F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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V

Ich lief mit Trischatow in die Küche und traf Marja in der größten Angst an. Sie hatte einen Schreck bekommen, als sie Lambert und Wersilow eingelassen und plötzlich in Lamberts Händen einen Revolver bemerkt hatte. Wenn sie auch das Geld von ihm angenommen hatte, so paßte doch der Revolver durchaus nicht in ihre Rechnung hinein. Sie wußte nicht, was sie tun sollte, und kaum erblickte sie mich, als sie auch auf mich losstürzte:

»Die Generalin ist gekommen, und sie haben eine Pistole!«

»Trischatow, warten Sie hier in der Küche«, ordnete ich an, »und wenn ich rufe, so kommen Sie mir schleunigst zu Hilfe!«

Marja öffnete mir die Tür zu Tatjana Pawlownas Schlafzimmer, und ich schlüpfte hinein, in jenes selbe Kämmerchen, in dem nur Tatjana Pawlownas Bett hatte Platz finden können und in dem ich schon einmal zufällig gelauscht hatte. Ich setzte mich auf das Bett und suchte mir eine Spalte in der Portiere.

Aber im Zimmer war bereits Lärm, und es wurde laut geredet; ich erwähne, daß Katerina Nikolajewna genau eine Minute nach ihnen die Wohnung betreten hatte. Den Lärm und das Reden hatte ich schon von der Küche aus gehört: der Schreiende war Lambert. Sie saß auf dem Sofa, und er stand vor ihr und schrie wie ein Narr. Jetzt weiß ich, warum er damals in so dummer Weise alle Haltung verlor: er hatte es eilig und fürchtete überfallen zu werden; später werde ich darlegen, vor wem er sich eigentlich fürchtete. Den Brief hielt er in der Hand. Aber Wersilow befand sich nicht im Zimmer: ich machte mich bereit, beim ersten Anzeichen einer Gefahr hineinzustürzen. Ich gebe hier nur den Sinn des Gesprächs wieder, vielleicht habe ich auch vieles nicht richtig im Gedächtnis, aber ich war damals zu aufgeregt, als daß ich mich an alles genau erinnern könnte.

»Dieser Brief ist dreißigtausend Rubel wert, und Sie wundern sich noch! Er ist hunderttausend wert, und ich verlange nur dreißigtausend!« rief Lambert laut und sehr heftig.

Katerina Nikolajewna war zwar augenscheinlich erschrocken, blickte ihn aber mit verächtlicher Verwunderung an.

»Ich sehe«, sagte sie, »daß mir hier eine Falle gestellt worden ist, und verstehe nicht, wie die Sache zusammenhängt. Aber wenn dieser Brief sich wirklich in Ihren Händen befindet ...«

»Aber da ist er ja, sehen Sie selbst! Ist er es etwa nicht? Einen Wechsel über dreißigtausend Rubel und keine Kopeke weniger!« unterbrach Lambert sie.

»Ich habe kein Geld.«

»Schreiben Sie einen Wechsel – hier ist Papier. Und dann gehen Sie hin und beschaffen Sie das Geld; ich werde warten, aber nur eine Woche, nicht länger ... Wenn Sie das Geld bringen, gebe ich Ihnen den Wechsel zurück, und desgleichen dann auch den Brief.«

»Sie reden in einem so sonderbaren Ton mit mir. Sie irren sich. Wenn ich hingehe und über Sie Klage führe, wird Ihnen dieses Schriftstück noch heute abgenommen werden.«

»Bei wem wollen Sie denn Klage führen? Hahaha! Es wird ein großartiger Skandal entstehen, und den Brief werde ich dem Fürsten zeigen! Und wo wird man ihn mir abnehmen? Ich bewahre Schriftstücke nicht in meiner Wohnung auf. Ich werde dem Fürsten den Brief durch eine dritte Person zeigen lassen. Seien Sie nicht störrisch, gnädige Frau, seien Sie mir vielmehr dankbar dafür, daß ich so wenig fordere; ein anderer würde außerdem noch eine Gefälligkeit verlangen ... Sie können sich wohl denken, was für eine ... eine Gefälligkeit, wie sie keine schöne Frau einem abschlägt, wenn sie in der Klemme sitzt, so eine ... hehehe! Vous êtes belle, vous!«

Katerina Nikolajewna stand hastig von ihrem Platz auf, wurde dunkelrot und – spie ihm ins Gesicht. Dann ging sie schnell auf die Tür zu. Aber da zog dieser dumme Mensch, der Lambert, den Revolver heraus. Ein beschränkter Dummkopf, wie er war, hatte er blind an die Wirkung des Schriftstücks geglaubt; namentlich hatte er nicht beachtet, mit wem er es zu tun hatte, weil er eben, wie ich schon früher gesagt habe, bei allen Menschen eine ebenso gemeine Denkweise voraussetzte, wie er sie selbst besaß. Er hatte Katerina Nikolajewna gleich beim ersten Wort durch sein ungehobeltes Benehmen aufgebracht, während sie sonst vielleicht einem gütlichen Vergleich auf Grund einer Geldzahlung nicht abgeneigt gewesen wäre.

»Nicht von der Stelle!« brüllte er, wütend darüber, daß sie ihn angespien hatte, ergriff sie bei der Schulter und zeigte ihr den Revolver – natürlich nur als Drohung. Sie schrie auf und sank auf das Sofa. Ich stürmte ins Zimmer, aber in demselben Augenblick kam durch die nach dem Flur führende Tür auch Wersilow hereingestürzt. (Er hatte dort gestanden und gewartet.) Ehe ich ihn noch recht hatte sehen können, hatte er Lambert den Revolver entrissen und ihn damit aus aller Kraft auf den Kopf geschlagen. Lambert taumelte und fiel bewußtlos zu Boden; das Blut strömte aus seinem Kopf auf den Teppich.

Sie aber wurde bei Wersilows Anblick auf einmal leichenblaß; ein paar Sekunden lang sah sie ihn in unbeschreiblicher Angst starr an und fiel dann auf einmal in Ohnmacht. Er stürzte zu ihr hin. Diese ganze Szene habe ich jetzt nur wie ein vorüberhuschendes Nebelbild in der Erinnerung. Ich erinnere mich, mit welchem Schrecken ich damals sein rotes, beinahe purpurfarbnes Gesicht und die blutunterlaufenen Augen sah. Ich glaube, daß er mich zwar im Zimmer bemerkte, mich aber wohl nicht erkannte. Er faßte die Bewußtlose, hob sie mit einer Kraft, wie sie ihm gar nicht zuzutrauen war, auf seine Arme, als wäre sie federleicht, und trug sie wie ein kleines Kind sinnlos im Zimmer umher. Das Zimmer war winzig klein, aber er wanderte von einer Ecke in die andere, offenbar ohne sich darüber klar zu sein, warum er es tat. In diesem einen Augenblick verlor er damals den Verstand. Er betrachtete fortwährend sie und ihr Gesicht. Ich lief hinter ihm her und hatte vor allem meine Besorgnisse wegen des Revolvers, den er in seiner rechten Hand vergessen zu haben schien und dicht neben ihrem Kopf hielt. Aber er stieß mich einmal mit dem Ellbogen, ein anderes Mal mit dem Fuß weg. Ich wollte schon Trischatow herbeirufen, fürchtete aber, den Wahnsinnigen dadurch zu reizen. Endlich schlug ich schnell die Portiere auseinander und bat ihn inständig, sie auf das Bett zu legen. Er trat heran und legte sie darauf; er selbst stand, über sie gebeugt, daneben und sah ihr wohl eine Minute lang unverwandt ins Gesicht; dann bückte er sich plötzlich und küßte zweimal ihre blassen Lippen. Oh, da begriff ich endlich, daß dieser Mensch bereits vollständig unzurechnungsfähig war. Auf einmal holte er gegen sie mit dem Revolver aus, aber dann schien er sich eines andern zu besinnen, drehte den Revolver um und richtete ihn gegen ihr Gesicht. Ich packte ihn sofort mit Aufbietung all meiner Kraft am Arm und schrie nach Trischatow. Ich erinnere mich, daß wir beide mit ihm rangen, aber es gelang ihm, seinen Arm loszureißen und auf sich zu schießen. Er hatte sie und nach ihr sich selbst erschießen wollen; aber da wir ihn hinderten, auf sie zu schießen, setzte er sich den Revolver gerade gegen das Herz; indes konnte ich ihm noch den Arm nach oben schlagen, und so traf ihn die Kugel in die Schulter. In diesem Augenblick stürzte, laut aufschreiend, Tatjana Pawlowna herein, aber er lag schon bewußtlos neben Lambert auf dem Teppich.


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