Georg Ebers
Serapis
Georg Ebers

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Vierzehntes Kapitel.

In dem weiten Atrium des bischöflichen Palastes herrschte lebhafte Bewegung. Geistliche und Mönche giengen aus und ein, Wittwen, welche als weibliche Diakonen mit der Pflege der Kranken betraut waren, warteten mit Verbandzeug und freundlichem Zuspruche ihres Amtes, und Akoluthen hoben die Verwundeten auf Bahren, um sie in die Hospitäler zu tragen.

Der Diakon Eusebius, des jungen Marcus greiser Lehrer, leitete die guten Werke, welche hier geübt wurden, und trug Sorge, daß man den jungen verwundeten Heiden die gleiche Sorgfalt angedeihen ließ wie den Christen.

Vor dem Palast giengen Veteranen von der zweiundzwanzigsten Legion auf und nieder und vertraten den Thorhüter, welcher in ruhigen Zeiten hier zu stehen pflegte.

Agne sah sich vergebens nach einem solchen um und trat dann, ohne von den Soldaten beachtet zu werden, unter die pflegenden und sorgenden Frauen und Männer.

Es dürstete sie sehr, und als sie eine der Wittwen Wein und Wasser mischen und diesen Labetrank von dem Verwundeten, für den er bestimmt war, widerwillig zurückweisen sah, faßte sie sich ein Herz und bat die Diakonissin, ihr ein Schlückchen zu gönnen.

Diese reichte ihr sogleich den Becher und fragte, zu wem sie hier gehöre.

»Ich will zu dem Herrn Bischof,« entgegnete Agne: aber sie besann sich und fügte schnell hinzu: »Mit dem Thorhüter des Bischofs möchte ich reden.«

»Dort,« versetzte die Wittwe und wies auf die Riesengestalt eines Mannes, welcher im äußersten Hintergrunde des Atriums im Halbdunkel stand.

Da erst bemerkte das Mädchen, daß es schon Abend werde.

Wenn nun die Nacht kam, wo sollte sie bleiben, wo Unterkunft finden?

Es überlief sie kalt, und mit einem kurzen: »Ich danke!« gieng sie auf den Thorhüter zu und bat ihn, ihren kleinen Bruder in Empfang zu nehmen, falls man ihn bei ihm abliefern werde.

»Gut,« entgegnete der Riese freundlich. »Er kommt in die Waisenherberge ›Zum Samariter‹, wenn man ihn bringt, und da frage nur nach.«

Nun faßte das Mädchen Muth und bat ihn, sie zu einem Priester zu führen; der Thorhüter aber verwies sie auf die Kirchen, denn die geistlichen Herren in der Umgebung des Bischofs hätten heute vollauf zu thun und für Kleinigkeiten keine Zeit übrig.

Doch Agne bestand beharrlich auf ihrem Verlangen, bis dem Andern die Geduld ausgieng und er ihr befahl, ihrer Wege zu gehen. Da traten drei Geistliche durch die Thür, vor welche sich der Pförtner abwehrend gestellt hatte, und nun faßte sich Agne wieder ein Herz, trat auf einen von ihnen, einen Presbyter in höheren Jahren, zu und rief dringend:

»Ach, würdiger Vater, ich bitte Euch, hört mich! Ich muß mit einem Priester reden, und der Mann dort weist mich fort und sagt, Keiner von euch habe Zeit für mich übrig.«

»Das sagt er?« fragte der Presbyter und rief dann dem Pförtner unwillig zu: »Der Kirche und ihren Dienern, Du Thor, fehlt es nie und zu keiner Stunde an Zeit, wenn fromme Herzen sie suchen. Auf Wiedersehen, meine Brüder. Was begehrst Du, mein Kind?«

»Es liegt mir so schwer auf dem Herzen,« entgegnete Agne und erhob Augen und Hände bittend zu dem geistlichen Herrn. »Ich liebe meinen Erlöser, aber ich kann ja nicht, wie ich will, und weiß nicht, was ich thun soll, um nicht in schwere Schuld zu verfallen.«

»So folge mir,« sagte der Andere und gieng ihr durch ein Gärtchen in einen großen, offenen Hofraum voran.

Dann trat er in ein Seitengemach, von dem aus eine Treppe in den obern Stock des Palastes führte.

Während sie ihm nachstieg, schlug ihr das Herz in ängstlicher und doch hoffnungsvoller Erregung. Sie hielt die Hände über der Brust gekreuzt und versuchte zu beten, aber es gelang ihr kaum, an ihr Brüderchen und . . . . das zu denken, was sie dem Presbyter zu sagen hatte.

Endlich gelangten sie in ein hohes Gemach, wo die Fensterläden schon geschlossen waren und über gepolsterten Sitzen, auf denen jüngere und ältere Männer die Feder führten, vielarmige Lampen brannten.

»Da wären wir,« sagte der Presbyter und ließ sich auf einen Lehnsessel in ziemlicher Entfernung von den Schreibern nieder. »Eröffne mir, was Dich bedrückt; aber fasse Dich kurz, denn ich entziehe diese Minuten wichtigen Geschäften.«

»Wohl, Herr,« begann Agne. »Ich stamme von freien Eltern, die in Augusta Trevirorum zu Hause. Mein Vater hat als Steuereinnehmer in kaiserlichem Dienste gestanden.«

»Gut, gut; aber gehört das zur Sache?«

»Ja, Herr, ja. Vater und Mutter, sie sind gute Christen gewesen, doch man hat sie uns bei dem Aufstand in Antiochia – Du weißt, vor drei Jahren – erschlagen, und da wurde ich und mein Bruder, Papias heißt er –«

»Gut, gut –«

»Und da haben sie uns Beide verkauft. Mein Herr hat Geld für uns gegeben; ich hab' es gesehen; – aber als Sklaven wurden wir doch nicht gehalten. Nun fordern sie von mir, denn sie sind Heiden und ganz und gar den alten Götzen ergeben –«

»Da fordern sie von Dir abgöttische Dinge?«

»Ja, würdiger Vater, ja! Und deßwegen sind wir entflohen.«

»Recht, recht, liebes Kind.«

»Aber es heißt doch, daß der Sklave dem Herrn Gehorsam schulde?«

»Wohl; aber über dem Herrn im Fleische steht der Vater im Himmel, und tausendmal lieber soll man jenem die Treue brechen als diesem.«

Dies Gespräch war mit Rücksicht auf die an den Pulten thätigen Männer leise geführt worden; aber bei den letzten Worten hatte der Presbyter lauter geredet, und er mußte auch in dem Nebenraume gehört worden sein, denn der schwere Vorhang von einfachem Filzstoff wurde zurückgeschoben und eine Stimme von seltener Kraft und Tiefe rief durch den frei gewordenen Raum:

»Schon zurück, Irenäus? Das trifft sich günstig: ich habe mit Dir zu sprechen.«

»Sogleich, Herr; in zwei Minuten steh' ich zu Diensten,« entgegnete der Andere, indem er aufstand und Agne zurief: »Du weißt nun, was Deine Pflicht ist. Und wenn der Herr, dem Du dienst, Dich einfangen läßt und von Dir verlangt, ihm beim Opfern zu helfen oder dergleichen, dann wirst Du Schutz bei uns finden; mein Name ist Irenäus.«

Hier wurde der Presbyter abermals unterbrochen; denn der Vorhang hatte sich wieder geöffnet und diesmal war ein Mann aus dem Nebengemache hervorgetreten, welchen Niemand vergessen konnte, der ihm einmal begegnet.

Es war der Bischof, den Agne auf dem Altan gesehen, und sie erkannte ihn auch sogleich und gieng ihm mit gebeugten Knieen entgegen, um demüthig sein Gewand zu küssen.

Theophilus nahm diese Huldigung hin und maß das Mädchen schnell mit den gewaltigen Augen; Agne aber wagte die ihren nicht zu erheben, denn es lag etwas Übermächtiges in dieses Mannes Erscheinung. Jetzt öffnete er die Lippen und fragte, indem er mit der schmalen Hand auf Agne wies:

»Was will dieses Mädchen?«

»Freier, christlicher Eltern Kind,« entgegnete der Presbyter. »Aus Antiochia. An Götzendiener verkauft; soll heidnische Werke verrichten; ist ihrem Herrn entlaufen und trägt nun Bedenken . . .«

»Du hast ihr gesagt, welchem Herrn die Ehre gebührt?« fiel ihm der Bischof in's Wort. Dann kehrte er sich Agne zu und fragte: »Warum wendest Du Dich hieher und nicht an den Diakonus Deiner Kirche?«

»Wir sind erst wenige Tage hier,« versetzte das Mädchen schüchtern und wagte nun den Blick zu den schönen, bleichen, wie aus Marmor gemeißelten Zügen des Kirchenfürsten zu erheben.

»So geh zum heiligen Abendmahl in die Basilika der Maria,« erwiderte der Bischof. »Es wird gleich beginnen; indessen, dennoch – Du bist hier fremd, bist Deinem Herrn entlaufen und dabei sehr jung, sehr . . . Es wird Nacht. Wo gedenkst Du unterzukommen?«

»Ich weiß nicht,« entgegnete Agne und Thränen stiegen ihr in die Augen.

»Das nenn' ich Muth,« murmelte Theophilus dem Presbyter zu und fuhr dann fort, indem er sich wieder an Agne wandte: »Wir haben, Dank den Heiligen, Herbergen für Deinesgleichen hier in der Stadt. Der Schreiber dort soll Dir einen Schein ausstellen, welcher Dir Eintritt in eine solche verschafft. Aus Antiochia bist Du? Da wäre das Asyl des Antiocheners Seleukus. Zu welcher Parochie haben Deine Eltern gehört?«

»Zu der Johannes des Täufers.«

»Des Täufers? Wo Damascius predigt?«

»Ja, heiliger Vater; er ist unser Seelsorger gewesen.«

»Der Arianer?« fragte der Bischof, richtete die mächtige, in voller Manneskraft prangende Gestalt hoch auf und preßte den herben Mund fest zusammen, während der Presbyter in die Hände schlug und unwillig forschte:

»Und Du, Du selbst bekennst Dich gleichfalls zum Wahn des Arius?«

»Meine Eltern sind Arianer gewesen,« versetzte Agne betroffen, »und sie haben mich zu dem ›gottähnlichen‹ Heiland beten gelehrt.«

»Genug!« unterbrach sie der Bischof kurz und streng. »Komm', Irenäus!«

Damit winkte er dem Presbyter, theilte den Vorhang und schritt mit vornehmer Würde dem Andern voran.

Agne stand da wie vom Blitze getroffen; bleich, bebend, hoffnungslos.

War sie denn keine Christin?

War es denn für das Kind ein Verbrechen, den Glauben der Eltern zu theilen?

Waren Diejenigen, die ihr eben die rettende Hand entgegengestreckt hatten, um sie ihr so feindlich und jäh zu entziehen, waren sie Christen, Christen im Sinne des allbarmherzigen Welterlösers?

Marternder Zweifel an Allem, was ihr bis dahin heilig und unantastbar gewesen, befiel ihre Seele, Zweifel an Allem, nur nicht an Christus und seiner gottähnlichen, ja göttlichen Güte, denn welcher Unterschied lag wohl für sie in diesen Mensch auf Mensch hetzenden Worten? Und in der Unruhe, dem Jammer, der Hoffnungslosigkeit, welche sich ihrer bemächtigt hatten, fand sie keine Thränen, und sie wurzelte regungslos und wie gebannt an dem Platze, wo sie dem Bischof Rede gestanden.

Endlich wurde sie durch die kreischende Stimme des ältesten Schreibers aufgeschreckt, welcher einem jüngern Gehülfen zurief: »Das Mädchen stört mich; zeig' ihr den Weg, Petubastis!«

Diesem, einem hübschen ägyptischen Burschen, war die Unterbrechung der Arbeit, welche heute nicht aufhören wollte, mehr als willkommen, und so erhob er sich gemächlich, legte sein Geräth zusammen, strich das schwarze Haar, welches ihm beim Schreiben in die Stirn gefallen war, zurück und steckte sich statt des Schreibrohrs eine dunkelblaue Ritterspornblume hinter das Ohr. Dann tänzelte er auf die Thür zu, öffnete sie, sah sich das schöne Mädchen mit dem Blick des Kenners unverschämt an, verneigte sich flüchtig und sagte, indem er in's Freie wies, mit höhnischer Unterwürfigkeit: »Ich bitte.«

Agne verließ ungesäumt und gesenkten Hauptes die Schreibstube; der Ägypter aber schlüpfte ihr nach, faßte, nachdem er die Thür hinter sich zugeworfen, ihre Hand und flüsterte ihr zu: »Wenn Du unten ein halbes Stündchen warten kannst, Liebchen, so führ' ich Dich wohin, wo es schön ist.«

Sie war stehen geblieben und sah ihn fragend an, denn sie wußte sich diesen Wink nicht zu deuten; er aber legte ihr ermuthigt den Arm auf die Schulter und versuchte sie an sich zu ziehen. Da stieß sie ihn von sich wie ein widriges Thier und eilte, so schnell die Füße sie tragen wollten, die Treppe hinunter und durch das Gärtchen in die weite Atriumshalle.

Dort war es inzwischen still und dunkel geworden.

Wenige Lampen erhellten den vielsäuligen Raum, und der Schein einer Fackel fiel auf die Bänke, welche dort für wartende Geistliche, Laien und Supplikanten aufgestellt waren.

Erschöpft bis auf's Äußerste – sie wußte selbst nicht, ob vor Angst und Enttäuschung oder vor Müdigkeit und Hunger – ließ sie sich nieder und verbarg das Gesicht in die Hände.

Die Verwundeten waren während ihrer Abwesenheit in die Hospitäler gebracht worden. Nur Einen hatte man nicht fortzuschaffen gewagt. Er lag auf einem Polster zwischen zwei Säulen in ziemlicher Entfernung von Agne, und der Schein einer Lampe, welche man auf den Arzneikasten gestellt hatte, fiel auf seine blutlosen, jugendlich schönen Züge.

Zu seinen Häupten kniete die Diakonissin und schaute ihm schweigend in das stille Totengesicht. Neben dem Verstorbenen lag der alte Eusebius am Boden und preßte das Antlitz auf die von keinem Athemzuge bewegte Brust des entschlafenen Jünglings.

Nur zwei Geräusche unterbrachen die tiefe Stille des verödeten Raumes: das leise Schluchzen des Greises und der Tritt der Veteranen, welche vor dem bischöflichen Palaste Wache hielten.

Die Wittwe schaute mit gefalteten Händen unverwandt in das Antlitz des Toten und störte den Diakonus nicht, denn sie wußte, daß er bete, bete für die Rettung der Seele des mitten aus seinen Sünden abgerufenen Heiden.

Nach langen Minuten richtete der Greis sich auf, trocknete die nassen Augen, drückte die Lippen auf die erkaltete Hand des Toten und sagte dann, indem er auf sein Antlitz wies:

»So jung, so schön, ein Meisterwerk des Vaters im Himmel. – Heute früh eine jauchzende Lerche, die Lust einer Mutter und nun – und nun! Wie viele Hoffnungen, wie viel warmes Lebensglück ist da erloschen! O mein gütiger Heiland, der Du gesagt hast, es sollen nicht nur Alle, die Herr, Herr zu Dir sagen, Gnade finden vor Deinem Vater im Himmel, der Du Dein Blut hingegeben auch für die Erlösung der Heiden, erlöse, errette mir Diesen! Du guter Hirte, erbarme Dich auch dieses verloren gegangenen Schafes!«

In tiefem, leidenschaftlichem Mitgefühl erhob der Greis beide Arme und schaute eine Zeitlang wie verzückt in die Höhe. Dann sammelte er sich wieder und sagte:

»Gute Schwester, weißt Du es auch? Das war der einzige Sohn der Berenice, der Wittwe des reichen Schiffsherrn Asklepiodor. Die arme, arme, beraubte Mutter! Gestern noch fuhr er sie auf dem Weg nach Marea mit dem eigenen Viergespann vor's Thor, und heute – heute! Geh' Du zu ihr und theil' ihr das Schreckliche mit. Ich gienge schon selber, aber ich bin ja ein Priester, und es würde ihr wehe thun, durch Einen von uns, ich meine, durch Einen von denen, gegen die der verblendete junge Mann das Schwert zog, die Trauerkunde zu erhalten. Geh' Du also zu ihr, Schwester, und fasse das Mutterherz leise an, ganz leise; und wenn es angeht, zeige ihr, zeig' ihr behutsam, daß es Einen gibt, bei dem sich Balsam findet für jede Wunde, und daß wir, wir und Jeder und Jede, die an ihn glauben, unsere Lieben nur verlieren, um sie wieder zu finden. Zeig' ihr Hoffnung: Hoffnung, Hoffnung ist Alles. Sie nennen die Hoffnung grün, denn sie ist der Frühling des Herzens. Vielleicht gibt es auch einen Lenz für das ihre.«

Die Diakonissin erhob sich, drückte einen Kuß auf das Auge des Toten, versprach dem Diakon, das Ihre zu thun und entfernte sich bald.

Auch Eusebius schickte sich an, das Atrium zu verlassen; da hörte er von den Bänken her leises Weinen. Lauschend blieb er stehen, schüttelte das greise Haupt und murmelte vor sich hin: »Lieber Gott, guter Gott, Du allein weißt, warum Du den Rosenstrauch dieses Daseins mit so vielen scharfen Dornen besetzt hast!«

Dann gieng er auf Agne zu, und als diese sich bei seinem Nahen erhob, sagte er freundlich:

»Du weinst, liebes Kind? Hat es auch für Dich einen Toten gegeben?«

»Nein!« entgegnete sie schnell mit einer abwehrenden Handbewegung.

»Aber was suchst Du dann hier zu so später Stunde?«

»Nichts, nichts,« versetzte sie hastig. »Es ist Alles vorüber! Mein Gott, wie lange hab' ich wohl hier gesessen? Ich weiß, ich weiß, daß ich fort muß.«

»Und hast Du Niemand, der Dich begleitet?«

Sie schüttelte traurig den Kopf.

Da faßte er sie näher in's Auge und sagte: »So bring' ich Dich nach Hause. Du siehst, ich bin ein alter Mann und ein Priester. Wo wohnst Du, mein Kind?«

»Ich, ich?« stammelte Agne, und während heiße Thränen aus ihren Augen hervorbrachen, rief sie: »Gott, mein Gott, wohin soll ich mich wenden?«

»So hast Du kein Heim, kein Zuhause?« forschte der Greis. »Fasse Zutrauen, Kind, und sage mir offen, was Dich bedrückt: vielleicht weiß ich Hülfe.«

»Du?« fragte das Mädchen bitter. »Gehörst Du nicht auch zu den Presbytern des Bischofs?«

»Ich bin ein Diakon, und Theophilus ist das Haupt meiner Kirche; aber gerade darum . . .«

»Nein,« versetzte Agne herb. »Ich will Niemanden betrügen. Meine Eltern sind Arianer gewesen, und weil ihr Glaube auch meiner ist, hat der Bischof mich von sich gestoßen, hart und ohne Erbarmen.«

»So, so,« versetzte der Greis, »das hat der Bischof gethan? Ja, er, er ist das Haupt so vieler Christen und muß immer das Große im Auge behalten, und das Kleine, was ist ihm das Kleine? Aber ich, ich bin ein geringer Mann, und das Einzelne liegt mir am Herzen. Siehst Du, Kind, der Herr hat gesagt, es gebe viele Wohnungen in seines Vaters Hause, und das Quartier, wo der Arius Unterkunft suchte, es ist nicht das meine, aber es gehört doch immerhin zu dem Hause des Vaters. 's ist so unrecht nicht, daß Du festhältst an dem, was die Eltern Dich lehrten. Wie soll ich Dich nennen?«

»Agne heiße ich, Herr.«

»Das bedeutet das Lamm. Schön, schön! Ich liebe den Namen, und weil ich doch ein Hirte bin, wenn auch nur ein ganz geringer, so laß Dich getrost von mir führen. Warum weinst Du? Was suchst Du hier? Wie kommt es, daß Du nicht weißt, wo Du zu Hause bist?«

Das Alles sagte der Greis so liebreich, und es klang eine so innige väterliche Theilnahme aus seinen Worten, daß Agne wieder zu hoffen begann und vertrauensvoll Rede stand auf Alles, was er sie fragte.

Mit manchem »Hm, hm!« und »Ei, sieh' doch!« hörte Eusebius ihr zu. Dann forderte er sie auf, ihm in seine Wohnung zu folgen, wo sein Weib schon noch ein Plätzchen für sie finden werde.

Sie willigte mit Freuden ein und dankte ihm innig, als er dem Thorhüter befahl, wenn man ihr Brüderchen zurückbringen sollte, es zu ihm zu führen.

Beruhigt und wie von einer schweren Last erlös't folgte sie dem neuen Freunde durch einige Straßen und Gäßchen.

Endlich blieb er vor einem kleinen Garten stehen und sagte: »Da sind wir. Was wir haben, geben wir gern, aber es ist wenig, sehr wenig. Wer kann auch üppig leben, wo so viele Andere in Noth und Elend verkommen?«

Während sie zwischen kleinen Beeten hinschritten, zeigte der Diakon auf einen Baum und sagte: »Der hat im vorigen Jahre dreihundertundsieben Pfirsiche getragen, und er setzt auch heuer gut an.«

Aus dem Häuschen im Hintergrunde des Gartens winkte gastliches Licht, und als sie den kleinen Vorraum betraten, hinkte ein wunderliches Hündchen seinem Herrn mit frohem Gekläffe entgegen. Es hüpfte ganz munter auf den Vorderbeinen einher, aber sein Hintertheil war gelähmt und schwebte schräg in der Luft, als ob es auf einem unsichtbaren Präsentirbrette läge.

»Mein Freund Lazarus,« sagte der Alte fröhlich. »Ich habe den armen Wicht einmal auf der Straße gefunden, und er ist doch auch ein Geschöpf Gottes, und wenn er lahm ist, so tröste ich mich mit dem Vers aus dem Psalme: ›Der Herr hat nicht Freude an der Stärke des Rosses, noch an Jemandes Beinen.‹«

Das klang Alles so zufrieden und heiter, daß Agne mitlächeln mußte, und als sie nach kurzem Warten von der Gattin des Diakonus liebreich und mütterlich freundlich empfangen ward, würde sie sich glücklicher gefühlt haben als seit langer Zeit, wenn ihr der Bruder nicht immer im Sinn gelegen und es sie nicht so sehr nach ihm verlangt hätte.

Aber bald schwand auch die Sorge um ihn; denn sie war so erschöpft und müde, daß sie nur wenige Bissen genoß und sich dann in dem saubern Bette neben dem der alten Elisabeth niederlegte und sogleich einschlief.

Sie ruhte auf dem Lager des Greises, der in seinem Schreibstüblein auf dem schmalen Divan die Nacht zu verbringen gedachte.

Sobald die beiden Gatten allein waren, erzählte der Alte seiner Frau, wie er zu Agne gekommen und sagte am Schluß: »Es ist doch eigen mit den Arianern und den anderen ketzerischen Christen. Ich kann nicht so hart über sie denken, wenn sie nur treu an dem Einen hängen, was noth ist. Haben wir Recht – ich glaube ja, daß wir's haben – und der Sohn ist von der gleichen Natur wie der Vater, so ist er ohne Makel und Schwächen, und was wäre wohl göttlicher, als den Irrthum eines Andern, wenn er unsere eigene Person betrifft, übersehen, was würde menschlich elender sein, als den Irrthum übel zu nehmen und ihn an dem, welcher ihn begeht, hart oder gar blutig zu rächen? Verstehe mich wohl. Ich hab' es leider oder Gott sei Dank nicht weit gebracht hienieden und bin bei dem Diakonus stecken geblieben. Wenn nun ein Knabe kommt und mich etwa für einen Akoluthen hält oder dergleichen, soll ich ihn darum schmähen und strafen? Mit nichten! Und unser Heiland ist, denk' ich, viel zu rein göttlich, als daß er diejenigen hassen sollte, welche ihn nur für gottähnlich halten. Er ist die Liebe selbst, und wenn der Arianer in den Himmel kommt und Jesus Christus in seiner ganzen göttlichen Herrlichkeit sieht und vor ihm niedersinkt voller Entzücken und Reue, nimmt der Heiland ihn höchstens beim Ohr und ruft: ›Du Narr! Da siehst Du nun, wer ich bin; aber Dein Irrthum sei Dir vergeben!‹«

Elisabeth nickte ihm beifällig zu und sagte: »So ist es, ja, so wird es auch sein! Hat der Herr die Ehebrecherin von sich gestoßen? Haben wir nicht das Gleichniß vom Samariter? Das arme Mädchen! Es hat uns ja immer eine Tochter gefehlt; nun hätten wir eine, und wie lieblich sie ist! Gott erfüllt doch all unsere Wünsche! Aber Du mußt müde sein, Alter. Geh' nun zur Ruhe!«

»Gleich, gleich,« entgegnete Eusebius; aber dabei schlug er sich schon auf die Stirn und fuhr ärgerlich und erschrocken fort: »Da hab' ich über all dem Jammer ganz vergessen, was mir noch obliegt. Der Marcus! Er ist immer noch wie besessen, und wenn ich ihm nicht noch einmal in's Gewissen rede, bevor er zur Ruhe geht, gibt es nichts Gutes. Müde bin ich, sehr müde; aber Pflicht geht vor Ruhe. Widersprich mir nicht, Mutter. Gib mir den Mantel! Ich muß zu dem Jungen!«

Wenige Minuten später befand sich der Greis auf dem Wege in die kanopische Straße.


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