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Sei es, daß Fräulein Nanon, Frau von Maintenons Vertraute, etwas von dem Besuch des Königs erfahren und ausgeplaudert hatte, sei es, daß Pater La Chaise mit der seinem Orden eignen Schlauheit zu dem Schluß gekommen war, daß Öffentlichkeit das beste Mittel sei, den König an seine neuen Entschlüsse zu binden – wie dem nun auch sein mochte und wie es gekommen – am nächsten Morgen wußte jedermann bei Hofe, daß die alte Favoritin wieder in Ungnade gefallen und daß von einer Vermählung des Königs mit der Gouvernante seiner Kinder die Rede sei. Bei dem petit lever flüsterte man davon, bei der grande entrée wurde es bestätigt, und als der König aus der Kapelle zurückgekehrt war, war die Sache in aller Munde.
Die Folgen blieben nicht aus. Die glänzenden Seidengewänder und Federhüte verschwanden in Schränken und Laden, die dunklen Röcke und matronenhaften Roben erschienen wieder auf der Bildfläche. Scudery und Calprenède machten dem Meßbuch und dem Thomas a Kempis Platz, während Bourdaloue, der eine Woche lang vor leeren Bänken gepredigt, seine Kapelle von neuem mit gelangweilten Kavalieren und kerzentragenden Damen bis auf den letzten Platz gefüllt fand.
Bis Mittag wußte jedermann die große Neuigkeit mit Ausnahme der Frau von Montespan. Obwohl beunruhigt durch das Fernbleiben ihres königlichen Liebhabers, war sie doch in stolzer Zurückgezogenheit in ihren Gemächern geblieben und hatte deshalb nichts von dem Vorgefallenen gehört. Es gab freilich viele, die ihr gern die Neuigkeit zugetragen hätten; aber des Königs Launen hatten neuerdings so oft gewechselt, daß niemand es wagte, sich eine tödliche Feindin aus einer Frau zu machen, die in wenigen Wochen wieder im Vollbesitz ihrer Macht sein mochte.
Ludwig sollte inzwischen etwas Unerwartetes erleben. In seiner eingefleischten Selbstsucht hatte er sich daran gewöhnt, jedes Ereignis ausschließlich darauf hin zu betrachten, wie es ihn persönlich berührte. So war es ihm niemals eingefallen, daß seine Familie, die ihm stets den unbedingten Gehorsam, den er als sein Recht beanspruchte, geleistet hatte, es wagen könnte, seinem neuen Entschluß zu widersprechen. Er war deshalb höchlich überrascht, als sein Bruder am Nachmittag eine Privatunterredung erbat, und ohne das gefällige Lächeln und die demütige Miene, die ihm bei solchen Anlässen sonst eigen waren, vor ihn trat.
Monsieur, der Herzog von Orleans, war in seinem äußeren wie in seinem inneren Menschen eine Karikatur, eine drollige Kopie seines Bruders. Er war kleiner, aber er trug ungeheuer hohe Absätze an seinen Stiefeln, welche ihm zu einer ansehnlichen Statur verhalfen. Seine Gestalt besaß nicht die Anmut, welche den König auszeichnete, noch hatte er dessen elegante Hände und Füße, die das Entzücken aller Bildhauer waren. Er war wohlbeleibt, watschelte etwas und trug eine ungeheure schwarze Perücke, welche in schier endlosen Lockenreihen über seine Schulter hinabrollte. Sein Gesicht war länger und dunkler als das des Königs, und seine Nase hervorragender, aber er hatte dieselben großen braunen Augen wie sein Bruder – beide hatten sie von Anna von Österreich geerbt. Er besaß nicht den einfachen und doch vornehmen Geschmack, welcher die Kleidung des Monarchen auszeichnete. Sein Anzug war mit flatternden Bändern überladen, die beim Gehen hinter ihm raschelten und auf seinen Füßen sich so häuften, daß sie dieselben ganz dem Blick entzogen. Kreuze, Sterne, Juwelen und Ehrenzeichen waren reichlich über seine Brust ausgestreut, und das breite blaue Band des Ordens vom heiligen Geiste war quer über seinen Rock geschlungen und lief in eine große Schleife aus, die einem Degen mit diamantnem Gefäß zur ungefügen Stütze diente. So sah die Gestalt aus, welche sich jetzt, einen reichbefiederten Filzhut in der Rechten – dem König näherte.
»Ei, ei, Monsieur,« sagte der Monarch lächelnd, »Sie scheinen mir heute weniger munter zu sein als gewöhnlich. Ihr Kleid allerdings leuchtet, aber Ihre Stirn ist umwölkt. Ich hoffe, daß Madame Elisabeth und der Herzog von Chartres sich wohl befinden.«
»Ja, Sire,« erwiderte der Angeredete, »sie sind wohl, aber sie sind betrübt, wie ich, und aus demselben Grunde.«
»So! und warum denn?« fragte der König.
»Habe ich mir je etwas zu Schulden kommen lassen, Sire, in meinen Pflichten als Ihr jüngerer Bruder?« fuhr Monsieur fort, ohne des Königs Frage zu beachten.
»Niemals, Philipp, niemals!« erwiderte der König, indem er seine Hand liebevoll auf des anderen Schultern legte. »Sie haben meinen Unterthanen ein ausgezeichnetes Beispiel gegeben.«
»Warum also werde ich mit solcher Geringschätzung behandelt?«
»Philipp!«
»Ja, Sire, ich nenne das eine geringschätzige Behandlung. Wir sind königlichen Blutes, und unsre Gemahlinnen sind es auch. Sie heirateten eine Prinzessin von Spanien, ich eine Prinzessin von der Pfalz. Es war eine Herablassung meinerseits, denn meine erste Gemahlin war ja eine Prinzessin von England, allein ich that es – war sie doch wenigstens eine Fürstentochter. Wie aber können wir in ein Haus, das solche Bündnisse geschlossen hat, eine Frau aufnehmen, welche die Witwe eines buckligen Dichterlings ist, eines bloßen Pasquillenschreibers, eines Mannes, dessen Name durch ganz Europa ein Schimpfwort geworden ist?«
Der König hatte seinen Bruder in maßlosem Erstaunen angestarrt, aber endlich gewann der Zorn in ihm die Oberhand.
»Auf mein Wort!« rief er; »auf mein Wort! Ich habe soeben gesagt, daß Sie ein ausgezeichneter Bruder gewesen, aber ich fürchte, ich habe es etwas voreilig gesagt. Und so vermessen Sie sich, gegen meine Heirat mit dieser Dame zu protestieren?«
»Ja Sire, das thue ich.«
»Und mit welchem Rechte?«
»Mit dem Rechte der Familienehre, Sire, welche die meinige ebenso sehr wie die Ihrige ist.«
»Mensch!« schrie der König außer sich vor Wut, »haben Sie noch nicht gelernt, daß innerhalb dieses Königreichs ich die Quelle der Ehre bin, und daß der, den ich ehren will, wer es auch sei, durch diese Thatsache selbst ehrenwert wird? Wenn ich eine Kohlenträgerin aus der Rue Poissonnière nähme, so könnte ich sie durch meinen Willen emporheben, bis die Höchsten in Frankreich stolz sein würden, sich vor ihr zu beugen. Wissen Sie das nicht, Monsieur?«
»Nein, ich weiß es nicht,« rief sein Bruder mit all der Halsstarrigkeit eines Schwächlings, dem die Gründe ausgegangen sind. »Ich sehe es als eine Beleidigung an für mich und eine Beleidigung für meine Gemahlin!«
»Ihre Gemahlin! Ich habe alle Achtung vor Elisabeth Charlotte von der Pfalz, aber sagen Sie mir doch, inwiefern ist sie einer Frau übergeordnet, deren Großvater der geliebte Freund und Waffenbruder des großen Heinrich war? Genug und übergenug! Ich will mich nicht herablassen, über eine solche Sache mit Ihnen zu streiten. Gehen Sie und kommen Sie nicht eher wieder, als bis Sie gelernt haben, sich nicht in meine Angelegenheiten zu mischen!«
»Wie Sie befehlen, Sire; meine Gemahlin aber soll von der Dame keine Notiz nehmen!« entgegnete Monsieur zornig. Als darauf sein Bruder mit drohender Gebärde auf ihn zu schritt, wandte er sich um, und trippelte so schnell davon, wie sein unbeholfener Gang und seine hohen Hacken es zuließen.
Aber der König sollte an diesem Tage nicht zur Ruhe kommen. Wenn Frau von Maintenons Freunde sich gestern wieder um sie gesammelt hatten, so waren heute ihre Feinde in voller Thätigkeit. Monsieur war kaum fort, als ein Jüngling in das Zimmer stürmte, dessen reicher Anzug die Spuren einer staubigen Reise trug. Sein Gesicht war blaß, sein Haar kastanienbraun, und seine Züge würden denen des Königs sprechend ähnlich gewesen sein, wenn nicht seine Nase in früher Jugend entstellt worden wäre. Des Königs Antlitz leuchtete auf, als er ihn erblickte, aber es verfinsterte sich wieder, als der Eintretende auf ihn zustürzte und sich ihm zu Füßen warf.
»O, Sire!« rief er; »ersparen Sie uns diesen Schmerz! – ersparen Sie uns diese Demütigung! Ich flehe Sie an, halten Sie inne, ehe Sie etwas thun, was Ihnen und uns zur Unehre gereichen wird!«
Der König fuhr von dem Knienden zurück und schritt zornig im Zimmer auf und ab.
»Das ist unerträglich!« rief er. »Es war schlimm von meinem Bruder, aber es ist schlimmer von meinem Sohn! Sie stecken mit ihm unter einer Decke, Ludwig! Monsieur hat Ihnen befohlen, diese Rolle zu spielen!«
Der Dauphin sprang auf seine Füße und sah seinen zornigen Vater festen Blickes an.
»Ich habe meinen Oheim nicht gesehen,« erwiderte er. »Ich war in Meudon, als diese Nachricht mich erreichte – diese fürchterliche Nachricht – und ich stieg sofort zu Pferde, Sire, und ritt im Galopp hierher, um Sie zu beschwören, noch einmal zu überlegen, ehe Sie unser königliches Haus so tief erniedrigen!«
»Sie sind unverschämt, Ludwig.«
»Ich wollte es nicht sein, Sire. Aber bedenken Ew. Majestät, daß meine Mutter eine Königin war, und daß es wahrhaftig seltsam wäre, wenn ich zur Stiefmutter eine –«
Der König hob gebieterisch seine Hand, so daß dem Dauphin das Wort auf der Lippe erstarb.
»Schweigen Sie,« rief er, »oder Sie möchten etwas gesagt haben, das uns auf immer trennte. Soll ich mich schlechter behandeln lassen, als mein geringster Unterthan, der in seinen Privatangelegenheiten seiner eignen Neigung folgen darf?«
»Dies ist nicht Ihre Privatangelegenheit, Sire! Alles was Sie thun, berührt auch Ihre Familie. Die großen Thaten Ihrer Regierung haben dem Bourbonennamen einen neuen Ruhmesglanz verliehen. O lassen Sie keinen Makel darauf kommen, Sire! Ich flehe Sie darum an auf meinen Knieen.«
»Sie reden wie ein Narr!« zürnte sein Vater mit rauher Stimme. »Ich beabsichtige, eine tugendhafte und anmutige Dame aus einer der ältesten Adelsfamilien Frankreichs zu heiraten, und Sie sprechen, als ob ich etwas Entwürdigendes und Unerhörtes thun wollte! Was haben Sie eigentlich gegen die Dame einzuwenden?«
»Daß sie die Tochter eines Mannes ist, dessen Laster allgemein bekannt waren,« erwiderte der Dauphin unerschrocken, »daß ihr Bruder im schlechtesten Rufe steht, daß sie das Leben einer Abenteurerin geführt hat und jetzt eine dienende Stellung im Palaste einnimmt.«
Der König hatte mehr als einmal während dieser freimütigen Rede mit dem Fuß gestampft, aber bei den letzten Worten flammte sein Zorn hell auf.
»Wagen Sie es,« schrie er mit funkelnden Augen, »die Sorge für meine Kinder eine ›dienende Stellung‹ zu nennen! Ich sage Ihnen, es gibt keine höhere in meinem Königreich! Kehren Sie sofort nach Meudon zurück und wagen Sie es niemals wieder, Ihren Mund über diese Angelegenheit aufzuthun. Fort, sage ich! Wenn Sie einst nach Gottes Willen König dieses Landes sein werden, mögen Sie Ihre eignen Wege einschlagen, bis dahin aber vermessen Sie sich nicht, die Pläne eines Mannes zu durchkreuzen, der Ihr Vater ist und zugleich Ihr Monarch!«
Der junge Mann verbeugte sich tief und schritt würdevoll aus dem Gemach, aber an der Thür wandte er sich noch einmal um und sagte:
»Der Abbé Fénélon hat mich begleitet, Sire. Geruhen Sie ihn zu empfangen?«
»Machen Sie, daß Sie fortkommen!« rief der König, der mit zorniger Gebärde und funkelnden Augen im Zimmer auf und ab schritt.
Der Dauphin schloß die Thür, die sich aber sofort wieder für einen neuen Besucher öffnete. Es war ein hochgewachsener, schmächtiger Priester, etwa vierzig Jahre alt, auffallend schön mit blassem, vergeistigtem Antlitz, scharf ausgeprägten Gesichtszügen und der leichten ehrerbietigen Haltung, wie sie Männern eigen ist, die lange bei Hofe gelebt haben. Der König wandte sich kurz nach ihm um und blickte ihn mißtrauisch an.
»Guten Morgen, Abbé Fénélon,« redete er ihn an, »darf ich fragen, was Ihr Erscheinen veranlaßt hat?«
»Sie haben geruht, Sire,« erwiderte dieser, »bei mehr als einer Gelegenheit meinen bescheidenen Rat zu erbitten und sich auch nachher befriedigt darüber auszusprechen, daß Sie ihn befolgt hätten.«
»Nun, nun – und?« grollte der Monarch.
»Wenn das Gerücht die Wahrheit spricht,« fuhr Fénélon fort, »so sind Sie, Sire, einer Krisis nahe, bei der ein Wort unparteiischen Rates für Sie von Wert sein dürfte. Brauche ich zu sagen, daß – «
»Wozu soviele Worte?« unterbrach ihn der König. »Man hat Sie hergesandt, um mich gegen Frau von Maintenon einzunehmen.«
»Sire, ich habe nur Gutes von dieser Dame erfahren,« versicherte Fénélon. »Ich achte und ehre sie mehr, als irgend eine andere Dame in Frankreich.«
»Vortrefflich, Abbé!« sagte der König. »Dann werden Sie sich gewiß freuen zu hören, daß ich im Begriff stehe, sie zu heiraten. Guten Morgen, Herr Abbé, Ich bedaure, daß ich nicht mehr Zeit für diese sehr interessante Unterredung übrig habe.«
»Aber, Sire –«
»Wenn ich über irgend etwas im Zweifel bin,« fuhr der König ruhig fort, »weiß ich Ihren Rat vollkommen zu würdigen, mein Herr Abbé. In dieser Sache bin ich glücklicherweise nicht im Zweifel. Ich habe die Ehre, Ihnen guten Morgen zu wünschen.«
Des Königs erster, heißer Zorn war beim Anblick des berühmten Abbé geschwunden und hatte einer Bitterkeit und ruhigen Kälte Platz gemacht, die seinen Widersachern weit furchtbarer war. Fénélon, so redegewandt und erfindungsreich er auch sein mochte, fühlte sich überwunden und zum Stillschweigen gebracht. So ging er denn rückwärts mit drei tiefen Verbeugungen, wie es die Hofsitte vorschrieb und verließ das Gemach.
Aber der König hatte wenig Zeit zum Aufatmen. Seine Angreifer wußten, daß sie durch Beharrlichkeit früher seinen Willen gebeugt hatten, und hofften, daß es ihnen auch diesmal gelingen würde. Der Nächste, welcher kam, war der Minister Louvois. Trotz seines majestätischen Anstandes und seiner vornehmen Haltung, die durch seine riesenhafte Perücke und sein aristokratisches Gesicht unterstützt wurde, verriet er doch eine gewisse Befangenheit, als sein Blick dem unheilkündenden Auge des Königs begegnete.
»Nun, Louvois, was gibt's?« fragte der König ungeduldig. »Ist wieder ein Staatsgeschäft auf dem Tapet?«
»Ja es ist ein neues Staatsgeschäft auf dem Tapet, Sire,« erwiderte der Minister gehalten, »und es ist von solcher Wichtigkeit, daß es alle andern unsrer Beachtung entzieht.«
»Welches denn, welches, Louvois?«
»Ihre Heirat, Sire!«
»Sie mißbilligen sie?«
»O Sire, wie könnte ich anders?«
»Verlassen Sie das Zimmer – auf der Stelle!« donnerte der König. »Soll ich mich durch Ihre Drängerei zu Tode quälen lassen? Was! Sie wagen es zu bleiben, wenn ich Ihnen befehle zu gehen?«
In seinem Zorn drang der König auf den Minister ein, als Louvois plötzlich den Degen aus der Scheide riß. Bestürzt und erschreckt wich Ludwig einen Schritt zurück, aber es war der Griff und nicht die Spitze, der sich ihm darbot.
»Durchbohren Sie mein Herz, Sire!« rief der Minister, fiel auf die Kniee, und seine ganze große Gestalt bebte vor Erregung. »Ich will den Zusammenbruch Ihres Reiches nicht erleben!«
»Großer Gott!« schrie Ludwig laut auf, indem er den Degen zu Boden warf und beide Hände zu den Schläfen erhob, »ich glaube, daß ich das Opfer einer Verschwörung bin, die mich um den Verstand bringen will! Ist je ein Mensch in diesem Leben so gequält worden? Es wird ja eine Privatehe sein, Mensch, die den Staat nicht im geringsten etwas angeht. Hören Sie? Haben Sie mich verstanden? Was wollen Sie sonst noch von mir?«
Louvois raffte sich auf und stieß seinen Degen in die Scheide zurück.
»Majestät sind ganz entschlossen?« fragte er.
»Ganz und gar.«
»Dann habe ich nichts mehr zu sagen,« erwiderte Louvois. »Ich habe meine Pflicht gethan.«
Beim Hinausgehen ließ er den Kopf sinken, wie in tiefer Niedergeschlagenheit, aber in Wirklichkeit fühlte er sich erleichtert, denn der König hatte ihm die Zusicherung gegeben, daß die Frau, die er haßte, obgleich seine Gemahlin, doch nicht auf dem Thron der Königinnen von Frankreich sitzen würde.
Diese wiederholten Angriffe, die freilich seinen Entschluß nicht zu erschüttern vermochten, hatten den König doch aufs äußerste erbittert und erzürnt. Solch eine systematische Opposition war etwas ganz Neues für einen Mann, dessen Wille bisher das einzige Gesetz des Landes gewesen war. Er war dadurch aus der Fassung gebracht und erregt, und ob er schon seinen Entschluß nicht bereute, fühlte er sich thörichter Weise geneigt, seinen Ärger über die erduldeten Quälereien an denen auszulassen, nach deren Rat er gehandelt hatte. Er machte deshalb kein sehr liebenswürdiges Gesicht, als der Kammerdiener seinen Beichtiger, den Pater La Chaise, einließ.
»Ich wünsche Ihnen von Herzen Glück, Sire,« begann der Jesuit, »zu dem großen Schritte, den Sie gethan haben. Er muß Ihnen volle Befriedigung gewähren, in dieser, wie in jener Welt.«
»Ich habe bisher weder Glück noch Befriedigung genossen, mein Vater,« antwortete der König verdrießlich. »Niemals in meinem ganzen Leben bin ich so gequält worden. Der ganze Hof hat vor mir auf den Knieen gelegen und mich beschworen, meinen Entschluß zu ändern,«
Der Jesuit blickte ihn mit seinen scharfen grauen Augen besorgt an.
»Glücklicherweise ist Ew. Majestät ein Mann von starkem Willen,« erwiderte er, »und nicht so leicht schwankend gemacht, wie man zu denken scheint.«
»Nein, nein, ich bin keinen Zoll breit gewichen,« versicherte der König. »Aber doch muß ich gestehen, daß es sehr unangenehm ist, so viele gegen sich zu haben. Die meisten Menschen würden, glaube ich, erschüttert worden sein.«
»Jetzt heißt es fest sein, Sire,« warnte der Jesuit. »Satan ist voller Wut darüber, daß Sie seinen Händen entschlüpfen, deshalb bietet er alle seine Freunde auf und schickt alle seine Boten, um Ew. Majestät wankend zu machen.«
Aber der König war nicht in der Stimmung, sich so leicht trösten zu lassen.
»Auf mein Wort, Vater,« sagte er, »Sie sprechen nicht sehr ehrerbietig von meiner Familie. Mein Bruder und mein Sohn, dazu der Abbé Fénélon und der Kriegsminister, das waren die Boten, auf die Sie anspielten.«
»So,« meinte der Pater. »Um so mehr ehrt es Ew. Majestät, daß Sie ihnen allen widerstanden haben. Sie haben edel gehandelt, Sire. Sie haben sich das Lob und den Segen der heiligen Kirche verdient.«
»Ich hoffe, daß, was ich gethan habe, recht ist, Vater,« entgegnete der König mit Nachdruck. »Ich werde mich freuen, Sie heute abend wiederzusehen, aber gegenwärtig bedarf ich einiger Muße zum einsamen Nachdenken.«
Pater La Chaise verließ den König mit einem starken Mißtrauen in die Festigkeit seines Entschlusses. Es lag auf der Hand, daß die mächtigen Vorstellungen, die ihm gemacht worden waren, seinen Entschluß erschüttert hatten, wenn es ihnen auch nicht gelungen war, denselben zu ändern. Was würde das Endergebnis sein, wenn weiter auf ihn eingestürmt wurde? Und das würde geschehen, – das war so sicher, wie die Dunkelheit, die dem Lichte folgt. Jetzt mußte ein Trumpf ausgespielt werden, der die Sache sofort zum Austrag brachte, denn jeder Tag des Aufschubs war ein Gewinn für die Gegenpartei. Zögern hieß verlieren. Alles mußte auf einen letzten Wurf gesetzt werden.
Im Vorzimmer wartete der Bischof von Meaux. Sein Kampfgenosse weihte ihn sofort in seine Befürchtungen ein, aber auch zugleich in seinen Plan, wie man die Feinde zu Schanden machen könne. Miteinander gingen sie dann zu Frau von Maintenon. Sie hatte die düstere Witwenkleidung, die sie bisher getragen, abgelegt, und jetzt, ihren höheren Aussichten entsprechend, ein reiches und doch einfaches Kostüm aus weißem Atlas mit Silberschleifen angelegt. Ein einziger Diamant funkelte in den reichen Flechten ihres dunklen Haares. Der unerwartete Schicksalswechsel hatte ein Gesicht und eine Gestalt, die immer viel jugendlicher aussahen, als sie war, um Jahre verjüngt. Als die beiden Verschwörer auf ihren vollendet schönen Teint, ihre regelmäßigen, ruhigen und doch durchgeistigten Gesichtszüge und die auserlesene Anmut ihrer Gestalt und Haltung blickten, mußten sie sich gestehen, daß, wenn ihre Pläne mißlangen, dies nicht an dem vollendeten Werkzeug liegen würde, das zu ihrer Verfügung stand.
Bei ihrem Eintritt war sie aufgestanden. Ihr Ausdruck zeigte, daß sie die Besorgnis, welche sie erfüllte, auf ihren Gesichtern las.
»Sie bringen schlechte Nachrichten,« rief sie.
»Nein, nein, meine Tochter,« sagte der Bischof. »Aber wir müssen auf unsrer Hut sein gegen unsre Feinde, welche den König womöglich Ihnen abwendig machen möchten.«
Ihr Gesicht leuchtete bei Erwähnung ihres Geliebten.
»Ah, Sie wissen nicht!« rief sie. »Er hat ja ein Gelübde abgelegt. Ich vertraue ihm, wie mir selbst. Ich weiß, daß er sein Wort halten wird.«
Aber des Jesuiten Einsicht lehnte sich gegen das intuitive Gefühl des Weibes auf.
»Unsre Widersacher sind zahlreich und stark,« sagte Pater La Chaise kopfschüttelnd. »Sogar wenn der König fest bleibt, wird er bei jeder Gelegenheit belästigt werden, so daß ihm sein wird, als sei sein Leben dunkler geworden anstatt heller, mit Ausnahme natürlich des hellen Glanzes, den Sie, meine Tochter, unfehlbar darüber ergießen werden. Deshalb muß die Sache zum Abschluß gebracht werden.«
»Und wie das, mein Vater?«
»Die Vermählung muß sofort stattfinden.«
»Sofort?«
»Ja wohl. Womöglich noch heute abend!«
»O Vater, Sie erstreben zu viel, der König wird niemals in einen solchen Vorschlag einwilligen!«
»Er selbst wird es vorschlagen.«
»Wie ist das möglich?«
»Wir werden ihn dazu zwingen. Nur dadurch kann alle Opposition abgeschnitten werden. Ist die Heirat eine vollendete Thatsache, so wird der Hof sie annehmen, bis dahin wird er sich widersetzen.«
»Was wollen Sie denn, Vater, daß ich thun soll?«
»Dem Könige entsagen.«
»Ihm entsagen?«
Sie wurde lilienweiß und blickte Vater La Chaise in größter Verwirrung an.
»Das ist das beste, was Sie thun können.«
»Ach Vater, ich hätte es vor einem Monat, einer Woche, sogar noch gestern früh thun können. Aber jetzt – o, es würde mir das Herz brechen.«
»Fürchten Sie nichts, gnädige Frau,« beruhigte sie Bossuet. »Wir raten Ihnen zum besten. Gehen Sie sogleich zum Könige. Sagen Sie ihm, Sie hätten gehört, daß er Ihretwegen von allen Seiten belästigt würde, daß Sie den Gedanken nicht ertragen könnten, eine Ursache des Zwistes in seiner eignen Familie zu sein und daß Sie ihn deshalb seines Gelübdes entbinden und sich auf immer vom Hofe zurückziehen wollten.«
»Jetzt soll ich gehen? Sogleich?«
»Ja wohl, ohne einen Augenblick zu verlieren.«
Frau von Maintenon warf einen leichten Mantel um ihre Schultern.
»Ich folge Ihrem Rat,« sagte sie. »Ich glaube, daß Sie klüger sind, als ich. Aber o, wenn er mich beim Wort nehmen sollte!«
»Er wird es nicht thun!«
»Es ist ein fürchterliches Wagestück.«
»Ein hohes Ziel wie dieses kann nicht erreicht werden, ohne etwas zu wagen. Gehen Sie, meine Tochter, und möge des Himmels Segen Sie begleiten!«