Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Vierundzwanzigstes Kapitel.

Das furchtbare Unwetter der vergangenen Nacht hatte die ganze Stadt mit Entsetzen erfüllt. Man wußte, was dem Serapis drohe, was bevorstand, wenn er zu Falle kam, und Jedermann hatte gemeint, der Untergang der Welt sei gekommen. Aber das Gewitter verzog sich, die Sonne zerstreute mit lichter Glut Dünste und Wolken, der Himmel und das Meer leuchteten in reinem Blau, und mit neuer Frische prangten Bäume und Sträucher.

Noch hatte der Römer es nicht gewagt, Hand an den Schutzherrn der Stadt, den höchsten der Götter, zu legen. Serapis hatte vielleicht nur Blitz, Donner und rauschenden Regen als Boten gesandt, um seine Feinde zu warnen. Mochten sie sich vor dem Äußersten hüten, mochten sie von dem Frevel abstehen, sein Bild anzutasten!

So dachten nicht nur die Heiden; es graute vielmehr auch Christen und Juden vor dem Sturze des Gottes und seines Tempels.

Er war der Stolz, das Wahrzeichen der Stadt Alexander's, an ihn schlossen sich Stiftungen und Schulen, welche Tausenden zugute kamen, in seinem Schutze wurde die Wissenschaft, auf welche der Alexandriner stolz war, noch immer gepflegt, zu dem Serapeum gehörte die medizinische Fakultät, welche immer noch den unbestrittenen Ruf genoß, die erste in der Welt zu sein, auf seiner Warte ordneten Astronomen den Lauf des Jahres, und aus ihr gieng der Kalender hervor. Eine Stunde des Schlafes in seinen Hallen brachte bedeutungsvolle Träume, und die Zukunft, sie blieb verborgen, wenn der Serapis fiel; denn seinen Priestern offenbarte der Gott nicht nur durch den Lauf und Stand der Gestirne, sondern auch durch viele andere Zeichen, was da kommen sollte und mußte, und es war so reizvoll, aus der greifbaren Gegenwart in das geheimnißvolle Morgen und Übermorgen zu schauen.

Selbst christliche Propheten beantworteten die Fragen ihrer Glaubensgenossen in einer Weise, welche das Schlimmste befürchten ließ, und wie man einen alten Baum, welchen die Voreltern gepflanzt, nicht gern umhackt, auch wenn er dem Hause das Licht nimmt, so fiel es manchem Getauften schwer, sich seine Vaterstadt ohne das Serapeum und den Serapis zu denken.

Mochte der Tempel geschlossen, mochte verboten werden, dem Gotte blutige Opfer zu bringen; aber sein Bildniß – noch dazu das edelste Werk des Bryaxis – anzutasten oder gar zu zerstören, das war ein tollkühnes, verhängnißvolles Beginnen, ein die Stadt und die Welt gefährdender Frevel.

So dachten die Bürger, so dachten auch die Soldaten, welche die Mannszucht zwang, gegen den Gott, an den doch Viele unter ihnen glaubten, das Schwert zu ziehen.

Sobald das Gerücht sich verbreitete, daß die Truppen in der Frühe des Morgens einen Angriff auf das Serapeum unternommen hätten, strömten Tausende und Abertausende vor demselben zusammen und harrten in athemloser Spannung auf den Ausgang des Kampfes im Innern des Tempels.

Der Himmel war immer noch so hell und blau wie an anderen freundlichen Tagen, aber im Norden über dem Meere zeigte sich leichtes Gewölk, vielleicht der Vortrupp der furchtbaren Wolkenheere, welche der Gott gegen seine Feinde in's Feld zu führen gedachte.

Die Vertheidiger des Heiligthums wurden von dannen geführt. Es war im Kriegsrath beschlossen worden, Milde gegen sie zu üben, und Cynegius besaß die Vollmacht, jeden Gefangenen, welcher beschwören wollte, in Zukunft nicht mehr zu opfern und den Besuch der Tempel zu unterlassen, voll und ganz zu begnadigen.

Unter den Hunderten, welche den Römern in die Hände gefallen, weigerte sich Keiner, diesen Eid zu leisten, und sie zerstreuten sich bald mit verhaltenem Ingrimm, und Viele von ihnen schlossen sich an die harrende Menge, um das weitere Vorgehen der Kaiserlichen und vielleicht das Ende der Dinge hier abzuwarten.

Die Thore des Tempels waren weit geöffnet: hier säuberten die Diener des Serapeums, dort viele hundert Soldaten die Treppen und Rampe von den Quadern und dem Bildwerk, womit die Heiden sie unzugänglich gemacht hatten, und sobald diese Arbeit zum Abschluß gekommen, sah man Leichen und Verwundete hinaustragen. Unter den Letzteren befand sich auch Orpheus, der Sohn des Karnis.

Die glücklich entkommenen Vertheidiger des Heiligthums, welche sich an die Menge geschlossen hatten, wurden mit Fragen bestürmt, und alle bestätigten, daß das Serapisbild bisher unangetastet geblieben sei.

Die Bürger athmeten auf, aber bald wurden sie von neuer Erregung ergriffen; denn eine Ala Panzerreiter erschien und brach einem unabsehbar langen Zuge Bahn, dessen Psalmengesang das Geschrei und Gemurmel der Menge, das Waffengerassel und Stampfen der Pferdehufe laut übertönte.

Jetzt wurde es klar, wo die Mönche geblieben. Sie fehlten sonst nirgends, wo ein Schlag gegen die Heiden geführt ward, aber bis dahin hatten sich nur Einzelne vor dem Serapeum gezeigt.

Da nahten sie nun mit einem Jubellied auf den Lippen, flammenden Auges, wilder und schonungsloser denn je.

Unter einem hohen Baldachin schritt der Bischof in großem Ornate dahin. Seine fürstlich hohe Gestalt war stolz aufgerichtet, sein Mund fest geschlossen. Er sah aus wie ein strenger Richter, welcher das Tribunal betritt, um eine verruchte Schandthat mit aller Härte zu ahnden.

Die Menge erbebte.

Der Bischof und die Mönche im Serapeum, das bedeutete den Sturz des erhabensten aller Götterbilder, Tod und Verderben. Auch Muthigeren erblichen die Wangen, Viele, welche Weib und Kind zu Hause gelassen, flohen heimwärts, um vereint mit ihnen den Untergang der Welt zu erwarten, Andere blieben stehen und beobachteten unter Verwünschungen oder Gebeten den gefährdeten Tempel; die Meisten aber – Männer und Frauen – drängten sich nach dem Heiligthume und setzten das Leben auf's Spiel, um das ungeheure Ereigniß, welches dort bevorstand, und das ein Schauspiel der Schauspiele zu werden versprach, mit zu erleben.

Am Fuße der Rampe ritt der Comes dem Bischof entgegen, schwang sich vom Pferde und begrüßte ihn ehrerbietig. Der kaiserliche Legat war nicht erschienen; er hatte es vorgezogen, zunächst in der Präfektur zu bleiben, und beabsichtigte später dem Wettfahren als Vertreter seines Gebieters, an der Seite des Stadtpräfekten Evagrius, welcher sich gleichfalls von dem Angriff auf den Serapis fern hielt, von Anfang an beizuwohnen.

Romanus winkte nach einer kurzen Unterredung Konstantin, dem Führer der Panzerreiter. Diese saßen ab, und von ihrem Präfekten geführt, erstiegen sie die Rampe, welche zu den hohen Pforten des Serapeums führte.

Ihnen folgte der Comes mit seinem Stabe, diesem bleich und zögernden Fußes einige hohe Staatsbeamte und christliche Mitglieder des städtischen Senates und zuletzt – er hatte den Anderen selbst den Vortritt gelassen – der Bischof mit der Geistlichkeit und den singenden Mönchen.

Das Ende des Zuges bildeten schwer bewaffnete Fußgänger, und ihnen nach drängte die Menge ohne von den Truppen, welche vor dem Tempel stehen blieben und ihn im Auge behielten, gehindert zu werden.

Die großen Hallen des Tempels waren, so gut es in der Eile gehen wollte, gesäubert worden.

Von allen Denen, welche hier zusammengeströmt waren, um den Gott und seine Wohnung zu vertheidigen, war Niemand zurückgeblieben, als der kranke Porphyrius und seine Pfleger.

Nachdem es draußen eine Zeitlang still geblieben und eine Reihe von qualvollen Minuten vergangen war, hatten derbe Fäuste an die Thür des Gemaches gepocht. Gorgo war an den Riegel geeilt, um ihn zu öffnen, aber der Arzt hatte sie zurückgehalten, und nun war die Thür gewaltsam gesprengt, aus den Angeln gehoben und in den Säulengang, wohin sie sich öffnete, geschleudert worden.

Gleich darauf hatten Soldaten das Zimmer betreten und Umschau in demselben gehalten.

Der Arzt war todtenbleich und keines Wortes mächtig auf einen Sessel neben dem Krankenlager niedergesunken, Gorgo aber hatte sich mit ruhiger Würde an den die Eindringlinge führenden Centurio gewandt und ihm eröffnet, wer sie sei, und daß sie sich hier befinde, um unter Beistand des Arztes ihren kranken Vater zu pflegen. Dann hatte sie den Reiterpräfekten Konstantin oder den Comes Romanus, dem sie und ihr Vater bekannt seien, zu sprechen begehrt.

Es war etwas Gewöhnliches, daß Kranke in das Serapeum gebracht wurden, und die ruhige, unbefangene Würde, mit der Gorgo sprach, sowie die hohe Stellung der Männer, auf welche sie sich berief, veranlaßte den Centurio, ihr achtungsvoll zu begegnen; aber er hatte den Befehl, Jeden, der kein römischer Soldat war, aus dem Tempel zu weisen, und so ersuchte er sie, sich zu gedulden, und kehrte bald darauf mit dem Führer seiner Legion, dem Legaten Volcatius zurück. Dieser ritterliche Patricius kannte wie alle Pferdeliebhaber den Besitzer der schönsten Rosse in Alexandria und gestattete zwar Gorgo und dem Arzte, bei dem Kranken zu bleiben; doch gab er ihnen zu bedenken, daß ernste Ereignisse bevorstünden, und bestellte, als Gorgo darauf bestand, bei dem Vater zu bleiben, eine Wache zu ihrem Schutze.

Die Soldaten hatten alle Hände voll zu thun und räumten die aufgesprengte Thür nur aus dem Wege, statt sie wieder in die Angeln zu heben; Gorgo aber schob, da sich in dem Zustand ihres Vaters nichts ändern wollte, den Vorhang zurück, der sie jetzt nur noch von dem Säulengang zur Rechten des Hypostyls trennte, und blickte über die Köpfe einer doppelten Reihe von Fußsoldaten hinweg.

Diese hatten neben der untersten Stufe, welche zu den Säulengängen an beiden Seiten des Hypostyls führten, Aufstellung gefunden.

Schon aus der Entfernung nahm Gorgo wahr, daß eine große Menschenmenge nahe und sich mit langen Unterbrechungen langsam vorwärts bewege. In der Vorhalle machte sie einen längeren Halt, und ehe sie die Basilika betrat, drangen an zwanzig Priester mit seltsamen Bewegungen und wunderlichen Recitationen in dieselbe ein. Es waren Exorcisten, welche die an dieser Lieblingsstätte des Götzendienstes und seiner Gräuel heimischen bösen Geister und Dämonen mit frommen Beschwörungen bannen sollten.

Sie hielten Kreuze vor sich her und bewegten sie wie Waffen, mit denen man unsichtbare Feinde bekämpft. Sie berührten mit ihnen die Säulen, den Fußboden und das stehen gebliebene Bildwerk, warfen sich auf die Kniee, beschrieben mit der Linken das Zeichen des Kreuzes und stellten sich endlich wie Soldaten in drei Reihen vor der Nische mit dem Götterbilde auf, wiesen mit den Kreuzen auf dasselbe hin und recitirten mit lauter Stimme, welche streng, befehlshaberisch, zornig klang, die kräftigen Sprüche und gewaltigen Formeln, welche bestimmt waren, den bösesten, verruchtesten, verstocktesten aller heidnischen Dämonen zu bannen.

Eine Schaar von Akoluthen, welche ihnen gefolgt war, schwang Rauchfässer vor dem verpesteten Neste des Götzenkönigs, und die Exorcisten tauchten Ruthen in die Kessel, welche ihr Gefolge trug, und bespritzten damit die abgöttischen Figuren auf dem Vorhange und die Mosaikbilder am Boden.

Dies Treiben nahm viele Minuten in Anspruch. Dann – und nun begann Gorgo's Herz schneller und schneller zu schlagen – dann erschien Konstantin in reichem Waffenschmuck, und hinter ihm eine Ala von hundert Mann, zusammengestellt aus der Elite seiner Reiter: bärtige Männer mit gebräunten, narbigen Gesichtern.

Statt der Schwerter trugen sie Äxte in der Hand, und hinter dem letzten Glied dieser stattlichen Schaar kamen Troßknechte mit hohen Leitern, welche sie auf Konstantin's Befehl an die Nische lehnten.

Die Fußgänger, welche zur Seite der Kolonnaden Spalier bildeten, schraken zusammen, als sie diese Leitern erblickten, und Gorgo fühlte an dem Beben des Vorhangs, hinter dem Apulejus neben ihr stand, wie groß die Angst war, welche den Arzt beherrschte. Es war, als sei dem Volke das Henkerbeil gezeigt worden, womit man seinen König zu enthaupten gedenke.

Nun erschienen die Würdenträger und der Bischof, singende Geistliche und Mönche breiteten sich in dem weiten Raume aus und schlugen unablässig das Zeichen des Kreuzes, die Menge strömte in das Hypostyl und drang so weit vor, als es die Kette erlaubte, welche Soldaten zwischen ihr und Würdenträgern und Bischof ausgespannt hatten.

Das Volk: Heiden und Christen in buntem Gemisch, füllte auch die Kolonnaden; aber die Kette hielt sie von dem Ende derselben, bei dem das Zimmer des kranken Porphyrius mündete, zurück, und so benahm es Gorgo nicht den freien Blick auf die von dem Vorhang verborgene Nische.

Der Psalmengesang scholl mächtig durch die weiten Tempelhallen und übertönte das Murren und Toben der wüthenden, angsterfüllten, auf Entsetzliches, Haarsträubendes gefaßten Menge.

Jeder wußte, welcher Frevel hier begangen werden sollte, und doch mochten nur Wenige glauben, daß man es wagen werde, ihn zu verüben.

Wohin Gorgo schaute, sah sie bleiche, von leidenschaftlicher und banger Erregung entstellte Gesichter.

Selbst den Geistlichen und Soldaten war das Blut aus den Wangen gewichen. Viele schauten mit fest zusammengebissenen Zähnen starr zu Boden, Andere warfen, um ihre Seelenangst zu bemänteln, dem murrenden Volke, das mit lauten Drohungen und Flüchen den Psalmengesang überschrie, empörte und herausfordernde Blicke zu, und der Widerhall verdoppelte in den weiten Hallen den vieltausendstimmigen Lärm. Eine Unruhe, eine Bewegung ohnegleichen beherrschte diese dicht gedrängte Versammlung.

Die Heiden bebten vor Wuth, klammerten die Finger um Amulette und magische Schutzmittel oder schwangen die Fäuste, die Christen zitterten vor Bangigkeit oder frommer Erwartung und rührten die Hände, um das Kreuz zu schlagen oder sich mit vorgestreckten Mittelfingern vor dem tückischen Angriff der Dämonen zu schützen. In Aller Zügen war zu lesen, jede Bewegung deutete an, das Gebrüll der Fluchenden und der Gesang der Frommen verrieth, daß hier etwas Gewaltiges, übermächtig Schreckliches hereinzubrechen drohe.

Es war Gorgo, als stehe sie am Rande eines Kraters, als erbebe dort Luft und Erde um sie her, als fühle und sehe sie den Ausbruch des Vulkans sich tosend aufwärts ringen, um Alles weit und breit zu ersticken und zu vernichten.

Das Gebrüll der Heiden ward lauter und lauter, einzelne Steine und Hölzer flogen zu der Stelle hin, wo der Bischof und die Würdenträger weilten, aber auf einmal legte sich der Lärm, und wie durch ein Wunder ward es still, ganz still in den weiten Räumen des Tempels.

Es war, als habe der Wink des allmächtigen Gottes den vom Orkan gepeitschten Ozean plötzlich in einen glatten, ruhenden Landsee verwandelt.

Auf einen Wink des Bischofs waren Akoluthen auf die Nische mit der Bildsäule des Gottes zugetreten, und der Vorhang, welcher sie bis dahin den Blicken entzogen, senkte sich langsam.

Da thronte Serapis, da schaute er in majestätischer Würde, unnahbar, mit kühlem Stolz, als sei er hoch erhaben über das kleinliche Treiben der Erdenwürmer zu seinen Füßen, über die Menge hin, und wie gestern Abend, so wirkte sein Anblick auch heute.

Wie schön, wie wundervoll edel und köstlich war dieses Werk menschlicher Hände! Selbst Christen zwang es zu einem leisen, langgezogenen Ruf der Überraschung, der Bewunderung, des Staunens.

Die Heiden schwiegen zuerst, überwältigt von frommer Scheu und seligem Entzücken, dann aber brachen sie los in ein lautes, begeistertes Jubelgeschrei, und ihr »Heil dem Serapis!« »Ewig daure Serapis!« klang von Säule zu Säule und schwang sich hoch auf zu der Sternenwelt der steinernen Decke.

Gorgo hielt die Hände über die Brust gekreuzt, wie sie den Gott in seiner erhabenen Schönheit erblickte. Tadel- und makellos rein, ganz und vollkommen stand dies edle Werk vor ihr, vielleicht nur ein gebrechlicher Götze, aber göttlich dennoch als unsterbliche That eines von allen Himmlischen begeisterten Freundes der Gottheit.

Ihr Auge hieng wie gebannt an diesen Formen, die menschlich waren und doch das Menschliche so weit überboten wie die Ewigkeit die Zeit, wie das Sonnenlicht das weithinleuchtende Fanal auf dem Pharus, und sie sagte sich, daß es unmöglich sei, Hand an dieses edle, tadellos herrliche, von dem Adel unvergänglicher Schönheit gefeite Bildwerk zu legen.

Sie sah, wie der Bischof, nachdem der Vorhang gesunken, einen Schritt zurücktrat und die Lippen halb öffnete, um vielleicht wie die Anderen seiner Bewunderung durch einen Ruf Ausdruck zu geben; aber sie sah auch, wie er sie schloß, um sie fester zusammenzupressen, wie sein Auge feurig aufblitzte, als der Jubel der Heiden sich Bahn brach, wie die Zornader auf seiner hohen Stirn anschwoll, als das »Heil dem Serapis!« sich hören ließ. Dann nahm sie wahr, wie der Comes dem Kirchenfürsten begütigende Worte zuraunte, vielleicht um ihn zu bewegen, nicht den Götzen als Gott, wohl aber als Kunstwerk zu schonen, und wie dann – das Herz stand ihr still, und sie mußte sich an dem Vorhange festklammern – der Comes sich achselzuckend von dem Bischof abwandte und mit einer Handbewegung, welche auf das Götterbild wies, Konstantin einen Befehl ertheilte.

Dieser verneigte sich mit militärischem Ernst und rief dann seinen Reitern ein Kommando zu, welches von dem wilden Geschrei der Heiden laut übertönt ward, dessen Inhalt sie aber schaudernd errieth.

Die wetterharten Krieger rührten sich. Ein Unterbefehlshaber schritt, nachdem er das Vexillum seinem Nebenmanne übergeben und diesem das Beil aus der Hand genommen hatte, auf die Bildsäule los, schaute zu ihr empor und zog sich dann zögernden Fußes und mit gesenkter Axt, langsam rückwärts schreitend, zu den Kameraden zurück, welche zaudernd stehen geblieben waren und einander zaghaft, fragend, trotzig anschauten.

Da kommandirte Konstantin wiederum, und diesmal lauter und entschiedener als vorher, aber die Reiter regten sich nicht; und als der Unterbefehlshaber die Axt zu Boden warf, thaten es die Anderen ihm nach, wiesen mit heftigen Bewegungen auf den Gott und riefen dem Präfekten Worte zu, welche eine Auflehnung gegen seinen Befehl enthalten mußten, denn er trat dem meuternden Unterbefehlshaber, einem ergrauten Veteranen, näher, schlug ihm die Hand auf die Schulter, schüttelte ihn heftig und bedrohte ihn und die Anderen.

In den braven Soldaten kämpfte das Gefühl der Mannszucht und die Liebe zu ihrem wackeren Vorgesetzten mit der Scheu vor dem Gotte; man sah es aus den zuckenden Gesichtern, an den flehend erhobenen Händen; aber der Präfekt wiederholte unentwegt das Kommando, und als ihm auch jetzt der Gehorsam versagt ward, wandte er sich mit einer Geberde bitterer Verachtung von den Reitern ab und rief der doppelten Reihe von Fußgängern neben dem Säulengange, hinter welchem Gorgo diesen Vorgängen folgte, seinen Befehl zu.

Aber auch diese gehorchten ihm nicht.

Die Heiden jubelten und munterten mit lautem Geschrei die Soldaten zum Widerstande auf.

Da wandte sich Konstantin noch einmal an seine Reiter, und als diese bei ihrer Weigerung verharrten, trat er festen Schrittes auf die Leitern zu, hob mit kräftigem Arm eine derselben von der Wand, lehnte sie an die Brust des Gottes, nahm die Axt, welche ihm am nächsten lag, auf, stieg von einer Sprosse zur anderm und auf einmal verstummte der Lärm der Heiden, es ward so still in der weiten Halle, daß man hören konnte, wie sich an den Panzerhemden eine Schuppe an der andern rieb, daß Einer den Athem des Andern vernahm und Gorgo den eigenen Herzschlag zu hören meinte.

Mensch und Gott standen einander Aug' in Auge gegenüber, und der Mann, welcher sich dort anschickte, Hand an den Gott zu legen, war ihr Erwählter.

Mit athemloser Spannung folgte sie jeder seiner Bewegungen und sie hätte ihm zurufen, ihm von Sprosse zu Sprosse nacheilen mögen, um ihm in den Arm zu fallen und ihn von solch unerhörtem Frevel zurückzuhalten, zurückzuhalten, nicht aus Furcht vor dem Verderben, das er über sie und alle Welt zu bringen drohte – sondern nur, weil sie fühlte, es könne sein gewaltthätiger Streich gegen dies schöne, nie wieder herstellbare Wunder menschlicher Kunst ihre Liebe zu ihm, wie die Axt das Elfenbein, in Stücke zerschlagen. Es bangte ihr nicht für ihn, denn er kam ihr vor wie gefeit und unverletzbar; aber ihre ganze Seele war voll von Furcht vor der That, die er sich zu begehen erkühnte.

Sie dachte ihrer gemeinsam verlebten Jugend, seiner eigenen künstlerischen Versuche, der Bewunderung, mit der er zu den großen Schöpfungen der alten Bildhauer aufgeblickt hatte, und sie hielt es für unmöglich, daß er, gerade er, Hand an das Meisterwerk dort in der Nische lege, daß gerade er es schänden, verstümmeln, zerstören sollte.

Es konnte, es durfte nicht sein!

Aber da stand er schon auf der Spitze der Leiter, da warf er den Stiel der Axt aus der Linken in die Rechte, da bog er sich zurück und schaute das Haupt des Serapis von der Seite her an.

Sie konnte des Freundes Antlitz sehen, konnte jede seiner Mienen verfolgen, und sie that es mit leidenschaftlicher Spannung und sah, wie sich seine Augen liebevoll und mit tiefem Bedauern an die schönen Züge der Bildsäule hefteten, und wie er die Linke auf die Brust preßte, als ob sie ihn schmerze.

Die da unten mochten glauben, daß er nach Muth ringe, daß er bete oder seine Seele vor dem verhängnißvollen Streiche dem Höchsten befehle; sie aber sah, daß er gleichsam nur Abschied nehme von dem erhabenen Gebilde eines gottbegnadigten Künstlers, daß es ihm schwer, furchtbar schwer fiel, es zu vernichten. Und das that ihr wohl, das gab ihrer Anschauung eine neue Wendung und rief die Frage in ihr wach, ob er, der Soldat, der Christ, dem sein Kriegsherr befohlen, diese That zu begehen, vor ihr zurückbeben dürfe, wenn er das ganz sein wollte, was er doch war.

Ihr Blick hieng an ihm, wie das geängstigte Kind am Halse der Mutter, und die versammelten Tausende sahen in diesen Augenblicken der martervollen Spannung nichts, nichts als ihn.

Im Herzen der Wüste herrschte niemals lautloseres Schweigen als jetzt in dieser von leidenschaftlich erregten Menschen überfüllten Halle. Von allen fünf Sinnen war hier nur einer thätig: das Gesicht; und doch hatte er nichts zu umfassen und richtete sich auf nichts als auf eine mit der Axt bewaffnete Männerhand.

Die Herzen standen still, der Athem stockte, Tausenden siedete und kochte es vor den Ohren, flimmerte es vor den Augen, welche klar sehen wollten und mußten und es doch nicht konnten, und diesen Tausenden war zu Muthe wie dem Verurtheilten, dessen Kopf auf dem Blocke liegt, der den Henker näher treten hört und auf der Schwelle des Todes immer noch auf Begnadigung hofft.

Gorgo konnte die Antwort auf ihre Frage nicht finden; denn auch sie mußte sehen, nur sehen.

Und sie sah, wie Konstantin die Augen schloß, als scheue er sich, das zu schauen, was das Verhängniß seiner Hand zu vollbringen befohlen, sie sah, wie er mit der Linken in eine der Locken des göttlichen Bartes griff, sah, wie er mit der Rechten zu einem gewaltigen Schlage ausholte, sah, hörte, fühlte, wie die Axt einmal und wieder auf die Wange des Serapis niedersaus'te, sah und vernahm, wie schön geglättetes Elfenbein in großen und kleinen wohlgerundeten Scheiben auf den steinernen Boden niederfiel, von demselben elastisch abprallte oder klirrend in Stücke zersprang.

Sie schlug die Hand vor das Antlitz und verbarg lautweinend das Haupt in dem Vorhang. Schluchzend und stöhnend fühlte sie, dachte sie nichts, als daß etwas furchtbar Großes, weltbewegend Schreckliches geschehen sei.

Ein Lärm ohnegleichen, wie hallender Donner, und das Brausen der Brandung tos'te auf sie ein, aber sie achtete ihn nicht, und als der Arzt sie endlich anrief, als er sie von dem Vorhange fortzog und sie die Augen wieder aufschlug, stand statt des erhabenen Götterbildes in der Nische ihr gegenüber ein formloser häßlicher Holzklotz, an dem viele Leitern lehnten, und dem zu Füßen in wirrem Gehäuf Elfenbeinschalen, Goldplatten und zerbrochene Marmorstücke lagen.

Konstantin war verschwunden; auf den Sprossen der Leitern und auf dem Blocke standen jetzt in buntem Durcheinander Panzerreiter und Mönche und führten das Werk der Zerstörung zu Ende.

Sobald der Präfekt die ersten Schläge gethan und der Gott sie in ohnmächtiger Ruhe hingenommen hatte, waren sie auf ihn eingestürmt und hatten ihrem Führer erspart, das von ihm begonnene Vernichtungswerk weiter zu führen.

Das große Bild in der Nische war entgöttlicht.

Es gab keinen Serapis mehr, der Himmel der Heiden hatte seinen König verloren.

In dumpfem Ingrimm, und doch mit angstentlasteten Seelen drängten die Anbeter des gestürzten Gottes in's Freie und suchten an dem blauen, reinen, in heiterem Sonnenlicht strahlenden Himmel vergebens nach rächenden Wolken.

Auch Theophilus und der Comes hatten sich entfernt, nachdem es der Bischof den Mönchen überlassen hatte, das Zerstörungswerk zu Ende zu führen.

Er kannte seine Trabanten im Schaffell und wußte, daß hier in wenigen Tagen kein Götzenbild, keine Darstellung, kein Zeichen, welches an die alten Götter erinnerte, unbeschädigt sein werde; den tausend Sklaven, welche mit der Schleifung des Serapeums beauftragt werden sollten, hatte seine Ungeduld freilich eine zwanzigfach längere Frist gewähren müssen.

Der Comes begab sich ungesäumt in das Hippodrom, und dorthin eilten ihm Hunderte voran, um dem versammelten Volke mitzutheilen, daß Alexandria seinen Serapis verloren.

Konstantin hatte sich von den Zerstörern zurückgezogen und sich auf die Stufen der Kolonnaden niedergelassen.

In düstere und wehmüthige Gedanken versunken schaute er zu Boden.

Er war Soldat und nahm es ernst mit seinem Berufe. Was da geschehen war, er hatte es thun müssen: aber Niemand ahnte, wie schwer es ihm geworden, diese furchtbare Pflicht zu erfüllen.

Es graute ihm vor der eigenen That, und doch würde er sie morgen wieder begangen haben, wenn sie unter den gleichen Umständen wie heute von ihm verlangt worden wäre.

Er beklagte das schöne Kunstwerk wie einen verlorenen Schatz; aber er empfand, daß es recht und nothwendig gewesen sei, es aus der Welt zu entfernen. Dabei gedachte er Gorgo's und wie sie, die sich ihm gestern zu eigen gegeben, die er mit der ganzen Glut seines Herzens liebte, von der er wußte, daß sie seinem Glauben abhold war, weil der das Schöne noch nicht zu ehren verstand, die Kunde ertragen werde, er, ihr Geliebter, sei es gewesen, der wie ein roher Barbar gegen das edelste Kunstwerk, gegen das Schöne gewüthet, das er doch ebenso hochhielt, wie sie.

Er sann und stieg dabei in die tiefsten Tiefen seiner Seele, und wieder mußte er sich sagen, daß er Recht gethan habe und zum andern Male ebenso handeln würde, auch auf die Gefahr hin, sie zu verlieren. Er kannte nichts Edleres als Gorgo, und hätte er es denn wagen dürfen, sie mit einem Makel an seiner Ehre durch's Leben zu führen? Aber er verhehlte sich doch nicht, daß sich seine That wie eine tiefe Kluft zwischen sie und ihn senken werde, und tief bekümmert mußte er an die Tragödie und das Schicksal der Alten denken, welches seine Opfer auch ohne ihre eigene Schuld als Schuldige straft.

Dieser Tag bezeichnete vielleicht den Untergang seines Glückes, er stieß ihn vielleicht hinaus in Krieg und immer neuen Krieg bis zum Tod auf dem Schlachtfelde.

So saß er und sein Blick ward immer düsterer, das Haupt sank ihm immer tiefer auf die beklommene Brust.

Da fühlte er eine leichte Hand auf seiner Schulter, und wie er sich umwandte, stand Gorgo hinter ihm und streckte ihm die Rechte entgegen; er aber schnellte in die Höhe, faßte die liebe Hand mit leidenschaftlicher Wärme, blickte der Jungfrau traurig in die Augen und sagte bang und mit tiefer Bewegung: »Ich möchte sie halten, immer halten, aber wirst Du sie mir lassen, wenn ich Dir sage, was diese Hand hier verübt hat?«

»Ich weiß es,« entgegnete sie fest. »Und nicht wahr, das zu thun, ist Dir schwer geworden, sehr schwer?«

»Namenlos, namenlos schwer!« erwiderte er und zog die Schultern zusammen, als packe ihn die Erinnerung an ein finsteres Verhängniß.

Da schaute sie ihm innig in die Augen und rief: »Und Du hast es doch gethan, weil Du ganz sein willst und mußt, was Du bist. Das ist das Rechte, ich fühl' es, und ich will es Dir nachzuthun versuchen und mit der Halbheit brechen, die das Dasein verdirbt, die den festen Weg des Lebens – ich hab' es erfahren – in eine wankende Brücke verwandelt. Ganz, ganz will ich Dein sein und auch keine anderen Götter mehr haben als Du, und aus Liebe zu Dir Deinen Gott lieben lernen, den Du ja oft einen Gott der Liebe genannt hast.«

»Er ist es,« rief Konstantin, »und Du wirst ihn verstehen und erkennen auch ohne Lehre, denn wer ein Herz voll Liebe besitzt, in dem ist unser Heiland lebendig. O Gorgo, Gorgo! Ich habe den schönen Götzen zerschlagen, aber ich will Dir zeigen, daß man auch als ein ganzer Christ in Haus und Herzen das Schöne hegen und hochhalten kann.«

»Ich glaube Dir!« rief sie freudig. »Die Erde bleibt stehen und wankt nicht trotz des Falls des Serapis, aber mir kommt es vor, als sei in meiner Seele eine Welt zu Grunde gegangen und als bilde sich nun eine neue, die höher und reiner ist und vielleicht sogar schöner als sie!«

Er drückte ihre Hand an die Lippen, sie aber winkte ihm, ihr zu folgen, und führte ihn an das Lager ihres Vaters, der mit weit geöffneten Augen an der Brust des Arztes ruhte und den Eintretenden mit einem müden Lächeln entgegennickte.


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