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21. Kapitel – Meine Gedichte

Nach Oscars Verurteilung blieb ich eine Weile in Frankreich und fuhr dann nach Neapel und Capri. Ich besaß ungefähr sechs Monate lang eine Villa in Capri und hielt mich den ganzen Sommer dort auf; fast immer war ich im Wasser. In Neapel und Capri schrieb ich manche meiner besten Gedichte. Dann kehrte ich nach Paris zurück und wurde vom Herausgeber des »Mercure de France« gebeten, einen Artikel über die Oscar Wilde-Affäre von meinem Standpunkt aus zu schreiben. Ich nahm die Aufforderung an und schrieb einen Artikel für die Zeitschrift, allerdings englisch, da ich damals Französisch nicht genügend beherrschte, um in dieser Sprache gut schreiben zu können. Allerdings sprach ich Französisch fließend, später schrieb ich es auch wie ein Franzose. Der Essay wurde ins Französische übersetzt, und ich fügte ihm einige Auszüge aus den Briefen bei, die Oscar mir aus dem Holloway-Gefängnis und in der Zeit geschrieben, als er bei Leversons wohnte und auf die zweite Gerichtsverhandlung wartete. Ich glaube, daß mein Artikel Wilde in Frankreich wenigstens vollkommen rehabilitiert hätte, wenn seine Veröffentlichung nicht durch das wohlgemeinte, aber ungeschickte Eingreifen von Robert Harborough Sherard verhindert worden wäre.

Unglücklicherweise besuchte Sherard Oscar gerade zu dieser Zeit im Gefängnis und teilte ihm mit, daß ich beabsichtigte, »alle seine Briefe in einer Zeitung veröffentlichen zu lassen«. Ohne eine Ahnung von meinen Beweggründen oder der Art meines Artikels zu haben oder auch nur danach zu fragen, stellte er Wilde die ganze Sache in einem vollkommen falschen Licht dar. Das Ergebnis war natürlich, daß Wilde Sherard beauftragte, die Veröffentlichung seiner Briefe zu verhindern. Sherard, der mit dem Übersetzer meines Artikels persönlich befreundet war, erklärte diesem Herrn, daß Oscar die Veröffentlichung seiner Briefe nicht wünsche. Infolgedessen bat mich der »Mercure de France«, die Briefe fortzulassen. Da beschloß ich denn, den ganzen Artikel zurückzuziehen, weil es mir nutzlos erschien, ihn ohne die Briefe zu veröffentlichen. Zu diesem Schritt hatte mich auch Oscars Verhalten bestimmt, das nach Ross' Schilderung recht lieblos war. Dieser sagte mir zum Schluß, er sei von Oscar beauftragt, mir seine Briefe fortzunehmen. Meine Antwort darauf habe ich in einem früheren Kapitel schon berichtet.

Auf diese Weise wurde Oscar zum zweiten Male um die Möglichkeit, rehabilitiert zu werden, gebracht. Es geschah durch seine eigene Kurzsichtigkeit und weil er die schlechten Ratschläge derer befolgte, die Zutritt zu ihm hatten, während mir durch seine eigene Schuld der Weg zu ihm versperrt war. Das erste Mal hatte Oscar seine einzige Aussicht auf Freisprechung verscherzt, indem er mich hinderte, als Zeuge bei seinem Prozeß zu erscheinen. Ich hatte jetzt wie auch damals keinen anderen Gedanken, als ihm zu helfen und ihn aus dem Schmutz zu ziehen, in den er geraten war, aber er warf noch einmal seine beste Karte fort. Mein Artikel und seine Briefe sollten Oscar von seiner edlen Seite zeigen. Ich wollte die ganze Oscar Wilde-Angelegenheit von der üblen Atmosphäre des Gerichtssaals befreien und sie in die höhere, reinere Luft der Tragödie und der Romantik emporheben.

Die Briefe, die ich zu veröffentlichen beabsichtigte, zeigten Oscar von einer Seite, die niemand außer mir jemals gesehen hat, oder höchstens die wenigen Menschen, denen ich die Briefe zu lesen gab. Als er sie schrieb, hatten der Kummer und seine damals wirklich reine Liebe zu mir ihn in Regionen altruistischen Edelmuts emporgetragen, die er nie wieder in seinem Leben oder in irgendwelchen seiner veröffentlichten Werke erreichte. Ich kenne keinen, der diese Briefe ohne echte Bewegung lesen konnte; selbst diejenigen, die Oscar Wilde haßten und verachteten, haben Tränen darüber vergossen. Sie zeigen ihn als einen Menschen, der eine Zeitlang wenigstens durch seine Liebe zu einem anderen Wesen sich selbst vergessen konnte. Nicht im entferntesten sind sie mit den gekünstelten, fast abstoßenden Episteln zu vergleichen, die bei der Verhandlung im Old Bailey von meinem Vater gegen ihn vorgebracht wurden. Aus diesen Briefen waren echtes Empfinden, tragische Seelenkonflikte, hehre Leidenschaft zu erkennen, während die von meinem Vater gestohlenen gekünstelt und abstoßend waren. Einmal in seinem Leben, als Oscar der Welt, die für ihn ein einziger grauenhafter Abgrund von unbekannten Schrecken und feindseligen Blicken geworden war, die Stirn bot, hat er an jemand anders als an sich selbst gedacht. Seine Briefe drücken wirklichen Seelenadel aus. Die Alchimie einer aufrichtigen Liebe hatte sein Denken in reines Gold verwandelt. Der eine Brief, der eine Apologie für seine ganze Haltung mir gegenüber enthielt, hätte entschieden viel dazu beigetragen, seine ärgsten Feinde zu entwaffnen und ihr Urteil zu mildern. Wären diese Briefe einmal veröffentlicht worden, dann wäre jenes furchtbare »Hohngelächter der Welt«, das, wie Wilde eine seiner Personen in »Lady Windermeres Fächer« sagen läßt, »tragischer ist als alle die Tränen, die die Welt je vergossen hat«, zum Verstummen gebracht worden. Ich glaube sogar, daß selbst mein Vater sie nicht hätte lesen können, ohne das Gefühl zu haben, daß etwas in ihnen war, was er nicht begriff und nicht, ohne sich selbst zu schaden, verhöhnen konnte. Wer einen Funken Ehre im Leibe hat, kann nie eine wirklich echte Liebe eines Menschen zu einem anderen verhöhnen. Wenn ich »Liebe« sage, meine ich die echte Liebe und nicht die physische Leidenschaft oder Begierde oder sonst etwas Ähnliches.

In meinem Gedicht »In Excelsis« heißt es:

For Love essentially must needs be chaste
And being contracted to unchastity
Even in marriage knows essential loss
And falls into a malady of waste,
Squandering the expended spirit's minted fee
For that which in itself is worthless dross. Liebe ist keusch in ihrem tiefsten Wesen.
Unkeusch mißbraucht, verliert sie ihren Sinn,
Selbst unter Hymens Schutz, und siecht dahin,

Und kann nie wieder von der Schmach genesen,
Daß sie der müden Seele reinsten Schatz
Vergeudet hat um schalen Bodensatz.

Es ist so, wie Oscar in einem Briefe an mich sagte: »Die Freude verbirgt die Liebe vor uns, während der Schmerz sie uns in ihrem wahren Wesen offenbart.« Damals erkannte er dies, doch vergaß er es allzu schnell.

Ich bedaure es aufs lebhafteste, daß ich diese Briefe nicht im »Mercure de France« veröffentlicht habe, ebenso, daß ich sie mehrere Jahre später eigenhändig verbrannte, und zwar auf den Rat eines Freundes hin, zu einer Zeit, als ich dumm genug war, mich zu schämen, solche Briefe von einem Mann empfangen und so viele Jahre wie einen Schatz aufbewahrt zu haben. Wenn ich sie jetzt noch besäße, würde ich sie alle hier in diesem Buch veröffentlichen, vorausgesetzt natürlich, daß die Testamentsvollstrecker Oscar Wildes oder sonst einer seiner »treuen Freunde« es mir nicht verbieten würden. In diesem Buch habe ich einige Sätze aus seinen Briefen zitiert, die mir im Gedächtnis geblieben sind. Ich wünschte, ich hätte ein besseres Gedächtnis und wäre meinen eigenen Gefühlen treu geblieben, die mich meistens richtig leiten; leider aber habe ich mich von anderen beeinflussen lassen. Wäre mir bloß damals der Gedanke gekommen, daß der sogenannte Freund, der mir den Rat gab, jene Briefe zu vernichten, auch ein Freund von Robert Ross war, und daß er mir diesen Rat einige Monate vor Beginn des Ransome-Prozesses erteilte!

Kurze Zeit, nachdem ich meinen Artikel zurückgezogen hatte, bot mir der »Mercure de France« an, einen Band meiner Gedichte herauszubringen. Er erschien zusammen mit einer französischen Prosaübersetzung, die der verstorbene Eugène Tardieu, ein sehr talentierter und äußerst sympathischer Mann, übernahm. Damals gehörte er zu den Mitarbeitern des »Echo de Paris«. Der Gedichtband wurde für drei Francs fünfzig Centimes verkauft; außerdem aber veröffentlichte der »Mercure de France« fünfzig Luxus- und fünfundzwanzig »grandluxe«-Exemplare zu je zehn und fünfundzwanzig Francs. Vor ungefähr zwei Jahren soll ein Exemplar der »édition de grand luxe« auf japanischem Leder in der Maison Drouot für zehntausend Francs verkauft worden sein, was bei der jetzigen Valuta ungefähr sechzehnhundert Mark gleichkommt. Ich selbst besitze kein einziges Exemplar davon. Viele von denen, die ich besaß, verschenkte ich, und die anderen sind mir abhanden gekommen Inzwischen hat mein Freund A. J. A. Symons mir freundlicherweise ein Exemplar geschenkt.. Das Buch ist seit mindestens zwanzig Jahren vergriffen. Damals wurden nur tausend Exemplare gedruckt. Es fand in Paris eine sehr gute Aufnahme, und seitdem ist mein Ruf als Dichter von französischen Literaten anerkannt. Der »Mercure de France« hat mich öfter in den letzten Jahren gebeten, meine Erlaubnis zu einem Neudruck zu geben, aber ich habe mich nicht dazu entschließen können, da in dem Band einige Gedichte standen, die – obwohl sie tatsächlich nichts Schlimmes enthalten und als Gedichte wirklich sehr gut sind – im Ransome-Prozeß gegen mich vorgebracht wurden. (Ich sage immer »Ransome-Prozeß«, müßte ihn aber eigentlich den Robert Ross-Prozeß nennen, da ich schon lange Ransome von jeder Schuld an dieser von Ross angezettelten Verleumdungsklage freigesprochen habe.) Mich ekelte die Sache damals so an, daß ich die Gedichte überhaupt nicht mehr veröffentlichen ließ und darum auch dem »Mercure de France« meine Einwilligung zu einem Neudruck des Bandes nicht gegeben habe. Ohne Zweifel werden sie nach meinem Tode veröffentlicht werden, aber jetzt ist der Band für Geld und gute Worte nicht aufzutreiben. Es freut mich immer, daß meine ersten Gedichte in Frankreich veröffentlicht wurden, einem Land, das ich stets sehr geliebt habe. Der Gedanke, daß auch Shelleys Gedichte zum erstenmal in Paris herausgebracht wurden, erfüllt mich mit Genugtuung:

From the beginning when was aught but stones
For English prophets? Wann erhielten englische Propheten jemals etwas Anderes als Steine?

So heißt es in einem meiner Sonette in der Gesammelten Ausgabe meiner Gedichte. Damit will ich aber nicht sagen, daß meine Gedichte in England nicht beachtet wurden. Im Gegenteil, sie fanden gleich eine sehr gute Aufnahme, als sie im Jahre 1899 anonym im Verlag Grant Richards unter dem Titel »Die Stadt der Seele« veröffentlicht wurden. Schon ehe ein Londoner Verleger sie überhaupt ansehen wollte, erschienen sie in Paris und wurden von einigen der besten Dichter und Schriftsteller Frankreichs, vor allem von Mallarmé, voll gewürdigt.

The City of the Soul.

In the salt terror of a stormy sea
There are high altitudes the mind forgets;
And undesired days are hunting nets
To snare the souls that fly Eternity.
But we being gods will never bend the knee,
Though sad moons shadow every sun that sets,
And tears of sorrow be like rivulets
To feed the shallows of Humility.

Within my soul are some mean gardens found
Where drooped flowers are, and unsung melodies,
And all companioning of piteous things.
But in the midst is one high terraced ground,
Where level lawns sweep through the stately trees
And the great peacocks walk like painted kings.

What shall we do, my soul, to please the King?
Seeing he hath no pleasure in the dance,
And hath condemned the honeyed utterance
Of silver flutes and mouths made round to sing.
Along the wall red roses climb and cling.
And oh! my prince, lift up thy countenance,
For there be thoughts like roses that entrance
More than the languors of soft lute-Playing.

Think how the hidden things that poets see
In amber eves or mornings crystalline,
Hide in the soul their constant quenchless light,
Till, called by some celestial alchemy,
Out of forgotten depths, they rise and shine
Like buried treasure on Midsummer night.

The fields of Phantasy are all too wide,
My soul runs through them like an untamed thing.
It leaps the brooks like threads, and skirts the ring
Where faires danced, and tenderer flowers hide.
The voice of music has become the bride
Of an imprisoned bird with broken wing.
What shall we do, my soul, to please the King,
We that are free, with ample wings untied?

We cannot wander through the empty fields
Till beauty like a hunter hurl the lance.
There are no silver snares and springes set,
Nor any meadow where the plain ground yields.
O let us then with ordered utterance,
Forge the gold chain and twine the silken net.

Each new hour's passage is the acolyte
Of inarticulate song and syllable,
And every passing moment is a bell,
To mourn the death of undiscerned delight.

Where is the sun that made the noon-day bright,
And where the midnight moon? O let us tell,
In long carved line and painted parable,
How the white road curves down into the night.

Only to build one crystal barrier
Against this sea which beats upon our days;
To ransom one lost moment with a rhyme
Or if fate cries and grudging gods demur,
To clutch Life's hair, and thrust one naked phrase
Like a lean knife between the ribs of Time.

Naples 1897.

Die Stadt der Seele.

In salziger Schrecknis sturmzerwühlter See
Sind Höhn und Tiefen, die der Sinn vergißt;
Und leere Tage sind wie Jägernetze, Seelen zu fah'n, die bang vor Ewigkeit.
Wir aber, die wir Götter, werden nie
Die Knie beugen, mögen trübe Monde
Sich über jede Sonne ziehn, die sinkt,
Und Trauertränen sich wie graue Bäche
In Tale der Erniedrigung ergießen.

In meiner Seele stehn verkümmerte Gärten,
Wo welke Blumen sind und tonlos Melodien,
Und alles kläglich und beklagenswert.
Inmitten aber ragt ein Hochbereich,
Wo Rasen zwischen stolzen Bäumen prangt
Und Pfaue wandeln, bunten Königen gleich.

Was sollen wir beginnen, meine Seele,
Dem König zu gefallen? Da ihn doch
Tanz nicht erfreut und nicht der Honigton
Von Silberflöten und von Mündern, die
Sich runden im Gesang? Die Wand empor
Ranken sich Rosen rot, und oh! mein Fürst,
Hebe dein Antlitz, denn hier sind Gedanken
Roter als Rosen und bezaubernder
Als schmachtender Wohllaut weichen Lautenschlags.

Die heimlichen Wunder, sieh, die Dichter schauen
Im Ambralicht der Abende, im Kristall
Der Morgen, sie verbergen ihren Glanz
Tief in der Seele, bis mit einenmal
Geheimnisvolle Alchimie sie weckt,
Daß sie aufsteigen und erstrahlen wie
Vergrabene Schätze in Mittsommernacht.

Der Fantasie Gefilde sind zu weit.
Wild hastet meine Seele durch sie hin,
Hüpft über Bäche, wallet um den Ring,
Wo Elfen tanzen über Blumen zart.
Die Wohllaut tönende Stimme ward die Braut
Gefangenen Vogels mit gebrochener Schwinge.
Was soll'n wir tun, dem König zu gefallen,
Wir, die wir frei mit freien Schwingen sind?

Wir können nicht durch leere Felder schweifen,
Eh Schönheit schleudert ihren Jägerspeer.
Da sind nicht Silberschlingen ausgelegt,
Nicht kahler Grund von Wiesen übergrünt.
O laß uns denn mit Wortes Zaubermacht
Die goldne Kette schmieden und das Netz,
Das seidene, knüpfen, das uns Beute fängt.

Jeglicher Stundenschlag ist eine Klage
Um Sang und Rede, die nicht Form geworden,
Und jeglicher verflogene Augenblick
Die Totenglocke nicht gestalteter Schönheit.
Wo ist die Sonne, die den Mittag krönte,
Und wo der Mittnachtmond? O laß uns singen
In kunstvoll langer Strophe und Parabel,
Wie sich die lichte Straße windet in die Nacht.

Nur dies: leuchtende Schranke zu errichten
Gegen die wüste See, die uns bedroht;
Verlorene Stunde wieder einzulösen
Mit einem Reim, und, wenn das Schicksal trotzt
Und widerspenstige Götter sich verweigern,
Das Leben unverzagt beim Haar zu fassen
Und einen blanken Satz wie schmalen Dolch
Dem Dasein in die Rippen!


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