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23. Kapitel – Wilde und der Katholizismus

Am selben Tag, an dem Oscar Wilde aus dem Zuchthaus kam, reiste er ins Ausland. Ehe er abfuhr, ging er nach der Bromtoner Betkapelle und fragte, ob er einen der Priester sprechen könne. Er hatte sich damals, so dachte er wenigstens, fest entschlossen, Katholik zu werden, und wollte sofort »aufgenommen« werden. Er hätte aber sicher eine Enttäuschung erlebt, denn viele seiner Ansichten über den Katholizismus waren, obgleich er doch weniger unwissend war als der Durchschnittsprotestant, nicht nur unorthodox – wie im veröffentlichten Teil von De Profundis klar ersichtlich ist – sondern standen in krassem Widerspruch zur katholischen Lehre, oder vielmehr zur christlichen Religion überhaupt. Er verlangte einen bestimmten Pater zu sprechen, den er persönlich kannte. Ich weiß nicht genau, wer es war, aber ich nehme an, daß es sich um den kürzlich verstorbenen Pater Sebastian Bowden handelte, einen sehr frommen alten Mann, der früher bei den Coldstream Guards war. Jedenfalls war der Pater, den er sprechen wollte, gerade abwesend, und obgleich ihm, wie man ihm auch vorschlug, jeder andere zur Verfügung gestanden hätte, lehnte er ab. Man hätte ihm sicher auch gesagt, daß er unmöglich aufgenommen werden könnte, ohne erst in die Lehren der katholischen Kirche eingeweiht zu werden. Oscar wäre dadurch einige Tage in London festgehalten worden, was ihn wahrscheinlich geärgert hätte, denn obgleich er öfter in seinem De Profundis auf seine Demut anspielt, die er angeblich im Gefängnis gelernt hatte, beweist gerade dieses Schriftstück am deutlichsten, daß er noch nicht einmal begonnen hatte, die Bedeutung dieses Wortes in seinem wahren oder christlichen Sinn zu verstehen. Die Vorstellung, daß er »Unterweisung« in einer Lehre brauche, in die er sich bereits völlig eingeweiht glaubte, hätte ihn sicher sehr gekränkt. Ich vermute sogar, daß er, als man ihm in Frankreich sagte, er müsse sich erst unterweisen lassen, schon darum die Idee ganz aufgab. Er verkehrte damals sehr viel mit Ross, und dieser, der selbst Katholik geworden war, obgleich er später, wie ich höre, wieder abtrünnig wurde, hätte ihm sagen können, welche Vorbereitungen zu seinem Übertritt notwendig waren.

Daß Oscar wirklich als Katholik starb (er ist kurz vor dem Tode, als er nicht mehr sprechen, aber noch Zeichen geben konnte, von einem irischen Franziskaner in die katholische Kirche aufgenommen worden), glaube ich jetzt, obgleich ich lange Zeit an der Echtheit und Gültigkeit seiner Bekehrung zweifelte. Meine Gründe hierfür stützten sich damals auf eine Behauptung von Ross, mit dem ich in jener Zeit – so meinte ich wenigstens – befreundet war. Dieser hatte mir ausdrücklich gesagt, Oscar sei, als er in die katholische Kirche aufgenommen wurde, schon »völlig bewußtlos« gewesen, und der Franziskaner hätte sich erst dann bewegen lassen Oscar aufzunehmen, als Ross schwor, Oscar habe ihn, ehe er bewußtlos wurde, gebeten, einen Priester zu holen, weil er als Katholik sterben wolle. Ross sagte mir, daß Oscar in Wirklichkeit nichts dergleichen gesagt hätte und daß seine einzige Rechtfertigung auf einer vor vielen Jahren gemachten Äußerung Oscars beruhe, die dahingehend lautete, daß er unbedingt als Katholik sterben möchte; Ross solle, wenn er glaube, Oscar sei dem Tode nahe, sofort einen Priester holen lassen. Aber Ross berichtete, wie es seine Art war, verschiedene Versionen von diesem Vorfall, je nach seiner augenblicklichen Stimmung oder der Wirkung, die er auf seine Zuhörer hervorzurufen wünschte. Als er mir die Geschichte erzählte, war ich noch nicht Katholik, und obgleich ich keine feindselige Einstellung gegen die Kirche hatte, so hegte ich doch keine besonderen Sympathien für sie. Damals sagte mir Ross dem Sinne nach folgendes: »Hoffentlich ist es Ihnen recht, was ich getan habe. Sie kennen meine Auffassung in religiösen Dingen. Oscar äußerte mehrere Male in seinem Leben den Wunsch, Katholik zu werden, und sagte, daß der katholische Glaube eigentlich der einzige sei, in dem man ruhig sterben könne; darum habe ich auf meine Verantwortung, als ich wußte, daß er dem Tode nahe war, einen Priester holen lassen und diesem gesagt, Oscar habe das Verlangen geäußert, in die katholische Kirche aufgenommen zu werden. Auch dachte ich, daß es die Formalitäten bei seiner Beerdigung in diesem katholischen Lande erleichtern würde.«

Ich erwiderte, daß ich seine Handlungsweise durchaus billigte. Nach Jahren schrieb mir seine Hochehrwürden Sir David Hunter Blair, der Abt von Fort Augustus, dessen Gast ich zweimal eine Woche lang in der Benediktiner-Abtei im Fort Augustus war, einen langen Brief darüber, den ich aber leider nicht mehr finden kann. Doch ich besinne mich sehr genau auf seine Worte. Der Abt schrieb mir, er habe von einem Franziskanermönch, der Oscar in die katholische Kirche aufnahm, einen Bericht darüber erhalten, in dem der Mönch ihm versicherte, daß Oscar genügend bei Bewußtsein gewesen sei, um alles zu hören und zu verstehen, was man ihm gesagt, und obgleich er nicht mehr habe sprechen können, unzweifelhafte Zeichen der Zustimmung gegeben habe. »Ich vergewisserte mich,« schrieb der Mönch, »daß er mich verstand und seine Einwilligung gab.« So fand er sich im allerletzten Augenblick seines bewußten Lebens zur Barmherzigkeit Gottes zurück.

Ich muß hier betonen, um mir selbst gerecht zu werden, daß ich im Jahre 1914, als ich das Buch »Oscar Wilde und Ich« mit Crosland schrieb, fest überzeugt war, Oscar sei nicht als Katholik gestorben. Ross' Bericht darüber schien mir ausschlaggebend, und ich konnte mir nicht denken, daß er mir etwas Unwahres erzählen würde. Die Überzeugung, die ich jetzt habe, daß Oscar doch als Katholik starb, ist mir natürlich sehr tröstlich, denn schon sein Wunsch, in diesem Glauben zu sterben, setzt eine gewisse Gemütsverfassung voraus, die wiederum eine Menge anderer Dinge in sich schließt. Zum Beispiel wenn jemand Katholik wird, muß er ipso facto, wenn seine Bekehrung echt ist, allen denen, die ihn gekränkt haben, verzeihen und alle die um Verzeihung bitten, denen er unrecht getan hat. Außerdem muß er ketzerische Ansichten aufgeben und Reue für alle seine Sünden bekunden, sowohl für die des Fleisches als auch für die des Geistes.

Der heilige Thomas von Aquino behauptet, daß die Sünden des Geistes viel ärger seien als die des Fleisches. Schon darum finde ich die Stellungnahme der Engländer gegen gewisse Laster unhaltbar (außer natürlich bei denen, die niemals durch Gedanken, Wort oder Tat in derselben Weise gesündigt haben), denn Heuchelei ist eine geistige Sünde. Ich will gewiß nicht damit sagen, daß ein Mensch, der einmal Sünden des Fleisches begangen hat, nicht das volle Recht habe, seinen Abscheu gegen solche Sünden auszusprechen, wenn er sich erst klar geworden ist, wie abscheulich sie sind; nein, was ich meine, ist folgendes: Ein solcher Mensch besitzt nicht das Recht, einen anderen zu verfolgen und zu verdammen, weil dieser das getan hat, was er selbst einmal begangen oder bei anderen entschuldigt hat. Am besten läßt es sich in jenes wahrlich erhabene Wort Jesu zusammenfassen: »Der, der ohne Sünde unter euch ist, der werfe den ersten Stein.« Ich glaube auch nicht, daß man sich dadurch entschuldigen kann, daß man einfach wie der Durchschnittsengländer sagt: »Was ich auch sonst ›verbrochen‹ haben mag, niemals habe ich mich der Sünde Wildes schuldig gemacht, wenigstens nicht, seitdem ich die Schule verließ.« Ich zweifle sehr, daß eine so selbstzufriedene Auffassung von den eigenen Sünden und denen der anderen Menschen vor dem Richterstuhl Gottes gelten wird. Alle Sünden des Fleisches sind Todsünden und von diesem Standpunkt aus todbringend, andererseits jedoch kann man, wenn man die dazu erforderlichen Bedingungen erfüllt, ebenso leicht Absolution und Vergebung für diese erlangen wie für jene. Daher ist die Stellungnahme des Strafgesetzes in Frankreich meines Erachtens viel logischer und christlicher als in England, die natürliche Folge davon, daß Frankreich ein katholisches Land ist. In Frankreich wäre Oscar niemals für sein Vergehen mit Gefängnis bestraft worden, obgleich in Frankreich die öffentliche Meinung über jenes Laster, das noch heute manchmal »le vice anglais« genannt wird, genau so scharf urteilt wie in anderen Ländern.

Oscar Wilde verließ England also für immer, als er nach dem kleinen Dorf Berneval fuhr, wo man ein Chalet für ihn gemietet hatte. Als er aus dem Zuchthaus kam, hatten verschiedene Freunde durch freiwillige Sammlungen den Betrag von achthundert Pfund für ihn aufgebracht. Die Hauptgeberin war eine Miß Schuster. Mich hatte man nicht gebeten, daran teilzunehmen. Ross, der die Sammlung veranlaßt hatte (obgleich er selber nichts gab, weil er damals und auch lange Zeit nachher sehr wenig Geld besaß), trug eine stillschweigend feindselige Haltung mir gegenüber zur Schau, und daß er mich nicht aufforderte, mich daran zu beteiligen, war zweifellos eine absichtliche Kränkung. Ob ich etwas hätte geben können, ist eine andere Frage, weil ich damals in Paris von einer sehr kleinen Rente lebte, die mir meine Mutter aussetzte, und selten einen überflüssigen Sou besaß. Jedenfalls aber hätte ich höchstwahrscheinlich von meinem Bruder Percy, wenn ich ihn darum gebeten hätte, fünfzig Pfund oder noch mehr dafür bekommen. Die »offizielle« Stellungnahme Oscars mir gegenüber, von Ross beeinflußt, war jedoch die, daß er nichts mehr mit mir zu tun haben wollte. Ich wundere mich jetzt, wenn ich daran denke, mit welcher Geduld und Demut ich diese beleidigende und völlig unverdiente Behandlung ertrug. Wenn ich Wilde beim Wort genommen und weder an ihn geschrieben noch versucht hätte, ihn je wiederzusehen, wäre der ganze Verlauf meines Lebens ein anderer und für mich vorteilhafterer gewesen, und seine sogenannten Freunde hätten mir vor allem nie Vorwürfe machen können, daß ich ihn »im Stich gelassen« hätte. Statt dessen jedoch schrieb ich ihm sofort und sagte (dem Sinne nach): »Ich höre, daß ich Dir verhaßt bin und daß Du mich nie wieder sehen oder etwas mit mir zu tun haben willst, aber trotzdem schreibe ich Dir, um Dir zu sagen, daß ich mich nicht verändert habe, trotz aller Versuche, die man gemacht hat, mich gegen Dich aufzuhetzen. Ich will Dir auch nur sagen, daß ich mein Dir feierlich gegebenes Wort, Dir treu zu bleiben, gehalten habe, und daß ich mich danach sehne, Dich wiederzusehen.« Es ist meiner Meinung nach fast mit Sicherheit anzunehmen, daß dieser Brief, so wie viele andere, die ich um diese Zeit an Oscar schrieb, unter denen war, die Ross sich aneignete, als Oscar im Hotel d'Alsace auf dem Totenbett lag. Wenn dies der Fall ist, so kann man mit gleicher Sicherheit annehmen, daß Ross' Erben oder Testamentsvollstrecker sie noch in Händen haben. Noch einmal also fordere ich sie hiermit auf, sie mir zurückzuerstatten.

Oscar erwiderte in einem etwas herablassenden Ton, daß er mich nicht hasse, sondern mich im Gegenteil »noch sehr lieb« habe, trotzdem aber glaube er, es sei besser, wenn wir uns nicht sähen. Obgleich der Brief nichts weniger als herzlich war, so war er doch nach allem, was man mir über Oscars Gefühle gegen mich gesagt, freundlicher, als ich erwartet hatte. Zwischen den Zeilen dieses recht formellen und »lehrhaften« Briefes war es mir leicht, zu erkennen, daß Oscar keineswegs in jener Gemütsverfassung war, die seine »treuen Freunde« aus Gründen, die sie selbst am besten wissen, so gern bei ihm gesehen hätten. Um mich deutlicher auszudrücken: ich merkte, daß Oscar sich in Wirklichkeit sehnte, mich zu sehen, daß aber andere Leute es zu hindern suchten.

Eine Anzahl der Briefe, die Oscar mir in dieser Zeit schrieb, sind vom William Andrews Clark jun. in Amerika veröffentlicht worden (aber sie sind nicht verkäuflich). Sie sind in prächtigem Faksimile gedruckt und durch sehr gut geschriebene Erläuterungen ergänzt. Der Schreiber dieser Erläuterungen erklärt an einer Stelle, daß einer dieser Briefe die Unwahrheit des Ross-Harris-Berichtes über die Versöhnung zwischen Oscar und mir klar beweist. Ich will später erklären, wie es kam, daß ich diese Briefe weggab, allerdings nur unter der Bedingung, daß derjenige, dem ich sie anvertraute, sie, solange er oder ich lebten, niemals aus den Händen ließ, und wie seine Nachfolger dieses Versprechen brachen. An dieser Stelle brauche ich nur zu sagen, daß die Briefe veröffentlicht wurden. Ich muß hier auch einflechten, daß ich es ziemlich merkwürdig fand, daß Andrews Clark nicht die Höflichkeit besaß, mir wenigstens ein Exemplar des Buches zu senden, das ich im Jahre 1925 in Nizza (als ich bei Frank Harris war) sah und sorgfältig prüfte. Aber vielleicht dachte er nicht, daß ich Wert darauf legte, es zu besitzen. Die Veröffentlichung der Briefe bestätigte wieder einmal meine Behauptung, daß, je mehr Briefe Oscars bekannt werden, desto besser es für seinen Ruf ist.


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