Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Obgleich die jetzt lebenden Menschenrassen in vielen Beziehungen, so in der Farbe, dem Haar, der Form des Schädels, den Proportionen des Körpers u. s. w., verschieden sind, so stellen sie sich doch, wenn man ihre ganze Organisation in Betracht zieht, als einander in einer Menge von Punkten äußerst ähnlich heraus. Viele dieser Punkte sind so bedeutungslos, oder von einer so eigenthümlichen Natur, daß es äußerst unwahrscheinlich ist, daß dieselben von ursprünglich verschiedenen Species oder Rassen unabhängig erlangt worden sein sollten. Dieselbe Bemerkung trifft mit gleicher oder noch größerer Kraft zu in Bezug auf die zahlreichen Punkte geistiger Ähnlichkeit zwischen den verschiedensten Rassen des Menschen. Die Eingeborenen von Amerika, die Neger und die Europäer weichen von einander ihrem Geiste nach so weit ab, als irgend drei Rassen, die man nur nennen könnte. Und doch war ich, als ich mit den Feuerländern an Bord des Beagle zusammenlebte, unaufhörlich von vielen kleinen Charakterzügen überrascht, welche zeigten, wie ähnlich ihre geistigen Anlagen den unsrigen waren; und dasselbe war der Fall in Bezug auf einen Vollblutneger, mit dem ich zufällig eine Zeit lang nahe bekannt war.

Wer Mr. Tylor's und Sir J. Lubbock's interessante WerkeTylor, Early History of Mankind. 1865; in Bezug auf Belege für eine Gestensprache s. p. 54. Lubbock, Prehistoric Times. 2. edit. 1869. aufmerksam liest, wird kaum umhin können, einen tiefen Eindruck von der großen Ähnlichkeit zwischen den Menschen aller Rassen in ihren Geschmacksrichtungen, Dispositionen und Gewohnheiten zu erhalten. Dies zeigt sich in dem Vergnügen, welches sie alle an Tanz, an roher Musik, Schauspielen, Malen, Tättowieren und sich auf andere Weise Decorieren finden, in ihrem gegenseitigen Verständnis einer Geberdensprache, in dem gleichen Ausdruck in ihren Zügen und in den gleichen unarticulierten Ausrufen, wenn sie durch verschiedene Gemüthsbewegungen erregt sind. Diese Ähnlichkeit oder vielmehr Identität ist auffallend, wenn man sie mit den verschiedenen Ausdrucksarten und Ausrufen zusammenhält, welche bei verschiedenen Species von Affen zu beobachten sind. Es sind gute Beweise dafür vorhanden, daß die Kunst, mit Bogen und Pfeilen zu schießen, nicht von einem gemeinsamen Urerzeuger des Menschengeschlechts überliefert worden ist; und doch sind die steinernen Pfeilspitzen, welche aus den entlegensten Theilen der Erde zusammengebracht sind und in den entferntesten Zeiten verfertigt wurden, wie Westropp und Nilsson bemerkt haben,Über analoge Formen der Werkzeuge s. H. M. Westropp in den Memoirs of Anthropol. Soc.; s. auch Nilsson, The Primitive Inhabitants of Scandinavia. Engl. transl. ed. by Sir J. Lubbock. 1868, p. 104. fast identisch; und diese Thatsache kann nur dadurch erklärt werden, daß die verschiedene Rassen ähnliche Fähigkeiten der Erfindung oder geistige Kräfte überhaupt gehabt haben. Dieselbe Bemerkung ist von ArchäologenHodder M. Westropp, On Cromlechs etc., in: Journal of Ethnolog. Soc., mitgetheilt in Scientific Opinion, 2. June, 1889, p. 3. in Bezug auf gewisse weitverbreitete Ornamente, z. B. Zickzacks u. s. w., gemacht worden, ebenso in Bezug auf verschiedene einfache Zeichen des Glaubens und auf Gebräuche, wie das Begraben der Todten unter megalithischen Bauten. Ich erinnere mich, in Süd-Amerika beobachtet zu haben,Reise eines Naturforschers (übers. von Carus), p. 52. daß dort, wie in so vielen anderen Theilen der Erde, der Mensch allgemein die Gipfel hoher Berge gewählt hat, um auf ihnen Massen von Steinen anzuhäufen, entweder zum Zweck, irgend ein merkwürdiges Ereignis zu bezeichnen, oder seine Todten zu begraben.

Wenn nun Naturforscher eine nahe Übereinstimmung in zahlreichen kleinen Einzelheiten der Gewohnheiten, der Geschmacksrichtungen und Dispositionen zwischen zwei oder mehreren domesticierten Rassen oder zwei nahe verwandten natürlichen Formen beobachten, so benutzen sie diese Thatsachen als Argumente dafür, daß alle von einem gemeinsamen Urerzeuger abstammen, welcher in dieser Weise begabt war, und daß folglich alle zu einer und derselben Species gerechnet werden sollten. Dasselbe Argument kann mit vieler Kraft auf die Rassen des Menschen angewandt werden.

Da es unwahrscheinlich ist, daß die zahlreichen und bedeutungslosen Punkte der Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Menschenrassen in dem Bau des Körpers und in geistigen Fähigkeiten (ich beziehe mich hier nicht auf ähnliche Gebräuche) sämmtlich unabhängig von einander erlangt worden sein sollten, so müssen sie von Voreltern vererbt worden sein, welche damit ausgezeichnet waren. Wir erhalten hierdurch etwas Einsicht in den frühen Zustand des Menschen, ehe er sich Schritt für Schritt über die Oberfläche der Erde verbreitete. Der Verbreitung des Menschen in durch das Meer weit von einander getrennte Gegenden ging ohne Zweifel ein ziemlich beträchtlicher Grad der Divergenz der Charaktere in den verschiedenen Rassen voraus, denn im anderen Falle würden wir zuweilen ein und dieselbe Rasse in verschiedenen Continenten antreffen, und dies ist niemals der Fall. Nachdem Sir J. Lubbock die jetzt von den Wilden in allen Theilen der Erde ausgeübten Künste mit einander verglichen hat, führt er diejenigen einzeln auf, welche der Mensch nicht gekannt haben konnte, als er zuerst aus seinem ursprünglichen Geburtsorte auswanderte; denn wenn sie einmal gelernt wären, würden sie niemals wieder vergessen worden sein.Prehistoric Times. 1869, p. 574. So zeigt er, daß der Speer, welcher nur eine Weiterentwicklung der Messerspitze ist, und die Keule, welche nur ein langer Hammer ist, die einzig übrigbleibenden Sachen sind. Er giebt indessen zu, daß die Kunst, Feuer zu machen, wahrscheinlich schon entdeckt worden war, denn sie ist allen jetzt lebenden Rassen gemeinsam und war den alten Höhlenbewohnern Europas bekannt. Vielleicht war die Kunst, rohe Boote oder Flöße zu machen, gleichfalls bekannt. Da aber der Mensch zu einer sehr entfernten Zeit existierte, als das Land an vielen Stellen in einem von dem jetzigen sehr verschiedenen Niveau erhoben war, so kann er wohl auch im Stande gewesen sein, ohne die Hülfe von Booten sich weit zu verbreiten. Sir J. Lubbock bemerkt ferner, wie unwahrscheinlich es ist, daß unsere frühesten Vorfahren hätten höher zählen können, als bis zu zehn, wenn man in Betracht zieht, daß so viele der jetzt lebenden Rassen nicht über vier hinauskommen. Nichtsdestoweniger konnten zu jener frühen Periode die intellectuellen und socialen Fähigkeiten des Menschen kaum in irgend einem extremen Grade geringer als diejenigen gewesen sein, welche die niedrigsten Wilden jetzt besitzen. Andernfalls hätte der Urmensch nicht so ausgezeichnet erfolgreich im Kampfe um's Dasein sein können, wie sich durch seine frühe und weite Verbreitung zeigt.

Aus der fundamentalen Verschiedenheit zwischen gewissen Sprachen haben manche Philologen den Schluß gezogen, daß der Mensch, als er sich zuerst weit verbreitete, noch kein sprechendes Thier gewesen sei. Indeß läßt sich vermuthen, daß Sprachen, welche bei Weitem weniger vollkommen waren als irgend jetzt gesprochene, unterstützt von Gesten, benutzt worden sein können und doch in den späteren und höher entwickelten Sprachen keine Spuren zurückgelassen haben. Es scheint zweifelhaft, ob ohne den Gebrauch irgend einer Sprache, wie unvollkommen sie auch gewesen sein mag, der Intellect des Menschen sich bis zu der Höhe hätte entwickeln können, welche durch seine schon zu einer frühen Zeit vorherrschende Stellung bedingt war.

Ob der Urmensch in der Zeit, wo er nur wenig Kunstfertigkeiten, und zwar von der rohesten Art, besaß und wo auch sein Vermögen zu sprechen äußerst unvollkommen war, schon verdient haben dürfte, Mensch genannt zu werden, hängt natürlich von der Definition ab, die wir anwenden. In einer Reihe von Formen, welche unmerkbar aus einem affenähnlichen Wesen in den Menschen übergingen, wie er jetzt existiert, würde es unmöglich sein, irgend einen solchen Punkt zu bezeichnen, wo der Ausdruck »Mensch« angewandt werden müßte. Doch ist dies ein Gegenstand von sehr geringer Bedeutung. Ferner ist es ein fast vollständig indifferenter Gegenstand, ob die sogenannten Menschenrassen mit diesem Ausdrucke bezeichnet oder als Species oder Subspecies rangiert werden. Doch scheint der letztere Ausdruck der angemessenste zu sein. Endlich dürfen wir wohl voraussetzen, daß in der Zeit, in welcher die Grundsätze der Entwicklungstheorie angenommen sein werden, was sicher in sehr kurzer Zeit der Fall sein wird, der Streit zwischen den Monogenisten und Polygenisten still und unbeobachtet absterben wird.

 

Eine andere Frage darf nicht ohne eine Erwähnung gelassen werden, nämlich ob, wie man zuweilen annimmt, jede Subspecies oder Rasse des Menschen von einem einzigen Paare von Voreltern abgestammt ist. Bei unsern domesticierten Thieren kann eine neue Rasse leicht von einem einzelnen Paare ausgebildet werden, welches einige neue Merkmale besitzt, ja selbst von einem einzigen in dieser Weise ausgezeichneten Individuum, und zwar dadurch, daß man die variierenden Nachkommen mit Sorgfalt zur Paarung auswählt. Aber die meisten unserer Rassen sind nicht absichtlich von einem ausgewählten Paare, sondern unbewußt durch die Erhaltung vieler Individuen, welche, wenn auch noch so unbedeutend, in einer nützlichen oder erwünschten Art und Weise variiert haben, gebildet worden. Wenn in dem einen Lande kräftigere und schwere Pferde und in einem anderen Lande leichtere und flüchtigere Pferde beständig vorgezogen würden, so könnten wir sicher sein, daß im Laufe der Zeit, ohne daß irgendwelche besondere Paare oder Individuen in jedem der Länder getrennt zur Nachzucht ausgelesen worden wären, zwei verschiedene Unterrassen gebildet worden sein würden. Viele Rassen sind in dieser Weise gebildet worden und die Art und Weise ihres Entstehens ist der der natürlichen Species sehr analog. Wir wissen auch, daß die Pferde, welche nach den Falkland-Inseln gebracht worden sind, während der aufeinander folgenden Generationen kleiner und schwächer geworden sind, während diejenigen, welche in den Pampas verwildert sind, größere und gröbere Köpfe erlangt haben; und derartige Veränderungen sind offenbar Folgen des Umstands, daß nicht etwa irgend ein Paar, sondern alle Individuen denselben Bedingungen ausgesetzt gewesen sind, wobei vielleicht das Princip des Rückschlags unterstützend eingewirkt hat. In keinem dieser Fälle sind die neuen Unterrassen von irgend einem einzelnen Paare abgestammt, sondern von vielen Individuen, welche in verschiedenem Grade, aber in derselben allgemeinen Art, variiert haben: und wir dürfen schließen, daß die Menschenrassen ähnlich entstanden sind, indem die Modificationen entweder das Resultat des Umstands waren, daß sie verschiedenen Bedingungen ausgesetzt wurden, oder das indirecte Resultat irgend einer Form von Zuchtwahl. Aber auf diesen letzteren Gegenstand werden wir sofort zurückkommen.

 
Über das Aussterben von Menschenrassen. – Das theilweise und vollständige Aussterben vieler Rassen und Unterrassen des Menschen sind historisch bekannte Ereignisse. Humboldt sah in Süd-Amerika einen Papagei, welcher das einzige lebende Wesen war, das die Sprache eines ausgestorbenen Stammes noch kannte. Alte Monumente und Steinwerkzeuge, welche sich in allen Theilen der Welt finden und von welchen unter den gegenwärtigen Einwohnern keine Tradition mehr erhalten ist, weisen auf reichliches Aussterben hin. Einige kleine und versprengte Stämme, Überbleibsel früherer Rassen, leben noch in isolierten und gewöhnlich bergigen Districten. In Europa standen die alten Rassen nach SchaaffhausenÜbersetzung in: Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 431. sämmtlich auf der Stufenreihe »tiefer als die rohesten jetzt lebenden Wilden« sie müssen daher in einer gewissen Ausdehnung von jeder jetzt existierenden Rasse abgewichen sein. Die von Professor Broca aus Les Eyzies beschriebenen Überreste weisen, obgleich sie unglücklicherweise einer einzelnen Familie angehört zu haben scheinen, auf eine Rasse hin mit einer höchst merkwürdigen Combination niederer oder affenartiger und höherer charakteristischer Merkmale. Diese Rasse ist »völlig verschieden von irgend einer andern alten oder modernen Rasse, von der wir je gehört haben«.Transact. Internat. Congress of Prehistor. Archaelog. 1868, p. 172–175. s. auch Broca in: Anthropolog. Review, Oct. 1868, p. 410. Sie wich daher auch von der quaternären Rasse der belgischen Höhlen ab.

Bedingungen, welche äußerst ungünstig für sein Bestehen erscheinen, kann der Mensch lange widerstehen.Gerland, Über das Aussterben der Naturvölker, 1868, p. 82. Der Mensch hat in den äußersten Gegenden des Nordens lange gelebt, wo er kein Holz hatte, aus dem er sich seine Boote oder andere Werkzeuge hätte machen können, und wo er nur Thran als Brennmaterial und nur geschmolzenen Schnee als Getränk hatte. An der Südspitze von Amerika leben die Feuerländer ohne den Schutz von Kleidern oder von irgend einem Bau, welcher eine Hütte genannt zu werden verdient. In Süd-Afrika wandern die Eingeborenen über die dürrsten Ebenen, wo gefährliche Thiere in großer Anzahl vorhanden sind. Der Mensch kann den tödtlichen Einfluß des Terai am Fuße des Himalaya und die pesthauchenden Küsten des tropischen Afrika ertragen.

Das Aussterben ist hauptsächlich eine Folge der Concurrenz eines Stammes mit dem andern und einer Rasse mit der andern. Verschiedene hindernde Momente sind fortwährend in Thätigkeit, welche dazu dienen, die Zahl jedes wilden Stammes niedrig zu halten, – so die periodisch eintretenden Hungersnöthe, das Wandern der Eltern und das in Folge hiervon auftretende Sterben der Kinder, das lange Stillen, Kriege, Naturereignisse, Krankheiten, zügelloses Leben, das Stehlen von Frauen, Kindesmord und besonders verminderte Fruchtbarkeit. Wird in Folge irgend einer Ursache eines dieser Hindernisse verstärkt, wenn auch nur in einem unbedeutenden Grade, so wird der auf diese Weise betroffene Stamm zur Abnahme neigen, und wenn einer von zwei an einander stoßenden Stämmen weniger zahlreich und weniger machtvoll als der andere wird, so wird der Kampf sehr bald durch Krieg, Blutvergießen, Cannibalismus, Sclaverei und Absorption beendet. Selbst wenn ein schwächerer Stamm nicht in dieser Weise plötzlich hinweggeschwemmt wird, nimmt er doch, wenn er einmal beginnt abzunehmen, beständig weiter ab, bis er ausgestorben ist.Gerland führt in Über das Aussterben der Naturvölker, 1868, p. 12 Thatsachen zur Unterstützung dieser Angabe an,

Wenn civilisierte Nationen mit Barbaren in Berührung kommen, so ist der Kampf kurz, mit Ausnahme der Orte, wo ein tödtliches Klima der eingeborenen Rasse zur Hülfe kommt. Von den Ursachen, welche zum Siege der civilisierten Nationen führen, sind einige sehr deutlich und einfach, andere compliciert und dunkel. Wir können einsehen, daß die Cultur des Landes aus vielen Gründen den Wilden verderblich sein wird; denn sie können oder werden ihre Gewohnheiten nicht ändern. Neue Krankheiten und Laster haben sich als in hohem Grade zerstörend erwiesen, und es scheint, als ob in jeder Nation eine neue Krankheit viele Todesfälle veranlaßt, bis Diejenigen, welche für ihren zerstörenden Einfluß am meisten empfänglich sind, nach und nach ausgejätet sind.s. Bemerkungen in diesem Sinne bei Sir H. Holland, Medical Notes and Reflections. 1839, p. 390. Dasselbe dürfte mit den schlimmen Wirkungen der geistigen Getränke und ebenso mit dem unbezwinglich starken Geschmack an solchen, den so viele Wilde zeigen, der Fall sein. So mysteriös die Thatsache ist, so scheint es doch ferner, als ob die erste Begegnung distincter und getrennt gewesener Völker Krankheiten erzeuge.Ich habe eine ziemliche Anzahl sich auf diesen Punkt beziehender Thatsachen gesammelt: Reise eines Naturforschers (übers. von Carus), p. 500. s. auch Gerland, Über das Aussterben der Naturvölker, 1868, p. 8. Pöppig spricht von dem Hauche der Civilisation, welcher den Wilden giftig ist. Mr. Sproat, welcher die Frage des Aussterbens in Vancouvers-Island eingehend untersuchte, glaubt, daß veränderte Lebensgewohnheiten, welche stets Folge der Ankunft von Europäern sind, eine Störung der Gesundheit herbeiführen. Er legt auch auf eine so unbedeutende Ursache großes Gewicht, wie die ist, daß die Eingeborenen durch das neue Leben um sich herum »verdutzt und dumm werden. Sie verlieren den Trieb zu eigener Anstrengung und erhalten keine neuen Reize an dessen Stelle.«Sproat, Scenes and Studies of Savage Life. 1868, p. 284.

Der Grad ihrer Civilisation scheint ein höchst bedeutungsvolles Element bei dem Erfolge der in Concurrenz kommenden Nationen zu sein. Noch vor wenigen Jahrhunderten fürchtete Europa das Eindringen östlicher Barbaren; jetzt würde irgend eine solche Furcht lächerlich sein. Es ist, wie Mr. Bagehot bemerkt hat, eine noch merkwürdigere Thatsache, daß in früheren Zeiten die Wilden nicht vor den classischen Nationen verschwanden, wie sie es jetzt vor den modernen civilisierten Nationen thun. Wäre dies der Fall gewesen, so würden die alten Moralisten sicher über dieses Ereignis ihre Bemerkungen gemacht haben, aber es findet sich in keinem Schriftsteller jener Periode über die untergehenden Barbaren irgend eine Klage.Bagehot, Physics and Politics, in: Fortnightly Review. Apr. 1., 1868, p. 455. Die wirksamste von allen Ursachen des Aussterbens scheint in vielen Fällen verminderte Fruchtbarkeit und Krankheit besonders unter den Kindern zu sein; beides ist Folge der Änderung der Lebensbedingungen, trotzdem die neuen Bedingungen an sich nicht schädlich zu sein brauchen. Ich bin Mr. H. Howorth sehr verbunden, daß er meine Aufmerksamkeit auf diesen Gegenstand gelenkt und mir darauf bezügliche Mittheilungen gemacht hat. Ich habe die folgenden Fälle gesammelt.

Als Tasmanien zuerst colonisiert wurde, wurde die Zahl der Eingeborenen nach einer ungefähren Schätzung von einigen zu 7000, von anderen zu 20 000 veranschlagt. Bald war dieselbe bedeutend reduciert, und zwar hauptsächlich in Folge ihrer Kämpfe mit den Engländern und unter einander. Als nach der berüchtigten, von allen Colonisten unternommenen Jagd die übrig bleibenden Eingeborenen sich der Regierung überlieferten, bestanden sie nur noch aus 120 Individuen,Alle die hier gemachten Angaben sind genommen aus: J. Bonwick, The Last of the Tasmanians. 1870. welche 1832 nach Flinders Insel transportiert wurden. Diese zwischen Tasmanien und Australien gelegene Insel ist vierzig Meilen lang und von zwölf bis achtzehn Meilen (engl.) breit; sie scheint gesund zu sein, und die Eingeborenen wurden gut behandelt. Nichtsdestoweniger litt ihre Gesundheit bedeutend. Im Jahre 1834 (Bonwick p. 250) bestanden sie noch aus siebenundvierzig erwachsenen Männern, achtundvierzig erwachsenen Frauen und sechzehn Kindern, oder im Ganzen aus 111 Seelen. Im Jahre 1835 waren nur noch einhundert übrig. Da ihre Abnahme reißend fortschritt und da sie selbst glaubten, wo anders nicht so schnell auszusterben, wurden sie 1847 nach Oyster Cove im südlichen Theile von Australien zurückgebracht. Damals (20. Dec. 1847) waren es noch vierzehn Männer, zweiundzwanzig Frauen und zehn Kinder.Dies ist die Angabe des Gouverneurs von Tasmanien, Sir W. Denison, Varieties of Vice-Regal Life. 1870. Vol. I, p. 67. Aber die Veränderung des Aufenthalts that ihnen nicht gut, Krankheit und Tod verfolgte sie noch immer, und 1864 lebten nur noch ein Mann (welcher 1869 starb) und drei ältere Frauen. Die Unfruchtbarkeit der Frauen ist eine selbst noch merkwürdigere Thatsache, als die Neigung zu Krankheit und Tod. In der Zeit, als in Oyster Cove nur neun Frauen übrig waren, sagten sie Mr. Bonwick (p. 386), daß nur zwei jemals Kinder geboren hätten; und diese zwei hatten zusammen nur drei Kinder gehabt!

In Bezug auf die Ursache dieses außerordentlichen Verhaltens macht Dr. Story die Bemerkung, daß den Versuchen, die Eingeborenen zu civilisieren, der Tod gefolgt sei. »Wenn sie sich überlassen geblieben wären, so daß sie nach ihrer Gewohnheit hätten herumschweifen können, und nicht gestört worden wären, so würden sie mehr Kinder erzeugt haben und die Sterblichkeit wäre geringer gewesen.« Ein anderer sorgfältiger Beobachter der Eingeborenen, Mr. Davis, bemerkt: »Geburten gab es nur wenige und Todesfälle waren zahlreich. Dies mag in großem Maßstabe Folge der Änderung ihrer Lebens- und Nahrungsweise gewesen sein; aber noch mehr Folge ihrer Verbannung von der Hauptinsel von Van Diemen's Land und der daher rührenden Niedergeschlagenheit ihrer Gemüther« (Bonwick p. 388, 390).

Ähnliche Thatsachen sind in zwei weit von einander entfernten Theilen von Australien beobachtet worden. Der berühmte Forschungsreisende Gregory sagte Mr. Bonwick, daß »bei den Schwarzen bereits der Mangel der Reproduction selbst in den neuerlichst bewohnten Theilen fühlbar wäre und daß Verfall bald eintreten würde.« Von dreizehn Eingeborenen von Shark's Bay, welche den Murchison River besuchten, starben innerhalb dreier Monate zwölf an Schwindsucht.In Bezug auf diese Thatsachen siehe Bonwick, Daily Life of the Tasmanians. 1870, p. 90, und The Last of the Tasmanians. 1870, p. 386.

Die Abnahme der Maoris von Neu-Seeland ist von Mr. Fenton sorgfältig untersucht und in einem ausgezeichneten Berichte dargelegt worden, aus dem mit einer Ausnahme alle die folgenden Angaben entnommen sind.»Observations on the Aboriginal Inhabitants of New Zealand«, von der Regierung herausgegeben, 1859. Die Zahlenabnahme seit 1830 wird von Allen zugegeben, mit Einschluß der Eingeborenen selbst; sie schreitet noch immer stetig fort. Obgleich es sich bis jetzt noch immer als unmöglich herausgestellt hat, eine wirkliche Volkszählung der Eingeborenen vorzunehmen, so sind doch ihre Zahlenverhältnisse von Bewohnern vieler Districte sorgfältig abgeschätzt worden. Das Resultat scheint Vertrauen zu verdienen; es zeigt, daß in den vierzehn Jahren vor 1858 die Abnahme 19,42 Procent betragen hat. Einige der in dieser Art sorgfältig untersuchten Stämme lebten hundert Meilen von einander entfernt, einige an der Küste, einige landeinwärts; auch waren ihre Subsistenzmittel und Lebensweise in einem gewissen Grade verschieden (p. 28). Ihre Gesammtzahl wurde 1858 auf 53 700 angenommen; im Jahre 1872, nach dem Ablauf von wiederum vierzehn Jahren, wurde eine zweite Zählung vorgenommen, und die nun angegebene Zahl beträgt nur 36 359, was eine Abnahme von 32,29 Prozent ergiebt!New Zealand, by Alex. Kennedy, 1873, p. 47. Mr. Fenton kommt, nachdem er im Einzelnen das Ungenügende der verschiedenen, zur Erklärung dieser außerordentlichen Abnahme angeführten Ursachen, wie neue Krankheiten, die Lüderlichkeit der Frauen, Trunkenheit, Kriege u. s. w. nachgewiesen hat, in Folge gewichtiger Gründe zu dem Schluße, daß sie hauptsächlich von der geringen Fruchtbarkeit der Frauen und der außerordentlichen Sterblichkeit der kleinen Kinder abhängt (p. 31. 34). Als Beweis hierfür führt er an (p. 33), daß 1844 ein Nichterwachsener auf je 2,57 Erwachsene kam, während im Jahre 1858 ein Nichterwachsener erst auf 3,27 Erwachsene kam. Auch die Sterblichkeit der Erwachsenen ist groß. Als eine weitere Ursache der Abnahme führt er ferner die Ungleichheit der beiden Geschlechter an: es werden weniger Mädchen als Knaben geboren. Auf diesen letzteren, vielleicht von einer gänzlich verschiedenen Ursache abhängenden Umstand werde ich in einem späteren Capitel zurückkommen. Mr. Fenton vergleicht mit Erstaunen die Abnahme in Neu-Seeland mit der Zunahme in Irland, zwei im Klima nicht sehr unähnlichen Ländern, wo die Einwohner jetzt nahezu ähnliche Lebensweise haben. Die Maoris selbst (p. 35) »schreiben ihre Abnahme in einem gewissen Maße der Einführung neuer Nahrung und der Kleidung und der damit in Verbindung stehenden Änderung der Lebensgewohnheiten zu« und wenn wir den Einfluß veränderter Bedingungen auf die Fruchtbarkeit betrachten werden, wird es sich zeigen, daß sie wahrscheinlich darin Recht haben. Die Verminderung begann zwischen den Jahren 1830 und 1840; Mr. Fenton weist nach (p. 40), daß ungefähr um 1830 die Kunst, fauliges Korn (Mais) durch langes Einweichen in Wasser zuzubereiten, entdeckt und reichlich ausgeübt wurde; und dies zeigt, daß eine Änderung der Lebensgewohnheiten unter den Eingebornen begann, selbst als Neu-Seeland nur dünn von Europäern bewohnt war. Als ich die Bay of Islands 1835 besuchte, waren die Kleidung und Nahrung der Eingebornen bereits sehr modificiert worden; sie bauten Kartoffeln, Mais und andre landwirtschaftliche Erzeugnisse und tauschten dieselben gegen englische Manufacturwaaren und Tabak.

Aus vielen Angaben im Leben des Bischofs PattesonLife of J. C. Patteson, by C. M. Younge, 1874; s. besonders Vol. I, p. 530. geht zur Evidenz hervor, daß die Melanesier der Neuen Hebriden und der benachbarten Archipele in einem ganz außerordentlichen Grade an Krankheiten litten und in großer Zahl umkamen, als sie nach Neu-Seeland, der Norfolk-Insel und andern gesunden Orten gebracht wurden, um zu Missionären erzogen zu werden.

Die Abnahme der eingeborenen Bevölkerung der Sandwich-Inseln ist ebenso notorisch, wie die von Neu-Seeland. Von den eines Urtheils am meisten Fähigen ist nach ungefährer Schätzung angegeben worden, daß, als Cook die Inseln im Jahre 1779 entdeckte, ihre Bevölkerung ungefähr 300 000 betrug. Nach einer oberflächlichen Zählung im Jahre 1823 bestand dieselbe aus 142 050 Seelen. Im Jahre 1832 und in verschiedenen späteren Zeiten wurde eine genaue Volkszählung officiell vorgenommen. Ich bin aber nur im Stande gewesen, die folgenden Resultate zu erhalten.

Jahr Eingeborne Bevölkerung
(mit Ausnahme von 1832 und 1836, wo die wenigen Fremden mit eingerechnet wurden).
Jährliches procentisches Abnahmeverhältnis,
unter der Annahme, daß es zwischen zwei auf einander folgenden Zählungen gleich blieb, da diese nach regelmäßigen Zwischenräumen angestellt wurden.
1832
 
1836
 
1853
 
1860
 
1866
 
1872
130313
 
108579
 
71019
 
67084
 
58765
 
51531
 
4,46
 
2,47
 
0,81
 
2,18
 
2,17

Wir sehen hier, daß in dem Zeitraume von vierzig Jahren, zwischen 1832 und 1872, die Bevölkerung um nicht weniger als achtundsechzig Procent abgenommen hat! Dies ist von den meisten Schriftstellern auf die Lüderlichkeit der Frauen, die früheren blutigen Kriege, die schwere, den erorberten Stämmen auferlegte Arbeit und neu eingeführte Krankheiten, welche sich bei verschiedenen Gelegenheiten als äußerst zerstörend erwiesen haben, geschoben worden. Ohne Zweifel sind diese und andre ähnliche Ursachen in hohem Grade wirksam gewesen und können wohl das außerordentliche Abnahmeverhältnis zwischen den Jahren 1832 und 1836 erklären; die wirksamste von allen Ursachen scheint aber die verringerte Fruchtbarkeit zu sein. Einer Angabe des Dr. Ruschenberger, von der Marine der Vereinigten Staaten, zufolge, welcher diese Inseln zwischen 1835 und 1837 besuchte, hatten in einem District von Hawaii nur fünfundzwanzig Männer unter 1134 und in einem andern District nur zehn unter 637 eine Familie mit drei Kindern. Von achtzig verheiratheten Frauen hatten nur neununddreißig überhaupt Kinder geboren, und »der officielle Bericht giebt als Mittel nur ein halbes Kind jedem verheiratheten Paare auf der ganzen Insel«. Dies ist fast genau dieselbe Mittelzahl wie bei den Tasmaniern in Oyster Cove. Jarves, dessen Geschichte 1843 erschien, sagt, daß »Familien, welche drei Kinder haben, frei von allen Steuern sind; diejenigen, welche mehr haben, werden durch Geschenke an Land und andere Aufmunterungen belohnt«. Dies ganz beispiellose Vorgehen der Regierung zeigt klar, wie unfruchtbar die Rasse geworden war. Ein Geistlicher, A. Bishop, erklärte im »Hawaiischen Spectator« 1839, daß eine große Anzahl von Kindern in frühem Alter sterben; und Bischof Staley theilt mir mit, daß dies noch immer der Fall ist, genau wie in Neu-Seeland. Dies ist der Vernachlässigung der Kinder durch die Frauen zugeschrieben worden, ist aber wahrscheinlich zum großen Theile Folge der angebornen Schwäche der Constitution bei den Kindern, die zu der verringerten Fruchtbarkeit der Eltern in Beziehung steht. Es besteht überdies noch eine weitere Ähnlichkeit mit dem Fall von Neu-Seeland, in der Thatsache nämlich, daß ein Überschuß von männlichen über weibliche Geburten statthat. Die Volkszählung von 1872 ergiebt 31 650 männliche auf 25 247 weibliche Individuen jeden Alters, das sind 125,36 männliche auf je 100 weibliche, während in allen civilisierten Ländern die weiblichen Individuen die männlichen überwiegen. Ohne Zweifel mag die Lüderlichkeit der Frauen zum Theil ihre geringe Fruchtbarkeit erklären; aber die Änderung ihrer Lebensgewohnheiten ist eine viel wahrscheinlichere Ursache, welche auch gleichzeitig die vermehrte Sterblichkeit, besonders der Kinder, erklären dürfte. Die Inseln wurden von Cook im Jahre 1779, von Vancouver 1794 und später häufig von Walfischjägern besucht. Im Jahre 1819 kamen Missionäre an und fanden, daß der König den Götzendienst bereits beseitigt und andere Veränderungen bewirkt hatte. Nach dieser Zeit fand eine rapide Veränderung in fast allen Lebensgewohnheiten der Eingebornen statt und sie wurden bald »die civilisiertesten der Inselbewohner des Stillen Oceans«. Einer meiner Gewährsmänner, Mr. Coan, welcher auf den Inseln geboren ist, bemerkt, daß die Eingebornen im Verlaufe von fünfzig Jahren eine größere Veränderung in ihren Lebensgewohnheiten durchgemacht haben, als die Engländer während eines Tausend von Jahren. Aus Mittheilungen, die ich von Bischof Staley erhielt, geht nicht hervor, daß die ärmeren Classen jemals ihre Nahrungsart sehr verändert haben, obschon viele neue Früchte eingeführt worden sind und das Zuckerrohr in ganz allgemeinem Gebrauche ist. In Folge ihrer Leidenschaft, den Europäern nachzuahmen, haben sie indessen schon zu einer frühen Zeit ihre Art sich zu kleiden geändert; auch ist der Gebrauch spirituöser Getränke sehr allgemein geworden. Obgleich diese Veränderungen unbeträchtlich erscheinen, kann ich nach dem, was in Bezug auf Thiere bekannt ist, wohl glauben, daß sie hinreichen dürften, die Fruchtbarkeit der Eingeborenen zu verringern.Die vorstehenden Angaben sind hauptsächlich den folgenden Werken entnommen: Jarves, History of the Hawaiian Islands, 1843, p. 400–407; Cheever, Life in the Sandwich-Islands, 1851, p. 277; Ruschenberger wird von Bonwick citiert, The Last of the Tasmanians, 1870, p. 378; Bishop wird angeführt von Sir Edw. Belcher, Voyage round the World, 1843, Vol. I, p. 272. Die Zählungen der verschiedenen Jahre verdanke ich, auf Fürsprache des Dr. Youmans in New-York, Mr. Coan; und in den meisten Fällen habe ich Youman's Zahlen mit den in verschiedenen der eben genannten Werke gegebenen verglichen. Den Census von 1850 habe ich weggelassen, weil zwei ganz verschiedene Zahlen angegeben worden sind.

Endlich giebt Mr. Macnamara an,The Indian Medical Gazette, Nov. 1., 1871, p. 240. daß die niedrigstehenden und herabgekommenen Bewohner der Andaman-Inseln, auf der östlichen Seite des Meerbusens von Bengalen, »für jede Veränderung des Klimas außerordentlich empfindlich sind: in der That, wollte man sie von ihren heimischen Inseln wegnehmen, so würden sie beinahe sicher sterben, und zwar unabhängig von der Nahrung oder äußerlichen Einflüssen«. Er führt ferner an, daß die Bewohner des Thales von Nepaul, welches im Sommer außerordentlich heiß ist, und ebenso die verschiedenen Bergstämme in Indien an Dysenterie und Fieber leiden, sobald sie in die Ebenen kommen, und daß sie sterben, wenn sie versuchen, das ganze Jahr dort zuzubringen.

Wir sehen hiernach, daß viele der wilderen Menschenrassen sehr leicht von Krankheiten leiden, wenn sie veränderten Bedingungen oder Lebensweisen ausgesetzt werden, und nicht ausschließlich, wenn sie in ein neues Klima transportiert werden. Bloße Änderungen in den Gewohnheiten, welche an sich nicht schädlich zu sein scheinen, scheinen dieselbe Wirkung zu haben; in mehreren Fällen werden die Kinder in eigenthümlicher Weise leicht ergriffen. Es ist, wie Mr. Macnamara bemerkt, oft gesagt worden, daß der Mensch ungestraft den größten Verschiedenheiten des Klimas und andern Veränderungen widerstehen könne; dies ist aber nur in Bezug auf civilisierte Rassen wahr. Der Mensch scheint in seinem wilden Zustande in dieser Beziehung beinahe so empfindlich zu sein, wie seine nächsten Verwandten, die anthropoiden Affen, welche eine Entfernung aus ihrem Heimatlande niemals lange überlebt haben.

Die in Folge veränderter Bedingungen eintretende Verringerung der Fruchtbarkeit, wie es bei den Tasmaniern, den Maoris, Sandwich-Insulanern und allem Anscheine nach bei den Australiern der Fall ist, ist noch interessanter als ihre Neigung zu Krankheit und Tod; denn selbst ein geringer Grad von Unfruchtbarkeit wird in Verbindung mit jenen andern Ursachen, welche die Zunahme jeder Bevölkerung zu hindern streben, früher oder später zum Aussterben führen. Die Verminderung der Fruchtbarkeit kann in manchen Fällen durch die Lüderlichkeit der Frauen erklärt werden (wie bis vor Kurzem bei den Bewohnern von Tahiti); Mr. Fenton hat aber gezeigt, daß diese Erklärung bei den Neu-Seeländern ebensowenig wie bei den Tasmaniern genügt.

In dem oben erwähnten Aufsatze führt Mr. Macnamara Gründe zu der Annahme auf, daß die Einwohner von Districten, welche der Malaria ausgesetzt sind, leicht unfruchtbar werden; doch kann dies auf mehrere der obigen Fälle nicht angewandt werden. Einige Schriftsteller haben die Vermuthung ausgesprochen, daß die Ureinwohner von Inseln in Folge lange fortgesetzter Inzucht unfruchtbar und kränklich geworden sind; in den obigen Fällen ist die Unfruchtbarkeit zu genau mit der Ankunft der Europäer zusammengefallen, um uns die Annahme dieser Erklärung zu gestatten. Auch haben wir gegenwärtig keinen Grund zu glauben, daß der Mensch für die übeln Wirkungen der Inzucht in hohem Grade empfindlich ist, besonders in so großen Bezirken wie Neu-Seeland und dem Sandwich-Archipel. Im Gegentheil ist es bekannt, daß die jetzigen Einwohner der Norfolk-Insel beinahe sämmtlich Vettern oder nahe Verwandte sind, ebenso wie die Todas in Indien und die Bewohner einiger der westlichen schottischen Inseln; und doch scheint ihre Fruchtbarkeit nicht gelitten zu haben.Über die nahe Verwandtschaft der Norfolk-Insulaner s. Sir W. Denison, Varieties of Vice-Regal Life, Vol. I, 1870, p. 410. In Bezug auf die Todas s. Col. Marshall's Buch, 1873, p. 110; wegen der westlichen Inseln von Schottland s. Dr. Mitchell, in: Edinburgh Medical Journal, März bis Juni, 1865.

Eine viel wahrscheinlichere Ansicht wird durch die Analogie mit den niederen Thieren dargeboten. Es kann nachgewiesen werden, daß das Reproductionssystem in einem außerordentlichen Grade (doch wissen wir nicht, warum) für veränderte Lebensbedingungen empfindlich ist; diese Empfindlichkeit führt sowohl zu wohlthätigen als übeln Resultaten. Eine große Sammlung von Thatsachen über diesen Gegenstand habe ich im XVIII. Capitel des zweiten Bandes meines »Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication« gegeben; ich kann hier nur den allerkürzesten Auszug geben; jeder der sich für die Sache interessiert, mag das angeführte Werk zu Rathe ziehen. Sehr unbedeutende Veränderungen erhöhen die Gesundheit, Lebenskraft und Fruchtbarkeit der meisten oder aller organischen Wesen, während von andern Veränderungen bekannt ist, daß sie eine große Zahl von Thieren unfruchtbar machen. Einer der bekanntesten Fälle ist der der gezähmten Elefanten, welche sich in Indien nicht fortpflanzen, trotzdem sie sich in Ava, wo den Weibchen gestattet ist, in gewisser Ausdehnung durch die Wälder zu schweifen, wo sie also unter natürlichere Bedingungen gesetzt sind, häufig vermehren. Der Fall von verschiedenen amerikanischen Affen, von denen beide Geschlechter in ihrem eigenen Heimathlande Jahre lang zusammengehalten worden sind und sich doch nur sehr selten oder niemals fortgepflanzt haben, ist ein noch zutreffenderes Beispiel wegen ihrer Verwandtschaft mit dem Menschen. Es ist merkwürdig, eine wie geringe Veränderung in den Lebensbedingungen häufig bei einem wilden Thiere, wenn es gefangen wird, Unfruchtbarkeit herbeiführt; und dies ist um so befremdender, als alle unsere domesticierten Thiere fruchtbarer geworden sind, als sie im Naturzustande waren; einige von ihnen können den unnatürlichsten Bedingungen widerstehen, ohne daß ihre Fruchtbarkeit vermindert würde.In Bezug auf die Belege über diesen Punkt s. Variiren der Thiere und Pflanzen etc. 2. Aufl. Bd. II, p. 127. Gewisse Thiergruppen werden viel leichter als andere durch Gefangenschaft afficiert, und allgemein werden sämmtliche Arten einer und derselben Gruppe in derselben Art und Weise afficiert. Zuweilen wird aber nur eine einzige Species in einer Gruppe unfruchtbar gemacht, während es die andern nicht werden; andererseits kann auch eine einzelne Species ihre Fruchtbarkeit behalten, während die meisten andern in der Zucht fehlschlagen. Werden die Männchen und Weibchen mancher Species in ihrem Heimathlande gefangen gehalten oder läßt man sie beinahe, aber nicht völlig frei leben, so vereinigen sie sich nie; andere verbinden sich unter gleichen Umständen häufig, bringen aber niemals Nachkommen hervor; andere wieder bringen einige Nachkommen hervor, aber weniger als im Naturzustande; und es ist, da es auf die oben erwähnten Fälle von Menschen Bezug hat, von Wichtigkeit, zu bemerken, daß die Jungen leicht schwach und kränklich werden und gern in einem frühen Alter sterben.

Wenn man sieht, wie allgemein dieses Gesetz der Empfindlichkeit des Reproductionssystems gegen veränderte Lebensbedingungen ist und daß es auch für unsere nächsten Verwandten, die Quadrumanen, gilt, so kann ich kaum zweifeln, daß es auch auf den Menschen in seinem ursprünglichen Zustande Anwendung erleidet. Wenn daher Wilde irgend einer Rasse plötzlich dazu veranlaßt werden, ihre Lebensgewohnheiten zu verändern, so werden sie mehr oder weniger unfruchtbar, und ihre Nachkommen leiden in der Jugend an ihrer Gesundheit in derselben Weise und aus derselben Ursache, wie es der Elefant und der Jagdleopard in Indien, viele Affen in Amerika und eine große Menge von Thieren aller Arten bei der Entfernung aus ihren natürlichen Bedingungen thun.

Wir können einsehen, woher es kommt, daß Ureinwohner, welche lange Zeit Inseln bewohnt haben und welche lange Zeit nahezu gleichförmigen Bedingungen ausgesetzt gewesen sind, von irgend welchen Veränderungen in ihren Gewohnheiten speciell afficiert werden, wie es der Fall zu sein scheint. Civilisierte Rassen können sicher Veränderungen aller Art viel besser widerstehen als Wilde; und in dieser Hinsicht sind sie domesticierten Thieren ähnlich; denn obschon dieselben zuweilen in ihrer Gesundheit leiden (wie z. B. europäische Hunde in Indien), so werden sie doch nur selten unfruchtbar, wenngleich einige wenige derartige Fälle bekannt geworden sind.Variiren der Thiere und Pflanzen etc. 2. Aufl. Bd. II, p. 184. Die Immunität civilisierter Rassen und domesticierter Thiere ist wahrscheinlich Folge des Umstandes, daß sie in größerem Maße variierenden Bedingungen ausgesetzt worden sind und daher sich auch mehr an solche gewöhnt haben, als die Mehrzahl wilder Thiere, daß sie früher eingewandert sind oder von Land zu Land gebracht worden sind, und daß sich verschiedene Familien oder Unterrassen gekreuzt haben. Allem Anscheine nach giebt eine Kreuzung mit civilisierten Rassen einer ursprünglichen Rasse sofort eine gewisse Immunität gegen die übeln Folgen veränderter Bedingungen. So nahm die gekreuzte Nachkommenschaft der Tahitianer und Engländer, als sie sich auf der Pitcairn-Insel niederließ, so rapid zu, daß die Insel bald übervölkert war; im Juni 1856 wurde sie nach der Norfolk-Insel übergeführt. Sie bestand dann aus 60 verheiratheten Personen und 134 Kindern, eine Gesammtzahl von 194 ergebend. Hier nahm sie gleicherweise so rapid zu, daß, obgleich sechzehn von ihnen im Jahre 1859 nach Pitcairn-Insel zurückkehrten, sie im Januar 1868 aus 300 Seelen bestand, wobei männliche und weibliche Individuen in genau gleichen Zahlen vorhanden waren. Was für einen Contrast bietet dieser Fall mit dem der Tasmanier dar! Die Norfolk-Insulaner vermehrten sich in nur zwölf und einem halben Jahre von 194 auf 300, während die Tasmanier sich während fünfzehn Jahren von 120 auf 46 verminderten, unter welcher letzteren Zahl nur zehn Kinder waren.Diese Einzelheiten sind genommen aus: »The Mutineers of the Bounty«, von Lady Belcher, 1870, und aus »Pitcairn Island«, ordered to be printed by the House of Commons, 29. May, 1863. Die folgenden Angaben über die Sandwich-Insulaner sind aus der Honolulu-Gazette und von Mr. Coan.

Ferner nahmen in dem Zwischenraum zwischen den Zählungen von 1856 und 1872 die Eingeborenen reinen Blutes auf den Sandwich-Inseln um 8081 ab, während die für gesünder gehaltenen Mischlinge um 847 zunahmen; ich weiß indessen nicht, ob die letztere Zahl die Nachkommenschaft der Mischlinge oder nur die Mischlinge der ersten Generation enthält.

Die Fälle, welche ich hier mitgetheilt habe, beziehen sich sämmtlich auf Ureinwohner, welche in Folge der Einwanderung civilisierter Menschen neuen Bedingungen ausgesetzt worden sind. Wahrscheinlich würde aber Unfruchtbarkeit und schwächliche Gesundheit als Folge eintreten, wenn Wilde durch irgend welche Ursache, wie z. B. das Eindringen eines erobernden Stammes, gezwungen würden, ihre Heimstätten zu verlassen und ihre Lebensgewohnheiten zu ändern. Es ist ein interessanter Umstand, daß das hauptsächlichste Hindernis der Domesticierung wilder Thiere, welche ja die Fähigkeit einer reichlichen Vermehrung nach der ersten Gefangennahme mit einschließt, und eines der hauptsächlichsten Hindernisse gegen das Lebenbleiben wilder Menschen und ihrer Umwandlung in eine civilisierte Rasse, wenn sie mit der Civilisation in Berührung gebracht worden sind, ein und dasselbe ist, nämlich Unfruchtbarkeit in Folge veränderter Lebensbedingungen.

Obgleich endlich die allmähliche Abnahme und endliche Erlöschung der Menschenrassen ein dunkles Problem ist, – beides hängt von vielen Ursachen ab, welche an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten verschieden gewesen sind – so ist es doch dasselbe Problem wie das, was sich beim Aussterben irgend eines der höheren Thiere darbietet – z. B. des fossilen Pferdes, welches aus Süd-Amerika verschwand, um bald nachher innerhalb derselben Bezirke von zahllosen Herden des spanischen Pferdes wieder ersetzt zu werden. Der Neu-Seeländer scheint sich dieses Parallelismus bewußt zu sein, denn er vergleicht sein künftiges Schicksal mit dem der eingeborenen Ratte, welche von der europäischen Ratte jetzt fast ganz ausgerottet ist. Ist auch die Schwierigkeit einer Erklärung sowohl für unsere Vorstellung, als auch factisch groß, wenn wir die Ursachen genau festzustellen wünschen, so sollte sie es doch nicht unserem Verstande sein, so lange wir beständig vor Augen behalten, daß die Zunahme jeder Species und jeder Rasse fortwährend durch verschiedene Hindernisse aufgehalten wird, so daß, wenn irgend ein neues Hindernis, wenn auch noch so unbedeutend, hinzutritt, die Rasse sicherlich an Zahl abnehmen wird. Eine Abnahme der Zahl wird früher oder später zum Aussterben führen. Das Ende wird dann in den meisten Fällen durch das Eindringen erobernder Stämme mit Sicherheit herbeigeführt.


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