Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Viertes Kapitel.

Kurz nachdem der Kaufherr und Philosoph sich entfernt hatten, kam Frau Herse mit Dada zurück. Dem jungen Mädchen stand Gorgo's blaues Spangengewand, welches Damia ihr gesandt hatte, vortrefflich, aber ihr Athem ging schnell und ihre Locken waren ganz in Unordnung gerathen. Auch Herse sah erregt aus, ihre Wangen glühten, und sie zog den kleinen Papias, welchen sie an der Hand hielt, unsanft hinter sich her.

Dada fühlte sich befangen; weniger wegen der kostbaren Dinge, welche sie hier umgaben, als weil ihre Pflegemutter ihr vorgeschrieben hatte, sich bei ihren Gastfreunden höflich und gemessen zu benehmen; und sie kam sich dann auch ganz sonderbar vor, als sie sich nach Herse's Weisung tief vor der Greisin verneigte; aber dieser schien die verlegene und doch anmuthige Art, mit der sie ihre Aufgabe löste, wohl zu gefallen, denn sie streckte ihr die Hand, welche sie sonst nur ganz Nahestehenden reichte, entgegen, forderte sie auf, sich zu bücken, gab ihr einen Kuß und sagte freundlich:

»Du bist ein braves Ding! Treu zu den Seinen halten, das lieben die Götter, und es belohnt sich auch unter den Menschen.«

Da folgte Dada einem glücklichen Triebe, warf sich vor der Greisin nieder, küßte ihr beide Hände und blieb, in sich zusammengekauert, zu ihren Füßen sitzen.

Gorgo, der die Erregung Herse's nicht entgangen war, fragte, was ihr begegnet sei, und erfuhr, daß Mönche sie auf der Straße verfolgt, einem Sklaven Dada's Leier aus der Hand und dem Mädchen den Kranz vom Haupte gerissen hätten. Die Greisin bebte vor Zorn bei dieser Mittheilung, schmähte die wüthenden Horden, durch welche Alexandria, die edle Lieblingsstätte der Musen, entehrt und entweiht werde, und kam dann wieder auf die Rettung der Sängerfamilie durch den Sohn der Maria zu sprechen.

»Der Marcus,« sagte sie, »soll ja ein Ausbund von Enthaltsamkeit sein. Er tummelt mit den jungen Sündern im Hippodrom seine Rosse, und doch – ein Wunder wär's, wenn es wahr ist – und doch flieht er die Weiber, als ob er schon ein Heiliger wäre. Seine Mutter will ihn gern dazu machen; aber er, holdselige Aphrodite, er ist der Sohn meines schönen Apelles, und der, würde der von Rom bis Alexandria in diese blauen Augen geschaut haben, er hätte sich gerne gefangen gegeben, aber – so wahr ich noch den Herbst zu erleben hoffe – er hätte auch gefangen genommen. Wie roth Du wirst, Mädchen! Am Ende ist der Marcus doch auch wie die Anderen. Halte die Augen offen, Frau Herse!«

»Daran soll es nicht fehlen!« rief die Matrone. »Und leider wird es auch noth thun. Der junge Herr, wie ist er auf dem Schiffe so bescheiden gewesen, und nun benimmt er sich so! Während wir fort waren, ist er wie ein Marder in die Herberge seiner leiblichen Mutter geschlichen und hat – ist es nicht schändlich? – und hat mit den Schlüsseln, welche ihm zur Verfügung stehen, unser Zimmer geöffnet und dem Mädchen – es ist das Kind meiner leiblichen Schwester – den Antrag gestellt, mit ihm zu entfliehen, uns zu verlassen und ihm zu folgen; er wird am besten selber wissen, wohin.«

Da fiel die Greisin der empörten Matrone mit einem häßlichen Lachen in's Wort, stieß den Stab auf den Boden und rief: »Meiner allerheiligsten Schwiegertochter Maria heiliger Sohn! Solches Wunder erlebt man nicht täglich! Her, hieher, Dada! Nimm diesen Ring; es hat ihn Eine getragen, die auch einmal jung war und viel umworben. Näher, noch näher, mein Liebling!«

Dada wandte den Lockenkopf mit neugierigen Augen der Alten zu, und diese zog ihn nahe zu sich heran und flüsterte ihr leise und doch dringlich in's Ohr: »Verdrehe mir dem Milchbart den Kopf, mach' ihn so toll und närrisch verliebt, daß er nicht weiß, wohin sich wenden vor zärtlicher Pein. Du kannst es, und ich – nein, ich verspreche Dir nichts; aber wenn die Stadt sich erzählt, daß der Sohn der Maria mit Seufzen und Stöhnen Nacht für Nacht an die Läden der hübschen Dada, der Heidin, der Sängerin schlägt, und wenn er Dich am hellen Tage auf dem eigenen Wagen spazieren und durch die kanopische Straße am Hause seiner Mutter vorbeifährt, dann, dann, Kindchen, wünsche von mir, was Du willst, und die alte Damia versagt es Dir nicht!«

Dann erhob sie das Haupt und rief den Anderen zu: »Auf den Nachmittag, Freunde, sucht eure Herberge auf und macht's euch bequem. Geh mit ihnen, Dada. Später schaffen wir euch ein hübsches Quartier in der Stadt. Komm manchmal zu mir, mein Täubchen, und erzähle mir hübsche Geschichten. Wenn die Arbeit nicht drängt, empfang' ich Dich immer, denn Du und ich, wir haben ein Geheimniß zusammen.«

Das Mädchen erhob sich und schaute die Greisin ängstlich an, doch diese winkte ihr zu, als sei Alles zwischen ihnen im Reinen, und reichte ihr wieder die Hand; aber Dada mochte sie diesmal nicht küssen und folgte den Ihren nachdenklicher als sonst.

Gorgo ahnte, was Damia mit dem Mädchen verhandelt, und sobald die Sänger das Zimmer verlassen, näherte sie sich der Greisin und sagte mit leisem Vorwurf: »Es wird der blonden Dirne ja leicht werden, den Marcus zu allerlei Thorheiten zu bringen; was mich betrifft, so kenn' ich ihn kaum: aber warum soll er büßen, was seine Mutter an Dir gefehlt hat? Was kann er dafür –«

»Nichts kann er dafür,« unterbrach die Greisin ihre Enkelin mit abweisender Herbheit. »Er kann ebensowenig für seine Mutter, als Du dafür kannst, daß Du erst zwanzig Jahre alt bist und schweigen mußt, bis Du gefragt wirst.«

An Bord des Schiffes, welches bei der Werft neben dem Grundstücke des Porphyrius vor Anker lag, hatte sich die Sängerfamilie zusammengefunden. Orpheus war Zeuge der Unruhen gewesen, welche die Stadt von einem Ende zum andern durchtobten, und ein wüstes Geheul, das sich aus der Ferne vernehmen ließ, bestätigte seine Mittheilungen über dieselben; aber der Spiegel des Sees ruhte in stiller, ungetrübter Bläue, auf der Werft arbeiteten die Sklaven wie in ruhigen Tagen und Turteltauben flogen girrend von Palme zu Palme.

Auch in der schwimmenden Herberge der Sängerfamilie merkte man nichts von unruhigen Zeiten. Der Hausmeister hatte für Alles gesorgt. Es gab in dem geräumigen Fahrzeuge Kammern und Betten im Überfluß, der weite Kajütensaal bot einen behaglichen Wohnraum und aus der kleinen Küche an der Spitze des Schiffes drang Bratengeruch und Pfannengerassel.

»Hier läßt es sich leben,« sagte Karnis, indem er sich auf einem Polster wohlig dehnte, »und diese Lager passen durchaus für unsere erlauchten Personen. Laßt euch nieder, ihr Weibchen, macht's euch bequem! Wir sind hier vornehme Leute, und schon um den Sklaven ihren Dienst zu versüßen, müssen wir thun, als wüßten wir gar nicht, daß es Leute giebt, die sich im Kreise hockend aus einer irdenen Schüssel die Brocken fischen. Genießet, genießet die Gaben des heutigen Tages! Wer weiß, wie lange die Herrlichkeit dauert! Ach, Weib, wie das an frühere Zeiten erinnert! Schön ist es freilich, so bei einander zu lagern und vom eigenen Tischchen leckere Bissen, die hinter unserem Rücken entstanden sind, zum Munde zu führen! Und Du, meine Alte, Du hast so lange für uns gesorgt und geschafft, daß es Dir zukommt, auch einmal Andere für Dich in Bewegung zu setzen!«

Bald standen Tischchen mit trefflichen Speisen vor jedem Lager, der Hausmeister mischte in einem schönen Gefäße guten mareotischen Wein mit klarem Wasser, Orpheus machte den Schenken und Karnis würzte das reichliche Mahl mit fröhlichen Scherzen und munteren Geschichten aus seiner Jugend, an die er durch die Begegnung mit seinem alten Studiengenossen Olympius erinnert worden war.

Dada fiel ihm oft in die Rede und lachte lauter und ausgelassener als sonst. Sie war wie im Fieber, und Herse bemerkte dies wohl.

Die Matrone fühlte sich nicht frei von Besorgniß. Gerade weil ihr Gatte sich immer und überall dem, was der Augenblick bot, mit ganzer Seele hingab, ließ sie ihn das Gute voll ausgenießen und blickte an seiner Stelle über die Gegenwart hinaus in die Zukunft. Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, was in Alexandria vorging, und fühlte, daß sie zu unrechter Zeit dorthin gekommen. Prallten Heiden und Christen in blutigem Kampf aufeinander, so griff Karnis, zumal er in seinem Jugendfreunde Olympius den Führer seiner Partei wiedergefunden, sicher zum Schwerte. Siegte die Sache der Christen, so gab es für sie, die sich offen auf die Seite der alten Götter gestellt hatten, keine Gnade. Gorgo's Verlangen, Agne im Isistempel singen zu lassen, erfüllte sie mit besonderer Besorgniß; denn kam es dazu, so konnten sie leicht der Verführung einer Christin zu heidnischen Diensten angeklagt und zu schweren Strafen verurtheilt werden. Gestern war ihr das Alles ganz anders vorgekommen, denn sie hatte an das alte, heitere Alexandria gedacht, wie es ihr aus ihrer Jugend bekannt war; aber welche Veränderung war seit über dreißig Jahren hier vor sich gegangen! Die Kirche hatte den Tempel, der Mönch den Opferpriester in den Schatten gedrängt.

Karnis und die Seinen waren ja keine Musikanten von gewöhnlichem Schlage, aber das Gesetz gegen die Sängerinnen konnte auch ihnen gefährlich werden, und nun stellte, um das Unglück voll zu machen, ein junger Christ ihrer hübschen Nichte nach! Welche Drangsale konnten über sie heraufbeschworen werden, wenn die mächtige Mutter des Marcus von der Verirrung ihres Sohnes Kenntniß erhielt! – Herse hatte längst bemerkt, wie wunderlich das thörichte Kind mit den Männern – alten und jungen – verfuhr. Sagte ihr einer der Bewerber, an denen es ihr niemals fehlte, zu, so konnte sie sich selbst vergessen und ein ausgelassenes Spiel mit ihm treiben; aber sobald sie empfand, daß sie zu weit gegangen sei und sich etwas vergeben habe, ließ sie das Mißbehagen über ihr eigenes Wesen den Bevorzugten entgelten, zog sich von ihm zurück und begegnete ihm, wenn sie ihm nicht ausweichen konnte, mit abweisender, bis zur Unart gesteigerter Kälte. Mit Tadel und Warnungen war Herse nicht sparsam, aber Dada machte ihren Verweisen gegenüber geltend, daß sie sich doch nicht anders geben könne, wie sie nun einmal sei, und Herse hatte bei den närrischen Einwänden des Mädchens, welche es so gut kleideten, nie streng und ernst zu bleiben vermocht.

Auch heute konnte die Matrone schwer mit sich in's Reine kommen, ob es gerathener sei, Dada vor dem jungen Marcus zu warnen und ihr zu gebieten, ihn bei jeder neuen Annäherung zurückzuweisen, oder das Vorgefallene auf sich beruhen zu lassen. Sie wußte, wie leicht das Unbedeutende sich groß macht, wenn man es zum Bedeutenden stempelt. Darum hatte sie das Mädchen auch nur leichthin gefragt, was es mit dem Geheimniß der alten Damia auf sich habe, und sich mit Dada's ausweichender Antwort begnügt; aber sie ahnte das Rechte und war entschlossen, es an Wachsamkeit nicht fehlen zu lassen. Einstweilen wollte sie den Dingen ihren Lauf lassen und Marcus nicht weiter erwähnen, aber ihr Gatte machte ihr Vorhaben zunichte, indem er mit der ganzen Heiterkeit eines glücklichen Mannes, der ein gutes Mahl genossen, Dada zurief, sie solle mittheilen, wie es sich mit dem Überfall des jungen Christen verhalten. Diese weigerte sich erst ein wenig, aber bald riß sie die gute Laune des Alten mit fort, und sie erzählte:

»Da saß ich mit dem armen Buben allein, wie – ich weiß nicht recht wie – den Vergleich sucht euch selber! Zu meinem Trost steckte der Schlüssel innen im Schloß, aber ich ängstigte mich doch, denn die Mönche fingen an auf dem Hofe zu singen. Wenn die eine Stimme nach links ging, ging die andere nach rechts. Habt ihr einmal Betrunkene Arm in Arm hinschwanken und einander bald hierhin, bald dorthin zerren sehen? Lacht nicht! Bei allen neun Musen, so ist es gewesen! Dabei bekam es Papias mit der Langeweile zu thun und fragte fort und fort, wo Agne bleibe – und weinte zuletzt. Als ich ihn fragte, warum? sagte er, er hab' es wieder vergessen. Geduldig, wie ich nun einmal bin – das müßt ihr mir lassen – that ich ihm nicht das Geringste, wie er aber durchaus ein Spielzeug haben wollte, zog ich den Schlüssel heraus, denn es war nichts anderes Unzerbrechliches da, gab ihn dem Jungen und bat ihn, mir ein Lied darauf vorzublasen. Das that er denn gern, und es klang wunderhübsch. Inzwischen nahm ich mein verbranntes Gewand vor und erschrak über die Größe der Löcher; aber ich kam auf den Einfall, das Kleid zu wenden, weil ja andere Flecke unsichtbar werden, wenn man das thut.«

»Das erfindest Du jetzt,« lachte Orpheus. »Wir kennen Dich! Wenn Du Dir nur eine Dummheit nachsagen kannst . . .«

»Nein, wirklich,« rief Dada, »'s ist mir solch ein Gedanke durch den Kopf geflogen wie eine Schwalbe durch's Zimmer; aber ich merkte dann bald, daß Brandlöcher durchsichtig sind. So warf ich denn das Gewand als unheilbar beiseite und stellte mich auf den Schemel, um durch das Loch neben der Thür auf den Hof zu sehen, denn der Gesang war zu Ende und die Stille fing an mir unheimlich zu werden. Papias flötete auch nicht mehr und hatte sich in die Ecke gesetzt, wo Orpheus den Brief nach Tauromenium geschrieben.«

»Da stand die Tinte,« rief dieser, »welche der Herbergsvater uns gestern geliehen.«

»Ganz recht, und als die Mutter zurückkam, saß mein Papias da und tauchte den Finger in das Faß und betupfte sein weißes Kleidchen; ihr könnt euch das schöne Muster nachher betrachten. – Aber unterbrecht mich nicht wieder! Ich schaute also hinaus auf den Hof. Er war leer; die Mönche hatten ihn alle verlassen. Da erschien ein schlanker junger Herr in einem weißen Gewande mit zierlichen himmelblauen Borten in dem großen Thore. Der alte Pförtner kroch ihm demüthig nach, so weit es der Strick erlaubte, mit dem er am Pfosten hängt, und der Herbergsvater drückte sich, während er mit ihm sprach, beide Hände auf die Brust, als hätte er nicht nur links, sondern auch rechts ein treu ergebenes Herz. Der junge Mann – es war natürlich unser Wohlthäter Marcus – ging zuerst im Zickzack, wie die Schnepfen fliegen, über den Hof und kam dann auf unsere Thür zu. Von dem Pförtner und Herbergsvater war nichts mehr zu sehen. Erinnert ihr euch noch der kleinen Gothen, die ihr Vater vorigen Winter, als es so kalt war, in der Tiber baden ließ? Erst gingen sie nah an den Fluß und ließen sich die Zehen benetzen, dann liefen sie fort, um bald wiederzukommen und sich Stirn und Brust zu befeuchten. Aber sie thaten doch den Sprung in die Kälte, nachdem ihnen ihr Vater – ich sehe den ungeschlachten Gesellen noch vor mir – irgend ein barbarisches Wort zugerufen hatte. Der Marcus machte es zuerst gerade wie die Buben; plötzlich aber schoß er auf unsere Thür zu und klopfte.«

»Er hat an Dein liebliches Antlitz gedacht,« lachte Karnis.

»Mag sein! Ich aber, ich regte mich nicht, stand mäuschenstill auf meinem Schemel und beobachtete ihn weiter durch die Öffnung, bis er erst einmal und dann noch einmal fragte: ›Ist Niemand drinnen?‹ Da hielt ich nicht länger an mich und gab zur Antwort: ›Alle sind aus!‹ Nun war ich verrathen. Wer kann auch gleich Alles bedenken. Ja, lacht nur! Auch über sein hübsches Gesicht flog ein Lächeln, und dann forderte er mich dringend auf, ihm zu öffnen, denn er habe Wichtiges mit mir zu reden. Ich sagte, wir könnten uns auch durch die Öffnung verständigen; Pyramus und Thisbe hätten sich sogar durch eine Mauerspalte geküßt. Er aber ging nicht ein auf den Spaß, sondern ward immer ernster und bestand auf seiner Bitte, denn von dieser Stunde hänge viel ab für ihn und für mich, und was er mir zu sagen habe, das dürfe kein Anderer hören. Zum Flüstern lag die Öffnung zu hoch, und so blieb mir nichts übrig, als den Schlüssel von Papias zu fordern; aber der wußte nichts mehr von ihm. Später frug ich den Buben nach der Flöte, und da bracht' er ihn gleich. Kurz, der Schlüssel war fort. Das rief ich dem Marcus zu, und nun rang er die Hände; aber nur kurze Zeit, denn der Herbergsvater, der sich hinter einen Pfeiler versteckt und gelauscht haben mußte, stand plötzlich wie vom Himmel gefallen neben seinem jungen Herrn, lös'te einen Schlüssel vom Gürtel, sperrte die Thür weit auf und war wieder verschwunden, als hätte ihn der Boden verschluckt.

»Nun standen Marcus und ich einander gegenüber. Er war wie verstört; ich glaube wahrhaftig, der arme Schelm hat gezittert, und ich, ich fühlte mich auch nicht sehr sicher; aber ich brachte doch die Frage heraus, was er begehre. Da nahm er sich zusammen und versetzte: ›ich möchte . . .‹

»›Du möchtest . . .‹ half ich ihm ein.

»Und so wär' es wohl fortgegangen: ›Er möchte,‹ ›wir möchten . . .‹ wie bei den Schulbuben in unserem Hofe zu Rom, wenn der Lehrmeister ihnen ihre griechische Lektion abhörte; aber Papias kam ihm zu Hülfe, denn er sprang ihm entgegen und ließ sich von ihm hoch heben wie auf dem Schiffe. Marcus that ihm den Willen, und dann überfiel er mich plötzlich mit einem Redefluß, bei dem mir ganz angst ward. Erst gab er mir so wunderschöne Dinge zu hören, daß ich dachte, nun würde eine Liebeserklärung kommen, und mich schon besann, ob ich ihn auslachen oder ihm um den Hals fallen solle, denn ein lieber, schöner Junge ist er ganz sicher, und wenn ihr es wissen wollt: ihm würd' ich recht gern etwas gewähren. Aber er forderte gar nichts, und von mir – gieb Acht, Vater Karnis – von mir, die der gute Vater im Himmel mit seinen holdesten Gaben geschmückt haben soll, ging er auf Dich über, Dich alten, bösen, verstockten, nichtswürdigen Heiden.«

»Ich werde ihn!« rief der Sänger und erhob munter die Faust.

»Höre nur weiter,« fuhr Dada fort. »Er hatte auch Mancherlei an Dir und der Mutter zu loben; aber weißt Du, was er euch vorwirft? Ihr sollt meine Psyche, meine Seele gefährden, meine unsterbliche Seele. Als ob ihr mir je von einer andern Psyche gesprochen, als dem Liebchen des Eros?«

»Das verhält sich doch anders,« fiel ihr Karnis ernster in's Wort. »Bei so manchem Liede hab' ich Dich aufgefordert, die Seele zu höherem Flug zu erheben. Du hast singen gelernt, und für die Seele des Weibes giebt es keine bessere Schule als Musik und Gesang. Wenn der Naseweis – mein Enkel könnte er sein – Dir wieder mit solchen Thorheiten kommt, dann lass' ich ihm sagen –«

»Nichts läßt Du ihm sagen,« rief Herse, »denn wir haben nichts und gar nichts mehr mit dem Christianer zu thun. Du bist meiner leiblichen Schwester Kind, und ich wünsche, hörst Du, ich fordere, daß Du ihm den Weg weisest, wenn er es je wieder versucht, sich Dir zu nähern!«

»Wer soll uns hier finden?« fragte Dada. »Und was ihr ihm unterlegt, das beabsichtigt er gar nicht. Auf das, was er meine Seele nennt, nicht auf mich selbst, kommt es ihm an, und er wollte mich auch gar nicht in sein Haus, sondern zu einem Andern führen, der ein Arzt werden solle für meine Seele. Ich lache ja gern, aber was er da vorbrachte, war Alles so dringlich und feierlich und wunderlich ernst und geschraubt, daß der Spaß mir verging. Ich wurde zuletzt so wüthend bei dem Gerede, wie Keiner von euch mich jemals gesehen hat, und das brachte ihn außer sich und zum Rasen. Du bist ja selbst dazu gekommen, Mutter, wie der vornehme Herr vor mir auf den Knieen lag und mich beschwor, euch zu verlassen.«

»Und dafür hat er von mir zu hören bekommen,« versetzte Herse mit derber Selbstgefälligkeit, »was ich von ihm halte. Er spricht von der Seele, und was er begehrt, ist das Mädchen. Ich kenne meine Christianer und sehe voraus, wie es kommt. Um sein Ziel zu erreichen, bedient er sich des Gesetzes – ihr wißt ja – und dann wirst Du von uns getrennt, in eine Rettungsanstalt, ein Kloster, oder wie diese traurigen Kerker sonst heißen, gesteckt und bekommst da von Deiner Seele mehr zu erfahren, als Dir lieb sein wird. Mit Lachen, Gesang und Freude ist's dann vorbei. So steht es, und wenn Du klug bist, hältst Du Dich vor ihm verborgen, bis wir Alexandria verlassen, und das wird bald geschehen, wenn Du Vernunft annimmst, Karnis.«

Diese Worte hatten so ernst und überzeugend geklungen, daß Dada die Augen besorgt niederschlug und Karnis sich nachdenklich vom Lager erhob.

Aber es wurde ihm keine Zeit zu weiterer Überlegung gelassen, denn der Hausmeister erschien und forderte ihn auf, sogleich mit seinem Sohn und Agne zu Gorgo zu kommen, um »die Klage der Isis« mit ihr einzustudiren. An Herse und Dada war die Einladung nicht mitergangen, und so blieben diese auf dem Schiffe zurück.

Die Matrone hatte in den unteren Räumen Mancherlei zu thun, Dada begab sich auf das Deck und blickte den Anderen nach. Dann schaute sie der Arbeit der Schiffsbauer zu und ließ die Kinder, welche am Ufer spielten, Früchte und Zuckerwerk, die Reste des Nachtisches, fangen. Dabei dachte sie an die wunderlichen Reden des Marcus, an das, was die alte Damia von ihr verlangt hatte, und Herse's Warnung. Anfänglich wollte ihr dieselbe begründet erscheinen, bald aber gewann sie die alte Zuversicht wieder, denn der junge Christ konnte nichts Böses mit ihr vorhaben, und daß er sie in jedem Verstecke zu finden wissen werde, stand bei ihr ebenso fest, als daß er nicht ihre Seele – denn was konnte dies luftige Nichts einem Liebhaber frommen? – sondern ihre hübsche, viel umworbene Person zu gewinnen begehre. Mit welcher Wärme hatte er ihre eigene Anmuth geschildert, wie willig hatte er bekannt, daß er ihr Bildniß wachend, im Schlaf und Traum vor sich sehe, und nicht von ihr lassen wolle und könne, ja, daß er sein Leben hinzugeben bereit sei, um ihre Seele zu retten. So redete nur ein Verliebter, und von einem solchen ließ sich viel, ja Alles erreichen. Auf dem Wege aus dem Xenodochium zum Hause des Porphyrius hatte sie ihn auf seinem Wagen gesehen und sich an den wunderschönen Rossen gefreut, die er kräftig und anmuthvoll lenkte. Er war kaum drei Jahre älter als sie – und sie zählte deren achtzehn, aber trotz seiner Jugend und Schüchternheit konnte man ihn nicht unmännlich nennen, und dazu besaß er etwas Besonderes, das sie anzog, mit Zutrauen erfüllte und sie zwang, immerfort an ihn zu denken und sich zu fragen, was es wohl sei. Der alten Damia Forderung beunruhigte sie, und ohne dieselbe würde es ihr noch weit reizvoller erschienen sein, sich von ihm lieben, auf Händen tragen und durch die kanopische Straße fahren zu lassen.

Es kam ihr ganz unmöglich vor, daß zwischen ihm und ihr Alles vorbei sein solle, und während sie immerfort an ihn dachte und dabei den zimmernden Sklaven bisweilen einen Blick zuwarf, stieß ein Boot dicht bei ihrem Schiffe an's Land und aus demselben sprang ein Führer der kaiserlichen Panzerreiter an's Ufer. Ein schöner Mann! Wie streng und edel geformt war das gebräunte Gesicht, wie leicht lockte sich der rabenschwarze Vollbart und das Haupthaar, welches aus dem goldenen Helme hervorquoll. Der dolchartige Degen an seiner Seite war der eines Tribunen oder eines Präfekten der Reiterei, und welchen tapferen Thaten mochte dieser Krieger im glänzenden Schuppenpanzer, welcher keinem Patriziergeschlechte angehörte, es danken, daß er trotz seiner Jugend schon zu einem so hohen Posten gelangt war? Jetzt stand er am Ufer, schaute sich um, sein Blick begegnete dem ihren und sie fühlte, daß sie erröthe: er aber schien überrascht von ihrem Anblick, grüßte sie ehrfurchtsvoll in soldatischer Weise und schritt dann dem großen Schiffskörper zu, an dessen kühn gebogenen, unbekleideten Rippen einige Werkführer Maßstäbe und Meßschnüre anlegten.

Hier stand ein alter Mann von würdigem Aussehen, in dem sie schon früher den Leiter der Werft erkannt hatte. Auf diesen eilte der Krieger zu. Sie hörte ihn »Vater!« rufen, und gleich darauf sah sie, wie sich die Arme des Graubarts öffneten und der Offizier ihm mit inniger Freude an die Brust flog.

Dada verwandte keinen Blick von den Beiden, bis sie Arm in Arm und in zärtlichem Gespräch in einem großen Hause im äußersten Hintergrunde der Werft verschwanden.

»Ein schöner Mann!« wiederholte Dada, und während sie auf seine Wiederkehr wartete, schaute sie doch auch auf den Weg, welcher ihr Marcus zuführen konnte. In ihrem Müßiggang begann sie Beide zu vergleichen. Zu Rom waren viele stattliche Soldaten zu sehen gewesen, und der Schiffsbauersohn hatte am Ende wenig vor diesen voraus; aber ein Jüngling wie Marcus war ihr noch nirgends begegnet, und es gab auch kaum seinesgleichen. Der Panzerreiter war ein schöner Baum unter anderen prächtigen Bäumen, aber Marcus hatte etwas ganz Eigenes an sich, und während sie wiederum überlegte, was ihn denn vor den Anderen auszeichne, was ihn eigentlich so ganz besonders liebenswerth mache, stellte sich sein Bild so lebhaft vor ihr inneres Auge, daß sie darüber den schönen Offizier und die Schiffsbauer und alles Andere vergaß.


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