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Das Weib und die Tochter des Medius hatten mit ihren Nachbarsleuten, wie zu anderen Zeiten bei Erdbeben und schweren Gewittern, dem Zeus ein schwarzes Lamm geopfert, aber in aller Heimlichkeit, denn die Edikte, welche den Göttern Schlachtopfer darzubringen verboten, waren sogleich in Kraft getreten. Je mehr die einzelnen Mitglieder der Sängerfamilie mit anderen Bürgern zusammenkamen, desto fester faßte die Besorgniß vor dem Ende aller Dinge in ihnen Wurzel.
Als es dunkel geworden war, vergrub der Alte sein Geld, denn wenn auch Alles untergieng, war es doch, obgleich er durchaus nicht wußte wie und warum, vielleicht gerade ihm beschieden, von dem allgemeinen Loose verschont zu bleiben.
Groß und Klein suchte während der warmen Nacht Ruhe im Freien, um nicht von dem berstenden Dache und den einbrechenden Mauern erschlagen zu werden. Der folgende Morgen war glühend heiß, und nun kauerte Eins hinter dem Andern in dem mageren Schatten einer Palme und eines Feigenbaumes, den einzigen großen Gewächsen im Garten des Sängers.
Medius selbst war trotz des glühenden Sonnenbrandes in steter Bewegung. Er lief in die Stadt; aber nur um jedesmal sehr bald wieder zu den Seinen zurückzukehren und die Angst derselben durch die Mittheilung der schrecklichen Dinge zu steigern, welche er draußen vernommen. Mit Brod, Käse und Früchten wurde der Hunger gestillt, denn auch die beiden Sklavinnen hatten sich geweigert, am Herde im Innern des Hauses zu kochen.
Bald benahm sich der Sänger weich und zärtlich gegen die Seinen, bald wie ein Wütherich, und sein Weib überbot ihn dabei in allen Stücken. Bisweilen veranlaßte sie ihn und die Kinder, den Hausaltar frisch zu salben und zu beten; bald darauf warf sie den Göttern wieder Tücke und Grausamkeit vor. Bei der Nachricht, daß die Kaiserlichen das Serapeum umzingelt hätten, schmähte und spie sie auf die zierlichen Figuren der Hausgötter, und wenige Minuten später gelobte sie den Olympiern ein Opfer. Der Wirrwarr war entsetzlich, und mit dem glühenden Sonnenballe stieg die innere und äußere Qual der Großen und Kleinen.
Dada schaute dem Allen verdrossen zu und schüttelte den Kopf, wenn eine der Frauen einen Erdstoß wahrgenommen oder fernen Donner gehört haben wollte. Sie konnte sich selbst nicht erklären, warum sie, die sich sonst leicht fürchtete, von der allgemeinen Besorgniß verschont blieb, und dabei fühlte sie Mitleid mit den armen geängstigten Weibern und Kindern. Von diesen kümmerte sich Keines um sie, und so schlich ihr die Zeit mit unerträglicher Langsamkeit hin und lähmte ihr den frohen Lebensmuth. Dazu drückte sie der Brand der Sonne Afrikas nieder, welchen sie heute zum ersten Male kennen lernte. Als es endlich Nachmittag geworden, fand sie es in dem durchglühten Garten unerträglich, und sie schaute nach Papias aus. Der saß auf der Mauer und blickte den Leuten nach, welche in die Marcuskirche strömten. Dada folgte seinem Beispiele, und als aus den geöffneten Pforten des Gotteshauses vielstimmiger Gesang tönte, lauschte sie der Musik, welche sie lange entbehrt hatte, fuhr dem Buben mit dem Peplos über die perlende Stirn und sagte, indem sie auf die Kirche wies: »Da drinnen muß es wohl kühl sein.«
»Gewiß,« versetzte der Knabe. »In der Kirche ist's niemals heiß. Weißt Du was? Wir wollen hinüber.«
Dies war ein guter Gedanke, denn besser und erträglicher als hier, meinte sie, müsse es überall sein; und dazu reizte es sie, auch eine von Agne's Kirchen zu sehen und wieder einmal zu singen oder doch singen zu hören.
»Komm'!« rief sie dem Knaben zu und schlüpfte mit ihm in das verlassene Haus, um sich durch das kleine Atrium in's Freie zu stehlen.
Medius bemerkte sie wohl, aber er hielt sie nicht auf, denn er war in völlige Gleichgültigkeit versunken.
Noch vor einer Stunde hatte er das Facit seines Lebens gezogen und der kümmerlichen Zahl seiner Guthaben auch seine gastliche Aufnahme Dada's und ihres kleinen Schützlings beigesellt: aber gleich darauf war er mit sich zu Rathe gegangen, wie sich, wenn Alles dennoch gut gieng, Mädchen und Kind nutzbringend verwenden lassen würden. Jetzt erschien es ihm einerlei, ob ihn, die Seinen und Dada das Unheil im Hause oder im Garten ereilen werde.
Mädchen und Kind hatten die Marcuskirche, das älteste Gotteshaus der Stadt, bald erreicht. Es bestand aus einem Vorraume, dem Narthex, und der eigentlichen Kirchenhalle, einem sehr langen Saal mit flacher Decke, die mit gebräuntem Holze getäfelt und durch zwei Reihen von schlicht gearbeiteten Säulen gestützt war. Eine Schranke von durchsichtigem Gitterwerk theilte diese Halle in zwei Theile. Im äußersten Hintergrunde derselben war der Boden durch ein Podium erhöht, und auf diesem stand ein Tisch, um den sich ein Halbkreis von Stühlen schaarte. Der hinterste und zugleich mittelste zeichnete sich durch Höhe und schöne Arbeit aus. Sie waren sämmtlich unbesetzt, aber um sie her bewegten sich einige Diakonen in Talaren von hellem Brokatstoff auf und nieder.
In der Mitte des Vorsaales hatten sich viele Büßer um einen kleinen Brunnen geschaart, und diese boten mit ihren zerfleischten Rücken und in ihrer tiefen Zerknirschung einen noch kläglicheren Anblick als die geängstigten Leute, welche Dada gestern vor dem Tempel der Isis gesehen.
Sie würde hier gern wieder umgekehrt sein, aber Papias zog sie vorwärts, und als sie durch das hohe Mittelthor in das Schiff getreten waren, athmete sie erleichtert auf, und es überkam sie ein Wohlgefühl, wie sie es selten empfunden; denn in der nur halb gefüllten, lang hingestreckten hohen Halle war es angenehm kühl, und das mäßige Dämmerlicht, welches in ihr herrschte, that den Augen so wohl.
Der bescheidene Weihrauchduft, welcher die Kirche erfüllte, und der leise Gesang der versammelten Menge regte ihre Sinne freundlich an, und als sie auf einem Sitze Platz genommen hatte, fühlte sie sich wohl geborgen.
Ein wie heimlicher Friedenswinkel war diese alte Kirche; in ganz Alexandria, meinte sie, könne es wenige Stätten geben, wo es sich so still und wohlig ausruhen lasse wie hier.
Eine Zeitlang genoß sie, unthätig an Leib und Seele, die Kühlung, den Frieden, den Duft und die Musik, aber bald ward sie veranlaßt, ihre Aufmerksamkeit auf zwei Frauen in der Sitzreihe vor sich zu richten.
Die Eine, welche ein Kind auf dem Arm hielt, flüsterte der Andern zu: »Du hier unter den Ungetauften, Hanna? Wie geht es zu Hause?«
»Ich kann nicht lange bleiben,« lautete die Antwort, »'s ist ja auch gleich, wo man sitzt, und wenn ich gehe, wag ich die Anderen nicht stören. Das Herz ist mir so schwer; es steht ganz schlecht mit dem Kinde. Der Arzt sagt, heut müsse sich's entscheiden, und da zog es mich so in die Kirche.«
»Recht, recht. Bleib nur hier. Ich gehe gleich zu euch hinüber; mein Mann wartet schon gern.«
»Dank für den freundlichen Willen; aber Katharina wartet den Buben, und da ist er geborgen.«
»So bete ich wenigstens mit Dir für das herzige Kind!«
Dada hatte kein Wort von diesem schlichten Zwiegespräch verloren. Die Frau, welche sich von ihrem leidenden Kind entfernt hatte, um hier Hülfe zu suchen, hatte ein besonders liebes Gesicht, und während das Mädchen zusah, wie beide Weiber das Haupt neigten und mit gefalteten Händen regungslos in den Schooß schauten, dachte sie: »Jetzt beten sie für den kranken Knaben,« und senkte unwillkürlich selbst den Lockenkopf und murmelte leis: »Ihr Götter oder Du Christengott, oder wie ihr sonst heißt, die ihr Gewalt habt über Leben und Tod, macht doch das Söhnchen dieser armen Mutter gesund. Wenn ich wieder bei den Anderen bin, opfere ich euch einen Kuchen oder einen Hahn; ein Lamm ist so theuer.«
Dabei war es ihr, als werde sie von einem unsichtbaren Dämon gehört, und es gewährte ihr ein eigenartiges Vergnügen, diese schlichte Fürbitte immer wieder von vorn zu beginnen.
Inzwischen kauerte sich ein armseliges blindes Männlein zur Seite ihrer Sitzreihe nieder, und neben ihm stand der alte Hund, welcher ihn führte. Er hielt ihn mit einer Schnur an der Hand, und sein treuer Genosse ward an der heiligen Stätte willig geduldet. Der Alte sang laut und andächtig den Psalm mit, welcher von den Anderen angestimmt worden war; seine Stimme hatte zwar den Schmelz verloren, aber sein Gesang war doch tadellos rein. Das that Dada wohl, und wenn sie auch die Worte des Psalms, welcher sie rings umtönte, nur halb verstand, so faßte sie doch die einfache Melodie leicht auf und begann erst zaghaft und kaum hörbar, bald aber muthiger und endlich aus voller Brust dem Beispiele des kleinen Papias zu folgen und mitzusingen.
Bei alledem war ihr, als sei sie nach einer stürmischen und widrigen Seefahrt an's Land gekommen und habe bei freundlichen Leuten Aufnahme gefunden; und wie sie sich beim Singen umschaute, um zu sehen, ob die Kunde von dem nahen Untergang der Welt nicht auch hieher gedrungen sei, konnte sie zu keiner rechten Entscheidung kommen, denn wohl malte sich in manchem Antlitz tiefe Seelenangst, Zerknirschung und leidenschaftliches Verlangen vielleicht nach Hülfe, vielleicht auch nach etwas ganz Anderem, aber eine laute Klage wie vor dem Isistempel war nirgends vernehmbar, und die meisten hier versammelten Männer und Frauen sangen oder beteten in ruhiger Andacht. Von den wilden Mönchen, vor denen es ihr im Xenodochium der Maria und auf der Straße gegraut hatte, war hier kein Einziger zu sehen, sie hatten in diesen Tagen der Unruhe ihre geringe Kraft und ihren großen Enthusiasmus der streitenden Kirche zur Verfügung gestellt.
Der Gottesdienst in der Marcuskirche war von Eusebius, dem Diakonus des Sprengels, zu dieser ungewöhnlichen Stunde angesagt worden, weil er die Herzen derer, welche die allgemeine Besorgniß ergriffen hatte, zu beruhigen wünschte.
Dada sah, wie der Greis ein erhöhtes Pult jenseits der Schranke, welche die Getauften von den Ungetauften trennte, bestieg, und das silberweiße Haupt- und Barthaar des Eusebius und sein heiteres Gesicht mit der ernsten, weisen Stirn und den milden, liebevoll blickenden Augen gefielen ihr besonders. Sie hatte sich Plato, über den Karnis gern sprach und aus dessen Lehren sie sogar einige Schlagworte behalten, immer jung gedacht, aber so konnte er in hohen Jahren ausgesehen haben. Ja, auch dem Greise da oben würde es schön gestanden haben, wie der große Athener bei einem frohen Hochzeitsfeste zu sterben.
Der alte Priester wollte gewiß eine Rede halten, aber so gut er ihr auch gefiel, so trieb sie diese Vermuthung dennoch zum Aufbruch, denn sie konnte zwar auf Musik stundenlang regungslos lauschen, aber nichts fiel ihr schwerer, als gesprochenen Worten lange zuzuhören, wenn sie selbst stillschweigen mußte.
So erhob sie sich denn, um zu gehen, aber Papias hielt sie wieder zurück und bat sie mit den großen Kinderaugen so innig, ihm die Freude nicht zu verderben und dazubleiben, daß sie ihm nachgab. Dennoch wäre die Gelegenheit, sich ohne Aufsehen zu entfernen, günstig gewesen, denn die Frau vor ihr rüstete sich gerade zum Aufbruch und reichte ihrer Nachbarin die Hand zum Abschied. Sie hatte sich schon von ihrem Sitze erhoben, als ein halberwachsenes Mädchen von hinten her auf sie zutrat und ihr laut genug, um von Dada's feinem Ohre verstanden zu werden, zuraunte: »Komm', Mutter, komm'! Der Arzt hat gesagt, die Gefahr sei vorbei. Er hat auch die Augen geöffnet und nach Dir gefragt.«
Da flüsterte die Mutter ihrer Freundin rasch und glückselig zu: »Es geht Alles zum Besten!« und entfernte sich dann schnell mit dem Mädchen.
Die Zurückgebliebene erhob Augen und Hände wie zum Danke, und auch über Dada's Lippen flog nun ein Lächeln. Hatte der Christengott vielleicht auch ihre Bitte gehört?
Während dessen war der Greis mit seinem kurzen Gebet zu Ende gekommen und hatte seiner Gemeinde mitzutheilen begonnen, daß er sie in die Kirche berufen, um sie vor thörichter Angst zu bewahren und ihnen zu Gemüthe zu führen, wie sich der wahre Christ in diesen folgenschweren Tagen der Unruhe zu verhalten habe. Er wollte seinen Brüdern und Schwestern zeigen, was von dem Götzen und seinem Sturze zu befürchten sei, was man den Heiden zu danken habe und was er von seinen Glaubensgenossen nach dem bevorstehenden neuen und schönen Triumph der streitenden Kirche erwarte.
»Schauen wir rückwärts, meine Lieben,« fuhr er nach dieser Einleitung fort. »Ihr habt wohl Alle von dem großen Alexander vernommen, dem diese edle Stadt ihr Bestehen und den Namen verdankt. Er ist ein vornehmes Rüstzeug des Höchsten gewesen, denn er hat die Sprache und das Wissen der Griechen durch alle Lande getragen, damit, nachdem die Zeit sich erfüllt hatte, die Lehre, welche ausgehen sollte von dem eingeborenen Sohne Gottes, verstanden werden möge von allen Völkern und Eingang finden könne in alle Herzen. So viele Nationen damals die Erde bewohnten, so viel Hunderte von Götzen gab es, in so vielen Zungen und Weisen richteten die Menschen ihre Gebete an jene höhere Kraft, die sich überall fühlbar macht, wo sterbliche Wesen weilen. Hier am Nil herrschten nach Alexander's Tode die ptolemäischen Könige, und in Alexandria richteten die ägyptischen Bürger ihre Gebete zu anderen Götzen wie die griechischen, und Beide konnten sich zu keinem gemeinsamen Opfer vereinen. Da gab ihnen Philadelphus, der zweite Ptolemäer, ein weiser Mann, einen gemeinsamen Gott. In Folge eines Traumgesichts ließ er ihn aus dem fernen Sinope am Pontus in diese Stadt führen. Serapis hieß der Götze, welchen nicht der Himmel, sondern eines Menschen kluger Anschlag hier auf den Thron der Gottheit setzte: es wurde ihm ein köstlicher Tempel erbaut, den man heute noch zu den Wundern der Welt zählt, und man errichtete ihm ein Bild, so schön, wie es menschliche Hände nur immer zu gestalten vermögen. Ihr kennt sie beide, und ihr wißt auch, wie sich vor der Verkündigung des Evangeliums ganz Alexandria, mit Ausnahme der Juden, in das Serapeum gedrängt hat.
»Eine leise Ahnung der hohen Lehre Dessen, durch welchen Gott die Welt erlös'te, streifte schon vor der Erscheinung unseres Herrn und Heilands das Gemüth der Besten unter den Heiden, das Herz jener weisen, der Gnade noch nicht theilhaftigen Männer, welche nach Wahrheit, nach innerer Läuterung und der Erkenntniß des Höchsten suchten und rangen. Der Herr hatte sie berufen, um die Seele der Menschheit für die frohe Botschaft vorzubereiten und sie willig zu machen, sie anzunehmen, als der Stern aufgegangen war über Bethlehem.
»Von diesen Männern hat mancher, bevor die Stunde der Erlösung gekommen war, schöne Lehren an den Dienst des Serapis geknüpft. Sie befahlen den Anbetern des Götzen, das Wohl der Seele eifriger zu bedenken als das des Leibes; denn sie hatten die unvergängliche Dauer des geistigen, göttlichen Theiles in uns Erdgeborenen erkannt, die wir in's Dasein gerufen werden durch Schuld und durch Liebe, und die wir darum sterben müssen an unserem schuldigen Leibe und auferstehen dürfen durch die Macht der ewigen Liebe. Wie die ägyptischen Weisen in der Pharaonenzeit vor ihnen, haben diese Hellenen geahnt und verkündet, daß die Seele im Jenseits verantwortlich gemacht werde für Alles, was sie Gutes und Böses in ihrer fleischlichen Hülle gethan und unterlassen. Nach jenem ewigen Gesetze, welches auch den Heiden in's Herz geschrieben ward, damit sie von Natur thun möchten des Gesetzes Werk, haben sie Tugend und Sünde wohl unterschieden, ja, es standen unter ihnen ahnungsvolle Geister auf, welche zwar den Höchsten nicht kannten, aber dennoch im Namen des Serapis Buße von den Verirrten forderten und es für heilsam erklärten, die schillernden Freuden und die eitle Lust des Staubes von sich zu thun und mit den inneren und äußeren Übeln, welche die Sinne über uns bringen, zu brechen. Sie forderten ihre Schüler auf, sich zu sammeln zur denkenden Erkenntniß der Wahrheit und der Gottheit, und öffneten in den weiten Hallen des Serapeums Zellen und Klausen für bußfertige Fromme, wo dann auch viele begnadigte Männer, abgestorben der Sinnenwelt und der Betrachtung nur solcher Dinge ergeben, welche sie für die höchsten halten mußten, dem Tode entgegengereift sind.
»Aber, meine Lieben, die Gnade, deren wir uns ohne Verdienst und Würdigkeit freuen, hatte sich über die verlorenen Kinder einer finsteren Zeit noch nicht ergossen. Und in all diese edlen, ja bewunderungswürdigen Bestrebungen mischten sich sogleich hier der rohe Aberglaube mit seinen blutigen Opfern und die thörichte Verehrung zerbrechlicher steinerner Bilder und unverständiger Thiere, dort die trügerische und verderbliche Kunst der Magier und Zauberer. Auch die Ahnung des wahren Heils ward verfälscht und getrübt durch die Hirngespinnste einer eitlen und unbeständigen Philosophie, welche morgen schon widerlegt sah, was sie heute fest begründet zu haben vermeinte. Nach und nach ist dann der Tempel des Götzen von Sinope zu einer Stätte des Betrugs, des Blutvergießens, des nichtigsten Aberglaubens, der Sinnenlust und himmelschreiender Gräuel geworden. Wohl ward die Gelehrsamkeit immer noch in den Räumen des Serapeums gepflegt, aber verstockten Herzens wandten sich ihre Jünger von der Wahrheit ab, welche in die Welt gekommen war durch die Gnade Gottes, und sie wurden zu Priestern des Irrthums. Verfälscht, herabgezogen durch erbärmlichen Tand, haben die Lehren, welche Weise an die Vorstellung vom Serapis knüpften, ihre Hoheit und Würde verloren, und seitdem der hohe Apostel, dem diese Kirche geweiht ist, das Evangelium nach Alexandria brachte, ist der Thron des Götzen in's Wanken gerathen und die Lehre des Heils hat an ihm gerüttelt und ihn dem Einsturz nahe gebracht, trotz der Verfolgung der Gläubigen, trotz der Edikte des abtrünnigen Julian, trotz der verzweifelten Anstrengungen der Philosophen, Sophisten und Heiden, denn Jesus Christus, unser Herr und Meister, hat den flüchtigen Schatten einer dunkel geahnten Wahrheit, welche der Serapisglaube enthielt, in lebensvolle Wirklichkeit umgewandelt. An Stelle des besudelten Nebelfleckens Serapis ist das reine, lichtstrahlende, warme Gestirn der christlichen Liebe getreten, und wie der Mond verblaßt, wenn sich die Sonne siegreich erhebt, so ist auch der Serapisdienst an tausend Stellen, wo das Evangelium Aufnahme gefunden, kläglich in's Nichts verronnen. Auch hier in Alexandria wird seine magere Flamme nur noch künstlich genährt, und wenn die Macht des frommen und christlichen Kaisers sie morgen oder übermorgen ausdrückt, dann, meine Lieben, wird sie qualmend zu Grunde gehen, und keine Macht der Welt wird sie neu anzufachen vermögen. Nicht erst eure, unsere Enkel, nein, schon unsere Söhne werden sich fragen: Wer war Serapis? Der da gestürzt werden soll, ist kein mächtiger Gott mehr, sondern ein seiner Hoheit und Würde beraubter Götze. Es gilt hier keinen Kampf von Macht gegen Macht; es soll nur einem Überwundenen der Gnadenstoß versetzt werden. Der durch und durch vermorschte Baum wird Niemand bei seinem Falle verletzen, wohl aber wird ihn Alles, worauf er bei seinem Sturze schlägt, zerstieben lassen in Schutt und Staub. Dieser Fürst hat sich längst selbst überlebt, und wenn ihm das geknickte Szepter entsinkt, werden ihn nur Wenige beklagen; denn der neue König hat schon den Thron bestiegen, und sein ist das Reich und die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.«
Dada hatte der Rede des Diakonus ohne sonderliche Theilnahme zugehört; aber am Schlusse derselben war ihr doch etwas aufgefallen. Der Greis da oben sah würdig und gerecht aus, und Vater Karnis war gewiß ein billig denkender Mann und noch dazu Einer, der allen Dingen die gute Seite abzugewinnen pflegte. Wie kam es nun, daß der Alte da oben ein so klägliches Bild von demselben Gotte entwarf, dessen Größe ihr Oheim noch vorgestern mit glühender Begeisterung gepriesen?
Daß die gleichen Dinge dem Einen doch so ganz anders vorkommen konnten wie dem Andern! Der Geistliche dort sah ihr besonnener aus als der Sänger, der junge Christ Marcus hatte gewiß ein gutes Herz, ein besseres, geduldigeres Geschöpf als Agne gab es nicht unter der Sonne, und so konnte es leicht sein, daß das Christenthum in Wirklichkeit ganz anders war, als ihre Pflegeeltern es darzustellen liebten. Über die entsetzlichen Folgen, welche der Sturz des Serapistempels nach sich ziehen sollte, war sie nun gänzlich beruhigt, und so hörte sie aufmerksamer zu, als der Alte fortfuhr:
»Freuen wir uns, meine Lieben! Des großen Abgottes Serapis Tage, sie sind gezählt! Wißt ihr auch, wie er sich in unserer Mitte ausgenommen hat? Wie unter den tausend Schiffen und Schifflein in einem vollen Hafen eine prunkvoll gebaute und reich bewimpelte Trireme, in der die Pestseuche wüthet. Wehe denen, die ihr nahen, wehe den Unbesonnenen, die sich von dem reichen Zierat, mit dem sie geschmückt ist, verführen lassen, ihren Bord zu besteigen. Wie leicht verfallen sie selbst dem Verderben, und ahnungslos tragen sie es von Schiff zu Schiff, von den Schiffen auf's Land, bis die Seuche den Hafen ergreift und die Stadt. Dank also denen, welche dies prunkende Fahrzeug von unserer Rhede stoßen, es versenken oder verbrennen! Der Vater im Himmel gebe Muth ihren Herzen, Kraft ihren Händen und segne ihr Thun! Wenn es heißt: der große Serapis liegt zertrümmert am Boden, er ist nicht mehr, die Welt und wir sind von ihm befreit, dann soll man an dieser Stätte und überall, wo Christen wohnen und beten, ein hohes Freudenfest feiern.
»Aber dann, dann laßt uns gerecht sein, dann wollen wir uns Alle der guten und großen Gaben erinnern, welche die Trireme unseren Vätern zugebracht hat, als sie noch mit gesunder Mannschaft an Bord die weite Meerflut befuhr. Thun wir das, so werden wir mit stillem Mitleid das stolze Schiff sinken sehen und den Kummer derer begreifen, die es einst durch Flut und Ebbe getragen und die ihm Vieles zu danken vermeinten. Dann werden wir uns doppelt freuen, daß wir selbst ein festes Fahrzeug mit starken Planken und Masten und einem sichern Steuer besitzen, und daß wir die Anderen getrost zu uns an Bord laden können, sobald sie sich nur von der Seuche gereinigt, an der sie Theil gehabt hatten.
»Ich denke, ihr habt dies Gleichniß verstanden. Ist der Serapis gefallen, so wird es viel Leid und Trauer geben unter den Heiden; wir aber sollen, wenn wir wahre Christen sind, nicht daran vorübergehen, sondern uns die Bekümmerten und Kranken – am Herzen – zu heilen bemühen. Wenn der Serapis gefallen ist, sollt ihr Ärzte werden, Seelenärzte im Sinne des Herrn; und da es uns zu heilen gelüstet, liegt es uns zunächst ob, zu prüfen, worin denn das Leid Derer besteht, denen wir uns hülfreich erweisen möchten, denn die Wahl der Arznei hat sich nach der Natur der Krankheit zu richten.
»Ich meine: Trost bringen kann nur derjenige, welcher sich ganz in die Seele dessen hineinzufühlen versteht, welcher des Trostes bedarf, der das fremde Leid so, gerade so empfindet, als wenn es sein eigenes wäre. Und diese Kunst, ihr Lieben, sie ist neben dem Glauben diejenige Fähigkeit des Christen, welche dem Höchsten am besten gefällt.
»Vor meines Geistes Augen sehe ich hier den vernichteten Prachtbau des Serapeums, das zerstörte Meisterwerk des Bryaxis und tausend und aber tausend jammernde Heiden. Wie die Juden an den Wassern Babels ihre Harfen an die Bäume hängten und weinten, da sie Zions gedachten, so seh' ich sie klagend an die vergangene Herrlichkeit denken. Freilich, was sie betrauern, sie haben es selbst verderbt und entheiligt, und als etwas Höheres an seine Stelle getreten war, haben sie die Herzen verstockt, und statt die Toten ihre Toten begraben zu lassen und sich dem neuen Leben hoffnungsvoll in die Arme zu werfen, nicht lassen wollen von dem verwesenden Leichnam! Sie sind Thoren gewesen; aber ihre Thorheit war Treue, und wenn wir sie für unsern heiligen Glauben gewinnen, so werden sie treu bis in den Tod wie an ihren alten Göttern, so nun an Jesus hängen und die Krone des Lebens erwerben. Es wird mehr Freude sein im Himmel über einen Sünder der Buße thut, denn über neunundneunzig Gerechte, ihr wißt es; und wer von euch den Heiland liebt, der kann ihm hohe Freude bereiten, wenn er diesen trauernden Heiden den Weg weis't in sein himmlisches Reich.
»Aber, fragt ihr, ist das Leid der Heiden nicht eitel, und wie heißt das, was sie beklagen? Um das zu verstehen, vergegenwärtigt euch nun mit mir, was sie zu verlieren wähnen; und das, wahrlich, das ist nichts Kleines, und es umschließt gar viel, wofür wir, und mit uns die ganze Menschheit, ihnen Dankbarkeit schulden.
»Wir nennen uns Christen und thun es mit Stolz, aber wir nennen uns auch Hellenen und freuen uns dieses Namens. Unter dem Schutze jener alten Götter, deren Untergang nun bevorsteht, hat das griechische Volk staunenswerthe Thaten verrichtet, hat es die herrlichen Gaben des Geistes, welche ihm der Höchste verliehen, wie ein treuer Gärtner gepflegt und Wundervolles geleistet. Im Reiche des Denkens ist der Grieche der König der Völker gewesen, und dem vergänglichen Stoffe hat er Formen verliehen, welche ihn zur Höhe des Unvergänglichen und Beseelten erhob. Schöneres als der Hellene in jener Zeit hat keine andere Nation vorher und nachher geschaffen. Aber, so werdet ihr fragen, warum ist der Erlöser nicht den Vätern in jenen großen Tagen erschienen? – Weil das, was sie schön nannten und nennen, sich nur bezieht auf die vergängliche Form, auf den Schein, und weil ein Geschlecht, welches sein ganzes Empfinden und Denken mit so begeisterter und andächtiger Wärme dem Schönen, das ist dem Scheine hingab, kein Verlangen trug nach dem Sein, dem wahren Sein, das zu uns herabgekommen ist mit dem eingeborenen Sohne des Herrn. Aber darum ist das Schöne doch schön, und wenn eine Zeit kommt, in der sich der Schein vermählen wird mit dem Sein, in dem das ewig Wahre sich in vollendete Formen kleiden wird, dann, ja erst dann wird durch des Heilands Gnade zur Wirklichkeit werden, was die Väter in ihren großen Tagen erstrebten.
»Und dieser Schein, der von ihnen so freudig gepflegt ward, er leistet uns ja schon herrliche Dienste, wenn wir uns nur hüten, daß er uns blendet und abzieht von dem Einen, das noth thut. Wem anders als den heidnischen Hellenen schulden die großen Glaubenslehrer nächst Gott die edle Kunst, ihre hohen Gedanken und edlen Empfindungen zu ordnen und in Formen zu gießen, welche dem Christen verständlich sind und ihn zugleich erheben, ergötzen und erbauen? In einer heidnischen Rhetorenschule hat jeder eurer Lehrer, hab' auch ich Ärmster die Fähigkeit erworben, das, was der Geist mir eingibt, in fließender Rede euch, meiner Gemeinde, zu verkünden, und wenn einmal christliche Schulen erstehen, in denen unsere Söhne die gleiche Fähigkeit erwerben können, so werden in ihnen viele Gesetze in Kraft bleiben müssen, welche die Heiden gefunden. Wenn wir das Vermögen besitzen, dem Höchsten, der Jungfrau und den hohen Heiligen Kirchen aufzurichten, welche würdig sind ihrer erhabenen Größe, so danken wir dies den edlen Baumeistern im heidnischen Hellas. Für tausend Dinge des täglichen Bedarfs und für unzählige andere, welche das Dasein schmücken, sind wir heidnischen Künsten verpflichtet. Ja, meine Lieben, wenn wir Alles überschauen, was sie geleistet, wird ihnen der Gerechte Zweierlei nicht vorenthalten können: Dank und Bewunderung.
»Und dem Höchsten selbst sind die Besten unter ihnen wohlgefällig gewesen, denn er hat sie von ferne schauen lassen, was er uns ganz nahe gebracht und in's Herz geflößt hat durch göttliche Offenbarung. Ihr kennt ja Alle den Namen des Plato. Er, dem das Heil verschlossen war, hat vorahnend Vieles von weitem gesehen, was uns, den Erlös'ten, im reinen Lichte klar und faßbar vor Augen steht. Er hat erkannt, daß die irdische Schönheit verwandt sei mit der himmlischen Wahrheit. Das große Gefühl der Liebe, es trägt und vereint uns Alle; und er, er hat schon die begeisterte Hingabe an das Unvergängliche den göttlichen Eros, das ist die göttliche Liebe, genannt. An die Spitze des großen Stufenbaues der Ideen, den er errichtet, hat er das Gute gestellt, und das Gute ist für ihn die höchste Idee und im Erkennbaren die letzte; das Gute, dessen Wirklichkeit er mit allen Mitteln seines hohen und klaren Geistes erwiesen. Dieser Heide, ihr Brüder und Schwestern, er wäre werth gewesen der Gnade, die uns beglückt. Übet Gerechtigkeit gegen die Verblendeten, Gerechtigkeit im Sinne des Plato, der die Tugend der Vernunft die Weisheit nennt, die Tugend des Muthes die Tapferkeit, die der sinnlichen Triebe die Mäßigung. Wo diese Drei in Eintracht zusammen herrschen, da findet er das, was wir Gerechtigkeit nennen. Wohl denn, wohl! So prüfet Alles und behaltet das Beste, das heißt: erwäget weise, was von den Werken und der Arbeit der Heiden werth ist, daß es aufbewahrt werde und erhalten bleibe, und werfet dagegen muthig das Götzenwerk zu Boden, welches uns in unserer Mitte Schimpf bringt und mit Gefahren bedroht für Seele und Leib, ja für alle höchsten Güter des Lebens; aber, meine Lieben, vergesset dabei ja nicht, was wir den Heiden danken, und übet Mäßigung, haltet Maß; denn dann erst werdet ihr, werden wir gerecht sein. ›Nicht um zu hassen, um zu lieben sind wir hier!‹ Kein Christ, Sophokles, ein großer Heide hat dieses Wort gesprochen und ruft es uns zu!«
Der Greis schöpfte tief Athem.
Dada war ihm aufmerksam gefolgt; freute es sie doch, das, was sie preisen zu hören gewohnt war, auch hier rühmen zu hören. Erst seit Eusebius von Plato zu reden begonnen hatte, war sie gestört worden, denn vor ihr saß ein hagerer Mann mit einem langen spitzen Kopfe und ein anderer, kleiner, von behäbigem Aussehen. Der Erstere war fortwährend hin und her gerückt, hatte den Andern am Gewande gezupft und mehr als einmal Miene gemacht, aufzuspringen und dem Greise in die Rede zu fallen. Augenscheinlich mißfiel dies Benehmen den ihn umgebenden Christen, welche ihn durch Winke und leises Zischen zur Ruhe verwiesen; er aber beachtete sie nicht und fuhr fort, sich auffällig laut zu räuspern und sogar leise mit den Füßen zu scharren, als der Diakonus fortfuhr:
»Und nun, meine Lieben, wie sollen wir uns in diesen folgenschweren Tagen der Unruhe verhalten? Wie Christen, nur – oder besser, mit Gottes gnädigem Beistand – wie Christen im Sinne unseres Meisters, gemäß der Lehre, die uns der Herr durch die zwölf Apostel ertheilt hat. Lasset sie für mich reden. Sie rufen euch zu: ›Zwei Wege gibt es, einen des Lebens und einen des Todes; ein großer Unterschied aber ist zwischen den beiden Wegen. Der Weg des Lebens nun ist dieser: zuerst, du sollst lieben Gott, der dich erschaffen hat, zum Andern, deinen Nächsten wie dich selbst. Alles aber, was du nicht willst, daß dir geschehe, das thu' auch einem Andern nicht. Die in diesen Worten enthaltene Lehre aber ist diese: Segnet, die euch fluchen und bittet für eure Feinde, fastet aber für die, die euch verfolgen, denn was für Gnade ist es, wenn ihr liebt, die euch lieben? Thun nicht auch die Heiden dasselbe? Ihr aber sollt lieben, die euch hassen, und ihr werdet keinen Feind haben.‹
»Diese Worte der heiligen zwölf Apostel, ich lege sie euch in diesen Tagen an's Herz. Hütet euch, diejenigen zu verspotten und zu verfolgen, welche eure Feinde gewesen sind. Den besiegten Feind zu ehren, war auch den Edlen unter den Heiden eine schöne Pflicht; für euch, ihr Christen, soll es Gesetz sein. Es ist auch nicht so gar schwer, dem Feinde zu vergeben, wenn wir in ihm den künftigen Freund erblicken; und ihn zu lieben, auch das gelingt dem Christen, wenn er bedenkt, daß jeder Mensch sein Bruder, sein Nächster ist und daß ja auch er von unserem Heiland, der uns theurer ist als das Leben, geliebt wird.
»Der Heide, der Götzendiener, er ist der Erbfeind des Christen; aber bald liegt er gefesselt zu unseren Füßen, und dann, dann bittet für ihn, meine Lieben, und da ja der Höchste, der ohne Makel ist und namenlos groß, dem Sünder vergibt, so sollt ihr, die ihr klein seid und voller Schuld, ihm gewißlich vergeben. Seelenfischer sollen wir sein; erweis't euch als solche! Ziehet ihn, den Feind, an euch durch Freundlichkeit und Liebe, zeigt ihm durch euer Beispiel die Schönheit des christlichen Lebens, laßt ihn die Wohlthat des Heils erkennen, führt diejenigen, denen wir ihre Götzen und Tempel genommen, in unsere Kirchen, und wenn wir die Verblendeten, über die das Schwert triumphirte, erst recht überwunden haben durch Liebe, Glauben und Gebet und sie sich mit uns der Erlösung durch Jesus Christus freuen, dann wird ein Hirt sein und eine Heerde und Freude und Friede einziehen in diese von Kampf und Zwietracht zerrissene Stadt.« –
Hier wurde der Greis unterbrochen, denn in dem Narthex erhob sich ein wilder Lärm, und in das laute Geschrei kämpfender Männer mischte sich das dumpfe Gebrüll eines Stieres.
Die Gemeinde schnellte erschreckt von den Sitzen auf, und nun ward die Thür gesprengt und in die Kirche stürzte eine Schaar von heidnischen Jünglingen, welche von einer doppelten Übermacht verfolgt und in das Gotteshaus gedrängt worden waren. Dort begannen sie auf's Neue verzweifelten Widerstand zu leisten. Entblätterte Kränze und zerzaus'te Blumengewinde flatterten um die Stirnen und Schultern der Überwundenen. Sie waren in der Nähe der Marcuskirche von Mönchen überfallen worden, während sie, den neuen Edikten zum Hohn, ein bunt aufgeputztes Rind in den Tempel des Apollon trieben, und das Opferthier hatte sich in dem Wirrwarr des Handgemenges mit in den Narthex geworfen.
Der Kampf in der Kirche währte nicht lange. Die Götzendiener waren bald überwunden, aber Eusebius warf sich zwischen sie und die Mönche und versuchte es, die Unterlegenen vor der Hand der wüthenden Sieger zu retten.
Die Weiber hatten sich entsetzt zur Thür gedrängt, wagten es aber nicht, in den Narthex zu dringen, denn dort rannte der Opferstier wüthend umher und stieß nieder, was ihm in den Weg trat. Endlich traf ihn das Schwert eines Sicherheitswächters im Nacken, und er stürzte blutend zusammen.
Nun eilte Alles an dem verendeten Rinde vorbei und jagte kreischend in's Freie.
Dada befand sich mitten unter den Fliehenden. Sie zog den Knaben nach sich; doch dieser suchte sie mit aller Kraft aufzuhalten und rief ihr außer sich zu, Agne sei in der Kirche, und er wolle zu ihr zurück. Aber das Mädchen hörte nicht auf ihn und riß ihn in Todesangst mit sich fort.
Vor dem Hause des Medius blieb sie aufathmend stehen, und als der Knabe darauf bestand, seine Schwester im Gotteshause gesehen zu haben, kehrte sie, nachdem es still vor demselben geworden war, mit ihm dorthin zurück. In der Kirche stellte sich ihr Niemand mehr in den Weg, aber sie gelangte doch nicht weiter als bis zu der Scheidewand, welche die Sitze der Getauften von denen der Ungetauften trennte; denn dort lagen mit furchtbar zerfleischten Gliedern die Leichen vieler erschlagenen Jünglinge.
Wie sie bis zu dem Hause des Medius zurückgelangt war, wußte sie selbst nicht.
Der grausame Ernst des Lebens war ihr zum ersten Mal entgegen getreten; und als sie der Sänger am Abend in ihrer Kammer aufsuchte, blickte er sie verwundert an; denn die Heiterkeit ihres Gesichtes war wie verschleiert, und ihre Augen schwammen in Thränen. Wie bitterlich sie geweint hatte, konnte Medius freilich nicht ahnen. Er schrieb ihr verändertes Wesen der Angst vor dem nahenden Unheil zu und war froh, ihr in gutem Glauben versichern zu können, die Gefahr sei so gut wie vorüber.
Der Magier Posidonius war bei ihm gewesen und hatte ihn völlig beruhigt. Dieser Mann, dem er selbst hundertmal als Handlanger bei trügerischen Geistererscheinungen beigestanden hatte, übte auch auf ihn große Gewalt, seitdem er ihn einmal mit geheimnißvollen Mitteln verzaubert und ihn gezwungen hatte, den eigenen Willen dem seinen widerstandlos zu unterwerfen; und dieser Wundermann hatte nun die alte Sicherheit zurückerlangt und ihn mit dem ihm eigenen Ansehen der Unfehlbarkeit versichert, der Sturz des Serapistempels werde keine anderen Folgen nach sich ziehen, als der Fall einer alten geborstenen Säule. Seitdem belächelte Medius die eigene Angst; ja er war wieder »ein starker Geist« geworden und hatte mit beiden Händen zugegriffen, als ihm der Magier drei Eintrittstäfelchen in den Hippodrom geschenkt hatte.
Das Wettfahren sollte trotz des panischen Schreckens, welcher sich der Bürger bemächtigt hatte, stattfinden, und als er Dada einlud, mit ihm und seiner Tochter an diesem seltenen Vergnügen theilzunehmen, trocknete sie schnell die Augen und dankte ihm freudig.