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Der junge Amerikaner war bald zum Aufbruch bereit, aber Amory zögerte bis zum allerletzten Augenblick. Als er sich endlich loszureißen vermochte, rückte er seine Halsbinde zurecht, bürstete seinen prächtigen Rock ab und prüfte sehr kritisch den dunklen Anzug seines Begleiters.
»Wo haben Sie Ihre Sachen machen lassen?«
»In New York.«
»Hm! Gegen das Tuch ist nichts einzuwenden, und die dunkle Farbe ist jetzt modern, aber der Schnitt ist fremdartig.«
»Ich wollte nur, ich steckte wieder in meinem befranzten Jagdkittel nebst Gamaschen!«
»Und nun gar dieser Hut! Man trägt solche flache Krempen hier nicht. Vielleicht läßt sich das aber ändern.«
Er nahm den Kastorhut des Amerikaners, schlug die Krempe an einer Seite auf und befestigte sie mit einer goldnen Busennadel, die er aus seiner eignen Hemdkrause zog. »Da ist er!« sagte er lachend, »kriegerisch zugestutzt, so daß des Königs Leibwache mit ihm Ehre einlegen würde! Das feine, schwarze Tuch und die seidenen Strümpfe sind nicht übel, aber warum tragen Sie keinen Degen an der Seite?«
»Ich führe eine Flinte bei mir, wenn ich ausreite.«
»Mein Gott, Sie werden für einen Banditen gehalten und in Eisen gelegt werden!«
»Ich habe auch mein Jagdmesser.«
»Immer schlimmer! Nun, wir müssen eben ohne Degen auskommen – aber auch ohne Flinte, wenn ich bitten darf. Lassen Sie mich Ihr Halstuch noch einmal knüpfen. So! Wenn Sie jetzt zu einem tüchtigen Ritte aufgelegt sind, so stehe ich zu Diensten.«
Die beiden bildeten allerdings einen seltsamen Gegensatz, als sie so nebeneinander durch die engbevölkerten Straßen von Paris ihre Pferde Schritt gehen ließen. Catinat war fünf Jahre älter als Amos Green. Mit seinen feingeschnittenen Zügen, seinem spitzgedrehten Schnurrbart, seiner zierlichen, wohlgebauten Gestalt und seinem glänzenden Anzug war er ein Typus der großen Nation, der er angehörte.
Sein starkgliedriger, breitschultriger Gefährte dagegen, der das kühne und doch nachdenkliche Antlitz nach rechts und links wandte und das ihn umgebende seltsam neue Leben aufmerksam beobachtete, war auch der Typus einer Nation, der, wenn auch noch unfertig, doch zu der Hoffnung berechtigte, einst der höhere von beiden zu werden. Das dichte, blonde Haar, die blauen Augen, der schwerfällige Gliederbau wiesen darauf hin, daß mehr vom Blute seines Vaters, als von dem seiner Mutter durch seine Adern rann, und selbst der dunkle Rock und der schwertlose Gurt, ob auch weniger anziehend für das Auge, waren echte Wahrzeichen eines Geschlechts, das in heißem Kampfe mit den Naturkräften in Wüsteneien und auf Meeren seine herrlichsten Siege erfochten und sie sich dienstbar gemacht hat.
»Was ist das dort für ein großes Gebäude?« fragte er, als sie auf einen freien Platz hinaustraten.
»Der Louvre, einer der Paläste des Königs.«
»Ist er dort?«
»Nein, er wohnt in Versailles.«
»Wie sonderbar! Wozu braucht ein Mann zwei solche Häuser?«
»Zwei! Er hat sehr viel mehr – St. Germain, Marly, Fontainebleau, Clugny.«
»Aber wozu das? Ein Mann kann doch nicht in zwei Häusern zugleich wohnen.«
»Das nicht! Er kann aber hin und her reisen, wie es ihm gerade paßt.«
»Dies ist ein mächtiger Bau. Ich hielt bisher das Seminar von St. Sulpice in Montreal für das größte Haus, aber gegen dieses Schloß verschwindet es.«
»So sind Sie auch in Montreal gewesen? Erinnern Sie sich an das Fort?«
»Ja, und an das Hospital, und die Holzhäuser alle in einer Reihe, und an die große ummauerte Mühle. Aber was wissen Sie denn von Montreal?«
»Ich stand dort und auch in Quebec in Garnison. Ja ja, mein Freund, Sie sind nicht der einzige Hinterwäldler hier in Paris. Auf mein Wort, ich habe sechs Monate hintereinander die Renntiermokassins, die Lederjacke und die Pelzmütze mit der Adlerfeder getragen, und hätte nichts dagegen, sie recht bald wieder anzulegen.«
Amos Greens Augen strahlten vor Vergnügen bei der Entdeckung aller dieser gemeinsamen Beziehungen, und er wurde nicht müde, immer neue Fragen an seinen Freund zu richten, bis sie den Fluß überschritten und das südwestliche Thor der Stadt erreicht hatten. Am Stadtgraben und längs der Mauern wurden lange Reihen von Soldaten einexerziert.
»Wer sind die da?« fragte Amos mit einem neugierigen Blick auf das ihm ungewohnte Schauspiel.
»Es sind einige von des Königs Truppen,«
»Aber warum so viele? Erwarten Sie einen Feind?«
»Nein, wir haben Frieden mit der ganzen Welt – leider!«
»Frieden? Wozu sind dann all diese Männer?«
»Um bereit zu sein, wenn der Krieg ausbricht.«
Der junge Mann schüttelte ganz verwirrt den Kopf. »Sie könnten sich doch ebenso gut zu Hause bereit halten. Bei uns hat jedermann seine Muskete in der Kaminecke stehen und ist jederzeit kriegsbereit; aber er vergeudet seine Zeit nicht, wenn überall Friede ist.«
»Unser König ist sehr groß, und er hat viele Feinde.«
»Woher kommen denn die vielen Feinde?«
»Ei, der König hat sie sich natürlich gemacht.«
»Wäret Ihr dann nicht ohne ihn besser daran?«
Der Gardeoffizier zuckte die Achseln, er war in heller Verzweiflung. »Auf diese Weise kommen wir sicher in die Bastille oder nach Vincennes,« sagte er. »Feinde hat sich der König nur im Dienste und zum Frommen des Vaterlandes gemacht. Erst vor fünf Jahren entriß er den spanischen Niederlanden im Frieden von Nymwegen sechzehn Festungen. Außerdem hat er seine Hand auf Straßburg und Luxemburg gelegt und die Genueser gezüchtigt, so daß viele über ihn herfallen würden, wenn sie ihn für schwach hielten.«
»Und warum hat er das alles gethan?«
»Zum Ruhme Frankreichs, und weil er ein großer König ist.«
Der Fremde dachte eine Weile über diese Antwort nach, während sie zwischen den dünnen Pappeln dahin ritten, welche schmale Schattenstreifen über den sonnenbeschienenen Weg warfen.
»Es war einmal ein großer Mann in Shenectady,« sagte er endlich. »Die Leute dort sind alle sehr arglos und einfältig. Aber als dieser Mann sich bei ihnen niedergelassen hatte, da fehlte bald dem einen ein Biberfell, dem andern ein Sack von Ginsengwurzeln, dem dritten ein Wampumgürtel,Ein Leibgürtel, in den die Indianer cylinderförmige Porzellanstückchen in buntem Farbenspiele flechten und weben bis schließlich dem alten Pete Hendricks seine dreijährige Fuchsstute abhanden kam. Da gab es einen gewaltigen Lärm und ein Nachforschen, bis sich all das Verlorene im Stalle des Fremden wiederfand. Da ergriffen wir ihn – ich und einige andere und knüpften ihn an dem nächsten Baume auf, ohne auch nur daran zu denken, was für ein großer Mann er gewesen war,«
Catinat schoß einen zornigen Blick auf seinen Gefährten. »Ihre Parabel ist nicht sehr höflich, werter Freund,« sagte er. »Wenn wir uns fernerhin vertragen sollen, müssen Sie Ihre Zunge besser hüten.«
»Ich möchte Sie nicht kränken, möglich ist's ja, daß ich mich irre,« antwortete der Amerikaner. »Ich rede eben, wie ich die Sache auffasse, und dazu hat ein freier Mann das Recht.«
Catinats Stirnrunzeln schwand, als Amos Green ihn mit seinen treuherzigen blauen Augen ansah.
»Bei meiner Seele, was würde aus dem Hofe werden, wenn das jeder thun wollte!« rief er. »Aber ums Himmels willen, was ist nun wieder los?«
Amos war vom Pferde gesprungen und bückte sich tief zu Boden, die Augen fest auf den Staub geheftet. Dann lief er mit schnellen, lautlosen Schritten im Zickzack über den Weg am Wiesenrand entlang und blieb schließlich vor einer Zaunlücke stehen mit aufgeblähten Nasenflügeln, glänzenden Augen und vor Eifer gerötetem Gesicht.
»Der Bursch ist verrückt geworden,« murmelte Catinat und ergriff den Zügel des reiterlosen Pferdes. »Die Pariser Luft hat ihn um den Verstand gebracht! – Was ins Teufels Namen ficht Sie an, daß Sie so ins Blaue stieren?«
»Ein Rotwild ist über den Weg gegangen,« flüsterte der andere, auf das Gras weisend. »Seine Fährte geht hier entlang zum Walde. Es kann erst vor kurzem geschehen sein, denn noch hat nichts die Spur verwischt. Es ist auch nicht schnell gelaufen. Hätten wir nur mein Gewehr hier, dann hätten wir ihm folgen und dem alten Herrn ein Stück Wildbret mitbringen können!«
»Um Gottes willen, steigen Sie auf!« rief Catinat ganz entsetzt. »Irgend ein Unheil wird Sie noch ereilen, ehe ich Sie wieder sicher nach der Straße St. Martin bringen kann!«
»Was habe ich denn nun wieder Verkehrtes gemacht?« fragte Amos Green, indem er sich in den Sattel schwang.
»Ei, Menschenkind, diese Wälder sind des Königs Jagdgehege, und Sie reden so kühl davon, sein Wild zu erlegen, als ob wir an den Ufern des Michigansees ritten.«
»Gehege! Da ist es wohl zahmes Wild!« und tiefe Verachtung malte sich auf seinem Gesicht. Er gab dem Pferde die Sporen und jagte so ungestüm voran, daß Catinat vergeblich versuchte, mit ihm Schritt zu halten, und ihm zuschreien mußte, er möchte anhalten.
»Hier zu Lande ist es nicht Sitte, so unsinnig auf der Landstraße zu reiten,« keuchte er.
»Es ist ein sehr sonderbares Land,« meinte der Fremde verblüfft. »Vielleicht wird es mir leichter, mir zu merken, was denn eigentlich erlaubt ist. So nehme ich heute morgen meine Büchse und will eine vorüberfliegende Taube schießen, da packt der alte Pierre mich am Arm und macht ein Gesicht, als ob ich auf den Pfarrer zielte. Und wieder dem guten alten Herrn wird nicht einmal gestattet, seinen Morgen- und Abendsegen zu beten.«
Catinat lachte. »Sie werden unsre Sitten und Gebräuche bald verstehen lernen,« sagte er. »Wir leben in einem übervölkerten Lande, und wenn jedermann ritte und jagte, wie es ihm gerade einfiel, würde so manches Unheil daraus entstehen. Wir wollen aber lieber von Ihrer Heimat sprechen. Aus Ihren Erzählungen schließe ich, daß Sie viel im Urwalde gelebt haben.«
»Ich war nicht älter als zehn Jahre, als ich schon mit meinem Onkel nach Sault-la-Marie reiste, wo die drei großen Seen ineinander fließen. Dort trieben wir Handel mit den Chippewas und den Stämmen des Westens.«
»Ei, ei! was würden La Salle und Frontenac dazu gesagt haben? Das Handelsrecht in jenen Territorien steht Frankreich zu.«
»Wir wurden auch festgenommen. Auf die Art habe ich denn Montreal und nachher auch Quebec kennen gelernt. Schließlich wurden wir nach Hause geschickt, weil sie nichts mit uns anzufangen wußten.«
»Für den Anfang eine ganz hübsche Reise.«
»Von da ab war ich beständig auf Handelsreisen. Zuerst am Kennebec bei den Abemakis in den großen Wäldern von Maine und bei den fischeessenden Micmacs jenseit des Penobscott. Dann kam ich später auch zu den Irokesen und westlich bis zu dem Lande der Senekas. In Albany und Shenectady stapelten wir unsre Pelzwaren auf und brachten sie von dort nach New York, von wo mein Vater sie übers Meer verschickte.«
»Dann kann er Sie aber kaum entbehren.«
»Kaum. Aber er ist reich und hielt es für wünschenswert, daß ich allerlei Kenntnisse erwürbe, die in der Wildnis nicht zu erlangen sind. Deshalb schickte er mich auf dem ›Goldenen Reis‹ mit Ephraim Savage nach Europa.«
»Ist der auch aus New York?«
»Nein, er ist der erste Mann, der in Boston geboren worden ist.«
»Wer kann die Namen all dieser Dörfer behalten?«
»Wer weiß, ob nicht einmal der Tag kommt, wo ihre Namen ebenso gut weltbekannt sein werden, wie Paris?«
Catinat lachte herzlich.
»Die Wälder haben Ihnen manche nützlichen Kenntnisse verliehen, aber wohl nicht die Gabe der Weissagung, mein Freund. Meine Gedanken weilen ebenso gern jenseit des Meeres, wie die Ihrigen, und ich wünschte nichts mehr, als die Schanzen von Point Levi wiederzusehen, wenn auch die fünf vereinigten Nationen sie umschwärmten. Aber jetzt, wenn Sie durch diese Lichtung zwischen den Bäumen hindurchsehen wollen, können Sie des Königs neuen Palast erblicken.«
Die jungen Männer hielten an und schauten auf das blendend weiße, umfangreiche Gebäude zu ihren Füßen herab. Rings um dasselbe breiteten sich die reizenden Anlagen aus mit ihren Springbrunnen und Bildsäulen, geschorenen Hecken und Laubengängen und verloren sich schließlich in den dichten Wäldern, die sie ringsum einschlossen. Belustigt verfolgte Catinat das lebhafte Mienenspiel seines Gefährten, welches Staunen und Bewunderung in rascher Folge ausdrückte.
»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte er endlich.
»Ich sage, daß in Amerika die größten Werke Gottes, in Europa die größten Werke der Menschen sind.«
»Freilich! Und in ganz Europa gibt es keinen zweiten solchen Palast, und keinen solchen König, wie der ist, der ihn bewohnt,«
»Ob ich ihn wohl zu sehen bekomme? Was meinen Sie?«
»Wen? den König? Nein, nein; ich fürchte, für den Hof sind Sie wohl kaum geschaffen.«
»Warum nicht? Ich würde ihm alle schuldige Ehre erweisen.«
»Wie denn? Wie würden Sie ihn zum Beispiel begrüßen?«
»Ich würde ihm ehrerbietig die Hand schütteln und mich nach seinem und seiner Familie Befinden erkundigen.«
»Auf mein Wort, solcher Gruß würde ihm am Ende mehr Spaß machen, als das ewige Kniebeugen und Katzenbuckeln. Und doch ist es wohl besser, mein lieber Sohn der Wildnis, daß ich Sie nicht Pfade führe, auf denen Sie so gewiß verloren wären, wie ein Herr vom Hofe, den Sie in die Schlucht des Saquenay hinabstießen. Aber holla – was haben wir hier? Das sieht ja aus, wie eine Hofequipage.«
Eine weiße Staubwolke, die sich ihnen schon eine Weile entgegenwälzte, war nun so nahe, daß man zuweilen das Blitzen der Vergoldung und eine rote Kutscherlivree durchschimmern sah. Als die beiden Reiter ihre Pferde seitwärts lenkten, um die Straße freizugeben, rasselte das mächtige, von zwei Grauschimmeln gezogene Fuhrwerk, in welchem sie ein schönes, hochfahrendes Gesicht erblickten, schwerfällig vorüber. In demselben Augenblicke gebot ein scharfer Ruf dem Kutscher zu halten, und eine weiße Hand winkte ihnen durch das Wagenfenster.
»Frau von Montespan, die stolzeste Frau in Frankreich,« flüsterte Catinat. »Sie will uns sprechen. Thun Sie mir alles nach.«
Er gab seinem Pferde die Sporen, und mit einem Satz war er am Kutschenschlag. Dort zog er den Hut und verbeugte sich bis auf den Sattelknopf. Amos ahmte ihm getreulich, wenn auch etwas linkisch, alles nach.
»Aha, Herr Hauptmann!« sagte die Dame nicht sehr freundlich, »treffen wir uns schon wieder!«
»Das Glück war mir noch immer hold, gnädige Frau.«
»Heute morgen gerade nicht.«
»Ganz recht. Da mußte ich eine widerwärtige Pflicht erfüllen.«
»Und Sie erfüllten sie auf die widerwärtigste Weise.«
»Nicht doch, gnädigste Frau, wie hätte ich anders handeln sollen?«
Die Dame lachte verächtlich, und der Zug herber Bitterkeit, den es gelegentlich tragen konnte, zeigte sich auf ihrem schönen Gesicht, »Sie wähnten, ich hätte meine Macht über den König verloren, und meine Sonne sei im Untergehen. Wahrscheinlich meinten Sie sich bei dem aufgehenden Gestirn damit einzuschmeicheln, daß Sie der erste waren, der das sinkende beschimpfte.«
»Aber, gnädigste Frau –«
»Sparen Sie sich Ihre Beteurungen! Ich urteile nach Thaten, nicht nach Redensarten. Hielten Sie wirklich meine Reize für so ganz verwelkt und die Schönheit, die ich hatte, für so ganz erstorben?«
»Da müßte ich ja blind sein, gnädige Frau.«
»Blind, wie eine Eule um Mittag,« bekräftigte Amos Green mit Nachdruck.
Frau von Montespan zog die Augenbrauen in die Höhe und betrachtete ihren sonderbaren Bewunderer.
»Ihr Freund wenigstens sagt gerade heraus, was er denkt,« hub sie wieder an. »Heute um vier Uhr werden wir sehen, ob auch jemand anders dieser Meinung ist; sollte dem so sein – dann wehe denen, die einen vorüberziehenden Schatten für eine bleibende Wolke hielten!«
Sie schoß noch einen rachsüchtigen Blick nach dem jungen Offizier, dann befahl sie dem Kutscher weiter zu fahren.
»Jetzt vorwärts,« rief Catinat kurz, denn sein Begleiter schaute noch immer offnen Mundes dem Wagen nach. »Haben Sie denn noch niemals eine Frau gesehen?«
»Noch nie so eine, wie diese.«
»Keine, die eine so bissige Zunge hat, darauf will ich schwören,« sagte Catinat.
»Keine, die ein so bildschönes Gesicht hat. Und in der Rue St. Martin wohnt doch auch ein holdes Gesichtchen.«
»Hm, bei all Ihrer Urwalderziehung scheinen Sie doch ein vortrefflicher Kenner der Schönheit zu sein.«
»Das bin ich auch, denn wenn man so völlig vom Verkehr mit Frauen abgeschnitten ist, wie ich, und dann eine Frau antrifft, so kommt sie einem vor, wie etwas Liebliches, Zartes, Heiliges.«
»An unserm Hofe können Sie allerdings Damen genug finden, die zart und lieblich sind, aber Sie werden lange suchen müssen, lieber Freund, ehe Sie eine finden, die heilig ist. Diese hier wird mich ins Unglück stürzen, wenn sie irgend kann, nur weil ich meine Pflicht gethan habe. Sich an diesem Hofe halten, heißt die La Chinefälle hinunterfahren. Da ist Fels zur Rechten, Fels zur Linken und womöglich noch einer geradeaus; und wenn man einen davon auch nur streift, so ist's um Schiffer und Kahn geschehen. Unsre Felsen hier sind die Weiber, und unser Canoe trägt unser ganzes irdisches Glück. Da ist übrigens schon wieder eine Dame, die mich gern zu ihrer Partei herüberziehen möchte, die, wie ich beinahe glaube, auch die bessere ist.«
Sie hatten mittlerweile durch das Palastthor hindurchreitend den Schloßhof erreicht, und die breite, von Wagen und Fußgängern belebte Auffahrt lag vor ihnen. Auf den kiesbestreuten Seitenwegen spazierten buntgekleidete Damen zwischen den Blumenrabatten und bewunderten die Strahlen der Springbrunnen, die im Sonnenschein schillerten. Eine von ihnen verwandte kein Auge vom Portal und eilte Catinat entgegen, sobald er sichtbar wurde. Es war Fräulein Nanon, Frau von Maintenons Vertraute.
»Ich bin so froh, daß ich Sie treffe, Herr Hauptmann,« rief sie, »und ich habe so geduldig gewartet. Meine gnädige Frau will Sie sprechen. Der König kommt um drei Uhr zu ihr, bis dahin sind nur noch zwanzig Minuten! Ich hörte, Sie seien nach Paris geritten, so hielt ich hier Wache. Die gnädige Frau hat eine Bitte an Sie.«
»Ich komme sofort. Sieh da, Brissac, das trifft sich ja gut.«
Der große, stämmige Offizier, der eben vorüberging, trug die gleiche Uniform wie Catinat. Er drehte sich sofort lächelnd nach seinem Regimentskameraden um.
»Aha, Amory! Du hast dir ja ein paar Morgen Sand auf deinem Rocke mitgebracht.«
»Wir kommen soeben aus Paris. Aber eine wichtige Angelegenheit ruft mich fort. Dies ist mein Freund, Herr Amos Green. Ich empfehle ihn deiner Güte, er kommt aus Amerika, ist fremd hier und möchte gern alles sehen, was du ihm zeigen kannst. Er wird in meinem Quartier wohnen. Nimm auch mein Pferd, Brissac, und übergib es dem Stallknecht.«
Dem Major die Zügel zuwerfen, Amos die Hand drücken, vom Pferde springen, war eins für Catinat. Dann folgte er in höchster Eile der in der Ferne verschwindenden jungen Dame.