Franz Dingelstedt
Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters
Franz Dingelstedt

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II

                        Jüngstens ist im Hoftheater
Uns'rem lieben Landesvater
Folgendes Malheur passirt,
Wie die Chronik referirt.

Durch die fürstliche Lorgnette
Blickend von gewohnter Stätte,
Fand der adlersicht'ge HErr
Einen Fremdling im Parterr.

War kein Kerl wie and're Fremde,
Trug ein blaugestreiftes Hemde
Und ein tricolores Tuch, –
Gründe zum Verdacht genug!

Sein Gesicht von rother Farbe
Zeigte eine breite Narbe,
Und der rundgezog'ne Bart
Schien verpönter Hambachs-Art.

Auf der Stirne böse Falten,
Aber doch zurückgehalten,
Fragt der HErr den Kammerherr,
Wer der Fremdling im Parterr?

Und der Kammerherr schickt's weiter
An des Fürsten Leibbereiter,
An den Rath und Adjutant –
Keiner hat den Kerl gekannt.

In den Logen ersten Ranges
Hob darauf ein leises, banges,
Scheues Flistern ringsum an,
Alles für den fremden Mann.

»Durchlaucht spricht von Propagande,
Fort mit ihm aus uns'rem Lande,
Weh' ihm, wenn in Tagesfrist
Er noch hier zu finden ist!«

So ein Polizei-Beamte,
Welchen heil'ger Zorn entflammte,
Aber Durchlaucht winkte still,
Daß er's selber ordnen will.

Seiner Diener schickt er Einen,
Vor dem Fremdling zu erscheinen
Und zu fragen frank und frei,
Wer, woher und was er sei?

Nach minutenlangem Harren,
Aengstlichem Hinunterstarren,
Kommt mit klug verschwieg'nem Blick
Der Lakai zum HErrn zurück.

»Durchlaucht! dieser Fremdling,« spricht er,
»Nennt sich Johann Jacob Richter,
Macht in Senf für eig'nes Haus« – –
– » Stille!« – Und der Spuk war aus!


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