Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Charles de la Roue, Seigneur de Sainte Marie, war ein eisenfester Mann, der sich in hohem Grade zu beherrschen verstand, aber er stöhnte tief und ein Fluch entfuhr ihm, als er sein Weib in den Händen ihrer Stammesgenossen sah, von denen sie keine Barmherzigkeit erwarten durfte. Dennoch vergaß er selbst jetzt nicht die Pflichten der Höflichkeit gegen seinen Gast. Er wandte sich mit einigen teilnehmenden Worten zu Catinat, da klappte die hölzerne Hängeleiter, eine Gestalt verdunkelte die Fensteröffnung, und der junge Franzose hatte das Haus verlassen. Ohne ein Wort zu sagen, hatte er die Leiter niedergelassen und kletterte mit wahnsinniger Eile hinab. Sobald sein Fuß den Boden berührte, gab er seinen Freunden ein Zeichen, die Leiter emporzuziehen, warf sich in den Fluß und schwamm auf das Kanoe zu. Ohne Waffen und ohne einen bestimmten Plan, hatte er nur den einen Gedanken, daß in der Stunde der Gefahr sein Platz an der Seite seines Weibes sei. Ihr Los war das seine, und während er die Wogen starken Armes teilte, gelobte er sich, daß, mochte es sein, welches es wollte, Tod oder Leben, es sollte sie vereint treffen.
Es war da aber noch einer, dessen Pflichtgefühl ihn aus verhältnismäßiger Sicherheit der Gefahr entgegentrieb. Die ganze Nacht hindurch hatte der Franziskaner Catinat bewacht, wie ein Geizhals seinen Schatz, erfüllt von dem Gedanken, daß dieser eine Ketzer das kleine Samenkorn sei, das wachsen und sich ausbreiten könnte, bis es den erwählten Weinberg der Kirche überwuchert und erstickt hätte. Als er ihn nun so plötzlich die Leiter hinabstürzen sah, verschwand jede andere Furcht vor der übermächtigen Besorgnis, daß er diese ihm verfallene Seele verlieren möchte. Unverweilt kletterte er hinter seinem Gefangenen drein und warf sich, kaum zehn Schritt hinter ihm, in den Strom.
So hatten denn die Zurückgebliebenen am Fenster den seltsamsten Anblick. Dort mitten im Strom lag das Kanoe, ein Ring dunkler Krieger umgab die beiden mitten darin zusammengekauerten Frauengestalten. Catinat schwamm wie toll auf dasselbe zu und hob sich bei jedem kraftvollen Stoße bis über die Schulter aus dem Wasser. Hinter ihm folgte das geschorene Haupt des Mönches, dessen braune Kapuze und weitschleppende Gewande auf der Oberfläche des Wassers ihm nachfluteten. In seinem Eifer hatte er aber seine Kraft überschätzt. Er war ein tüchtiger Schwimmer, aber seine weite, ungefüge Kleidung beschwerte und behinderte ihn, je länger desto mehr. Seine Stöße wurden immer langsamer, sein Kopf sank immer tiefer, bis er endlich mit einem lauten Schrei: »In manus tuas, domine!« die Hände emporwarf und in dem Gewirbel der Wellen versank.
Gleich darauf sahen die Zuschauer, die sich fast heiser geschrien hatten, um ihn zum Umkehren zu bewegen, wie Catinat an Bord des Irokesenkanoes gezogen wurde, das sodann umwendete und seine Fahrt stromaufwärts fortsetzte.
»Mein Gott!« keuchte Amos. »Sie haben ihn aufgenommen, er ist verloren!«
»Ich habe doch schon mancherlei merkwürdige Dinge gesehen, aber so was doch noch nie!« meinte du Lhut.
Der Seigneur nahm eine Prise aus seiner goldnen Dose und stäubte die verstreuten Körnchen Tabak mit seinem zierlichen Spitzentaschentuch von seiner Hemdkrause.
»Herr von Catinat hat gehandelt, wie ein französischer Edelmann,« sagte er. »Wenn ich heute noch so schwimmen könnte, wie vor dreißig Jahren, würde ich an seiner Seite sein.«
Du Lhut blickte sich um und schüttelte den Kopf.
»Wir sind jetzt nur noch unsrer sechs. Ich fürchte, sie haben eine ganz besondere Teufelei vor, weil sie so sehr still sind.«
»Sie verlassen das Haus!« rief der Zinsbauer, der durch eins der vordern Fenster guckte. »Was kann das heißen! Heilige Jungfrau, ist es möglich, daß wir gerettet sind? Seht, wie sie zwischen den Bäumen wimmeln! Sie laufen dem Kanoe entgegen. Sie schwenken die Arme und machen allerhand Zeichen!«
»Da ist der graue Hut des Teufels von Mischling,« sagte der Kapitän. »Ich würde einen Schuß auf ihn versuchen, wenn es nicht schad' wäre um Pulver und Blei!«
»Ich habe das Ziel schon auf ebenso weite Entfernung getroffen,« sagte Amos und schob seine lange, braune Flinte durch eine Ritze in der Barrikade, welche quer vor der unteren Hälfte des Fensters errichtet war. »Den Verdienst des nächsten ganzen Jahres wollte ich drum geben, wenn ich ihn niederschießen könnte.«
»Es ist vierzig Schritt über die Tragweite meiner Flinte hinaus,« bemerkte du Lhut. »Aber ich habe allerdings die Engländer mit diesen langen Büchsen sehr weit schießen sehen.«
Amos zielte sorgfältig und feuerte dann. Ein Schrei des Entzückens erklang aus dem Häuflein der Überlebenden. Der flämische Bastard war gefallen. Aber schon im nächsten Augenblick war er wieder auf den Beinen und schwenkte die Hand triumphierend nach dem Fenster zu.
»Verdammt!« rief Amos bitter. »Ich traf ihn mit einer matten Kugel. Ebenso gut hätt' ich mit einem Kiesel nach ihm werfen können!«
»Fluche nicht, Amos, mein Junge,« mahnte der Kapitän, »versuch's lieber noch mal mit 'ner größeren Prise Pulver, wenn deine Büchse das aushält.«
Amos that eine volle Ladung Pulver in sein Gewehr und wählte eine glatte, gerundete Kugel aus seinem Beutel; als er aber wieder hinsah, waren alle, der Bastard und seine Krieger, nicht mehr da. Auf dem Flusse eilte das einzige Irokesenkanoe, welches die Gefangenen mit sich führte, südwärts, so schnell zwanzig Riemen es treiben konnten. Außer diesem einen dunklen Fleck auf der Wasserfläche war aber von den Feinden nichts mehr zu sehen. Sie waren verschwunden, wie ein böser Traum. Da waren die kugelgespickten Palissaden, die im Hofe umherliegenden Leichname, die verbrannten Trümmer der Hütten, aber die stillen Wälder lagen so ruhig und friedlich im Morgensonnenschein, als hätte sie nie der Höllenschwarm der Feinde durchtost.
»Meiner Treu, ich glaube, sie sind wirklich weg!« rief der Seigneur.
»Nehmen Sie sich in acht, es kann auch eine Kriegslist sein,« sagte du Lhut. »Warum sollten sie vor sechs Männern fliehen, wo sie doch sechzig besiegt haben?«
Aber der Zinsbauer, der durch das andere Fenster geguckt hatte, sank in die Knie, streckte die gefalteten Hände in die Luft, hob das pulvergeschwärzte Antlitz empor und brach in einen Strom von Gebeten und Danksagungen aus. Seine fünf Kameraden stürzten durch das Zimmer und schrien laut vor Freude. Um die Biegung des Stromes kam soeben eine die ganze Breite des Gewässers einnehmende Flottille von Kanoes heran, und die Sonne lockte hin und wieder blitzendes Gefunkel von den Flintenläufen und der militärischen Ausrüstung der Bemannung. Schon konnten sie die weißen Röcke der regulären Truppen, die braunen Kittel der coureurs-de-bois und die bunten Farben der Huronen und Algonkins unterscheiden. So kamen sie den Strom heraufgejagt, jeden Augenblick deutlicher und größer werdend, während fern an der südlichen Biegung das Irokesenkanoe nur mehr ein bloßer Punkt war, der jetzt nach dem jenseitigen Ufer hinüber schoß und sich gleich darauf unter dem Schatten der Bäume verlor.
Noch ein paar Minuten, und die Überlebenden standen draußen am Landungsplatz und schwenkten die Mützen hoch in die Luft, während die Schiffsschnäbel der ersten ihrer Befreier schon auf den Kieseln knirschten. Im Stern des vordersten Kanoe saß ein kleiner, dürrer Mann, in großer, brauner Perücke, den Degen mit vergoldetem Griff quer über die Knie gelegt. Er sprang heraus, sobald der Kiel auf den Grund lief, patschte durch das flache Wasser, stürzte dem Seigneur entgegen und warf sich ihm in die Arme.
»Mein teurer Charles,« rief er, »du hast dein Haus verteidigt wie ein Held! Was, ihr seid nur sechse? Ei, ei, das war eine blutige Geschichte!«
»Ich wußte, du würdest einen Kameraden nicht verlassen, Chambly,« erwiderte der Seigneur. »Wir haben das Haus gehalten, aber unsre Verluste sind fürchterlich. Mein Sohn ist tot. Mein Weib ist in jenem Irokesenkanoe, das vor euch her kam.«
Der Kommandant von Fort St. Louis drückte die Hand seines Freundes in stiller Teilnahme.
»Die andern sind glücklich angekommen,« berichtete er endlich. »Nur das eine Boot wurde genommen, weil ihnen ein Ruder zerbrach. Drei ertranken, zwei wurden gefangen. Wie ich höre, war eine französische Dame bei der Frau Baronin,«
»Ja, und ihr Gemahl ist mitgefangen.«
»Die Unglücklichen! – Übrigens, wenn ihr euch kräftig genug fühlt, euch uns anzuschließen, wollen wir ihnen folgen, ohne einen Augenblick zu verlieren. Zehn meiner Leute sollen als Besatzung des Hauses zurückbleiben, und ihr könnt ihr Kanoe nehmen. So! Und nun vorwärts, denn Tod und Leben hängt an unsrer Eile!«