F. M. Dostojewskij
Der Jüngling
F. M. Dostojewskij

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III

Ich hatte mit diesem Besuch nur Zeit verloren. Als ich aus dem Hause heraustrat, machte ich mich sofort daran, mir eine Wohnung zu suchen; aber ich war zerstreut, lief ein paar Stunden lang durch die Straßen, und obgleich ich mir fünf oder sechs möblierte Zimmer ansah, bin ich doch überzeugt, daß ich an zwanzig anderen vorbeilief, ohne sie zu bemerken. Mein Ärger war um so größer, als ich mir gar nicht vorgestellt hatte, daß es so schwer sei, eine Wohnung zu finden. Überall Zimmer wie das Wassinsche, ja sogar noch weit schlechter, und dabei kolossale Preise, das heißt für meine Verhältnisse. Ich forderte ein Kämmerchen, nur so groß, daß ich mich darin umdrehen könnte, und man gab mir geringschätzig zu verstehen, dann müsse ich mich an Vermieter von Schlafstellen wenden. Außerdem fand sich überall eine Menge von sonderbaren Untermietern, mit denen ich mich, schon allein nach ihrem Äußern zu urteilen, nie hätte einleben können, – ich hätte sogar noch etwas zugezahlt, um nicht neben ihnen wohnen zu müssen. Da waren Herren ohne Röcke, in bloßen Westen, mit ungekämmten Bärten und mit sehr zwanglosem, neugierigem Benehmen. In einem winzigen Zimmerchen saßen ihrer zehn beim Kartenspiel und beim Bier, und daneben wurde mir ein Zimmer angeboten. An anderen Stellen gab ich selbst auf die Fragen der Vermieter so ungeschickte Antworten, daß sie mich verwundert ansahen, und in einer Wohnung geriet ich mit ihnen sogar in Streit. Übrigens hat es keinen Zweck, alle diese unbedeutenden Vorgänge zu schildern; ich will nur sagen, daß ich furchtbar müde wurde und, als es schon ganz dunkel geworden war, in einem Restaurant etwas aß. Ich war nun endgültig dazu entschlossen, sogleich hinzugehen und Wersilow in eigener Person und allein (ohne alle Erklärungen) den Brief über die Erbschaft zu übergeben; dann wollte ich oben meine Sachen in einen Koffer und in ein Bündel packen und für die Nacht meinetwegen in ein Gasthaus gehen. Ich wußte, daß es am Ende des Obuchowskij Prospektes beim Triumphbogen Herbergen gab, wo man für dreißig Kopeken sogar ein besonderes Zimmer bekommen konnte; für eine Nacht wollte ich diese Summe opfern, um nur nicht länger bei Wersilow übernachten zu müssen. Aber als ich schon beim Technologischen Institut vorbeiging, kam mir auf einmal, ich weiß nicht woher, der Einfall, zu Tatjana Pawlowna zu gehen, die dort, dem Institut gegenüber, wohnte. Als Vorwand für diesen Besuch bei ihr benutzte ich mir selbst gegenüber wieder denselben Brief über die Erbschaft, aber mein unbezwingliches Verlangen, zu ihr zu gehen, hatte natürlich andere Gründe, die ich übrigens auch jetzt nicht klarzulegen vermag: es ging in meinem Kopf allerlei bunt durcheinander, von einem »Säugling«, von »Ausnahmen, die zur allgemeinen Regel werden«. Ob ich Lust hatte, mich auszusprechen oder wichtig zu tun oder mich herumzustreiten oder gar zu weinen, – ich weiß es nicht; jedenfalls stieg ich zu Tatjana Pawlowna hinauf. Ich war bisher nur ein einziges Mal bei ihr gewesen, bald nach meiner Ankunft aus Moskau, und zwar mit einem Auftrag von meiner Mutter, und ich erinnere mich noch, daß, nachdem ich hingekommen war und meinen Auftrag ausgerichtet hatte, ich sogleich wieder weggegangen war, ohne mich hingesetzt zu haben, wozu sie mich übrigens auch nicht aufgefordert hatte.

Ich klingelte, und die Köchin öffnete mir sogleich und ließ mich schweigend in die Wohnung. Die Erwähnung all dieser Einzelheiten ist nämlich notwendig, damit man verstehen kann, auf welche Weise sich ein so verrücktes Ereignis zutragen konnte, das einen so gewaltigen Einfluß auf alles Folgende hatte. Erstens also über die Köchin. Dies war eine boshafte, stupsnasige Finnin, die, wie ich glaube, ihre Herrin Tatjana Pawlowna haßte; diese dagegen konnte sich nicht von ihr trennen, wohl infolge einer Leidenschaft, wie alte Jungfern sie für alte, feuchtnasige Möpse oder immerzu schlafende Katzen empfinden. Die Finnin führte entweder wütende, grobe Reden, oder sie schwieg nach einem Zank wochenlang, um ihre Herrin damit zu bestrafen. Ich mußte wohl einen solchen schweigsamen Tag getroffen haben, denn auf meine Frage, ob das Fräulein zu Hause sei – daß ich diese Frage an sie richtete, darauf besinne ich mich ganz genau –, antwortete sie überhaupt nicht und ging schweigend wieder in ihre Küche. Ich nahm infolgedessen natürlich an, daß das Fräulein zu Hause sei, ging in das Zimmer, und da ich dort niemanden fand, so wartete ich, in der Annahme, Tatjana Pawlowna werde sogleich aus ihrer Schlafstube hereinkommen; denn warum hätte mich sonst die Köchin hereingelassen? Ohne mich hinzusetzen, wartete ich zwei, drei Minuten lang; es war schon stark dämmerig, und Tatjana Pawlownas kleine dunkle Wohnung erschien noch unfreundlicher durch die endlose Menge von Kattun, der überall umherhing. Zwei Worte über diese häßliche, kleine Wohnung, damit man die Örtlichkeit kennt, in der sich die Sache abspielte. Infolge ihres eigensinnigen, herrischen Charakters und der alten herrschaftlichen Neigungen konnte Tatjana Pawlowna das Wohnen in möblierten Zimmern nicht leiden und hatte sich diese Parodie von Wohnung gemietet, um nur für sich allein zu leben und ihre eigene Herrin zu sein. Die zwei Zimmer hatten die größte Ähnlichkeit mit zwei aneinandergerückten Kanarienvogelbauern, eines noch enger als das andere; sie lagen im dritten Stock, und die Fenster gingen auf den Hof. Beim Eintreten in die Wohnung kam man zuerst auf einen kleinen, engen Flur, anderthalb Ellen breit; links davon lagen die beiden oben gekennzeichneten Kanarienvogelbauer, und geradeaus, am Ende des Flures, befand sich der Eingang zu der winzigen Küche. Der Kubikraum Luft, den ein Mensch für zwölf Stunden notwendig gebraucht, war in diesen Zimmerchen vielleicht vorhanden, aber kaum mehr. Sie waren schauderhaft niedrig, aber was das Allerdümmste war, die Fenster, die Türen, die Möbel, alles, alles war mit Kattun, mit schönem französischem Kattun behangen oder überzogen und mit Festons verziert; aber davon erschien das Zimmer noch einmal so dunkel und glich dem Innern eines Reisewagens. In dem Zimmer, in welchem ich wartete, konnte man sich noch allenfalls umdrehen, obgleich alles mit Möbeln vollgestopft war; beiläufig bemerkt: es waren sehr schöne Möbel: da waren allerlei Tischchen mit eingelegter Arbeit und Bronzeverzierungen, hübsche Schatullen, ein eleganter, kostbarer Toilettentisch. Aber das folgende Zimmerchen, aus dem sie, wie ich meinte, herauskommen mußte, das Schlafzimmer, das von diesem Zimmer durch einen dichten Vorhang abgetrennt war, wurde, wie sich nachher herausstellte, vollständig durch ein Bett ausgefüllt. Alle diese Einzelheiten sind zu wissen notwendig, damit man die Dummheit verstehen kann, die ich nun machte.

Ich wartete also, ohne daß mir irgendein Zweifel gekommen wäre; da ertönte die Klingel. Ich hörte, wie die Köchin mit langsamen Schritten über den Flur ging und schweigend, gerade wie vorher mich, die Ankömmlinge hereinließ. Dies waren zwei Damen, die laut miteinander sprachen, aber wie groß war mein Erstaunen, als ich an den Stimmen in der einen Tatjana Pawlowna erkannte und in der anderen eben jene Frau, der jetzt zu begegnen ich am allerwenigsten vorbereitet war, und noch dazu unter solchen Umständen! Ein Irrtum war nicht möglich: ich hatte diese klangreiche, kräftige, metallische Stimme am vorhergehenden Tag allerdings nur drei Minuten lang gehört, aber ihr Ton haftete in meiner Seele. Ja, das war »die Frau von gestern«. Was sollte ich tun? Ich lege diese Frage keineswegs dem Leser vor; ich vergegenwärtige mir nur den damaligen Augenblick und bin auch jetzt absolut nicht imstande, zu erklären, wie es zuging, daß ich auf einmal hinter den Vorhang sprang und mich in Tatjana Pawlownas Schlafzimmer befand. Kurz gesagt, ich versteckte mich und hatte das Zimmer kaum verlassen, als die beiden Damen eintraten. Warum ich ihnen nicht entgegenging, sondern mich versteckte, das weiß ich nicht; alles begab sich von ungefähr und ohne die geringste Überlegung.

Als ich in das Schlafzimmer gesprungen und gegen das Bett angerannt war, merkte ich sofort, daß von dem Schlafzimmer eine Tür nach der Küche führte; es gab also noch einen Ausweg aus der peinlichen Lage, und ich hatte die Möglichkeit, mich ganz und gar davonzumachen, aber – o Schrecken! – die Tür war verschlossen, und der Schlüssel steckte nicht. Voller Verzweiflung sank ich auf das Bett; es stand mir klar vor Augen, daß ich jetzt würde den Horcher spielen müssen, und schon aus den ersten Worten, aus den ersten Sätzen des Gesprächs konnte ich entnehmen, daß es sich um einen geheimen, heiklen Gegenstand handelte. O natürlich, ein ehrenhafter, anständig denkender Mensch mußte auch jetzt noch aufstehen, hinaustreten, laut sagen: »Ich bin hier, halten Sie ein!« und trotz seiner komischen Situation an ihnen vorbei und davongehen; aber ich stand nicht auf und trat nicht hinaus, ich wagte es nicht; ich benahm mich in schmählichster Weise feige.

»Meine liebe Katerina Nikolajewna, Sie betrüben mich wirklich sehr«, sagte Tatjana Pawlowna in bittendem Ton. »Beruhigen Sie sich doch ein für allemal; das paßt ja auch gar nicht zu Ihrem ganzen Wesen. Überall, wo Sie sind, herrscht Freude, und nun auf einmal ... Aber mir, denke ich, werden Sie auch weiter Vertrauen schenken; Sie wissen ja doch, wie sehr ich Ihnen ergeben bin. Ich hänge an Ihnen nicht weniger als an Andrej Petrowitsch, denn daß ich dem lebenslänglich ergeben sein werde, das verheimliche ich nicht ... Na, also glauben Sie mir, ich gebe Ihnen mein Wort darauf, dieses Schriftstück befindet sich nicht in seinen Händen und vielleicht in niemandes Händen; er ist auch zu solchen Intrigen gar nicht fähig, es ist eine Sünde von Ihnen, ihn in Verdacht zu haben. Diese Feindschaft ist weiter nichts als ein Hirngespinst, das Sie sich beide selbst ersonnen haben ...«

»Das Schriftstück ist vorhanden, und er ist zu allem fähig. Und was sagen Sie dazu: gestern komme ich herein, und das erste, was ich sehe, ist ce petit espion, den er dem Fürsten angehängt hat.«

»Ach was, ce petit espion! Erstens ist er überhaupt kein Spion, denn ich, ich selbst habe darauf gedrungen, daß er die Anstellung beim Fürsten bekam, sonst wäre er in Moskau übergeschnappt oder verhungert, so ist uns von dort aus über ihn berichtet worden; und was die Hauptsache ist: dieser unartige Junge ist ein vollständiger kleiner Dummkopf; wie kann der ein Spion sein?«

»Ja, ein kleiner Dummkopf ist er, was ihn aber nicht hindern würde, ein Schurke zu sein. Ich war gestern nur zu ärgerlich, sonst hätte ich mich totgelacht: er wurde ganz blaß, kam herangelaufen, machte Verbeugungen und fing an, französisch zu sprechen. Und in Moskau hatte mir Marja Iwanowna versichert, er sei ein Genie! Daß aber der unselige Brief noch existiert und sich irgendwo an einer sehr gefährlichen Stelle befindet, das habe ich aus Marja Iwanownas Gesichtsausdruck geschlossen.«

»Meine Beste! Sie sagen ja selbst, daß sie nichts in Händen hat!«

»Das ist es eben, daß es sich doch anders verhält; sie lügt nur, und ich kann Ihnen sagen: mit der größten Meisterschaft! Bevor ich nach Moskau fuhr, hatte ich immer noch die Hoffnung, daß sich vielleicht keine Papiere in der Hinterlassenschaft befunden hätten, aber nun, nun ...«

»Ach, meine Liebe, man sagt ja doch ganz im Gegenteil, sie sei ein gutes, anständiges Wesen, und der Verstorbene habe sie mehr geschätzt als alle seine anderen Nichten. Gewiß, ich kenne sie nicht näher, aber – Sie hätten sie bezaubern sollen, meine Beste! Jemanden auf Ihre Seite zu bringen, das ist ja für Sie eine Kleinigkeit; sehen Sie, ich bin eine alte Person – aber ich bin ganz verliebt in Sie und möchte Sie am liebsten gleich küssen ... Na, das wäre doch für Sie eine Kleinigkeit gewesen, sie zu bezaubern!«

»Ich habe es versucht, Tatjana Pawlowna, ich habe es versucht, und ich habe sie sogar wirklich in Entzücken versetzt, aber sie ist sehr schlau ... Nein, sie hat einen sehr festen Charakter, so einen besonderen Moskauer Charakter ... Und denken Sie sich, sie riet mir, mich hier an einen Herrn Krafft zu wenden, den ehemaligen Gehilfen Andronikows; er nämlich wisse vielleicht etwas. Von diesem Herrn Krafft habe ich schon gehört und erinnere mich seiner sogar flüchtig; aber als sie mir von diesem Herrn Krafft sprach, gerade da gelangte ich zu der bestimmten Überzeugung, daß ihr die Sache nicht einfach unbekannt ist, sondern daß sie lügt und alles weiß.«

»Aber warum denn, warum denn? Doch immerhin, man könnte sich bei ihm erkundigen! Dieser Deutsche, dieser Krafft, ist kein Schwätzer und, wie ich mich erinnere, ein sehr anständiger Mensch – wirklich, man sollte ihn befragen! Nur ist er wohl jetzt nicht in Petersburg ...«

»Oh, er ist schon gestern zurückgekehrt, und ich bin soeben bei ihm gewesen ... Eben darum bin ich in solcher Aufregung zu Ihnen gekommen, mir zittern noch die Arme und Beine; ich wollte Sie fragen, mein Engel, Tatjana Pawlowna, da Sie doch alle Menschen kennen, ob man nicht wenigstens etwas über seine Papiere erfahren könnte – denn Papiere hat er doch bestimmt hinterlassen –, in wessen Hände die jetzt übergehen. Ob sie am Ende wieder in gefährliche Hände gelangen? Ich bin hergeeilt, um Sie um Ihren Rat zu bitten.«

»Aber von was für Papieren reden Sie denn?« fragte Tatjana Pawlowna verständnislos. »Sie sagen ja doch, Sie seien soeben selbst bei Krafft gewesen?«

»Ja, ja, ich bin soeben dagewesen, aber er hat sich erschossen! Schon gestern abend.«

Ich sprang vom Bett auf. Ich hatte es fertiggebracht, sitzen zu bleiben, als ich ein Spion und Idiot genannt wurde, und je weiter sie in ihrem Gespräch kamen, um so mehr erschien es mir als Ding der Unmöglichkeit, mich zu zeigen. Das war undenkbar! Ich hatte bei mir beschlossen, ganz still sitzen zu bleiben, bis Tatjana Pawlowna ihren Gast hinausbegleitete (wenn das Schicksal zu meinem Glück wollte, daß sie nicht vorher selbst aus irgendeinem Grund in das Schlafzimmer käme), und dann, wenn Frau Achmakowa weggegangen sein würde, dann mochte meinetwegen der Kampf zwischen mir und Tatjana Pawlowna losgehen! ... Aber als ich jetzt diese Mitteilung über Krafft hörte, da ging es mir wie ein Krampf durch den ganzen Leib, und ich sprang vom Bett auf. Ohne an etwas zu denken, ohne etwas zu überlegen und zu erwägen, tat ich einen Schritt vorwärts, hob die Portiere auf und stand nun vor den beiden Damen. Es war noch hell genug, daß sie mich erkennen konnten; ich war blaß und zitterte ... Beide schrien auf. Und wie hätten sie auch nicht aufschreien sollen?

»Krafft?« murmelte ich, zu Frau Achmakowa gewendet. »Er hat sich erschossen? Gestern? Bei Sonnenuntergang?«

»Wo bist du gewesen? Wo kommst du her?« kreischte Tatjana Pawlowna und krallte sich geradezu an meiner Schulter fest. »Du hast spioniert? Du hast gelauscht?«

»Was habe ich Ihnen eben gesagt?« rief Katerina Nikolajewna, indem sie vom Sofa aufstand und auf mich zeigte.

Ich geriet ganz außer mir.

»Lüge, Unsinn!« unterbrach ich sie wütend. »Sie haben mich eben einen Spion genannt, o Gott! Lohnt es etwa die Mühe, um solche Menschen wie Sie herumzuspionieren oder überhaupt neben ihnen zu leben? Ein hochherziger Mensch endet durch Selbstmord; Krafft hat sich erschossen um der Idee willen, um Hekubas willen ... Aber was ist Ihnen Hekuba! ... Und hier – soll man nun weiterleben inmitten Ihrer Intrigen, umherwanken zwischen Ihren Lügen und Betrügereien und Fallgruben ... Genug davon, genug!«

»Geben Sie ihm eine Maulschelle! Geben Sie ihm eine Maulschelle!« schrie Tatjana Pawlowna; da jedoch Katerina Nikolajewna mich zwar unverwandt ansah (ich habe das alles bis auf die kleinsten Nebenumstände im Gedächtnis), sich aber nicht vom Fleck rührte, so hätte Tatjana Pawlowna sicherlich im nächsten Augenblick selbst ihren Rat zur Ausführung gebracht, so daß ich unwillkürlich den Arm in die Höhe hob, um mein Gesicht zu schützen. Sie aber faßte diese Bewegung so auf, als ob ich selbst ausholte.

»Schlag nur zu, schlag nur zu! Beweise es nur, daß du von deiner Geburt an ein Knecht bist! Du bist stärker als wir Frauen, warum genierst du dich da noch?«

»Schluß jetzt mit Ihren Verleumdungen, Schluß damit!« rief ich. »Ich habe noch nie die Hand gegen ein Weib erhoben! Sie sind unverschämt gegen mich, Tatjana Pawlowna; Sie haben mich immer verachtet. Oh, man muß mit den Menschen verkehren, ohne ihnen irgendwelche Achtung zu zollen! Sie lachen, Katerina Nikolajewna, wahrscheinlich über meine Gestalt; ja, Gott hat mir keine solche Gestalt gegeben, wie Ihre Adjutanten sie haben. Und dennoch fühle ich mich Ihnen gegenüber nicht als ein niedrigeres Wesen, sondern ganz im Gegenteil als höher stehend ... Nun, ganz gleich, wie man es ausdrücken mag; jedenfalls trifft mich keine Schuld! Ich bin nur zufällig hierhergeraten, Tatjana Pawlowna; Schuld trägt einzig und allein Ihre Finnin oder, richtiger gesagt, Ihre Passion für dieses Frauenzimmer: warum hat sie mir auf meine Frage nicht geantwortet, sondern mich einfach hier eintreten lassen? Und nachher – darin werden Sie mir selbst recht geben müssen – erschien es mir dermaßen monströs, aus dem Schlafzimmer einer Frau herauszuspringen, daß ich mich lieber dazu entschloß, Ihre schändlichen Beleidigungen schweigend zu ertragen als mich zu zeigen ... Sie lachen schon wieder, Katerina Nikolajewna?«

»Mach, daß du hinauskommst; mach, daß du hinauskommst, hinaus mit dir!« schrie Tatjana Pawlowna und versetzte mir beinahe Stöße. »Achten Sie nicht auf sein Geschwätz, Katerina Nikolajewna; ich habe Ihnen ja gesagt, daß ihm schon von dort das Zeugnis der Verrücktheit ausgestellt ist!«

»Das Zeugnis der Verrücktheit? Von wo hat man Ihnen das geschrieben? Wer hätte Ihnen das schreiben können und von wo? Aber es ist ja ganz egal; genug davon, Katerina Nikolajewna! Ich schwöre Ihnen bei allem, was heilig ist, dieses Gespräch und alles, was ich gehört habe, wird unter uns bleiben ... Was kann ich dafür, daß ich Ihre Geheimnisse erfahren habe? Das wird um so weniger bedenklich sein, als ich schon morgen meine Tätigkeit bei Ihrem Vater einstelle, so daß Sie hinsichtlich des Schriftstücks, das Sie suchen, beruhigt sein können!«

»Was heißt das? ... Von was für einem Schriftstück reden Sie?« fragte Katerina Nikolajewna erschrocken, und zwar so erschrocken, daß sie ganz blaß wurde, oder vielleicht kam es mir nur so vor. Ich merkte, daß ich schon zuviel gesagt hatte.

Ich ging schnell hinaus; sie verfolgten mich schweigend mit den Augen, und in ihren Blicken drückte sich der höchste Grad des Erstaunens aus. Kurz, ich hatte ihnen ein Rätsel aufgegeben.


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