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9. Kapitel – Rennen und Hofleben

Dieses nur von den Ferien mit ihren Jagd- und sonstigen Vergnügungen unterbrochene Leben führte ich ungefähr zwei Jahre. Das Landhaus meiner Mutter befand sich kaum acht Kilometer von Ascot entfernt, darum hatten wir jedes Jahr zur Zeit der Rennen in Ascot sehr viel Besuch, zu dem mein Onkel Percy Wyndham und meine Tante Madeline stets gehörten. Es ist eine ganz interessante Tatsache, daß damals, als Lord Coventry »Master der Buckhounds« war, der Preis einer Karte zur königlichen Tribüne für die ganze Woche (vier Tage Rennen) ein Pfund war, während er jetzt mehr als das Fünffache beträgt. Mindestens die Hälfte der Leute, die heute Einlaß erhalten, hätten damals keine Aussicht gehabt, Karten zu bekommen. Mein Bruder Drumlinrag, der damals bei der Coldstream Guards war, konnte uns so viele Karten verschaffen, wie wir wollten.

Später, als ich eigene Pferde in Frankreich hielt (leider nur während zweier kurzer Jahre!), hatte ich Gelegenheit, das englische Rennsystem mit dem französischen zu vergleichen. Ich halte das französische für das weitaus bessere. In England herrscht eine Manie für besonders »reservierte Tribünen«, eine sehr snobistische Einrichtung, die zu allen möglichen unerwünschten Unterscheidungen führt, die die Engländer, in ihrer köstlichen Ahnungslosigkeit über ihre eigenen Schwächen, »unenglisch« zu nennen belieben. Im Jahre 1910 verweigerte mir der Herzog von Richmond den Einlaß zur »Privattribüne« in Goodwood, obgleich ich ohne weiteres zur Tribüne des Jockey-Klubs in Doncaster oder zur Tribüne der Grafschaft York und ähnlichen »Privattribünen« im ganzen Land zugelassen wurde. Solange der Herzog von Richmond eine Privattribüne besitzt, hat er natürlich das Recht, allen Leuten, die einen höheren gesellschaftlichen Rang als er einnehmen, den Eintritt zu verweigern und jeden nouveau riche oder zweifelhaften Kriegsgewinnler aufzunehmen, ganz wie es ihm behebt. Da aber das Wettrennen eine nationale Institution ist, die ihr Bestehen dem zahlenden Publikum verdankt, dürfte meines Erachtens kein einzelner das Recht haben, diesen oder jenen Menschen je nach seiner Laune auszuschließen. Damals, als der Herzog mir den Einlaß zu seiner Privattribüne in Goodwood verweigerte, war ich Mitglied des exklusiven White-Klubs, aus dem ich erst im Jahre 1913 austrat, als ich von Ross und Lewis ruiniert wurde. Seine Art, mich von einem Ort auszuschließen, den zu betreten ich durch meine Geburt das volle Recht hatte, kann man nur, um mich sehr milde auszudrücken, als äußerst unliebenswürdig bezeichnen. Der Umstand, daß der Herzog von Richmond zufällig mit meinem Schwiegervater, Oberst Custance (sie hatten zusammen bei den Grenadieren gestanden), befreundet war, mit dem ich wegen meines einzigen Sohnes Raymond in Fehde lag, macht sein Benehmen nicht eine Spur ritterlicher.

Auf den wunderbaren Rennplätzen in der Nähe von Paris, die man täglich das ganze Jahr hindurch besuchen kann, außer in der Zeit, wenn die venue nach dem Süden Frankreichs verlegt wird, oder während des vierzehntätigen Rennens in Deauville, gibt es nur zwei abgeschlossene Tribünen. Während meiner Rennzeit kostete die Eintrittskarte zur pesage, wo eine riesige Menschenmenge bequem Platz hat, zwanzig Francs, was damals sechzehn Schillingen gleichkam, während die pelouse drei Francs, das heißt zweiundeinhalb Schilling kostete. Jeder konnte den einen oder den anderen Platz nach Belieben besuchen, und Damen bezahlten die Hälfte des Eintrittspreises. Die Rennen in Frankreich waren (und sind es heute noch) mindestens ebenso gut wie in England, und vom Standpunkt der Rennpferdezucht werden meines Erachtens die Franzosen die Engländer sehr bald übertreffen – das heißt, sie haben eigentlich bereits ihre Überlegenheit in dieser Hinsicht bewiesen. Jetzt gehe ich niemals zu einem englischen Rennen, hauptsächlich, weil ich die Eintrittspreise für unerhört hoch halte, und zweitens, weil die ständigen Fahrten in den überfüllten Zügen, die unvermeidlich sind, will man regelmäßig am Rennen teilnehmen, einem die Sache verleiden, außer vielleicht denjenigen, die beruflich oder halbberuflich am Wettrennen teilnehmen.

In den Jahren 1886 bis 1895 kam ich während meiner Schul- und Universitätsferien bis zum Ausbruch des Oscar Wilde-Skandals häufig mit dem verstorbenen König Edward, dem damaligen Prinzen von Wales, mit dem Herzog von Cambridge und mit anderen Mitgliedern der königlichen Familie zusammen. In meiner Studienzeit machte ich zwei Seasons in Homburg mit, in Gesellschaft meiner Mutter und meines Großvaters, Alfred Montgomery, der mit dem Prinzen von Wales sehr befreundet war, und wir dinierten nach der damals in Homburg herrschenden Mode à la belle franquette mindestens ein halbes dutzendmal mit dem Prinzen zusammen. In Homburg hatte mich mein Großvater, dessen Gast ich später auch öfter in seinem Haus in Piccadilly war, mit dem Herzog von Cambridge bekannt gemacht.

Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Diner, das mein Großvater zu Ehren des Herzogs im Traveller's Club gab, bei dem der Herzog, ein sehr liebenswürdiger alter Herr, der immer besonders freundlich gegen mich war, nach dem Abendessen am Tisch einschlief und schnarchte, gerade als dringende Gründe, aufstehen zu müssen, sich bei mir bemerkbar machten. Nach einem geflüsterten und verzweifelten Appell an meinen Großvater erhielt ich die Erlaubnis, mich leise zu entfernen, aber ich hatte das Pech, ein Besteck herunterzuwerfen, und der Lärm weckte Seine Königliche Hoheit, zur großen Erleichterung seines Stallmeisters und der übrigen Gesellschaft, die aus etwa acht Gästen bestand.

Ungefähr um diese Zeit widerfuhr mir das große Unglück – ich kann es nicht anders als ein Unglück nennen –, Oscar Wilde kennenzulernen. Der Dichter Lionel Johnson, einer meiner besten Freunde in Oxford, nahm mich eines Tages nach Wildes Wohnung in der Tite-Street 16 mit. Lionel war zwei Jahre mit mir zusammen in Winchester gewesen, aber da er drei Jahre älter war als ich, kam ich dort nicht mit ihm zusammen. Für unsere letzte Nummer des »Pentagram« schrieb er ein halb humoristisches, halb wehmütiges Gedicht, und später ein zweites wunderbares, sowie mehrere Prosabeiträge für meine Oxforder Zeitschrift »The Spirit Lamp«; aber davon will ich später berichten.

Lionel war ein Prachtkerl, wenn er auch recht exzentrisch war und leider allzu reichlich an Kneipereien teilnahm, die sein zarter, kindhafter Organismus nicht vertrug. Er war erst etwas über dreißig Jahre, als er starb. Es war eine Manie bei ihm, nicht zu Bett zu gehen, und wenn er jemand dazu bekommen konnte, ihm Gesellschaft zu leisten, konnte er bis fünf Uhr morgens aufbleiben und sehr geistreich plaudern. Zu anderen Tageszeiten jedoch war er auffallend schweigsam. Daß er ein großer Gelehrter und sehr begabter Dichter war, steht unzweifelhaft fest, nur ist seine beste Arbeit so tiefgründig und gelehrt, daß sie bloß für einen ganz kleinen auserwählten Leserkreis geeignet ist. Daß er mich mit Oscar Wilde bekannt gemacht hatte, war später für ihn ein großer Kummer, obgleich er selbstverständlich in keiner Weise für die kommenden Ereignisse verantwortlich war. Frank Harris wird es vielleicht interessieren, zu erfahren, daß Lionel Johnsons berühmtes Sonett: »Ich hasse dich mit unbezwingbarem Haß« an Wilde gerichtet war und ich mit dem darin erwähnten Freund gemeint bin. Viele Jahre später gestand es mir Lionel. Es könnte also wohl keinen schlagenderen Beweis geben, daß Lionel keineswegs Lord Darlings Ansicht über meine Verantwortung für die Katastrophe, die Wilde und auch mich traf, teilte. Dieses Sonett wurde mindestens ein Jahr vor der endgültigen Katastrophe geschrieben, und nur Lionel Johnsons angeborene Güte veranlaßte ihn (aus Mitleid für Wilde, den er für genügend bestraft hielt), zu leugnen, daß das Gedicht an Wilde gerichtet war. Aber wie gesagt, er gestand es mir später, daß er Wilde gemeint hatte, weil er damals die Ansicht vertrat, daß Wilde im Begriff war, mich, den achtzehn Jahre jüngeren Freund, an Leib und Seele zu ruinieren.

Ich bedaure außerordentlich, daß Lionel meine Bekehrung zu seiner geliebten katholischen Religion nicht mehr erlebt hat. Er war bald, nachdem er Oxford verlassen hatte, katholisch geworden. Ich bin jetzt überzeugt, daß, weil er immer inbrünstig für meine Bekehrung betete, er etwas damit zu tun gehabt hat, wenn ich auch zur Zeit unserer Freundschaft sehr antikatholisch war. Aber schließlich brauche ich nicht zu bedauern, daß er das Erhören seiner Gebete nicht hier auf Erden erlebt hat, da er es jetzt natürlich weiß.


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