Arthur Conan Doyle
Die Réfugiés
Arthur Conan Doyle

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IV. Der Vater seines Volkes.

Ludwig war inzwischen in keiner sehr liebevollen Gemütsverfassung zu seinen Andachtsübungen gegangen. Seine Stirn war bewölkt, seine Lippen fest geschlossen. Er kannte seine bisherige Geliebte sehr genau. Sie war keck und rücksichtslos genug, einen widerwärtigen Skandal zuwege zu bringen. Ihre böse Zunge, die ihn so oft auf Kosten anderer amüsiert hatte, richtete sich jetzt womöglich gegen ihn selbst. Sie war im stande, ihn öffentlich bloßzustellen, ihn zur Zielscheibe des Spottes und Klatsches von ganz Europa zu machen. Er schauderte bei dem Gedanken. Solch eine Katastrophe mußte um jeden Preis vermieden werden. Wie konnte er denn aber das Band lösen, das sie vereinigte? Er hatte schon derartige Fesseln zerrissen, aber die sanfte La Vallière hatte sich in ein Kloster zurückgezogen bei dem ersten Blick, der ihr die abnehmende Liebe verriet. Das war echte Hingabe. Diese Frau jedoch würde zweifellos bis aufs Blut kämpfen, ehe sie die Stellung aufgab, die ihr so teuer war. Sie sprach von dem Unrecht, das ihr geschehen! Was war denn das für ein Unrecht? In seiner krassen, durch die ihm zur Lebensluft gewordene Schmeichelei genährten Selbstsucht vermochte er nicht zu begreifen, daß die fünfzehn Jahre ihres Lebens, die sie ihm geschenkt, oder der Verlust ihres Gatten, den er verdrängt, ihr irgend welches Recht auf ihn gäbe. Nach seiner Ansicht hatte er sie zu der höchsten Stellung erhoben, die eine Unterthanin einnehmen konnte. Jetzt, da er ihrer überdrüssig geworden, war es ihre Pflicht, sich mit Ergebung – ja mit Dankbarkeit für vergangene Gunstbezeugungen – zurückzuziehen. Sie sollte eine Pension bekommen, und für ihre Kinder sollte gesorgt werden. Was konnte eine vernünftige Frau mehr verlangen?

Außerdem waren seine Gründe, sie abzudanken, doch so stichhaltig! Er überlegte sie sich wieder und wieder, während er auf den Knieen lag und der Messe zuhörte, welche der Erzbischof von Paris celebrierte. Und je länger er über seine Gründe nachdachte, desto triftiger erschienen sie ihm. Er stellte sich seinen Herrgott als einen etwas größeren Ludwig vor und den Himmel als ein etwas prächtigeres Versailles. Da er von seinen zwanzig Millionen unbedingten Gehorsam verlangte, schuldete er ihn seinerseits jenem Höheren, der darauf Anspruch machen konnte. Im ganzen sprach ihn sein Gewissen frei. Nur in dieser einen Sache war er lax gewesen. Seit vor Jahren seine junge und nachsichtige Gemahlin aus Spanien gekommen war, hatte er sie nie ohne eine Nebenbuhlerin gelassen. Nach ihrem Tode war es nicht anders geworden. Eine Maitresse hatte die andre abgelöst. Daß die Montespan ihre Stellung so lange behauptet, verdankte sie mehr ihrer Keckheit als seiner Liebe. Aber jetzt erinnerten ihn Pater La Chaise und Bossuet unaufhörlich daran, daß er den Höhepunkt seines Lebens überschritten habe, ja daß er schon auf dem absteigenden Pfade sei, der zum Grabe führt. Seine ungestüme Leidenschaft für die unglückliche Fontanges war das letzte Aufflackern seiner sinnlichen Glut gewesen. Die Zeit des Ernstes und der Ruhe war gekommen, aber beides war undenkbar in Frau von Montespans Gesellschaft.

Doch er kannte schon den Ort, wo beides zu finden war. Von dem Tage an, da die Montespan ihm die stattliche, schweigsame Witwe als Erzieherin seiner Kinder vorgestellt, hatte er ein stetig zunehmendes Gefallen an ihrer Gesellschaft gefunden. Anfangs hatte er sich stundenlang in den Gemächern seiner Maitresse aufgehalten und hatte den Takt und die freundliche Gelassenheit beobachtet, womit die Gouvernante den trotzigen Übermut des ausgelassenen jungen Herzogs von Maine und des mutwilligen kleinen Grafen von Toulouse in Schranken hielt. Angeblich war er gekommen, um den Unterricht zu beaufsichtigen, thatsächlich weil die Lehrerin ihn anzog und zur Bewunderung fortriß. Mit der Zeit war er denn auch dem Einfluß dieser starken und doch so milden Natur unterlegen. Ehe er sich versah, begegnete es ihm, daß er sie über allerhand heikle Punkte befragte und ihren Rat mit einer Gefügigkeit befolgte, die er nie zuvor einem Minister oder einer Geliebten gegenüber gezeigt hatte. Anfangs hatte er ihre Frömmigkeit und ihr Sprechen über Grundsätze für eine bloße Maske gehalten, denn alles um ihn her heuchelte ja. Es kam ihm doch äußerst unwahrscheinlich vor, daß eine noch immer schöne Frau mit so leuchtenden Augen und einer anmutvollen Gestalt, wie sie an seinem ganzen Hofe nicht schöner zu finden war, sich die Keuschheit einer Nonne hatte bewahren können. Noch dazu, nachdem sie ihr Leben in den denkbar lustigsten Kreisen zugebracht hatte. Über diesen Punkt kam er aber bald ins Reine. Sobald seine Sprache wärmer wurde, als es sich mit ruhiger Freundschaft verträgt, war er auf ein so eisiges Wesen und eine so ablehnende Sprache gestoßen, daß es ihm klar wurde, es gäbe wenigstens noch eine Frau in seinen Landen, die sich selbst höher achtete, als ihn. Vielleicht war es auch besser so. Nach den Stürmen der Leidenschaft wirkten der Freundschaft ruhige Freuden sehr wohlthuend auf ihn. Seine glücklichsten Stunden brachte er nun jeden Nachmittag in ihrem Zimmer zu; da lauschte er ihrer Rede, die von Schmeichelei unbefleckt war, da hörte er ihre Ansichten, die nicht darauf berechnet waren, seinem Ohr zu gefallen. Und wie gut war doch ihr Einfluß auf ihn! Sie sprach von seinen königlichen Pflichten, von dem Beispiel, das er seinen Unterthanen schuldig sei, von seiner Vorbereitung auf das zukünftige Leben, von der Notwendigkeit, sich aufzuraffen und die schuldvollen Bande zu zerreißen, welche er geknüpft hatte. Sie war so gut wie ein Beichtvater – ein Beichtvater mit reizendem Gesicht und vollendet schönem Arm.

Und nun wußte er, daß der Augenblick gekommen war, wo er zwischen ihr und der Montespan wählen mußte. Jede übte auf ihn einen völlig verschiedenen Einfluß. Das konnte nicht so fortdauern. Er stand zwischen Tugend und Laster und mußte eine Wahl treffen. Das Laster war sehr verlockend, sehr anmutig, sehr witzig und hielt ihn zudem an der Kette der Gewohnheit, die sich so schwer abschütteln läßt. Es gab Stunden, in denen seine Natur sehr stark nach dieser Seite hinneigte, in denen er sich versucht fühlte, in sein altes Leben zurückzufallen. Aber Bossuet und Pater La Chaise hielten sich beständig an seiner Seite und flüsterten ihm Ermahnungen zu. Vor allem war es Frau von Maintenon, die ihn täglich daran erinnerte, was er seiner Stellung und seinen sechsundvierzig Jahren schuldig sei. Jetzt endlich hatte er alle Kraft zu einem großen Entschluß zusammengerafft. So lange seine frühere Maitresse bei Hofe war, gab es für ihn keine Sicherheit. Er kannte sich zu gut, als daß er sich eine dauernde Bekehrung zuzutrauen wagte, während sie ihm nahe war und nur auf seine schwache Stunde lauerte. Sie mußte bewogen werden, Versailles zu verlassen, wenn es ohne einen Skandal geschehen konnte. Er wollte fest bleiben, wenn er heute nachmittag mit ihr zusammentraf, und ihr ein für allemal klar machen, daß ihre Herrschaft auf immer vorüber sei.

Solche Gedanken gingen dem Könige durch den Kopf, während er sich über das prächtige Kissen seines eichenen geschnitzten Betstuhls beugte. Er kniete in seinem Gestühl rechts vom Altar, umgeben von seiner Leibwache und den Personen seines unmittelbaren Haushaltes. Der übrige Hof – Kavaliere und Damen – füllten das Schiff der Kapelle. Die Frömmigkeit war mit den dunklen Überröcken und Spitzenkravatten in die Mode gekommen, auch das gottloseste Weltkind bei Hofe umgab sich mit einem Schein von Gottseligkeit, seitdem der König sich mit Religion abgab. Freilich, sie sahen stark gelangweilt aus, diese vornehmen Herren vom Hofe und von der Armee! Die meisten gähnten und nickten über ihren Gebetbüchern; einige, die wirklich in ihre Andacht vertieft schienen, schöpften dieselbe aus einem vorsichtig mit dunklem Umschlag versehenen Roman der Scudéry oder Calprenèdes.

Die Damen waren andächtiger; auch sorgten sie dafür, daß man es sähe. Jede hielt eine Wachskerze in der Hand, anscheinend, um ihr Meßbuch zu beleuchten, in Wirklichkeit aber, damit der König ihr Gesicht sehen und erkennen möchte, daß er hier eine verwandte Seele fände. Es mochten wohl hie und da einige darunter sein, deren Gebet von Herzen kam und die aus freien Stücken an der heiligen Stätte weilten; aber es war gewiß nur eine kleine Zahl, denn die Politik Ludwigs hatte seine Edelleute in Höflinge, die Weltleute in Heuchler umgewandelt, bis der ganze Hof einem riesigen Spiegel glich, der sein Ebenbild hundertfach zurückwarf.

Es war Ludwigs Gewohnheit, auf dem Rückwege von der Kapelle Bittschriften entgegenzunehmen, oder etwaige Beschwerden seiner Unterthanen anzuhören. Der Weg zu seinen Gemächern führte quer über einen freien Platz, wo sich die Supplikanten aufzustellen pflegten. Heute hatten sich nur drei dort eingefunden: ein Pariser Handwerker, der sich von dem Vorsteher seiner Gilde für beleidigt erachtete; ein Bauer, dessen Kuh von dem Rüden eines Jägers zerfleischt worden, und ein Pächter, der von seinem Lehnsherrn grausam behandelt worden war. Ein paar Fragen, dann ein hastiger Befehl an den Sekretär erledigten jeden einzelnen Fall, denn wenn auch Ludwig selbst ein Tyrann war, so hatte er wenigstens das Verdienst, darauf zu halten, daß er in seinem Königreiche der einzige blieb. Eben wollte er seinen Weg fortsetzen, als ein ältlicher, feingekleideter Bürger, dessen tiefgefurchtes Gesicht und stark ausgeprägte Züge den charaktervollen Mann verrieten, hervorstürzte und das Knie vor dem Monarchen beugte.

»Gerechtigkeit, Sire, Gerechtigkeit!« rief er.

»Was bedeutet das?« fragte Ludwig. »Wer seid Ihr, und was wollt Ihr?«

»Ich bin ein Bürger aus Paris. Mir ist schweres Unrecht geschehen!«

»Ihr scheint mir ein würdiger Mann zu sein. Wenn Euch in der That unrecht geschehen ist, so soll Euch Abhilfe zu teil werden. Worüber habt Ihr zu klagen?«

»Zwanzig blaue Dragoner vom Regiment Languedoc sind unter Hauptmann Dalbert in meinem Hause einquartiert. Sie haben meine Vorräte verzehrt, mein Eigentum gestohlen, und meine Dienstboten geschlagen; trotzdem verweigert mir der Magistrat jede Abhilfe.«

»Bei meinem Leben, unsre Stadt Paris scheint eine absonderliche Art von Gerechtigkeit walten zu lassen!« rief der König erzürnt.

»In der That, ein schändliches Verfahren,« sagte Bossuet.

»Und doch mag ein guter Grund dafür vorhanden sein,« meinte Pater La Chaise. »Ich möchte Sr. Majestät vorschlagen, diesen Mann nach seinem Namen und Geschäft zu fragen und nach dem Grunde, aus welchem die Dragoner bei ihm einquartiert wurden.«

»Ihr hört die Frage des ehrwürdigen Vaters.«

»Mein Name, Sire, ist Catinat, ich bin ein Tuchhändler, und man behandelt mich so, weil ich der reformierten Kirche angehöre.«

»Das dachte ich mir,« rief der Beichtvater.

»Das ändert die Sache,« sagte Bossuet.

Der König schüttelte den Kopf, und seine Stirn umwölkte sich. »Dann freilich habt Ihr das alles Euch selbst zuzuschreiben. Die Abhilfe liegt in Eurer Hand.«

»Wie das, Sire?«

»Ihr braucht nur den allein selig machenden Glauben anzunehmen.«

»Den besitze ich schon, Sire.«

Der König stampfte ärgerlich mit dem Fuße. »Ich finde, daß Ihr ein sehr frecher Ketzer seid,« sagte er. »Es gibt nur eine Kirche in Frankreich, und das ist meine Kirche. Wenn Ihr nicht dazu gehört, könnt Ihr keine Hilfe von mir erwarten.«

»Mein Bekenntnis, Sire, ist das meines Vaters und meines Großvaters.«

»Wenn sie sündigten, so ist das kein Grund, daß Ihr es auch thut. Mein eigner Großvater irrte auch, bevor seine Augen geöffnet wurden.«

»Aber er hat seinen Irrtum in edler Weise gesühnt,« flüsterte der Jesuit.

»Sie wollen mir also nicht helfen, Sire?«

»Helft Euch selbst.«

Der alte Hugenott erhob sich mit verzweifelter Gebärde, während der König seinen Weg fortsetzte; rechts und links von ihm gingen die beiden Geistlichen und flüsterten ihm ihre Billigung in die Ohren.

»Das war eine große That, Sire.«

»Sie sind wahrlich der erste Sohn der Kirche.«

»Sie sind der würdige Nachfolger des heiligen Ludwig.«

Aber der König machte ein Gesicht, als sei er nicht ganz mit seinem Verfahren zufrieden.

»Sie glauben also nicht, daß diese Leute zu hart behandelt werden?« fragte er.

»Zu hart? Nicht doch, Ew. Majestät sind nur noch zu milde!«

»Wie ich höre, verlassen sie mein Land in großen Scharen.«

»Um so besser, Sire! Kann auch Segen ruhen auf einem Lande, das so halsstarrige Ungläubige in sich birgt?«

»Wer Gott nicht treu ist, der kann auch seinem Könige nicht treu bleiben,« bemerkte Bossuet. »Ew. Majestät Herrschaft würde noch zunehmen, wenn kein Tempel, wie sie ihre Ketzerhöhlen nennen, in Ihren Landen stünde.«

»Mein Großvater hat ihnen Duldung versprochen. Das Edikt, das er zu Nantes erließ, schützt sie, wie ihr wohl wißt.«

»Aber es liegt in Ew. Majestät Hand, den Schaden wieder gut zu machen, der damals angerichtet wurde.«

»Auf welche Weise?«

»Durch die Aufhebung des Edikts.«

»Und wenn ich dadurch zwei Millionen meiner besten Handwerker und wackersten Diener meinen Feinden in die Arme treibe? Nein, nein, Vater La Chaise, ich habe, denke ich, allen nur möglichen Eifer für unsre Mutter, die Kirche; aber es liegt etwas Wahres in dem, was heute morgen Graf Frontenac sagte, nämlich, daß es vom Übel ist, die Angelegenheiten des Diesseits mit denen des Jenseits zu vermischen. Was meinen Sie, Louvois?«

»Bei allem Respekt vor der Kirche, Sire, möchte ich sagen, der Teufel hat diesen Kerls so geschickte Hände und so gescheite Köpfe gegeben, daß sie die besten Arbeiter und Kaufleute in Ew. Majestät Königreich sind. Ich wüßte nicht, wie der Staatssäckel gefüllt werden sollte, wenn wir solche Steuerzahler verlören. Schon haben viele das Land verlassen und ihre Gewerbe mitgenommen. Gingen alle fort, so wäre das schlimmer für uns als ein verlorener Feldzug.«

»Aber,« wandte Bossuet ein, »wird des Königs ausgesprochener Wille dem Lande bekannt, so kann sich Ew. Majestät versichert halten, daß auch der schlechteste seiner Unterthanen aus Liebe zu ihm schleunigst in den Schoß der heiligen Kirche zurückkehren wird. So lange das Edikt besteht, müssen sie ja den König für lau halten und meinen, daß sie in ihrem Irrtum verharren dürfen.«

Der König schüttelte den Kopf. »Es waren immer halsstarrige Leute,« sagte er.

»Vielleicht,« bemerkte Louvois mit einem boshaften Seitenblick auf Bossuet, »könnten wir ohne die hugenottischen Steuern auskommen, wenn die französischen Bischöfe der Staatskasse die Schätze ihrer Bistümer zur Verfügung stellten.«

»Alles, was die Kirche besitzt, steht dem Könige zur Verfügung,« versetzte Bossuet kurz.

»Das Königreich ist mein, und alles, was darinnen ist,« sagte Ludwig, als sie in den großen Saal traten, in welchem sich der Hof nach der Messe versammelte, »dennoch wird es, hoffe ich, nie dazu kommen, daß ich das Vermögen der Kirche beanspruchen muß.«

»Das hoffen wir auch, Sire!« wiederholten die Priester.

»Solche Erörterungen können wir übrigens für unsern Staatsrat aufsparen. Wo ist Mansard? Ich möchte seine Entwürfe für den neuen Flügel am Schloß Marly ansehen.«

Mit diesen Worten schritt er zu einem Seitentische und war bald ganz in seine Lieblingsbeschäftigung vertieft, indem er die riesigen Pläne des großen Architekten in Augenschein nahm und sich angelegentlich nach dem Fortschritt der Arbeiten erkundigte.

»Ich glaube,« sagte Pater La Chaise, der Bossuet bei Seite gezogen hatte, »Ew. Gnaden haben einen Eindruck auf den König gemacht.«

»Durch Ihre kräftige Unterstützung, mein Vater.«

»O, Sie können überzeugt sein, daß ich keine Gelegenheit verlieren werde, das gute Werk zu fördern.«

»Wenn Sie es in die Hand nehmen, ist es bereits gethan.«

»Es gibt noch jemand andres, der noch mehr Einfluß hat, als ich.«

»Die Montespan?«

»Nein, nein; ihre Sonne ist untergegangen. Ich meine Frau von Maintenon.«

»Sie soll sehr fromm sein.«

»Sehr. Aber sie liebt meinen Orden nicht. Sie ist eine Sulpitianerin.Nach dem Seminar von St. Sulpice so genannt. Dort herrschte die mildere Auffassung der katholischen Lehre, wie sie Fénélon vertrat. Trotzdem können wir zusammen auf dasselbe Ziel hinarbeiten. Wie wäre es, wenn Ew. Gnaden mit ihr darüber sprächen?«

»Von Herzen gern.«

»Zeigen Sie ihr, welch ein verdienstliches Werk es wäre, wenn sie die Vertreibung der Hugenotten zu Wege brächte.«

»Ich will es thun.«

»Und bieten Sie ihr als Entgelt, daß wir . . .« er beugte sich vor, um dem Prälaten etwas ins Ohr zu flüstern.

»Was? Das thut er nicht!«

»Warum nicht? Die Königin ist tot.«

»Die Witwe des Dichters Scarron!?«

»Sie ist von guter Herkunft. Ihr Großvater und der seine waren eng befreundet.«

»Es ist unmöglich!«

»Aber ich kenne sein Herz, und ich wiederhole, es ist möglich!«

»Wenn irgend jemand, so kennen Sie gewiß sein Herz, mein Vater. Solch ein Gedanke ist mir aber noch nie in den Sinn gekommen.«

»Dann fassen Sie ihn jetzt und halten Sie ihn fest! Wenn sie der Kirche dienen will, wird die Kirche ihr wieder dienen. Doch der König winkt, ich muß gehen.«

Die hagere schwarze Gestalt drängte sich durch die Höflinge, und der große Bischof von Meaux ließ das Kinn auf die Brust sinken und stand lange da, tief in Gedanken verloren.

Mittlerweile hatte der ganze Hof sich im großen Saale versammelt. Der ungeheure Raum war angefüllt mit der Elite der Gesellschaft. Sammet und Seide glänzten, Juwelen funkelten, Federn und Fächer wehten. Das Grau, Schwarz und Braun der Herrenröcke dämpfte ein wenig die leuchtenden Farben der Damentoiletten, und nur die blauen Uniformen der Leibgarde und die perlgrauen der Mousquetaires erinnerten an die erste Zeit von Ludwigs Regierung, wo die Männer mit den Frauen in Kostbarkeit und Glanz der Anzüge gewetteifert hatten. Und war die Kleidung verändert, so waren es die Sitten noch mehr. Die alte Leichtfertigkeit und Zügellosigkeit lag zweifelsohne sehr dicht unter der Oberfläche, aber ernsthafte Gesichter und ernste Reden waren jetzt an der Tagesordnung. Man sprach nicht mehr über einen glücklichen »Coup« am Spieltisch, nicht mehr über die neueste Komödie Molières, oder über die jüngste Oper Lullys, sondern über die Schädlichkeit des Jansenismus, über die Ausstoßung Arnaulds aus der Sorbonne, über die Frechheit Pascals oder die verschiedenen Vorzüge der berühmten Kanzelredner Bourdaloue und Massillon. Unter dem farbenstrahlenden Plafond auf bunteingelegtem Fußboden bewegte sich dies schillernde Leben. Berühmte Gemälde unsterblicher Meister in goldnen Barockrahmen schauten herab auf die Blüte des französischen Adels. Und all diese vornehmen Herren und Damen paßten ihr Leben und Gebahren der einen kleinen dunklen Gestalt in ihrer Mitte an. Dieser große König war aber so wenig sein eigner Herr, daß er zwischen zwei Rivalinnen schwankte, die ein Spiel um die Zukunft Frankreichs und sein eignes Schicksal spielten.


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