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22. Kapitel – De Profundis

Während der letzten drei Monate seiner Gefangenschaft schrieb Oscar Wilde jenen Brief an mich, der im Buch De Profundis enthalten ist, ebenso den »unveröffentlichten Teil« von De Profundis, der sich im Britischen Museum befindet. Da ich von der Existenz dieses Schriftstückes erst zwölf Jahre, nachdem Oscar es schrieb, erfuhr, weiß ich bis heute nicht, ob er alles, was er darin sagte, wirklich so meinte, oder ob er es bloß niederschrieb, um sich das Herz zu erleichtern, und es vielleicht nachher bereute. Robert Ross behauptet in einem seiner Vorworte zu diesem Buch, daß Wilde ihm das Manuskript am Tage seiner Entlassung aus dem Zuchthaus übergab; an einer anderen Stelle jedoch gibt er deutlich zu verstehen, daß Wilde es ihm aus dem Zuchthaus schickte und ihm schrieb, was damit geschehen sollte. Diese beiden Behauptungen widersprechen sich. In dem Neuen Vorwort zu seinem Buch »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« hat Frank Harris bewiesen, daß Ross, ganz abgesehen von dem, was er mir antat, ein monumentaler Lügner ist. Seine Lügen sind wie die Falstaffs »groß und handgreiflich«. Harris erklärt ferner in diesem Vorwort, daß die Schilderung, die er in seinem Buch »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« von dem Tod Oscars gibt, eine reine Erfindung von Ross ist. Reggie Turner, der sich im Zimmer befand, als Oscar starb, hat Harris versichert, daß die von Ross gegebene Schilderung mit all den widerlichen Einzelheiten von Anfang bis zu Ende eine Lüge sei. Dasselbe gilt für Ross' Erzählung von der Überführung der Leiche Wildes nach dem Père-Lachaise. Wenn meine Leser noch genauer unterrichtet sein wollen, so verweise ich sie auf das Neue Vorwort, in dem sie Harris' eigenen Bericht von den erstaunlichen Lügen lesen können, die Ross' Beitrag zu Harris' ursprünglichem Buch lieferten.

Da ich jetzt weiß, wie wenig Wert man auf Ross' Angaben legen kann, ist es natürlich unmöglich für mich, irgendwie festzustellen, wie sich die Ereignisse bei Oscars Tod in Wirklichkeit abspielten. Ich habe keine Beziehungen zu den intimen Freunden von Ross. Wenn dies der Fall wäre, würde ich versuchen, die Wahrheit aus ihnen herauszubekommen, vorausgesetzt natürlich, daß sie sie selbst wissen. Oscar Wildes Sohn, der noch lebt, den ich aber seit seinem siebenten oder achten Jahre nicht mehr wiedergesehen habe, weiß vielleicht die Wahrheit, wenn er nicht – was immerhin möglich wäre – durch die falschen Berichte von Ross irregeführt worden ist. Zu der Zeit, als ich mein Buch »Oscar Wilde und Ich« zusammen mit Crosland schrieb, kurz nach dem Ransome-Prozeß, glaubte ich Ross, als er behauptete, Wilde habe gewünscht, daß man seinen Angriff gegen mich in De Profundis bis nach meinem Tod geheimhalte und dann veröffentliche. Jetzt jedoch hege ich starke Zweifel daran. Ich halte es für viel wahrscheinlicher, daß Wilde den Brief nur schrieb, um sein Herz zu erleichtern und sich von seinem ganz unberechtigten Groll gegen mich zu befreien. Er wird den Brief Ross gegeben haben, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, mit dem Auftrag, ihn mir zu schicken oder vorläufig aufzubewahren. (Man kann sich kaum vorstellen, daß Wilde einen Brief von über sechzigtausend Worten schreiben und ihn mir dann nicht einmal zu lesen geben würde, was Ross uns anscheinend glauben machen will.) Ich denke mir, daß Wilde, als er sich drei Wochen nach seiner Entlassung mit mir versöhnte, die ganze Angelegenheit vollkommen vergaß. Da er das Schriftstück wahrscheinlich für eine sehr schöne und literarisch wertvolle Leistung hielt, würde schon seine Eitelkeit als Schriftsteller und Dichter ihn daran gehindert haben, es zu vernichten. Er kann ja auch die Absicht gehabt haben, es irgendwie einmal zu bearbeiten oder noch einmal zu schreiben. So kam es wohl, daß es in Ross' Händen blieb. Als Oscar starb, war es noch in Ross' Besitz, und es stand ihm frei, damit zu tun, was er wollte, und jede beliebige Geschichte, die ihm einfiel (da niemand mehr da war, der ihm hätte widersprechen können), über Oscars Anweisungen und Absichten zu erzählen. Jedenfalls ist es sehr merkwürdig, daß Ross nirgends öffentlich mit Bestimmtheit erklärt hat, daß Wilde ihn gebeten hätte, das Manuskript aufzubewahren und dessen Existenz vor mir geheimzuhalten. Ross gab dies zwar immer zu verstehen, aber ich glaube nicht, daß er es jemals klipp und klar gesagt hat.

Harris erklärt in dem »Neuen Vorwort« zu seinem Buch über Wilde, daß Oscar sich seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis mir gegenüber doppelzüngig zeigte. Er schrieb mir, ehe er mich wiedersah, von Berneval aus eine ganze Menge Briefe, die alle in sehr liebevollem Ton gehalten waren. Wie ich viele Jahre später erst erfuhr, schrieb er zur gleichen Zeit, als er mich »mein geliebter Junge« nannte, Schmähungen über mich an Ross. Während er in Paris war und häufig große Summen Geld von mir annahm, erzählte er allen Leuten (anscheinend jedem, den er traf), daß ich ihm nicht einen Sou gäbe und ihm auch jegliche Hilfe verweigerte. Wie Harris sagt: »Solche Falschheit und Niedertracht ist kaum begreiflich, aber die Tatsache besteht.«

Angesichts der oben erwähnten Tatsachen und der völligen Unzulänglichkeit solcher Zeugen wie Ross und Wilde selbst erscheint es mir unmöglich, jemals die Wahrheit über die ganze De Profundis-Angelegenheit zu erfahren. Ich will hoffen, Wilde hat nicht wirklich gewollt, daß seine unsinnigen Vorwürfe und Klagen über die großen Summen, die er in seinen guten Zeiten für Einladungen an mich vergeudet hat, nach meinem Tode veröffentlicht würden. Es ist sogar anzunehmen, daß er sich nach der Aussöhnung mit mir seiner Worte herzlich schämte.

Ich kann mir sehr schwer irgendein Urteil darüber bilden, da ich von der Existenz des Manuskriptes erst viele Jahre nach Oscars Tod erfuhr und darum vielleicht manche Anspielungen Oscars nicht verstand, die er in der Annahme, ich wäre unterrichtet, gemacht haben mag. Wahrscheinlich war er der Meinung, Ross habe es mir geschickt und ich schweige absichtlich darüber. Daß er Ähnliches gedacht hat, glaube ich aus einer Bemerkung schließen zu können, die er einmal machte, als wir allein waren; sie spielte auf etwas an, was er im Gefängnis über mich geschrieben oder gesagt. Ross hatte mir ja auch, während Wilde noch im Zuchthaus war, einen Brief mit einigen Auszügen aus Bemerkungen geschickt, die Oscar angeblich über mich gemacht hatte. Ob es aber niedergeschriebene oder nur mündliche Äußerungen waren, weiß ich nicht mehr, weil ich den mehrere Seiten langen Brief, sobald ich seinen Sinn erfaßt hatte, in einem Anfall maßloser Wut zerriß und die Stücke in die Marne warf, an deren Ufern ich damals lebte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieses Schreiben Auszüge aus Wildes De Profundis-Brief an mich enthielt. Wenn hingegen Ross' Behauptung stimmt, daß Wilde ihm das Manuskript erst am Tage seiner Entlassung aus dem Gefängnis gab, kann sein Brief an mich, der mich in Nogent-sur-Marne einige Zeit vor Wildes Entlassung erreichte, unmöglich die vermuteten Auszüge enthalten haben. Alles was ich mit Bestimmtheit darüber sagen kann, ist, daß Oscar mir eines Tages, als ich nach seiner Befreiung bei ihm war und ihm im Laufe einer Diskussion über irgend etwas Vorwürfe machte, sagte: »Du wirst mir doch nicht jetzt Vorwürfe über etwas machen, was ich im Gefängnis schrieb, als ich halb verhungert und fast verrückt war.« Natürlich meinte ich, daß er auf Ross' Brief anspielte, den ich in die Marne geworfen hatte. Ich erwiderte, daß ich den Brief nur flüchtig angeblickt und ihn sofort, als ich seinen Sinn begriff, in Stücke zerrissen und fortgeworfen hätte, fest entschlossen, nie wieder daran zu denken.

Jetzt aber, wenn ich mich aller dieser Dinge erinnere, komme ich immer mehr zu der Meinung: Oscar hat niemals beabsichtigt, den Brief irgendwie als Waffe gegen mich benutzen zu lassen; Ross aber hat vorsätzlich Wildes Haltung und Absichten falsch ausgelegt. Ist dies der Fall, so ist Wilde von einer der schwersten und schlimmsten Beschuldigungen, die je gegen ihn erhoben worden sind, freigesprochen. Zur Zeit des Ransome-Prozesses glaubte nicht nur ich, sondern jeder, der ihn verfolgte, daß sich Wilde wirklich des feigen Verrats und der schwarzen Undankbarkeit schuldig gemacht hätte, jener Undankbarkeit, die Crosland veranlaßte, seine so furchtbare und beredte Anklage zu schreiben, die er »Der erste Stein« nannte. Wenn man Oscar unrecht getan hat, so kann ich nur sagen, daß er es allein seinem bösen Geist Robert Ross zu verdanken hat.

Als ich anfing dieses Buch zu schreiben, war ich so gut wie überzeugt, daß Wilde in dieser Hinsicht unschuldig war, und diese Auffassung hat es mir möglich gemacht, den Groll und die Entrüstung aus meinem Herzen zu verbannen, die mich erfüllten, als ich mit Croslands Hilfe im Jahre 1914 das Buch »Oscar Wilde und Ich« schrieb. Nachdem ich mich nun einmal zu dieser Auffassung durchgerungen habe, erscheint es mir nur gerecht, hiermit zu erklären, daß ich alles, was ich in jenem Buch über Oscar sagte, zurücknehme. Dieses Buch gibt keineswegs eine wahrheitsgetreue Darstellung unserer Freundschaft. Ich schrieb es, als ich noch unter dem Einfluß des entsetzlichen Eindrucks stand, den das erste Lesen des »unveröffentlichten Teils« von De Profundis im Jahre 1913 oder 1912 auf mich gemacht hatte. Die Ransome-Klage kam zwar erst im Jahre 1913 zur Verhandlung, aber der Schriftsatz, der den »Wahrheitsbeweis« enthielt, wurde zusammen mit einer Abschrift des »unveröffentlichten Teils« von De Profundis, glaube ich, schon Ende 1912 versandt.

Als ich das Buch »Oscar Wilde und Ich« zu schreiben begann, sagte mir Crosland, mit dem ich damals schon über zwei Jahre zusammen arbeitete, als ich die »Academy« leitete: »Sie werden niemals das Buch so schreiben, wie es geschrieben werden müßte. Selbst jetzt, nach allem, was geschehen ist, und nachdem Sie den vollen Beweis dafür haben, welch unbeschreiblicher Schuft Wilde war, haben Sie doch noch immer eine ›weiche Stelle‹ im Herzen für ihn und werden ihn darum nie mit richtigen Farben malen. Lassen Sie mich jenen Teil des Buches schreiben. Es wäre sogar am besten, Sie ließen mich das ganze Buch allein schreiben. Sie liefern mir den Stoff und sehen es natürlich durch, wenn es fertig ist.« Nach vielen Diskussionen willigte ich ein, daß Crosland mit daran schrieb. Ich bezahlte ihn sehr anständig dafür. Obgleich er ursprünglich nur hundert Pfund haben wollte, gab ich ihm die Hälfte von allen Einnahmen, die mir das Buch brachte. Zum Schluß erhielt er mindestens zweihundertfünfzig Pfund. Sehr häufig kam es vor, daß Crosland sagte, nachdem ich etwas geschrieben hatte, was ich für sehr scharf hielt: »Ja, das ist alles sehr schön und gut, aber Sie sind noch viel zu zart.« Dann pflegte er im Zimmer auf- und abzugehen und eine umgearbeitete Version von dem, was ich geschrieben hatte, zu diktieren. Zum Schluß hatte er den Hauptteil des Buches geschrieben. Er sagte entschieden Dinge über Wilde, die ich niemals übers Herz gebracht hätte. Aber als sie einmal geschrieben waren, ließ ich sie stehen. Crosland sagte: »Was wir tun müssen, ist, diesen Mann ein für allemal von dem Piedestal herunterzuholen, auf den seine Bewunderer ihn gestellt haben.« Ein großer Teil des Buches ist ungerecht und irreführend. Ich glaube jetzt eingesehen zu haben, daß es immer ein Fehler ist, ungerecht zu sein, selbst gegen Menschen, die einen schlecht behandelt haben. Die Tatsache, daß Ross, Harris und Andere Lügen über mich verbreitet haben, und daß Wilde selbst drei Monate seines Lebens damit verbrachte, meinen Ruf durch raffiniert ausgedachte, gewissenlose Unwahrheiten zu verderben, berechtigt mich nicht, ›Gleiches mit Gleichem‹ zu vergelten, wie ich es tat, als ich Wilde mit schwärzeren Farben malte (und Crosland gestattete, es ebenfalls zu tun), als die Gerechtigkeit es erfordert.

In »Oscar Wilde und Ich« habe ich Wilde nicht nur ungerecht behandelt und es sogar so weit getrieben, daß ich von manchen seiner literarischen Arbeiten, die ich in Wirklichkeit sehr bewundere, geringschätzig sprach, sondern ich leugnete meine Liebe und Verehrung, die ich trotz allem für ihn empfand, das heißt, bis ich den »unveröffentlichten Teil« des De Profundis las. In diesem Fall war ich auch gegen mich selber ungerecht, denn die einzige Erklärung für vieles, was ich seinetwegen tat, liegt eben in meiner Vernarrtheit in ihn (wie ich einmal in einem Prozeß aussagte). Es ist nicht zu leugnen, daß ich ihn förmlich vergötterte. Ich glaube sogar bestimmt, daß ich ihn viel inniger liebte als er mich, trotz seiner Beteuerungen von seiner »wundersamen Liebe« zu mir. In Wirklichkeit war seine Liebe zu mir, selbst wenn man nicht vergißt, daß Kummer und Leid sie unzweifelhaft eine Zeitlang verklärten und läuterten, hauptsächlich auf seine Bewunderung meiner physischen Vorzüge gegründet. Es schmerzt mich, es sagen zu müssen, aber ich kann mich nicht ganz gegen die Vermutung verschließen, daß die Erklärung für sein liebloses Benehmen gegen mich in den letzten Jahren seines Lebens größtenteils in dem Umstand zu suchen ist, daß ich damals äußerlich nicht mehr ganz so anziehend war als zur Zeit, als er mich kennenlernte. In »Dorian Gray« gibt es eine Stelle, die seine Ansichten in dieser Beziehung genügend kennzeichnet. Lord Henry sagt zu Basil Halward (ich zitiere aus dem Gedächtnis, weil ich Dorian Gray seit zwölf Jahren nicht mehr gelesen habe): »Eines Tages wirst du deinen Freund ansehen, und du wirst bemerken, daß seine Nase nicht mehr die schönen Konturen hat wie früher. Du wirst ihm deswegen grollen und meinen, daß er sich dir gegenüber sehr schlecht benommen hat.«

Meine Zuneigung für Oscar hingegen ruhte bestimmt nicht auf der Bewunderung seines Äußeren. Ich liebte ihn, weil er klug, geistreich, wunderbar und ungewöhnlich faszinierend in seiner Unterhaltung war. Sein Äußeres sprach, jedenfalls solange ich ihn kannte, eher gegen als für ihn. Bei meiner allerersten Begegnung mit ihm machte er sogar einen etwas komischen Eindruck auf mich. Nachher gewöhnte ich mich natürlich daran, und die Bewunderung, die ich für seinen Intellekt und die bezaubernde Macht seiner Unterhaltung hegte, wog in meinen Augen alle die Nachteile seines Äußeren auf. Als er vom Schicksal so grausam heimgesucht wurde und das Unglück über ihn hereinbrach, wurde meine Liebe zu ihm durch Mitleid und Teilnahme natürlich tausendfach verstärkt. Damals gab es nichts, was ich nicht für ihn getan hätte. Es klingt zwar wie ein Gemeinplatz, aber es ist die volle Wahrheit, wenn ich sage, daß ich mit Freuden mein Leben für ihn hingegeben oder statt seiner die Gefängnisstrafe auf mich genommen hätte.

Daß ich die Stärke meiner Gefühle für Oscar nicht übertreibe, ist leicht zu beweisen. Auf der nächsten Seite zitiere ich ein Sonett, das ich fast drei Jahre nach seinem Tod schrieb. Als Beweis für die Kraft und Dauer meiner Liebe zu ihm wird dieses Sonett für diejenigen, die echtes Empfinden in der Dichtung zu schätzen wissen, überwältigend sein. Frank Harris ist mein größter Verleumder, der Mann, der mehr als jeder andere Mensch dazu beigetragen hat, mich in den Augen der Welt herabzusetzen und anzuschwärzen. Er rühmt sich, daß er vierzigtausend Exemplare seines widerlichen Buches »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« verkauft hat. Er hat schriftlich zugegeben, daß fast alles, was er darin über mich sagt, Lüge oder absichtliches Verdrehen der Wahrheit ist, er hat versprochen, das »Neue Vorwort«, das diese Erklärungen enthält, jeder neuen Auflage seines Buches einzuverleiben, und doch hat er sein Versprechen nicht gehalten. Eine neue Auflage seines Buches ist bei Brentano in New York erschienen, in ihr ist jede einzelne lügenhafte Behauptung über mich wiederholt. Nicht nur das, er erwähnt nicht einmal das »Neue Vorwort«, das sein Dementi enthält, und wenn ich es nicht selbst auf eigene Verantwortung herausgebracht hätte, nachdem meine Anwälte mir versichert hatten, daß ich jedes Recht dazu besäße, weil es ein Dementi und eine öffentliche Abbitte für eine Anzahl gröbster Verleumdungen sei, so hätte es niemals das Licht der Welt erblickt. Doch durch eine seltsame Ironie des Schicksals ist dieser selbe Frank Harris der einzige noch lebende wirklich prominente Schriftsteller, der begeistert über meine Gedichte geschrieben hat. In dem »Neuen Vorwort« zu seinem Buch »Oscar Wilde, eine Lebensbeichte« zitiert er – nachdem er erklärt hat, daß ich als Dichter von Sonetten würdig sei, »an die Seite von Shakespeare gestellt zu werden« – das bewußte Sonett und nennt es ein Gedicht, »das entschieden zu den schönsten Schätzen englischer Dichtung gehört«.

Dieses Sonett will ich hier anfügen und damit das Kapitel beschließen:

Alas! that Time should war against Distress,
And numb the sweet ache of remembered loss,
And give for sorrow's gold the indifferent dross
Of calm regret or stark forgetfulness.
I should have worn eternal mourning dress
And nailed my soul to some perennial cross,
And made my thoughts like restless waves that toss
On the wild sea's intemperate wilderness.

But lo! came Life, and with its painted toys
Lured me to play again like any child.
O pardon me this weak inconstancy.
May my soul die if in all present joys,
Lapped in forgetfulness or sense-beguiled,
Yea, in my mirth if I prefer not thee. Ach allen Kummer heilt zu rasch die Zeit.
Sie gönnt uns nicht, Verlornes zu beklagen,
Statt Grames Hoheit bringt sie unsern Tagen
Stumpfes Bedauern und Vergeßlichkeit.

Mir hätt' geziemt, zu trauern allezeit,
Die Seele ewig an ein Kreuz zu schlagen,
Schmerz und Empörung nur im Sinn zu tragen
Wie Wogen wild auf Meeres Einsamkeit.

Doch sieh, das Lehen kam mit buntem Tand,
Verlockte mich, zu spielen wie ein Kind.
Verzeih, ich war zu schwach und fügte mich.

Doch meine Seele sei verdammt, verbrannt,
Wenn ich um Freuden, die vergänglich sind,
Jemals vergessen könnte Dich, o Dich.


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