Arthur Conan Doyle
Die Réfugiés
Arthur Conan Doyle

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X. Der Elennhirsch auf dem Kriegspfade.

Zwei Tage waren die Reisenden nun schon auf dem Herrensitz von Sainte Marie, und sie wären gern noch länger geblieben, denn das Quartier war behaglich und die Aufnahme herzlich, aber das rote Herbstlaub wurde bereits braun, Eis und Schnee überzog oft sehr früh diese nördlichen Lande, und wenn einmal der Winter einbrach, so wurde die Fortsetzung ihrer Reise zur Unmöglichkeit. Der alte Edelmann hatte zu Lande und zu Wasser Späher ausgeschickt, aber keine Spur von Irokesen war auf dem östlichen Ufer zu entdecken. Du Lhut hatte sich offenbar geirrt. Drüben auf der anderen Seite dagegen bewiesen die federartig über den Baumwipfeln aufsteigenden Rauchsäulen, daß die Feinde nicht gar weit entfernt waren. Von den Fenstern des Herrenhauses, sowie vom Hofe aus konnte man von früh bis spät diese beunruhigenden Signale beobachten, die unaufhörlich daran mahnten, daß ein grausiger Tod die Hand nach seinen Bewohnern ausstreckte.

Die Réfugiés hatten sich jetzt erholt und erquickt und beschlossen einmütig, weiter zu ziehen.

»Wenn wir den Schnee abwarten, wird es noch tausendmal gefährlicher,« sagte Amos, »denn wir hinterlassen eine Spur, der selbst ein Wickelkind folgen könnte.«

»Und warum sollten wir uns fürchten?« drängte der alte Ephraim. »Wahrlich, wir wandeln durch die Salzwüste, aber selbst wenn dieser Weg uns ins Thal HinnomWürgethal, vgl. Jeremia 19, 6–7. führen sollte, so wird der Herr unser Hort sein und uns erretten von diesen Söhnen Jerobeams. Richte den Kurs gerade aus, Junge, und klemm das Steuer ein, der Lotse wird dich sicher durchbringen.«

»Ich fürchte mich auch nicht, Amory, und habe mich wieder ganz ausgeruht,« sagte Adèle. »Außerdem wird uns erst ganz wohl sein, wenn wir glücklich in den englischen Provinzen angelangt sind, denn hier können wir doch nie wissen, wie bald uns der schreckliche Mönch entdeckt und den Befehl bringt, uns nach Quebec und Paris zurückzuschleppen.«

Die Möglichkeit lag in der That sehr nahe, daß der rachsüchtige Franziskaner sie an den Ufern des Richelieu suchte, wenn er sich einmal überzeugt hatte, daß sie weder in Montreal noch in Dreiflüssen zu finden waren. Wenn Catinat es sich vergegenwärtigte, wie er an jenem Morgen in dem großen Kanoe an ihnen vorüber gekommen war – das fanatische Gesicht vorgestreckt, den dunklen Körper im Takt der Ruderschläge wiegend, so erschien ihm die Gefahr, an die ihn seine Frau erinnerte, nicht nur möglich, sondern in drohender Nähe. Der Seigneur war sein Freund, aber er durfte dem Befehl des Gouverneurs nicht widerstreben. Eine große unsichtbare Hand reckte sich vom fernen Versailles drohend nach ihnen aus, bereit, sie auch hier, mitten im jungfräulichen Urwald, zu packen und sie zurückzuführen in Schande und Elend hinein. Nein, lieber den Gefahren der Wälder entgegen als das!

Herr von La Roue und sein Sohn, welche nichts von den Gründen wußten, die ihre Gäste zur Eile zwangen, boten alles auf, um sie zum Bleiben zu bewegen, und wurden darin von dem schweigsamen du Lhut unterstützt, dessen wenige abgebrochene Worte stets gewichtiger waren, als die längste Rede, denn er sprach nie über Dinge, die er nicht vollständig beherrschte.

»Sie haben meinen bescheidenen Wohnsitz kennen gelernt,« sagte der alte Herr mit einer verbindlichen Schwenkung seiner spitzenumkrausten, reichberingten Hand. »Er ist zwar nicht ganz meinen Wünschen gemäß, indessen, so wie er ist, steht er Ihnen herzlich gern für den Winter zur Verfügung, falls Sie und Ihre Begleiter mir die Ehre Ihres Besuches schenken wollen. Was Ihre Frau Gemahlin anbetrifft, so wird sie sicherlich bei der meinigen Zerstreuung und Beschäftigung genug finden. Dabei fällt mir ein, daß Sie ihr noch gar nicht vorgestellt sind. Theuriet, geh zu deiner Gebieterin und sage ihr, ich ließe sie ersuchen, in die Baldachin-Halle kommen zu wollen.«

Catinat war an Überraschungen gewöhnt, er konnte sich aber dennoch eines gelinden Schreckens nicht erwehren, als er die Dame erblickte, von welcher der alte Kavalier nur in Ausdrücken der übertriebensten Ehrfurcht sprach, und die einer Vollblutindianerin ebenso genau glich, wie die Baldachin-Halle einer französischen Scheune. Sie trug zwar ein rotseidenes Leibchen über einem schwarzen Rock, und Schuhe mit silbernen Schnallen, an ihrem Gürtel hing sogar ein parfümierter Bisamapfel an goldenem Kettchen, aber ihr Gesicht war von der Farbe der Kiefernrinde, und die starke Nase, der harte Mund, sowie die beiden Flechten groben, schwarzen Haares, die über ihren Rücken fielen, ließen keinen Zweifel an ihrer Abstammung zu.

»Erlauben Sie mir, Herr von Catinat,« sagte der Seigneur de Sainte Marie feierlich, »daß ich Sie meiner Gemahlin vorstelle: Onega de la Roue von Sainte Marie, kraft ihrer Vermählung mit mir Châtelaine dieser Seigneurie, sowie von Schloß d'Andelys in der Normandie und der Güter von Varennes in der Provence, unbeschadet der ihr zuständigen Rechte erblicher Häuptlingschaft in der weiblichen Linie beim Volk der Onondagas. Mein Engel, ich habe soeben versucht, unsre Freunde zu überreden, bei uns in Sainte Marie zu bleiben, anstatt nach dem Champlainsee weiter zu reisen.«

»Lassen Sie wenigstens Ihre weiße Lilie in Sainte Marie,« sagte die indianische Prinzessin in vorzüglichem Französisch und umschloß mit ihren rotbraunen Fingern Adèlens elfenbeinweiße Hand. »Wir wollen sie Ihnen sicher bewahren, bis das Eis taut und die Blätter und die Vogelbeeren wieder sprießen. Ich kenne mein Volk, Herr von Catinat, und ich sage Ihnen, im Walde wohnt der Mord; nicht umsonst sind die Blätter von der Farbe des Blutes – der Tod lauert hinter jedem Baume.«

Die nachdrückliche Ausdrucksweise seiner Wirtin beunruhigte Catinat mehr, als jede andere bisherige Warnung. Wenn irgend jemand, so mußte sie im stande sein, die Zeichen der Zeit zu deuten.

»Ich weiß nicht aus noch ein,« rief er verzweifelt. »Vorwärts muß ich, und doch, wie darf ich sie solchen Gefahren aussetzen? Nur zu gern würde ich den Winter über hier bleiben, aber ich gebe Ihnen mein Wort, Herr de la Roue, es ist unmöglich!«

»Du Lhut, Sie verstehen sich auf solche Fälle,« sagte der Seigneur. »Was raten Sie meinem Freunde, da er nun einmal entschlossen ist, die englischen Provinzen noch vor dem Winter zu erreichen?«

Der dunkle, schweigsame Pionier strich mit der Hand über den Bart, als überlege er die Frage.

»Es gibt nur einen Weg,« sagte er endlich, »und auch der ist nicht gefahrlos. Die Wälder sind jetzt sicherer als der Fluß, denn das Schilf steckt voll verborgener Kanoes. Fünf Meilen von hier liegt das Blockhaus Poiton, und fünfzehn Meilen weiter das von Auvergne. Wir wollen morgen durch den Wald nach Poiton und sehen, ob alles sicher ist. Ich gehe mit und gebe Ihnen mein Wort: sind die Irokesen da, so wird Greysolon du Lhut das erfahren. Die Dame lassen wir hier und holen sie, wenn wir alles sicher finden, ab. Dann dringen wir auf dieselbe Weise nach Auvergne vor, und dort müssen wir warten, bis wir hören, wo die indianischen Krieger sind. Es wird meiner Meinung nach nicht lange dauern, bis wir das erfahren.«

»Wie! Sie wollen uns trennen!« rief Adèle entsetzt.

»Es ist besser so, meine Schwester,« sagte Onega, sie zärtlich umfassend. »Sie können die Gefahr nicht ermessen, wir aber können es und werden nicht zulassen, daß unsere weiße Lilie ihr verfällt. Sie bleiben hier, um unser Herz zu erfreuen, während der große Häuptling du Lhut und der französische Soldat, Ihr Gatte, und der alte Krieger, der so vorsichtig zu sein scheint, und der junge Häuptling mit Gliedern wie die des Edelhirsches, die Wälder durchforschen, damit alles sicher ist, ehe Sie sich hinein wagen.«

So wurde es zuletzt beschlossen und Adèle trotz allen Protestierens der Obhut der Herrin von Sainte Marie anvertraut, während Catinat ihr heilig gelobte, ohne Verzug von Poitou zurückzukehren, um sie zu holen. Der alte Edelmann und sein Sohn hätten am liebsten das Abenteuer mit bestanden, aber sie hatten ihre Pflicht gegen den festen Platz selbst und gegen das Leben vieler Menschen, das ihnen anvertraut war, zu erfüllen. Zudem fand eine kleine Schar mehr Sicherheit im Walde als eine größere. Der alte Freiherr versah sie mit einem Briefe an Herrn von Lannes, den Kommandanten des Blockhauses Poitou. Beim ersten Tagesgrauen stahlen sich die vier Gefährten aus dem Palissadenthor und waren im nächsten Augenblick im dichten, finstern Walde verschwunden. Drinnen murmelte der Wächter ihnen einen Segenswunsch nach.

Auf dem geraden Wasserwege waren es nur fünf Meilen von Sainte Marie bis Poitou, auf dem Landwege aber mehr als doppelt so viel, denn da mußten Buchten durchwatet, schilfumgürtete Seen umgangen, gangbare Stellen in Sümpfen aufgesucht werden, wo der wilde Reis mehr als Mannshöhe erreichte und dichtes Erlengebüsch in undurchdringlichen Massen den Weg blockierte. Sie gingen einzeln hintereinander her, du Lhut voran, mit dem leichten unhörbaren Tritt eines Waldtiers, den Leib vornüber gebeugt, das Gewehr schußbereit im hohlen Arm. Seine scharfen, schwarzen Augen schossen rasche Blicke nach rechts und links und beobachteten alles, von dem winzigsten Zeichen am Boden oder Baumstamm bis zu der Bewegung jedes Tieres und Vogels im Unterholz. Catinat schritt ihm zunächst, dann kam Ephraim Savage und zuletzt Amos; alle hielten die Waffen bereit, und jeder ihrer Sinne war aufs äußerste gespannt. Um Mittag hatten sie etwas über die Hälfte ihres Weges zurückgelegt und lagerten sich in einem Dickicht, um ihre dürftige Ration Brot und Käse zu verzehren. Ein Feuer anzuzünden wollte du Lhut nicht gestatten.

»Bis hierher sind sie noch nicht gekommen,« flüsterte er, »und dennoch bin ich ganz überzeugt, daß sie bereits diesseits des Flusses sind. Gouverneur de la Barre wußte nicht, was er that, als er diese Stämme reizte, und der fromme Dragoner, den der König uns jetzt geschickt hat, weiß es noch weniger.«

»Ich habe sie zur Friedenszeit gesehen,« bemerkte Amos eben so leise, »ich trieb mit den Onondagas und den Senecas Handel. Ich kenne sie als ausgezeichnete Jäger und tapfere Männer.«

»Gute Jäger sind sie, aber das Wild, das sie am besten jagen, sind ihre Mitmenschen. Ich habe selbst ihre Skalpzüge angeführt, habe dann auch wieder gegen sie gekämpft, und ich sage Ihnen, wenn so ein General aus Frankreich ankommt, der kaum weiß, wie man es macht, daß man beim Gefecht die Sonne im Rücken hat, der wird sich bei ihnen keine Lorbeern holen. Da reden sie davon, die Dörfer niederzubrennen! Es wäre gerade so, als wollte man ein Wespennest zertrampeln und sich einbilden, nun wäre man die Wespen los! Sie sind aus Neuengland, mein Herr?«

»Mein Kamerad ist aus Neuengland, ich bin aus Newyork.«

»Ach so! Ich sah es Ihrem Schritt und Auge an, daß Sie in den Wäldern zu Hause sind. Der Neuengländer geht lieber zur See und erschlägt den Wal lieber als das Renntier. Darum ist vielleicht sein Gesicht so traurig. Ich bin selbst auf dem großen Wasser gewesen und erinnere mich, daß auch mein Gesicht damals traurig aussah. Wir haben übrigens kaum einen Windhauch, da können wir uns, meine ich, unbesorgt unsre Pfeife anzünden. Ich hab's freilich erlebt, daß bei einem tüchtigen Luftzug eine brennende Pfeife auf zwei Meilen Entfernung einen Skalpierzug herbeilockte, aber die Bäume fangen den Geruch auf, und die Irokesen haben nicht so feine Nasen, wie die Sioux und Dacota. Gott steh' Ihnen bei, Herr Green, wenn Sie jemals einen indianischen Krieg haben sollten. Für uns ist er schon böse genug, für Sie würde er aber tausendmal schlimmer sein.«

»Warum denn?«

»Weil wir die Indianer von Anfang an bekämpft haben und bei all unsern Bauten darauf Rücksicht nehmen. Sie sehen, wie hier den ganzen Fluß entlang jedes Haus und jeder Weiler dem Nachbar hilft. Aber bei Ihnen – bei der heiligen Anna von Beaupré! mein Skalp juckte mir, als ich an Ihre Grenzen kam und die einsamen Höfe und die kleinen Rodungen draußen im Walde sah, zwanzig Meilen von jeder Hilfe entfernt! Ein Indianerkrieg ist ein Fegefeuer für Canada, aber für die englischen Provinzen wäre er die Hölle.«

»Wir sind gut Freund mit den Indianern,« sagte Amos, »wir sind keine Eroberer.«

»Das wird stets bei Ihnen gesagt, und doch erobern Sie,« bemerkte du Lhut. »Wir hingegen schlagen die Pauken, schwenken die Fahnen und machen ein großes Hallo – es kommt aber bei alledem nicht viel heraus. Zwei tüchtige Männer hatten wir in Canada. Der eine war der Herr von La Salle, der voriges Jahr von seinen eignen Leuten unten am großen Fluß erschossen wurde, und der andere, der alte Frontenac, muß schleunigst wiederkommen, wenn die fünf Nationen Neu-Frankreich nicht zur Wüste machen sollen. Mich sollte es nicht wundern, wenn über zwei Jahre das weißgoldne Lilienbanner nur noch auf dem Felsen von Quebec wehte! – Doch Sie sehen mich ungeduldig an, Herr von Catinat; ich weiß, Sie zählen die Stunden, bis wir wieder in Sainte Marie sind. Vorwärts also, und möchte der zweite Teil unsrer Reise so friedlich verlaufen wie der erste!«

Wohl eine Stunde lang folgten sie den Schritten des alten französischen Pioniers durch den Wald. Es war ein herrlicher Tag, kein Wölkchen stand am Himmel, und die Sonne strahlte durch das dichte Laubdach hernieder und bedeckte den schattigen Rasen mit einem feinen Goldnetz. Zuweilen kamen sie an lichten Stellen in das reine Sonnenlicht, aber nur, um schnell wieder in die dichten Baumgänge jenseits zu tauchen, wo nur zuweilen ein einzelner Sonnenstrahl durch das laubige Dach seinen Weg hindurch fand. Diese plötzlichen Übergänge von Licht und Schatten wären wunderschön gewesen, wenn nicht das Bewußtsein der wachsenden Gefahr, und das Grauen, das hinter eben diesen Schatten lauerte, die Herzen mehr zur Furcht als zur Bewunderung gestimmt hätte. Schweigend und vorsichtig schritten die vier Männer zwischen den großen Baumstämmen dahin.

Plötzlich sank du Lhut ins Knie und legte das Ohr an den Boden. Er stand wieder auf, schüttelte den Kopf und schritt mit sehr ernstem Gesicht weiter; schnell und forschend schweiften seine Blicke nach jeder Richtung.

»Hörten Sie etwas?« flüsterte Amos.

Du Lhut legte den Finger auf den Mund. Im nächsten Augenblick lag er wieder mit dem Ohr am Boden. Dann sprang er auf, und sein Antlitz trug den Ausdruck eines Mannes, der gehört hat, was er zu hören erwartete.

»Geht weiter,« sagte er ruhig, »und benehmt euch genau so, wie ihr es den ganzen Tag über gethan habt.«

»Was gibt's denn?«

»Indianer!«

»Vor uns?«

»Nein, hinter uns.«

»Was machen sie?«

»Sie folgen uns.«

»Wie viele?«

»Zwei, denke ich.«

Die Freunde blickten unwillkürlich zurück in das tiefe Waldesdunkel. An einem Punkte glitt ein einziger breiter Lichtpfeil zwischen den Tannen hernieder und warf einen goldenen Fleck auf ihre Fährte. Außer dieser einen glänzenden Stelle war alles düster und still.

»Wendet euch nicht um,« flüsterte du Lhut scharf, »geht weiter wie vorhin.«

»Sind es Feinde?«

»Es sind Irokesen.«

»Verfolgen sie uns?«

»Nein, jetzt verfolgen wir sie.«

»Sollen wir denn umkehren?«

»Nein, sie würden verschwinden, wie die Schatten.«

»Wie weit von uns sind sie?«

»Etwa zweihundert Schritt, denke ich.«

»Sie können uns also nicht sehen?«

»Ich glaube nicht, weiß es aber nicht genau. Jedenfalls denke ich mir, folgen sie unsrer Fährte.«

»Was sollen wir nun thun?«

»Einen Kreis beschreiben und ihnen so in den Rücken kommen.«

Er schwenkte scharf links ab und führte sie in einer langen Bogenlinie durch den Wald. Rasch und schweigend eilten sie immer im dichtesten Schatten dahin. Dann wandte der Führer sich von neuem und blieb gleich darauf stehen.

»Dies ist unsre Spur,« sagte er.

»Jawohl, und zwei Rothäute sind drüber weggegangen,« rief Amos, der sich gebückt hatte, und auf Spuren deutete, die Catinat und Ephraim Savage ganz unsichtbar blieben.

»Ein alter Krieger und ein Knabe auf seinem ersten Kriegspfade,« sagte du Lhut. »Sie sind schnell gegangen, denn man sieht kaum den Fersenabdruck ihrer Moccasins. Sie gingen hintereinander. Nun wollen wir ihnen folgen und sehen, ob es uns besser glückt.«

Er eilte schnell der Spur nach, die gespannte Büchse in der Hand. Die anderen folgten ihm auf dem Fuße. Kein Ton, kein Lebenszeichen kam aus der schattigen Wildnis ringsum. Plötzlich blieb du Lhut stehen und senkte das Gewehr.

»Sie sind noch immer hinter uns,« sagte er.

»Hinter uns?«

»Ja, dies ist die Stelle, wo wir abschwenkten. Sie zögerten einen Augenblick, wie man es an den Fußtapfen sehen kann, und folgten uns dann weiter.«

»Könnten wir sie nicht einholen, wenn wir noch einmal und diesmal schneller die Runde machten?«

»Nein. Jetzt sind sie auf ihrer Hut. Sie müssen jetzt wissen, daß wir nur um ihretwillen auf unsre Spur zurückgekehrt sind. Legt euch hier hinter den umgestürzten Baumstamm, vielleicht können wir sie zu sehen bekommen.«

Ein großer, in Fäulnis begriffener Stamm, ganz mit grünem Schimmel und rosa und lila Pilzen überzogen, lag in ihrer Nähe. Hinter diesen duckte sich der Kanadier, und seine drei Gefährten folgten seinem Beispiel, indem sie durch den schützenden jungen Nachwuchs hindurch lugten.

Noch immer leuchtete der eine breite Sonnenstrahl zwischen den beiden Tannen hernieder, sonst aber war alles dämmerig und still, wie in einem großen Dome mit schlanken Holzpfeilern und laubigem Dache. Kein Ast knarrte, kein Zweiglein brach, tiefe Stille allüberall, nur weit hinten in der Tiefe des Forstes bellte ein Fuchs. Atemlose Spannung durchschauerte Catinats Nerven. Es war ihm zu Mute, wie beim Versteckspiel zwischen den Eichen- und Taxushecken von Versailles, das der Hof zuweilen spielte, wenn Ludwig dazu aufgelegt war. Aber der Einsatz dort war vielleicht ein geschnitzter Fächer oder eine Schachtel mit Bonbons – hier war er das Leben.

Zehn Minuten vergingen. Alles blieb still.

»Sie sind drüben in jenem Dickicht,« flüsterte du Lhut und nickte nach einem dichten Gebüsch hinüber, das ungefähr zweihundert Schritt entfernt war.

»Haben Sie sie gesehen?«

»Nein.«

»Woher wissen Sie es denn?«

»Ich sah ein Eichhörnchen aus seinem Loch in der großen, weißen Birke drüben kommen. Es fuhr wieder hinein, als ob es sich erschrocken hätte. Von seinem Loch aus kann es in das Unterholz dort hineingucken.«

»Glauben Sie, daß die Kerls wissen, daß wir hier sind?«

»Sie können uns nicht sehen, aber sie sind mißtrauisch. Sie fürchten eine Falle.«

»Sollten wir sie nicht in ihrem Gebüsch angreifen?«

»Sie würden dann zweien von uns das Lebenslicht ausblasen und darauf im Walde verschwunden sein wie die Schatten. Nein, wir wollen lieber unsern Weg weiter gehen.«

»Wenn sie uns aber folgen?«

»Ich glaube das kaum. Wir sind vier, sie nur zwei. Sie wissen jetzt, daß wir auf unsrer Hut sind und eine Fährte ebensogut finden können wie sie. Tretet hinter diese Stamme, wo sie uns nicht sehen können. So! Jetzt bückt euch, bis ihr hinter dem Gürtel des Erlengestrüpps vorüber seid. Jetzt müssen wir schnell vorwärts, denn wo zwei Irokesen sind, da sind höchst wahrscheinlich zweihundert nicht weit.«

»Gott sei Dank, daß Adèle nicht mit ist!« rief Catinat.

»Freilich, Herr von Catinat! Es ist ja sehr schön, wenn Mann und Weib wie gute Kameraden zusammen stehen, aber an der Irokesengrenze geht das ebensowenig wie auf irgend einem andern Indianergebiet.«

»Sie nehmen Ihre Frau also nie auf ihre Reisen mit?« fragte der Soldat.

»Doch; nur braucht sie nicht von Dorf zu Dorf zu reisen. Sie bleibt im Wigwam.«

»Also lassen Sie sie zurück?«

»Im Gegenteil. Sie ist stets da, um mich willkommen zu heißen. Bei der heiligen Anna, mein Herz würde recht schwer sein, wenn nicht in jedem Dorf zwischen diesem Fluß und den Felsenufern des Illinois meine Frau mich begrüßte!«

»Dann reist sie Ihnen wohl voraus?«

Du Lhut lachte herzlich aber lautlos.

»Ander Städtchen, ander Mädchen,« sagte er. »Doch ich habe nie mehr als eine Frau in demselben Dorfe. Es wäre ja eine Schande für einen Franzosen, ein schlechtes Beispiel zu geben, da doch die guten Väter so freudig ihr Leben daran setzen, um den Indianern Tugend zu predigen. Aha, hier ist die Ajidaumobucht, worin die Indianer ihre Störnetze ausspannen. Wir haben noch sieben Meilen bis Poitou.«

»Wir werden also noch vor der Nacht dort sein?«

»Ich meine, wir werden gut thun, bis zum Dunkelwerden zu warten, ehe wir hingehen. Da die Kundschafter der Irokesen so weit hinaus schwärmen, ist es wahrscheinlich, daß sie um Poitou in hellen Haufen liegen. Wenn wir uns nicht in acht nehmen, könnte das letzte Ende das böseste werden, namentlich, wenn diese beiden uns zuvorkommen und die andern benachrichtigen.«

Er blieb einen Augenblick mit seitwärts geneigtem Haupte stehen und horchte. »Bei der heiligen Anna,« brummte er dann, »wir sind sie noch nicht los. Sie sind noch immer auf unsrer Fährte.«

»Sie können sie hören?«

»Ja, sie sind nicht sehr weit von uns. Sie sollen jetzt aber finden, daß sie uns um einmal zu oft gefolgt sind. Nun will ich Ihnen eine Kriegslist zeigen, die Ihnen vielleicht neu ist. Ziehen Sie Ihre Moccasins aus, mein Herr.«

Catinat streifte seine Schuhe ab, und du Lhut that das gleiche.

»Zieht sie auf die Hände, wie Handschuhe,« befahl der Pionier den Neuengländern, und sofort hatten Amos und Ephraim die Schuhe ihrer Kameraden an den Händen.

»Schlingt die Flinte über den Rücken! So! Jetzt auf alle Viere! Macht euch krumm und drückt die Hände fest auf die Erde. Vorzüglich! Zwei Männer können die Spur von vieren zurücklassen. Folgen Sie mir, mein Herr.«

Er huschte von Baum zu Baum in derselben Richtung wie die beiden andern, aber mit einigen Metern Abstand. Plötzlich kauerte er sich hinter einen Busch und zog Catinat neben sich nieder.

»In ein paar Minuten müssen sie an uns vorbei,« flüsterte er. »Schießen Sie womöglich nicht.«

Es blitzte etwas in du Lhuts Hand, und sein Begleiter bemerkte, als er hinsah, daß er einen scharfen, kleinen Tomahawk aus dem Gürtel gezogen hatte. Wieder rann ein wildes, feuriges Erbeben durch alle Fibern Catinats, während er durch die verschlungenen Zweige lugte und auf das wartete, was aus den schweigenden Wölbungen der Bäume hervorkommen sollte.

Und da plötzlich sah er eine Bewegung. Es glitt wie ein Schatten von einem Baum zum andern, so schnell, daß Catinat nicht unterschied – war es ein Tier, war es ein Mensch? und dann sah er es wieder – und wieder, manchmal ein Schatten, manchmal zweie – still, verstohlen wie der Wärwolf, mit dem seine Wärterin ihn in der Kinderstube geängstigt hatte. Dann war einige Minuten lang alles wieder still, und dann – auf einmal kroch aus den Büschen ein Geschöpf hervor, gräulicher von Ansehen als alles, was je die Erde trug – ein Irokesenhäuptling auf dem Kriegspfade.

Es war ein großer, kraftvoller Mann, den sein starrender Busch von Skalplocken und Adlerfedern auf dem Scheitel in dem unsichern Licht riesenhaft erscheinen ließen, denn vom perlgestickten Moccassin bis zur höchsten Feder seines Hauptschmucks maß er reichlich acht Fuß. Die eine Seite seines Gesichtes war mit Ruß, Ocker und Zinnober so bemalt, daß sie einem Hundekopf glich, und die andere einem Huhn, was die Vorderansicht ganz unbeschreiblich grotesk und wunderlich machte. Ein Wampumgürtel war um sein Lendentuch geschlungen, und ein Dutzend Skalps flatterten bei jeder Bewegung über den gefransten Lederstrümpfen. Sein Kopf streckte sich weit vor, seine Augen glühten in düsterem Feuer, und seine Nüstern bewegten sich wie bei einem gereizten Tier. Das Gewehr im Anschlag, so schlich er mit krummen Knien vorwärts – spähend, horchend, stillstehend, weitereilend – die verkörperte Vorsicht. Zwei Schritte hinter ihm folgte ein etwa vierzehnjähriger Bursch, ebenso ausgerüstet, aber ohne Bemalung und ohne die scheußlichen Trophäen an seiner Beinbekleidung. Es war sein erster Kriegszug, und doch sprach aus seinen funkelnden Augen und aus seinen sich blähenden Nasenflügeln dieselbe Mordlust, die in dem älteren Indianer brannte. So schlichen sie aus dem Schatten des Waldes hervor, schweigend und fürchterlich, wie einst ihr Geschlecht aus den Schatten der Weltgeschichte aufgetaucht war mit dem Leibe von Erz und der Seele des Tigers.

Eben kamen sie an dem Busch vorbei, als etwas des jungen Kriegers Auge auf sich zog, vielleicht ein verschobener Zweig oder ein flatterndes Blatt. Er blieb stehen; Verdacht sprach aus jedem seiner Züge. Im nächsten Augenblick würde er seinen Gefährten gewarnt haben, aber du Lhut sprang vor und begrub sein kleines Beil in dem Schädel des älteren Kriegers. Catinat hörte einen dumpfen Krach, als ob eine Axt einen morschen Stamm zersplittere, dann stürzte der Mann mit einem gräßlichen Gelächter wie ein Klotz zu Boden und schlug mit Armen und Beinen um sich. Der jüngere Krieger sprang wie ein Hirsch über seinen gefallenen Genossen hinweg in den Wald hinein. Im nächsten Augenblick fiel ein Schuß zwischen den Bäumen vor ihnen, dem ein schwacher, klagender Laut folgte.

»Das war sein Todesschrei,« sagte du Lhut gelassen. »Schade um den Schuß – aber immer noch besser, als ihn entwischen lassen!«

Während er noch sprach, kamen die beiden anderen wieder, Ephraim stieß eine neue Ladung in seine Büchse.

»Wer lachte da?« fragte Amos.

»Der da,« antwortete du Lhut und wies auf den sterbenden Krieger, der mit dem Kopf in einer grausigen Lache lag und seine grotesken Züge zu einem stieren Lächeln verzerrte. »Das ist so ihre Weise, wenn sie zu Tode getroffen sind. Ich kannte einen Senecahäuptling, der lachte sechs Stunden hintereinander weg am Marterpfahl. Aha – er ist tot!«

Ein letzter Krampf schüttelte die Glieder des Indianers, dann blieb er starr liegen, und sein Antlitz grinste noch zu dem Streifen blauen Himmels über ihm empor.

»Er war ein großer Häuptling,« sagte du Lhut, »der braune Elennhirsch der Mohawks, und der andere war sein zweiter Sohn. Wir haben das erste Blut vergossen, und es wird wohl nicht das letzte bleiben, denn die Irokesen lassen den Tod ihrer Häuptlinge nicht ungerächt. Er war ein gewaltiger Krieger, seht nur sein Halsband an!«

Er trug allerdings ein wunderliches Halsband, das Catinat anfangs für aufgereihte, geschwärzte Bohnenhülsen hielt. Als er sich indessen bückte, gewahrte er mit Entsetzen, daß die vermeintlichen Bohnenhülsen verschrumpfte Menschenfinger waren.

»Alles rechte Zeigefinger,« erklärte du Lhut, »folglich repräsentiert jeder ein Leben. Im ganzen sind es zweiundvierzig. Achtzehn rühren von Männern her, die er im Gefecht erschlug, die andern vierundzwanzig sind von Gefangenen, die gemartert wurden.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil nur achtzehn noch die Nägel haben. Wenn der Irokese jemand lebendig fängt, so beißt er ihm zuerst die Nägel ab. Sie sehen, an vierundzwanzig Fingern fehlen sie.«

Catinat schauderte. Unter was für Teufel hatte ihn ein feindliches Geschick geführt! War es denkbar, daß seine Adèle je solchen Ungeheuern in die Hände fallen könnte? Nein, nein, der gnädige Gott, der Gott der Wahrheit, um die sie so viel gelitten hatten, würde dies Gräßlichste nicht zulassen! Und doch – war dies nicht schon das Los anderer Frauen gewesen, die ebenso zart waren, wie Adèle – anderer Männer, die so heiß liebten, wie er? Welches Dorf in Canada wußte nicht von solchen Greueln zu erzählen? Ein ahnungsvolles Entsetzen packte ihn, während er ruhig dastand. Wir wissen mehr von der Zukunft, als wir zugeben wollen, in der innersten, geheimsten Tiefe unsrer Seele, die nicht vom Verstande, sondern von Instinkten und Ahnungen beherrscht wird. Jetzt umschattete den jungen Hugenotten irgend ein nahendes Unheil. Die Bäume ringsum mit ihren großen, ausgebreiteten Ästen wurden ihm zu finsteren Dämonen, die ihre riesigen Arme nach ihm reckten, um ihn zu packen. Kalter Schweiß trat auf seine Stirn, und er stützte sich schwer auf den Lauf seiner Büchse.

»Bei der heiligen Eulalie!« sagte du Lhut, »für einen alten Soldaten wird der Herr sehr blaß bei dem bißchen Blutvergießen!«

»Mir ist unwohl,« erwiderte Catinat, »ein Schluck aus Ihrer Cognakflasche würde mir gut thun.«

»Mit Vergnügen, Kamerad, da ist sie. Übrigens sehe ich nicht ein, warum ich mir nicht den schönen Skalp nehmen soll, damit wir doch ein Andenken an diesen Spaziergang haben.«

Er nahm den Kopf des Indianers zwischen die Kniee, und im Augenblick, mit einem raschen Messerschnitt hatte er die bluttriefende Trophäe abgerissen.

»Wir wollen weiter!« rief Catinat, sich voller Ekel abwendend.

»Sofort! Nur den Wampumgürtel mit dem Totem des Bären muß ich noch haben. So! Auch die Flinte. Sehen Sie mal, das Schloß trägt den Stempel von ›London‹. Ei, ei, Herr Green, es ist leicht zu merken, woher die Feinde Frankreichs ihre Waffen beziehen!«

Endlich hatte du Lhut seine Beute beisammen, und sie verließen das rote, noch immer grinsende Antlitz unter den stillen, dunklen Bäumen. Im Vorübergehen sahen sie auch den Knaben, der zusammengeknickt in den Büschen lag, in die er gefallen war. Der Pionier ging sehr schnell, bis sie an einen Bach kamen, der dem großen Fluß zurieselte. Hier zog er Schuhe und Lederstrümpfe ab und watete eine halbe Meile mit seinen Gefährten darin entlang.

»Sie werden unsrer Fährte folgen, wenn sie den da finden,« sagte er, »aber dies wird sie davon abbringen. Der Irokese findet die Spur überall, nur nicht in fließendem Wasser. Jetzt wollen wir uns bis zum Dunkelwerden in das Dickicht legen. Wir sind nur noch wenig über eine Meile von Poitou entfernt, und es wäre gefährlich, gleich weiter zu gehen, da das Terrain offener wird.«

So blieben sie denn in einem Erlengebüsch versteckt, während die Schatten länger wurden und die weißflockigen Wölkchen über ihnen sich allmählich in abendliches Rosenlicht tauchten. Du Lhut rollte sich förmlich zu einer Kugel zusammen und verfiel in einen leichten Schlaf, wobei er übrigens die Pfeife zwischen den Zähnen und die Ohren offen behielt, denn beim leisesten Geräusch, das in den Wäldern laut wurde, fuhr er auf. Die beiden Amerikaner flüsterten eine ganze Weile miteinander, Ephraim erzählte eine lange Geschichte von der Seefahrt der Brigg »Industry«, die nach Jamestown fuhr, um Zucker und Sirup einzuhandeln, aber schließlich lullte das sanfte Säuseln eines leichten Windhauches sie ebenfalls ein.

Catinat allein blieb wach. Noch zitterten seine Nerven unter dem plötzlichen geheimnisvollen Schatten, der ihm auf die Seele gefallen war. Was konnte er bedeuten? Doch sicherlich nicht, daß Adèlen eine Gefahr drohe? Er hatte von solchen Ahnungen gehört, aber hatte er sie nicht in Sicherheit hinter Kanonen und Palissaden verlassen? Spätestens am nächsten Abend würde er sie wiedersehen! Wie er so da lag und durch das Gewirr braunroter Blätter zum Himmel darüber schaute, schweiften seine Gedanken in die Ferne, wie die Wolken über ihm. Er war auf einmal wieder im Erker der Rue St. Martin, saß auf der breiten Fensterbank mit dem spanischen Lederpolster, draußen knarrte der goldne Tuchballen, und sein Arm umschlang die schüchterne, ängstliche Adèle, die sich mit einem Mäuschen in dem großen, alten Hause verglichen hatte und nun so mutig an seiner Seite alle die Drangsale einer Wanderung durch die Wildnis ertrug. Dann wieder war er in Versailles. Er erblickte die braunen Augen des Königs, das schöne, kecke Antlitz der Montespan, die heiter klaren Züge der Maintenon. Noch einmal machte er den mitternächtlichen Botenritt, der gespenstige Kutscher fuhr ihn, er sprang mit Amos auf das Schafott, um die schönste Frau in Frankreich zu retten. So klar, so lebendig war das alles, daß er mit einem Schreck wieder zu sich selbst kam und merkte, daß die Dämmerung über den amerikanischen Urwald hereinbrach und du Lhut sich zum Aufbruch anschickte.

»Waren Sie wach geblieben?« fragte der Waldläufer.

»Ja«

»Haben Sie etwas gehört?«

»Nichts als das Eulengeschrei.«

»Mir war's im Schlaf, als wäre in der Ferne ein Flintenschuß gefallen.«

»Im Schlaf?«

»Ja, ich höre schlafend ebenso gut, wie wachend, und besinne mich auch auf das Gehörte. Folgen Sie mir ganz dicht. Wir werden bald am Fort sein.«

»Das nenne ich scharfe Ohren,« sagte Catinat, wahrend sie sich vorsichtig durch verschlungenes Unterholz wandten, »wie haben Sie nur vorhin hören können, daß die beiden Wilden uns folgten? Ich hörte keinen Laut, als sie dicht neben uns waren.«

»Zuerst habe ich sie auch nicht gehört.«

»Sie sahen sie also?«

»Nein, auch das nicht.«

»Wie konnten Sie denn aber wissen, daß sie da waren?«

»Ich hörte eine erschrockene Elster zwischen den Bäumen flattern, nachdem wir schon vorüber waren. Zehn Minuten später hörte ich dasselbe Geräusch. Da wußte ich, daß jemand unsrer Spur folgte, und ich horchte.«

»Peste! Sie sind wahrlich ein Mann der Wälder.«

»Ich glaube, daß diese Wälder von Irokesen wimmeln, obgleich wir ihnen bis jetzt glücklich aus dem Wege gegangen sind. Ein so großer Häuptling wie der Elennhirsch pflegt sich nicht mit kleinem Gefolge noch um einer Kleinigkeit willen auf den Kriegspfad zu begeben. Sie führen eine Teufelei im Schilde gegen die Niederlassungen am Richelieu. Es thut Ihnen jetzt gewiß nicht mehr leid, daß Sie Ihre Frau nicht mitgenommen haben?«

»Ich danke Gott dafür.«

»Ich fürchte, der Wald wird nicht eher wieder sicher werden, als bis die Vogelbeeren ausschlagen. Wenn der Seigneur nicht Männer genug zum Geleit für Sie entbehren kann, werden Sie in Sainte Marie bleiben müssen.«

»Ehe ich meine Frau der Gefahr aussetze, diesen Teufeln in die Hände zu fallen, lieber wollte ich ganz dort bleiben.«

»Freilich, wenn es je Teufel auf Erden gab, so sind sie das. Sie schauderten vorhin, mein Herr, als ich den braunen Elennhirsch skalpierte, wenn Sie aber erst die Indianer so kennen werden, wie ich, wird Ihr Herz wohl ebenso hart werden, wie das meine. Hier sind wir am Rande der Lichtung, und das Blockhaus liegt dort hinter jener Ahorngruppe. Sie halten übrigens schlecht Wache. Schon seit zehn Minuten warte ich jeden Augenblick auf das qui vive! Sie haben sich damals Sainte Marie nicht so weit nähern können, ohne angerufen zu werden. Und doch ist de Launes ein ebenso alter Soldat wie de la Roue. Man kann kaum mehr etwas erkennen; aber dort unten am Fluß pflegt er seine Leute exerzieren zu lassen.«

»Das thut er auch jetzt,« sagte Amos. »Ich sehe ein Dutzend Leute in einer Reihe aufmarschiert.«

»Keine Schildwachen, und alle Mann auf dem Exerzierplätze!« rief du Lhut verächtlich. »Sie haben aber recht, ich sehe sie auch, im offenen Gliede ohne Deckung und jeder so steif und grade wie 'n Tannenstumpf. Wenn man sie so stehen sieht, könnte man glauben, daß kein Indianer uns näher sei, als Orange. Wir wollen hinüber gehen, und bei der heiligen Anna! Ich werde dem Kommandanten sagen, was ich davon denke!«

Du Lhut trat aus dem Walde hinaus und, die vier Männer schritten über das freie Feld auf die Reihe Soldaten zu, die im trüben Zwielicht schweigend auf sie warteten. Jetzt waren sie bis auf fünfzig Schritt herangekommen, und noch hatte keiner die Hand erhoben, oder die Nahenden angerufen. Es lag etwas Spukhaftes in diesem Schweigen, und du Lhuts Gesicht veränderte sich, als er sie musterte. Dann wandte er den Kopf und blickte nach dem Flusse zu.

»Mein Gott!« schrie er auf. »Wo ist das Fort!«

Sie waren soeben um die Ecke der Baumgruppe gekommen, vor ihnen hätte sich der Umriß des Blockhauses erheben müssen. Keine Spur davon war zu entdecken. Es war vom Erdboden verschwunden.


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