten. Das Alles vergaß sie; jetzt wußte sie nichts mehr von Bedenken und Wägen, und wie sein Schritt ihr Ohr erreichte, mußte sie an sich halten, um ihm nicht mit weitgeöffneten Armen entgegenzueilen.

Nun stand er ihr endlich gegenüber, nun streckte er ihr warm und ehrlich die Rechte hin, und wie ihre Hände fest ineinander ruhten, war ihnen Beiden das Herz so voll, daß sie kein Wort der Begrüßung fanden. Nur ihre Augen sprachen aus, was sie fühlten, und als er bemerkte, daß die ihren in Thränen schwammen, rief er glückselig und doch fragend, als wisse er sich ihre Bewegung nicht sicher zu deuten, einmal und dann noch einmal ihren Namen.

Da legte sie die zarte Linke leicht auf seine starke Hand, welche ihre Rechte noch immer festhielt, und sagte mit einem sonnigen Lächeln: »Willkommen, Konstantin, willkommen zu Hause! Wie bin ich froh, daß Du wieder zurück bist!«

»Und ich, und ich!« rief er tief bewegt. »O Gorgo, Gorgo! Liegen denn wirklich Jahre seit dem Abschiede damals und heute?«

»Doch, doch,« entgegnete sie, »und wie unruhige, kampfreiche Jahre sind es gewesen!«

»Aber heute feiern wir das Friedensfest!« rief er mit inniger Wärme. »Ich habe gelernt, Jedem das Seine lassen, wenn mir das Meine nur unangetastet bleibt. Der alte Streit wird begraben; Du nimmst mich hin, wie ich bin, und ich, ich halte mich an das Schöne und Edle, woran Du so reich bist. Die Frucht jedes rechten Kampfes ist Frieden. Laß sie uns pflücken, Gorgo, laß sie uns dankbar genießen! Ach! Nun ich hier stehe, diesen Garten und den See überschaue, die Hammerschläge von der Werft her vernehme und Dir in die Augen blicke, ist mir's, als sollte unsere Kinderzeit neu beginnen; nur reicher, ungetrübter und schöner!«

»Wären die Brüder doch hier!«

»Ich hab' sie gesehen.«

»Wo?«

»Zu Thessalonika, froh und gesund, und ich bringe euch Briefe.«

»Briefe?« rief Gorgo und entzog ihm die Hand. »Das nenne ich einen langsamen Boten! Haus stößt an Haus, und ein alter Freund findet von einem Mittag zum andern kein Stündchen, um abzugeben, was ihm anvertraut ward, und sich selbst bei den Nachbarn . . .«

»Zuerst kamen die Eltern,« fiel er ihr in's Wort. »Und dann der große Tyrann, der Dienst, der mich in Athem erhielt von gestern Nachmittag bis vor wenigen Stunden. Romanus hat sogar meinen Schlaf für sich beansprucht und mich, bis der Mond untergieng, bei sich behalten. Übrigens bin ich dadurch um wenig gekommen, denn bevor ich Dich wiedergesehen, hätte ich doch schwerlich ein Auge geschlossen! Heute früh gab es wieder Dienst, und widerwilliger bin ich selten vor die Front geritten. Auch später kam Aufschub auf Aufschub; sogar auf dem Wege hieher; und nun muß ich noch erkenntlich sein für die Störung, denn ihr dank' ich es wohl, daß Du allein bist. Sorge nun, daß wir's bleiben, denn solcher Augenblick kehrt nicht wieder. Da geht schon die Thür . . .«

»Komm mit in den Garten,« rief Gorgo und winkte ihm, ihr zu folgen. »Mein Herz ist so voll wie das Deine. Beim Mückenteich unter der alten Sykomore – da ist's am stillsten!«

Unter der dichten Laubkrone des ehrwürdigen Baumes stand eine Bank, die sie als Kinder selbst gezimmert. Dort ließ sie sich nieder; er aber blieb vor ihr stehen und sagte:

»Hier, ja hier sollst Du mich hören! Hier sind wir oft glücklich gewesen.«

»So glücklich!« wiederholte sie leise.

»Und heute,« fuhr er fort, »heute sind wir es wieder. Wie das hier drinnen hämmert und pocht! Gut, daß der Panzer die Brust zusammenhält, ich meine, sie müßte sonst springen vor lauter Hoffnung und Dank.«

»Dank?« fragte Gorgo und blickte zu Boden; er aber rief feurig: »Ja, vor Dank, vor lauter heißem, innigem Dank! Wie reich, wie unsäglich reich Du mich beschenkt hast, das weißt Du kaum selbst; aber kein Kaiser hat Lieb' und Treue je verschwenderischer zu belohnen verstanden als Du, Du Kummer und Trost, Du Schmerz und Glück meines Lebens! Du hast – es war das Erste, was mir die Mutter jetzt erzählte – Du hast heiße Thränen an ihrer Brust vergossen, als die falsche Nachricht von meinem Tode hieher gelangt war. Das ist wie Morgenthau auf die welkende Hoffnung hier drinnen gefallen, das war ein Gastgeschenk, wie es noch keinem Wanderer bei der Heimkehr gereicht ward. Ich bin kein Redner, und wie können denn arme Worte das wiedergeben, was ich empfinde? Du mußt es ja ohnehin ahnen; nein, nein, Du weißt es, was seit so vielen Jahren . . .«

»Ich weiß es,« versetzte sie und blickte ihm voll in die Augen und duldete, daß er sich neben sie niederließ und ihre Hand von Neuem ergriff. »Wenn es anders wäre, ich könnt' es nicht ertragen, und ich bekenne auch frei, daß ich Thränen, mehr als Du ahnst, um Dich vergossen. Du hast mich lieb, Konstantin –«

Da schlang er den Arm um sie; sie aber entzog sich ihm und rief dringend: »Nein, ich beschwöre Dich, nein – nicht so, noch nicht, bis ich ausgesprochen, was mich beängstigt, was mich hindert, mich frei und froh dem Glück in die Arme zu werfen! Ich weiß ja, was Du fordern mußt und willst und auch darfst, aber bevor Du es thust, Konstantin, erinnere Dich wieder an das, was uns schon als Kindern die Lebensfreude so bitter getrübt hat. Wie ein Wirbelwind hat es uns oft auseinander gerissen, uns, die die Strömung der Herzen auf einander zutreibt, so lange wir denken! Was uns verbindet, daran brauch' ich Dich nicht zu erinnern, das kennen wir Beide gut, nur zu gut . . .«

»Nein, nein,« entgegnete er fest. »Das sollen wir erst kennen lernen in seiner ganzen Fülle und Schönheit. Das Andere, der Wirbelwind, von dem Du redest, das hat mich fort und fort beunruhigt und geängstigt, wohl mehr als Dich; aber seit ich weiß, daß Du um mich geweint und daß Du mich lieb hast, giebt es keine Besorgniß mehr hier drinnen, weiß ich zuversichtlich, daß Alles gut werden muß! Du kennst mich ja, Gorgo. Ich bin kein Träumer und Schwärmer; und doch erwarte ich alles Schönste und Höchste an Deiner Seite, wenn Eines nur feststeht; und darnach frag' ich Dich nun offen und frei: Ist Dein Herz wie meines voll, ganz voll von Liebe? Hast Du an mich gedacht, als ich fern von Dir weilte, jeden Tag, jede Nacht, wie ich an Dich gedacht habe, immer und immer?«

Da senkte Gorgo das Haupt und erwiderte mit glühenden Wangen: »Ich liebe Dich und habe nie einen Andern geliebt; ich bin Dir mit Verlangen und Sehnsucht gefolgt, so lange Du fort warst; und doch, doch, Konstantin; jenes Eine . . .«

»Es trennt uns nicht mehr,« rief der Präfekt begeistert, »da wir die Liebe haben, die ganze, die große Liebe, die Alles vermag! Wenn sie winkt, so verweht der Wirbelwind wie der Hauch am Mund eines Kindes, sie schlägt Brücken über jeglichen Abgrund, sie, die die Welt erschaffen und die Menschheit erhält, sie kann – das ist das schönste Wort des größten Apostels – sie kann Berge versetzen, sie ist langmüthig und freundlich, sie verträgt Alles, sie glaubt Alles, sie duldet Alles und nimmer hört sie auf! Sie bleibt auch uns bis an's Ende, sie wird uns auch lehren den Frieden finden, dessen Hort und Schmuck, dessen Kind und Mutter sie ist!«

Gorgo hatte bei diesen Worten dem Krieger warm in die Augen geschaut; er aber preßte die Lippen auf ihre Hand und fuhr dann voll tiefer Empfindung fort:

»Ja, mein, mein sollst Du werden, und ich will und darf um Dich werben. Es giebt Worte im Leben, die man niemals vergißt. Dein Vater sagte einst, er möchte, daß ich sein Sohn sei! Auf dem Marsch, im Zelt, in der Schlacht, überall ist es mir nachgegangen, dies Wort; es besaß für mich nur den einen Sinn: ich werde sein Sohn sein, wenn Gorgo mein Weib ist! Und nun, nun ist die Stunde gekommen . . .«

»Noch nicht, heute noch nicht,« unterbrach sie ihn dringend. »Was Du hoffst, ich hoff' es auch. Unsere Liebe: Alles, was schön ist, kann sie uns bringen. Was Du glauben mußt, glaub' es, und ich, ich dränge Dir niemals auf, was ich selbst für das Heiligste halte. Ich will Vieles lassen, Vieles ertragen, und es wird mir leicht werden um Deinetwillen. Was Deinem Christus gewährt werden soll, was unseren Göttern, das findet, das schlichtet sich schon; aber heute noch nicht, auch nicht morgen. In diesen Tagen, was ich für diese Tage auf mich genommen, – laß das erst vorbei sein. Mein Herz, meine Liebe, Du hast sie; aber wollte ich morgen, heute schon aus der Schlacht fliehen, es würde Anderen, würde Olympius das Recht geben, mit dem Finger auf mich zu weisen.«

»Was ist das, was hast Du im Sinne?« fragte Konstantin ernst und besorgt.

»Den Abschluß meines vergangenen Lebens. Bevor ich sagen kann: da hast Du mich, nun bin ich die Deine . . .«

»Und gehörst Du mir nicht schon jetzt, nicht schon heute?« fragte er dringend.

»Heute, nein!« versetzte sie fest. »Heute hat noch die große Sache Anspruch an mich, der ich um Deinetwillen entsage. Der trägt das Todesurtheil seiner Würde mit sich umher, der auch nur einem Andern das Recht einräumt, ihn zu verachten. Ich vollbringe, was ich auf mich genommen . . . Frage nicht, was ich meine. Es würde Dich kränken; – aber übermorgen, wenn die Isisfeier vorbei ist . . .«

»Gorgo, Gorgo,« unterbrach der kreischende Ruf der alten Damia die letzten Worte der Jungfrau, und Sklavinnen eilten durch den Garten, um sie zu suchen.

Beide erhoben sich, und während sie auf das Haus zuschritten, sagte Konstantin ernst: »Ich dringe nicht in Dich; aber traue meiner Erfahrung: was wir schwer aufgeben, aber doch einmal lassen müssen, damit sollen wir brechen, je schneller und entschiedener, desto besser. Mit dem Hinhalten wird nichts gewonnen, wird die Pein nur verlängert. Das Zaudern, der Aufschub, bedenke das, Gorgo, ist eine Schranke, die Du zwischen uns und unser Glück schiebst. Du warst ja immer entschlossenen Sinnes; Muth also auch diesmal, und schneid kurz ab, was doch nicht fortdauern kann!«

»Wohl, wohl,« entgegnete sie schnell. »Aber was über meine Kraft geht, was mich wortbrüchig macht, das wirst und darfst Du nicht fordern. Der morgende Tag gehört noch nicht Dir; er soll ein Abschiedstag werden. Aber dann – ich will nichts als Dich, ich kann Dich nicht lassen, Dein Glück soll meines sein; nur mach' mir die Trennung von Allem, was mir von Kind an theuer war, nicht zu schwer. Schließ die Augen zu dem, was morgen geschehen wird, und dann – o, hätten wir nur erst den richtigen Weg, den gleichen Schritt gefunden! Wir kennen einander so gut, und ich weiß, ich weiß, es glückt unseren Herzen vielleicht, aneinander zu dulden, was der Geist nicht begreifen, nicht billigen will. Ich könnte so unsagbar glücklich sein, und doch, doch ist mir die Brust so beklommen, und ich bin, nein, ich bin noch nicht froh!«


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