Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Correlatives Abändern. – Beim Menschen stehen wie bei den niederen Thieren viele Bildungen in einer so intimen Beziehung zu einander, daß, wenn der eine Theil abweicht, ein anderer es gleichfalls thut, ohne daß wir in den meisten Fällen im Stande wären, irgend einen Grund beizubringen. Wir können nicht sagen, ob der eine Theil den andern beherrscht oder ob beide von irgend einem früher entwickelten Theile beherrscht werden. Wie Isid. Geoffroy wiederholt betont hat, sind in dieser Weise verschiedene Monstrositäten ganz eng mit einander verknüpft. Ganz besonders sind homologe Bildungen geneigt, gemeinsam abzuändern, wie wir es an den beiden Seiten des Körpers und an den oberen und unteren Gliedmaßen sehen. Meckel hat schon vor langer Zeit die Bemerkung gemacht, daß, wenn die Armmuskeln von ihrem eigentlichen Typus abweichen, sie fast immer die Verhältnisse der Muskeln des Beins wiederholen; und so umgekehrt mit den Beinmuskeln. Die Organe des Gesichts und Gehörs, die Zähne und Haare, die Farbe der Haut und der Haare, Farbe und Constitution stehen mehr oder weniger in Correlation.Die Autoritäten für diese verschiedenen Angaben sind angeführt in meinem Buche »Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication«. 2. Aufl. Bd. II, p. 365-382. Professor Schaaffhausen hat zuerst die Aufmerksamkeit auf die Beziehung gelenkt, welche offenbar zwischen einem muskulösen Bau und den stark ausgesprochenen Oberaugenhöhlenleisten existiert, wie sie für die niederen Menschenrassen so charakteristisch sind.

Außer den Abänderungen, welche mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit unter die vorgenannte Kategorie gruppiert werden können, giebt es noch eine große Classe von Variationen, welche provisorisch als spontane bezeichnet werden können; in Folge unserer Unwissenheit scheinen sie nämlich ohne irgendwelche anregende Ursache zu entstehen. Es kann indeß gezeigt werden, daß derartige Abänderungen, mögen sie nun in unbedeutenden individuellen Verschiedenheiten oder in stark markierten und plötzlichen Abweichungen des Baues bestehen, viel mehr von der Constitution des Organismus abhängen als von der Natur der Bedingungen, welchen derselbe ausgesetzt war.Dieser ganze Gegenstand ist in dem 23. Capitel des 2. Bandes meines Buchs »Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication« erörtert worden.

 
Verhältnis der Zunahme. – Man weiß, daß civilisierte Völker unter günstigen Bedingungen, wie in den Vereinigten Staaten, ihre Zahl in fünfundzwanzig Jahren verdoppeln, und nach einer Berechnung von Euler kann dies in wenig über zwölf Jahren eintreten.s. den für immer merkwürdigen »Essay on the principle of Population, by the Rev. T. Malthus«. Vol. I. 1826, p. 6, 517. Nach dem ersterwähnten Verhältnis würde die jetzige Bevölkerung der Vereinigten Staaten, nämlich dreißig Millionen, in 657 Jahren die ganze Erdoberfläche, Wasser und Land, so dicht bevölkern, daß auf einem Quadratyard vier Menschen zu stehen haben würden. Das primäre und fundamentale Hindernis für die fortgesetzte Zunahme des Menschen ist die Schwierigkeit, Existenzmittel zu erlangen und mit Leichtigkeit leben zu können. Daß dies der Fall ist, können wir aus dem schließen, was wir z. B. in den Vereinigten Staaten sehen, wo die Existenz leicht und Raum für Viele vorhanden ist. Würden diese Mittel plötzlich in Groß-Britannien verdoppelt, so würde sich auch unsere Einwohnerzahl schnell verdoppeln. Bei civilisierten Nationen wirkt das oben erwähnte primäre Hindernis hauptsächlich durch das Erschweren der Heirathen. Auch ist das Sterblichkeitsverhältnis der Kinder in den ärmsten Classen von großer Bedeutung, ebenso die größere Sterblichkeit auf allen Altersstufen, in Folge verschiedener Krankheiten, bei den Bewohnern dicht bevölkerter und elender Häuser. Die Wirkungen schwerer Epidemien und Kriege werden bald bei Nationen ausgeglichen, welche unter günstigen Bedingungen leben, und sogar mehr als ausgeglichen. Auch kommt Auswanderung als ein zeitweises Hindernis der Zunahme in Betracht, aber bei den äußerst armen Classen in keiner großen Ausdehnung.

Wie Malthus bemerkt hat, haben wir Grund zu vermuthen, daß die Reproductionskraft bei barbarischen Rassen thatsächlich geringer ist als bei civilisierten. Positives wissen wir über diesen Gegenstand nicht, denn bei Wilden ist eine Volkszählung nie vorgenommen worden; aber nach den übereinstimmenden Zeugnissen der Missionäre und Anderer, welche lange mit solchen Völkern gelebt haben, scheint es, daß ihre Familien gewöhnlich klein, daß große Familien dagegen im Ganzen selten sind. Zum Theil wird dies, wie man annimmt, dadurch zu erklären sein, daß die Frauen ihre Kinder eine sehr lange Zeit hindurch stillen; aber es ist doch auch äußerst wahrscheinlich, daß Wilde, welche oft viel Noth leiden und welche keine so reichliche und nahrhafte Kost erhalten wie civilisierte Menschen, factisch weniger fruchtbar sind. In einem früheren WerkeÜber das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestikcation. 2. Aufl. Bd. II, p. 127-130, 187. habe ich gezeigt, daß alle unsere domesticierten Vierfüßer und Vögel und alle unsere cultivierten Pflanzen fruchtbarer sind als die entsprechenden Species im Naturzustande. Die Thatsachen, daß plötzlich mit einem Excess von Nahrung versorgte oder sehr fett gemachte Thiere und daß plötzlich aus einem sehr armen in einen sehr reichen Boden versetzte Pflanzen mehr oder weniger steril gemacht werden, bieten keinen triftigen Einwand gegen diesen Schluß dar. Wir dürfen daher erwarten, daß civilisierte Menschen, welche in einem gewissen Sinne hoch domesticiert sind, fruchtbarer als wilde Menschen seien. Es ist auch wahrscheinlich, daß die erhöhte Fruchtbarkeit civilisierter Nationen, wie es bei unsern domesticierten Thieren der Fall ist, ein erblicher Charakter wird; es ist wenigstens bekannt, daß beim Menschen eine Neigung zu Zwillingsgeburten durch Familien läuft.Sedgwick, British and Foreign Medico-Chirurg. Review, July 1863, p. 170.

Trotzdem, daß Wilde weniger fruchtbar erscheinen als civilisierte Völker, würden sie doch an Zahl reißend zunehmen, wenn nicht ihre Menge durch gewisse Einflüsse stark niedergehalten würde. Die Santali oder Bergstämme von Indien haben in neuerer Zeit für diese Thatsache eine gute Erläuterung gegeben; sie haben sich nämlich, wie Mr. HunterThe Annals of Rural Bengal, by W. W. Hunter. 1868, p. 259. gezeigt hat, seitdem die Vaccination eingeführt worden ist, andere Seuchen gemildert sind und der Krieg rücksichtslos unterdrückt worden ist, in einem außerordentlichen Maße vermehrt. Diese Zunahme hätte indeß nicht möglich sein können, wenn dieses rohe Volk sich nicht in die benachbarten Districte verbreitet und dort um Lohn gearbeitet hätte. Wilde heirathen fast immer; es tritt aber irgend eine kluge Rückhaltung doch ein, denn sie heirathen gewöhnlich nicht in dem Alter, in welchem das Heirathen am frühesten möglich ist. Häufig verlangt man von den jungen Männern den Nachweis, daß sie ein Weib erhalten können, und sie haben gewöhnlich zunächst die Summe zu verdienen, um welche sie die Frau von ihren Eltern kaufen. Bei Wilden beschränkt die Schwierigkeit, eine Subsistenz zu finden, ihre Zahl gelegentlich in viel directerer Weise als bei civilisierteren Völkern; denn alle Stämme leiden periodisch an schweren Hungersnöthen. Zu solchen Zeiten sind die Wilden gezwungen, viel schlechte Nahrung zu verzehren, und es kann nicht ausbleiben, daß ihre Gesundheit hierdurch geschädigt wird. Viele Berichte sind über ihre geschwollenen Bäuche und abgemagerten Gliedmaßen nach und während der Hungersnoth veröffentlicht worden. Ferner sind sie auch dann gezwungen viel umherzuwandern und, wie man mir in Australien versicherte, kommen ihre Kinder in großen Zahlen um. Da die Zeiten der Hungersnoth periodisch wiederkehren und hauptsächlich von extremen Verhältnissen der Jahreszeiten abhängen, so müssen alle Stämme in ihrer Zahl schwanken, sie können nicht stetig und regelmäßig zunehmen, da für die Versorgung mit Nahrung keine künstliche Zufuhr eintritt. Gelangen Wilde in Noth, so greifen sie gegenseitig in ihre Territorien über und das Resultat ist Krieg; doch sind sie in der That fast immer mit ihren Nachbarn im Krieg. Zu Wasser und zu Lande sind sie bei ihren Bemühungen um Nahrung vielen Zufällen ausgesetzt, und in manchen Ländern müssen sie auch von den größeren Raubthieren viel leiden. Selbst in Indien sind manche Districte durch die Räubereien der Tiger geradezu entvölkert worden.

Malthus hat diese verschiedenen Hindernisse erörtert; er betont aber dasjenige nicht stark genug, welches wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen ist, nämlich Kindermord, und besonders die Tödtung weiblicher Kinder, und die Gewohnheit, Fehlgeburten zu veranlassen. Diese Gebräuche herrschen jetzt in vielen Theilen der Erde, und früher scheint Kindermord, wie Mr. M'LennanPrimitive Marriage. 1865. gezeigt hat, in einem noch ausgedehnteren Grade geherrscht zu haben. Diese Gebräuche scheinen bei Wilden dadurch entstanden zu sein, daß sie die Schwierigkeit oder vielmehr die Unmöglichkeit eingesehen haben, alle Kinder, welche geboren werden, zu erhalten. Zügelloses Leben kann auch noch zu den oben erwähnten Hindernissen hinzugerechnet werden; doch ist dies keine Folge des Mangels an Subsistenzmitteln, obschon Grund zu der Annahme vorhanden ist, daß es in manchen Fällen (wie z. B. in Japan) absichtlich ermuntert worden ist, als ein Mittel, die Bevölkerung niedrig zu erhalten.

Wenn wir auf eine äußerst frühe Zeit zurückblicken, ehe der Mensch die Würde der Menschlichkeit erreicht hat, so sehen wir, daß er mehr durch Instinct und weniger durch Vernunft geleitet worden sein wird als die Wilden zur jetzigen Zeit. Unsere frühen halbmenschlichen Vorfahren werden den Gebrauch des Kindermords nicht ausgeübt haben; denn die Instincte der niederen Thiere sind nie so verkehrt,Der Verfasser eines Artikels im »Spectator« (12. March, 1871, p. 320) macht über diese Stelle die folgenden Bemerkungen: – »Darwin sieht sich gezwungen, eine neue Theorie über den Sündenfall des Menschen einzuführen. Er weist nach, daß die Instincte der höheren Thiere viel edler sind, als die Gewohnheiten wilder Menschenrassen, und sieht sich daher dazu getrieben, die Theorie wieder hervorzuholen – und zwar in einer Form, deren wesentliche Orthodoxie ihm vollständig entgangen zu sein scheint – und als wissenschaftliche Hypothese einzuführen, daß der Gewinn des Menschen an Erkenntnis die Ursache einer zeitweiligen, jedoch lange anhaltenden moralischen Verschlechterung war, wie sie sich in den vielen, besonders bei Heirathen beistehenden, sündlichen Gebräuchen wilder Stämme zeigt. Was weiter als dies behauptet denn die jüdische Überlieferung von der moralischen Entartung des Menschen in Folge seines Haschens nach einer ihm durch seine höchsten Instincte verbotenen Erkenntnis?« daß sie dieselben regelmäßig zur Zerstörung ihrer eigenen Nachkommenschaft führten, oder daß sie völlig frei von Eifersucht wären. Es wird auch keine kluge Zurückhaltung vom Heirathen stattgefunden haben und die Geschlechter werden sich im frühen Alter reichlich verbunden haben. Daher wird zur Zeit der Urerzeuger des Menschen deren Zahl zu einer rapiden Zunahme geneigt gewesen sein, aber Hindernisse irgendwelcher Art, entweder periodische oder beständige müssen dieselbe niedrig gehalten haben und zwar selbst noch stärker als bei den jetzt lebenden Wilden. Was die genaue Beschaffenheit dieser Hindernisse gewesen sein mag, können wir ebensowenig für unsere Vorfahren wie für die meisten andern Thiere sagen. Wir wissen, daß Pferde und Rinder, welche keine sehr stark fruchtbaren Thiere sind, sich, seit sie zuerst in Süd-Amerika dem Verwildern überlassen wurden, in einem enormen Verhältnis vermehrt haben. Das Thier, bei welchem die Entwicklung die meiste Zeit erfordert, nämlich der Elephant, würde in wenigen tausend Jahren die ganze Erde bevölkern. Die Zunahme jeder Species von Affen muß durch irgendwelches Mittel gehindert worden sein, aber nicht, wie Brehm bemerkt, durch die Angriffe von Raubthieren. Niemand wird annehmen, daß das factische Reproductionsvermögen der wilden Pferde und Rinder in Amerika anfangs in irgend einem merkbaren Grade vermehrt gewesen wäre, oder daß dieses Vermögen jedesmal, nachdem ein Bezirk vollständig bevölkert war, wieder abgenommen hätte. Ohne Zweifel wirken in diesem Falle, wie in allen andern, viele Hindernisse zusammen und verschiedene Hindernisse unter verschiedenen Umständen. Zeiten periodischen Mangels, die von ungünstigen Jahreszeiten abhängen, sind wahrscheinlich das bedeutungsvollste von allen, und dasselbe wird bei den frühesten Erzeugern des Menschen der Fall gewesen sein.

 
Natürliche Zuchtwahl. – Wir haben nun gesehen, daß der Mensch an Körper und Geist variabel ist und daß die Abänderungen entweder direct oder indirect durch dieselben allgemeinen Ursachen veranlaßt werden und denselben allgemeinen Gesetzen folgen, wie bei den niederen Thieren. Der Mensch hat sich weit über die Oberfläche der Erde verbreitet und muß während seiner unaufhörlichen Wanderungens. einige gute Bemerkungen hierüber von W. Stanley Jevons, A deduction from Darwin's Theory. »Nature«, 1869, p. 231. den verschiedenartigsten Bedingungen ausgesetzt gewesen sein. Die Einwohner des Feuerlandes, des Caps der guten Hoffnung und Tasmaniens in der einen Hemisphäre und der arctischen Gegenden in der andern müssen durch verschiedene Klimate hindurchgegangen sein und ihre Lebensweise viele Male verändert haben, ehe sie ihre jetzigen Wohnstätten erreichten.Latham, Man and his Migrations. 1851, p. 135. Die frühen Urerzeuger des Menschen müssen auch wie alle andern Thiere die Neigung gehabt haben, über das Maß ihrer Subsistenzmittel hinaus sich zu vermehren; sie müssen daher gelegentlich einem Kampfe um die Existenz ausgesetzt gewesen und in Folge dessen dem starren Gesetze der natürlichen Zuchtwahl unterlegen sein. Wohlthätige Abänderungen aller Arten werden daher entweder gelegentlich oder gewöhnlich erhalten, schädliche beseitigt worden sein. Ich beziehe mich hierbei nicht auf stark markierte Abweichungen des Baues, welche nur in langen Zeitintervallen auftreten, sondern auf lediglich individuelle Verschiedenheiten. Wir wissen z. B., daß die Muskeln unserer Hände und Füße, welche unser Bewegungsvermögen bestimmen, wie die der niederen Thiere,Murie und St. George Mivart sagen in ihrer Anatomie der Lemuriden (Transact. Zoolog. Soc. Vol. VII. 1869, p. 96-98): »einige Muskeln sind so unregelmäßig, daß sie keiner der erwähnten Gruppen irgendwie eingeordnet werden können«. Diese Muskeln weichen selbst in den beiden Seiten eines und desselben Individuums von einander ab. unaufhörlicher Variabilität unterliegen. Wenn nun die Urerzeuger des Menschen, welche irgend einen District, besonders einen solchen bewohnten, der in seinen Bedingungen eine gewisse Veränderung erfuhr, in zwei gleiche Massen getheilt würden, so würde die eine Hälfte, welche alle die Individuen umfaßte, welche durch ihr Bewegungsvermögen am besten dazu ausgerüstet wären, ihre Subsistenz zu erlangen oder sich zu vertheidigen, im Mittel in einer größeren Zahl überleben bleiben und mehr Nachkommen erzeugen als die andere und weniger gut ausgerüstete Hälfte.

Der Mensch ist selbst in dem rohesten Zustand, in welchem er jetzt existiert, das dominierendste Thier, was je auf der Erde erschienen ist. Er hat sich weiter verbreitet als irgend eine andere hoch organisierte Form und alle andern sind vor ihm zurückgewichen. Offenbar verdankt er diese unendliche Überlegenheit seinen intellectuellen Fähigkeiten, seinen socialen Gewohnheiten, welche ihn dazu führten, seine Genossen zu unterstützen und zu vertheidigen, und seiner körperlichen Bildung. Die äußerst hohe Bedeutung dieser Charaktere ist durch endgültige Entscheidung des Kampfes um's Dasein bewiesen worden. Durch seine intellectuellen Kräfte ist die articulierte Sprache entwickelt worden, und von dieser haben seine wundervollen Fortschritte im Wesentlichen abgehangen. Wie Mr. Chauncey Wright bemerkt:Limits of Natural Selection; in: North American Review, Oct. 1870, p. 295. »eine psychologische Analyse des Vermögens der Sprache zeigt, daß selbst der geringste Fortschritt dabei mehr Gehirnkraft erfordern dürfte, als der größte Fortschritt in irgend einer andern Richtung«. Er hat verschiedene Waffen, Werkzeuge, Fallen u. s. w. erfunden und ist fähig, sie zu gebrauchen; und damit vertheidigt er sich, tödtet oder fängt er seine Beute und vermag sich auf andere Weise Nahrung zu verschaffen. Er hat Flöße oder Boote gemacht, auf denen er fischen oder zu benachbarten fruchtbaren Inseln übersetzen kann. Er hat die Kunst, Feuer zu machen, entdeckt, durch welches harte, holzige Wurzeln verdaulich und giftige Wurzeln oder Kräuter unschädlich gemacht werden können. Die Entdeckung des Feuers, wahrscheinlich die größte mit Ausnahme der Sprache, die je vom Menschen gemacht worden ist, rührt aus der Zeit vor dem Dämmern der Geschichte her. Diese verschiedenen Erfindungen, durch welche der Mensch im rohesten Zustand ein solches Übergewicht erhalten hat, sind das directe Resultat der Entwicklung seiner Beobachtungskräfte, seines Gedächtnisses, seiner Neugierde, Einbildungskraft und seines Verstandes. Ich kann daher nicht verstehen, wie Mr. Wallace behaupten kann,Quarterly Review. April, 1869, p. 392. Es ist dieser Gegenstand in Mr. Wallace's Contributions to the Theory of Natural Selection, 1870, in welchem alle hier angezogenen Aufsätze wieder veröffentlicht sind, ausführlicher erörtert worden. Der »Essay on Man« ist sehr gut kritisiert worden von Prof. Claparede, einem der ausgezeichnetsten (jetzt leider verstorbenen) Zoologen in Europa, in einem Artikel der Bibliothèque Universelle, Juni 1870. Die oben im Texte citierte Bemerkung wird Jeden überraschen, welcher Wallace's berühmten Aufsatz: On the Origin of Human Races deduced from the Theory of Natural Selection gelesen hat, ursprünglich publiciert in der Anthropological Review, May, 1864, p. CLVIII. Ich kann mir nicht versagen, hier eine äußerst treffende Bemerkung Sir J. Lubbock's in Bezug auf diesen Aufsatz (Prehistoric Times. 1865, p. 479) zu citieren, wo er nämlich sagt, daß Mr. Wallace »mit charakteristischer Selbstlosigkeit dieselbe (nämlich die Idee der natürlichen Zuchtwahl) ohne Rückhalt Hrn. Darwin zuschreibt, trotzdem es bekannt ist, daß er diese Idee ganz selbständig erfaßte und sie, wenn auch nicht in gleich durchgearbeiteter Fülle, zu derselben Zeit veröffentlichte«. daß »natürliche Zuchtwahl den Wilden nur hätte mit einem Gehirn versehen können, was dem eines Affen ein wenig überlegen wäre«.

Obgleich die intellectuellen Kräfte und socialen Gewohnheiten von der äußersten Bedeutung für den Menschen sind, so dürfen wir doch die Bedeutung seines körperlichen Zustands, welchem Gegenstand der noch übrige Theil dieses Capitels gewidmet sein wird, nicht unterschätzen. Die Entwicklung der intellectuellen und socialen oder moralischen Fähigkeiten wird in einem späteren Capitel erörtert werden.

Selbst mit Präcision zu hämmern ist keine leichte Sache, wie Jeder, der das Tischlern zu lernen versucht hat, zugeben wird. Einen Stein so genau nach einem Ziele zu werfen, wie es ein Feuerländer kann, wenn es gilt, sich zu vertheidigen oder Vögel zu tödten, erfordert die höchste Vollendung der in Correlation stehenden Wirkungsweise der Muskeln der Hand, des Arms und der Schultern, einen feinen Gefühlssinn dabei gar nicht zu erwähnen. Um einen Stein oder einen Speer zu werfen, und zu vielen andern Handlungen, muß der Mensch fest auf seinen Füßen stehen, und dies wiederum erfordert die vollkommene Anpassung zahlreicher Muskeln. Um einen Feuerstein in das roheste Werkzeug zu verwandeln, um einen Knochen zu einer pfeilförmigen Lanzenspitze oder zu einem Haken zu verarbeiten, bedarf es des Gebrauchs einer vollkommenen Hand. Denn, wie ein äußerst fähiger Richter, Mr. Schoolcraft bemerkt,Citiert von Mr. Lawson Tait in seinem »Law of Natural Selection«. in: Dublin Quarterly Journal of Medical Science. Febr. 1869. Auch Dr. Keller wird als weitere Bestätigung citiert. das Formen von Steinfragmenten zu Messern, Lanzen oder Pfeilspitzen beweist »außerordentliche Geschicklichkeit und lange Übung«. Einen Beweis hierfür haben wir zum großen Theil darin, daß die Urmenschen eine Theilung der Arbeit ausführten; es fabricierte nicht Jeder seine eigenen Feuersteinwerkzeuge oder rohe Töpferei für sich, sondern gewisse Individuen scheinen sich solcher Arbeit gewidmet zu haben und erhielten ohne Zweifel im Tausch hierfür die Erträge der Jagd. Archäologen sind überzeugt, daß eine enorme Zeit verflossen sein muß, ehe unsere Voreltern daran dachten, abgesprungene Feuersteinstücke zu glatten Werkzeugen zu polieren. Ein menschenähnliches Thier, welches eine Hand und einen Arm besaß, hinreichend vollkommen, um einen Stein mit Genauigkeit zu werfen oder einen Feuerstein in ein rohes Werkzeug zu formen, konnte bei hinreichender Übung, wie sich wohl kaum zweifeln läßt, fast Alles machen, soweit nur mechanische Geschicklichkeit in Betracht kommt, was ein civilisierter Mensch machen kann. Die Structur der Hand läßt sich in dieser Beziehung mit der der Stimmorgane vergleichen, welche bei den Affen zum Ausstoßen verschiedener Signalrufe oder, wie in einer Species, musikalischer Cadenzen gebraucht werden. Aber beim Menschen sind völlig ähnliche Stimmorgane, in Folge der vererbten Wirkungen des Gebrauchs, der Äußerung articulierter Sprache angepaßt worden.

Wenden wir uns nun zu den nächsten Verwandten des Menschen und daher auch zu den besten Repräsentanten unserer früheren Urerzeuger, so finden wir, daß die Hände bei den Vierhändern nach demselben allgemeinen Plane wie bei uns gebaut, aber viel weniger vollkommen verschiedenartiger Benutzung angepaßt sind. Ihre Hände dienen nicht so gut wie die Füße eines Hundes zur Locomotion, wie wir bei denjenigen Affen sehen können, welche auf den äußeren Rändern der Sohlen oder auf dem Rücken ihrer gebogenen Finger gehen, wie der Schimpanse und Orang.Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 71. Indessen sind ihre Hände für das Erklimmen von Bäumen wunderbar geeignet. Affen ergreifen dünne Zweige oder Taue mit dem Daumen auf der einen und den Fingern und der Handfläche auf der andern Seite, in derselben Weise wie wir es thun. Sie können auch ziemlich große Gegenstände, wie den Hals einer Flasche, zu ihrem Munde führen. Paviane wenden Steine um und scharren Wurzeln mit ihren Händen aus. Sie ergreifen Nüsse, Insecten oder andere kleine Gegenstände so, daß dabei der Daumen den übrigen Fingern gegenübergestellt wird, und ohne Zweifel ziehen sie in dieser Weise Eier und junge Vögel aus den Nestern. Amerikanische Affen schlagen die wilden Orangen auf Zweige auf, bis die Rinde geborsten ist, und zerren diese dann mit den Fingern ihrer beiden Hände ab. Sie schlagen im wilden Zustande harte Früchte mit Steinen auf. Andere Affen öffnen Muschelschalen mit den beiden Daumen. Mit ihren Fingern ziehen sie Dornen und Grannen aus und suchen einander die Schmarotzer ab. Sie rollen Steine herab oder werfen sie nach ihren Feinden. Nichtsdestoweniger führen sie aber diese verschiedenen Handlungen ungeschickt aus, und wie ich selbst gesehen habe, sind sie vollständig außer Stande, einen Stein mit Präcision zu werfen.

Es scheint mir durchaus nicht richtig zu sein, daß, weil »Gegenstände nur ungeschickt von Affen erfaßt« werden, ein viel weniger »specialisiertes Greiforgan« ihnen ebensogut gedient haben würde,Quarterly Review. April 1869, p. 392. wie ihre gegenwärtigen Hände. Im Gegentheil, ich sehe keinen Grund zu zweifeln, ob nicht eine noch vollkommener construierte Hand für sie ein Vortheil gewesen wäre, vorausgesetzt, und es ist von Wichtigkeit, dies hervorzuheben, daß ihre Hände damit für das Erklettern von Bäumen nicht weniger geschickt geworden wären. Wir dürfen vermuthen, daß eine so vollkommene Hand wie die des Menschen von Nachtheil für das Klettern gewesen wäre, da die am meisten auf Bäumen lebenden Affen in der Welt, nämlich Ateles in Amerika, Colobus in Afrika und Hylobates in Asien, entweder keine Daumen oder ihre Finger zum Theil mit einander verwachsen haben, so daß ihre Hände in bloße Greifhaken verwandelt worden sind.Bei Hylobates syndactylus sind, wie der Name es bezeichnet, zwei Finger regelmäßig verwachsen; dasselbe ist, wie mir Mr. Blyth mittheilt, gelegentlich mit den Fingern von H. agilis, lar und leuciscus der Fall. Colobus ist im strengsten Sinne Baumthier und außerordentlich lebhaft (Brehm, Thierleben, Bd. I, p. 50); ob er aber ein besserer Kletterer als die Arten der verwandten Gattungen ist, weiß ich nicht. Es verdient Erwähnung, daß die Füße der Faulthiere, der vollständigsten Baumthiere der Welt, wunderbar hakenförmig sind.

Sobald irgend ein frühes Glied in der großen Reihe der Primaten in Folge einer Veränderung der Art und Weise seine Subsistenz zu erlangen oder einer Veränderung in den Bedingungen seines Heimathlandes dazu gelangte, etwas weniger auf Bäumen und mehr auf dem Boden zu leben, würde seine Art, sich fortzubewegen, modificiert worden sein; und in diesem Falle wird die Form entweder noch eigentlicher vierfüßig oder strenger zweifüßig haben werden müssen. Paviane bewohnen bergige oder felsige Districte und klettern nur nothgedrungen auf hohe Bäume,Brehm, Thierleben. 2. Aufl. Bd. I, p. 163. sie haben daher auch fast die Gangart eines Hundes angenommen. Nur der Mensch ist ein Zweifüßer geworden; und wir können, wie ich glaube, zum Theil sehen, wie er dazu gekommen ist, die aufrechte Stellung zu erhalten, welche eines seiner auffallendsten Merkmale bildet. Der Mensch hätte seine jetzige herrschende Stellung in der Welt nicht ohne den Gebrauch seiner Hände erreichen können, welche so wunderbar geeignet sind, seinem Willen folgend thätig zu sein. Wie Sir C. Bell betont:The Hand, its Mechanism, etc. »Bridgewater Treatise.« 1863, p. 38. »die Hand ersetzt alle Instrumente und durch ihr Zusammenwirken mit dem Intellect verleiht sie ihm universelle Herrschaft«. Die Hände und Arme hätten aber kaum hinreichend vollkommen werden können, Waffen zu fabricieren oder Steine und Speere nach einem bestimmten Ziele zu werfen, solange sie gewohnheitsgemäß zur Locomotion benutzt worden wären, wobei sie das ganze Gewicht des Körpers zu tragen hatten, oder solange sie speciell, wie vorher schon bemerkt wurde, zum Erklettern von Bäumen angepaßt waren. Eine derartige rohe Behandlung würde auch den Gefühlssinn abgestumpft haben, von dem ihr fernerer Gebrauch zum großen Theil abhing. Schon aus diesen Ursachen allein wird es ein Vortheil für den Menschen gewesen sein, daß er ein Zweifüßer geworden ist; aber für viele Handlungen ist es unentbehrlich, daß beide Arme und der ganze obere Theil des Körpers frei seien, und zu diesem Zweck mußte er fest auf seinen Füßen stehen. Um diesen großen Vortheil zu erlangen, sind die Füße platt geworden und ist die große Zehe eigenthümlich modificiert, obgleich dies den Verlust der Fähigkeit zum Greifen mit sich gebracht hat. Es ist in Übereinstimmung mit dem Princip der physiologischen Arbeitsteilung, welches durch das ganze Thierreich hindurch herrscht, daß in dem Maße, wie die Hände zum Greifen vervollkommnet wurden, die Füße sich mehr zum Tragen und zur Locomotion ausbildeten. Doch haben bei einigen Wilden die Füße ihr Greifvermögen nicht vollständig verloren, wie durch die Art des Erkletterns von Bäumen und durch den Gebrauch, der in verschiedener Weise von ihnen gemacht wird, bewiesen wird.Haeckel erörtert in ausgezeichneter Weise die Schritte, durch welche der Mensch ein Zweifüßer wurde: Natürliche Schöpfungsgeschichte, 1868, p. 507. Dr. Büchner (Vorlesungen über die Darwin'sche Theorie. 1868, p. 195) hat eine Anzahl von Fällen, wo der Fuß vom Menschen als Greiforgan gebraucht wird, gegeben; ebenso über die Bewegungsweise der höheren Affen, welche ich im nächstfolgenden Satze erwähne. Über den letzten Punkt s. auch Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 71.

War es ein Vortheil für den Menschen, seine Hände und Arme frei zu haben und fest auf seinen Füßen zu stehen, woran sich nach seinem so ausgezeichneten Erfolge in dem Kampfe um's Dasein nicht zweifeln läßt, dann kann ich keinen Grund sehen, warum es für die Urerzeuger des Menschen nicht hätte vortheilhaft gewesen sein sollen, immer mehr und mehr aufrecht oder zweifüßig zu werden. Sie würden dadurch besser im Stande gewesen sein, sich mit Steinen und Keulen zu vertheidigen oder ihre Beute anzugreifen oder auf andere Weise Nahrung zu erlangen. Die am besten gebauten Individuen werden in der Länge der Zeit am besten Erfolg gehabt haben und in größerer Zahl am Leben geblieben sein. Wenn der Gorilla und einige wenige verwandte Formen ausgestorben wären, würde man mit großer Überzeugungskraft und scheinbar mit sehr viel Recht zu dem Schlusse getrieben werden, daß ein Thier nicht allmählich aus einem Vierfüßer in einen Zweifüßer umgewandelt worden sein könnte, da alle Individuen in einem Zwischenzustand erbärmlich schlecht zum Gehen angelegt gewesen wären. Aber wir wissen (und dies ist wohl der Überlegung werth), daß mehrere Affen jetzt factisch sich in diesem Zwischenzustand befinden, und Niemand zweifelt, daß sie einen im Ganzen ihren Lebensbedingungen gut angepaßten Bau haben. So läuft der Gorilla mit einem seitlich watschelnden Gang, schreitet aber gewöhnlich so fort, daß er sich auf seine gebeugten Hände stützt. Die langarmigen Affen gebrauchen gelegentlich ihre Arme wie Krücken, indem sie ihren Körper zwischen denselben nach vorwärts schwingen, und einige Arten von Hylobates können, ohne daß es ihnen gelehrt worden wäre, mit ziemlicher Schnelligkeit aufrecht gehen oder laufen. Doch bewegen sie sich ungeschickt und viel weniger sicher als der Mensch. Kurz, wir sehen bei den jetzt lebenden Affen verschiedene Abstufungen zwischen einer Form der Bewegung, welche streng der eines Vierfüßers gleicht, und der eines Zweifüßers oder des Menschen; doch nähern sich, wie ein unparteiischer Beurtheiler betont,Prof. Broca, La Constitution des Vertèbres caudales, in: Revue d'Anthropologie: 1872, p. 26 (Separatabdruck). die anthropomorphen Affen in ihrem Bau mehr dem zweifüßigen als dem vierfüßigen Typus.

In dem Maße, wie die Urerzeuger des Menschen mehr und mehr aufrecht wurden, ihre Hände und Arme mehr und mehr zum Greifen und zu andern Zwecken, und ihre Beine und Füße gleichzeitig zur sichern Stütze und zur Ortsbewegung modificiert wurden, werden auch endlose andere Veränderungen im Bau nothwendig geworden sein. Das Becken muß breiter, das Rückgrat eigenthümlich gebogen und der Kopf in einer veränderten Stellung befestigt worden sein; und alle diese Veränderungen sind vom Menschen erlangt worden. Professor Schaaffhausen»Über die Urform des Schädels« (auch übers, in der Anthropological Review, Oct. 1868, p. 428). Owen (Anatomy of Vertebrates. Vol. II. 1866, p. 551), über den Mastoidfortsatz bei den höheren Affen. behauptet, daß »die kräftigen Zitzenfortsätze des menschlichen Schädels das Resultat seiner aufrechten Stellung sind«, und diese Fortsätze fehlen beim Orang, Schimpanse u. s. w. und sind beim Gorilla kleiner als beim Menschen. Es ließen sich noch verschiedene andere Bildungen hier speciell anführen, welche mit der aufrechten Stellung des Menschen im Zusammenhange stehend erscheinen. Es ist sehr schwer zu entscheiden, wie weit alle diese in Correlation stehenden Modificationen das Resultat natürlicher Zuchtwahl und wie weit sie das Resultat der vererbten Wirkungen des vermehrten Gebrauchs gewisser Theile oder der Wirkung eines Theils auf einen andern sind. Ohne Zweifel wirken diese Mittel der Veränderung gleichzeitig mit einander; wenn z. B. gewisse Muskeln und die Knochenleisten, an welchen sie befestigt sind, durch beständigen Gebrauch vergrößert werden, so zeigt dies, daß gewisse Handlungen gewohnheitsgemäß ausgeführt werden und von Nutzen sein müssen. Es werden daher diejenigen Individuen, welche sie am besten ausführten, in größerer Zahl leben zu bleiben neigen.

Der freie Gebrauch der Hände und Arme, welcher zum Theil die Ursache, zum Theil das Resultat der aufrechten Stellung des Menschen ist, scheint auf indirecte Weise noch zu andern Modificationen des Baus geführt zu haben. Wie vorhin angegeben wurde, waren die frühen männlichen Vorfahren des Menschen wahrscheinlich mit großen Eckzähnen versehen; in dem Maße aber, wie sie allmählich die Fertigkeit erlangten, Steine, Keulen oder andere Waffen im Kampfe mit ihren Feinden zu gebrauchen, werden sie auch ihre Kinnladen und Zähne immer weniger und weniger gebraucht haben. In diesem Falle werden die Kinnladen in Verbindung mit den Zähnen an Größe reduciert worden sein, wie wir nach zahllosen analogen Fällen wohl ganz sicher annehmen können. In einem späteren Capitel werden wir einen streng parallelen Fall anführen, nämlich die Verkümmerung oder das vollständige Verschwinden der Eckzähne bei männlichen Wiederkäuern, welches allem Anscheine nach zu der Entwicklung ihrer Hörner in Beziehung steht, ebenso bei Pferden, wo jene Verkümmerung mit dem Gebrauch in Bezug steht, mit den Schneidezähnen und Hufen zu kämpfen.

Wie RütimeyerDie Grenzen der Thierwelt, eine Betrachtung zu Darwin's Lehre. 1868, p. 51. und Andere behauptet haben, ist bei den erwachsenen Männchen der anthropomorphen Affen entschieden die Wirkung der Kiefermuskeln, welche bei ihrer bedeutenden Entwicklung auf den Schädel derselben ausgeübt worden ist, die Ursache gewesen, weshalb dieser letztere in so vielen Beziehungen so beträchtlich von dem des Menschen abweicht und »eine wirklich schreckenerregende Physiognomie« erhalten hat. In dem Maße also, wie die Kinnladen und Zähne bei den Vorfahren des Menschen allmählich an Größe reduciert wurden, wird auch der erwachsene Schädel nahezu dieselben Charaktere dargeboten haben, welche er bei den Jungen der anthropomorphen Affen darbietet, und wird hierdurch sich immer mehr dem des jetzt lebenden Menschen ähnlich gestaltet haben. Eine bedeutende Verkümmerung der Eckzähne bei den Männchen wird fast sicher, wie wir später noch sehen werden, in Folge der Vererbung auch die Zähne der Weibchen beeinflußt haben.

Wie die verschiedenen geistigen Fähigkeiten nach und nach sich entwickelt haben, wird auch das Gehirn beinahe mit Sicherheit größer geworden sein. Ich denke, wohl Niemand zweifelt daran, daß die bedeutende Größe des Gehirns des Menschen im Verhältnis zu seinem Körper und im Vergleich mit dem Gehirn des Gorilla oder Orang, in enger Beziehung zu seinen höheren geistigen Kräften steht. Streng analogen Thatsachen begegnen wir bei Insecten; so sind unter Anderem die Kopfganglien bei den Ameisen von außerordentlichen Dimensionen, während diese Ganglien überhaupt bei allen Hymenoptern viele Male größer sind als bei den weniger intelligenten Ordnungen, wie z. B. bei den Käfern.Dujardin, Annal. d. scienc. natur. 3. Sér. Zoolog. Tom. XIV, 1850, p. 203. s. auch Mr. Lowne, Anatomy and Physiology of the Musca vomitoria. 1870, p. 14. Mein Sohn, Mr. F. Darwin, hat mir die Cerebralganglien der Formica rufa präpariert. Auf der andern Seite denkt Niemand daran, daß der Intellect irgend zweier Thiere oder irgend zweier Menschen genau durch den cubischen Inhalt ihrer Schädel gemessen werden kann. Es ist sogar sicher, daß eine außerordentliche geistige Thätigkeit bei einer äußerst kleinen absoluten Masse von Nervensubstanz existieren kann. So sind ja die wunderbaren verschiedenen Instincte, geistigen Kräfte und Affecte der Ameisen allgemein bekannt, und doch sind ihre Kopfganglien nicht so groß wie das Viertel eines kleinen Stecknadelkopfs. Von diesem letzteren Gesichtspunkte aus ist das Gehirn einer Ameise das wunderbarste Substanzatom in der Welt und vielleicht noch wunderbarer als das Gehirn des Menschen.

Die Annahme, daß beim Menschen irgend eine enge Beziehung zwischen der Größe des Gehirns und der Entwicklung der intellectuellen Fähigkeiten besteht, wird durch die Vergleichung von Schädeln wilder und civilisierter Rassen, alter und moderner Völker und durch die Analogie der ganzen Wirbelthierreihe unterstützt. Dr. J. Barnard Davis hat durch viele sorgfältige Messungen nachgewiesen,Philosoph. Transact. 1869, p. 513. daß die mittlere Schädelcapacität bei Europäern 92,3 Cubikzoll, bei Amerikanern 87,5, bei Asiaten 87,1 und bei Australiern nur 81,9 beträgt. Professor BrocaLes Sélections, par P. Broca, in: Revue d'Anthropologie, 1873; s. auch das Citat in C. Vogt's Vorlesungen über den Menschen. Bd. I, p. 104-108. Prichard, Physic. Hist of Mankind. Vol. I. 1838, p. 305. hat gefunden, daß Schädel aus Gräbern in Paris vom neunzehnten Jahrhundert gegen solche aus Gräbern des zwölften Jahrhunderts in dem Verhältnis von 1484:1426 größer waren, und daß die durch Messungen ermittelte Zunahme der Größe ausschließlich den Stirntheil des Schädels betraf, – den Sitz der intellectuellen Fähigkeiten. Auch Prichard ist überzeugt, daß die jetzigen Bewohner Groß-Britanniens »viel geräumigere Hirnkapseln« haben als die alten Einwohner. Nichtsdestoweniger muß zugegeben werden, daß einige Schädel von sehr hohem Alter, wie z. B. der berühmte Neanderthalschädel, sehr gut entwickelt und geräumig sind.In dem oben citierten interessanten Artikel (Les Sélections, par P. Broca, in: Revue d'Anthropologie, 1873) macht Broca die gute Bemerkung, daß bei civilisierten Nationen die mittlere Schädelcapacität dadurch herabgedrückt werden muß, daß eine beträchtliche Anzahl von an Geist und Körper schwachen Individuen, die im Zustande der Wildheit sicher beseitigt worden wären, erhalten wird. Andrerseits enthält bei Wilden der Mittelwerth nur die fähigeren Individuen, die unter äußerst harten Bedingungen leben zu bleiben fähig waren. Broca erklärt hierdurch die sonst unerklärliche Thatsache, daß die mittlere Schädelcapacität der alten Troglodyten von Lozère größer ist als die der modernen Franzosen. In Bezug auf die niederen Thiere ist Mr. LartetComptes rendus de l'Acad. d. Sciences. Paris, Juni, 1, 1868. durch Vergleichung der Schädel tertiärer und jetzt lebender Säugethiere, welche zu denselben Gruppen gehören, zu dem merkwürdigen Schlusse gelangt, daß in den neueren Formen das Gehirn allgemein größer und die Windungen complicierter sind. Auf der andern Seite habe ich gezeigt,Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. 1, p. 137. daß die Gehirne domesticierter Kaninchen an Größe beträchtlich reduciert sind, verglichen mit denen des wilden Kaninchens oder des Hasen; und dies mag dem Umstande zugeschrieben werden, daß sie viele Generationen hindurch in enger Gefangenschaft gehalten wurden, so daß sie ihren Intellect, ihren Instinct, ihre Sinne und ihre willkürlichen Bewegungen nur wenig ausgeübt haben.

Die allmähliche Gewichtszunahme des Gehirns und Schädels beim Menschen muß die Entwicklung der jene Theile tragenden Wirbelsäule, und ganz besonders zu der Zeit beeinflußt haben, als er anfing, aufrecht zu gehen. Und in dem Maße, wie diese Veränderung der Lage allmählich zu Stande kam, wird auch der innere Druck des Gehirns einen Einfluß auf die Form des Schädels geäußert haben; denn viele Thatsachen weisen nach, wie leicht der Schädel auf diese Weise afficiert wird. Ethnologen glauben, daß er durch die Form der Wiege modificiert wird, in welcher die kleinen Kinder schlafen. Habituelle Contractionen von Muskeln und eine Narbe nach einer schweren Verbrennung haben die Gesichtsknochen dauernd modificiert. Bei jungen Individuen, deren Köpfe in Folge einer Krankheit entweder nach der Seite oder nach rückwärts fixiert wurden, hat das eine Auge seine Stellung verändert und ist die Form des Schädels modificiert worden, und dies ist, wie es scheint, das Resultat davon, daß das Gehirn nun in einer andern Richtung drückte.Schaaffhausen führt die Fälle von krampfhafter Contraction und der Narbe nach Blumenbach und Busch an (Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 420). Dr. Jarrold (Anthropologia, 1808, p. 115, 116) führt nach Camper's und seinen eigenen Beobachtungen Fälle von Modification des Schädels an in Folge einer Fixierung des Kopfes in einer unnatürlichen Stellung. Er glaubt, daß gewisse Handwerke, wie das der Schuhmacher, die Stirn runder und vorspringender machen, weil sie den Kopf beständig vorgebeugt halten lassen. Ich habe gezeigt, daß bei langohrigen Kaninchen selbst eine so unbedeutende Ursache wie das Vorwärtshängen des einen Ohrs auf dieser Seite fast jeden einzelnen Knochen des Schädels nach vorn zieht, so daß die Knochen der beiden sich gegenüberliegenden Seiten sich nicht länger mehr genau entsprechen. Sollte endlich irgend ein Thier an allgemeiner Körpergröße beträchtlich zu- oder abnehmen, ohne daß die geistigen Kräfte sich irgendwie veränderten, oder sollten die geistigen Kräfte bedeutend vergrößert oder verringert werden, ohne daß irgend eine beträchtliche Änderung in der Körpergröße einträte, so würde beinahe gewiß die Form des Schädels verändert werden. Ich komme zu dieser Folgerung nach meinen Beobachtungen an domesticierten Kaninchen, von denen einige Arten noch viel größer geworden sind als das wilde Thier, während andere nahezu dieselbe Größe behalten haben; in beiden Fällen aber ist das Gehirn im Verhältnis zur Größe des Körpers beträchtlich kleiner geworden. Ich war nun anfangs sehr erstaunt, als ich fand, daß bei allen diesen Kaninchen der Schädel verlängert oder dolichocephal geworden war; so war z. B. von zwei Schädeln ziemlich derselben Breite, – der eine von einem wilden Kaninchen, der andere von einer großen domesticierten Form, – der erstere nur 3,15, der letztere 4,3 Zoll lang.Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. I, p. 127 über die Verlängerung des Schädels, p. 130 über die Wirkung des Hängens der Ohren. Eine der ausgesprochensten Verschiedenheiten bei den verschiedenen Menschenrassen ist die, daß der Schädel bei den einen verlängert, bei den andern abgerundet ist; und hier mag die aus dem Falle mit dem Kaninchen sich ergebende Erklärung zum Theil wohl gelten; denn Welcker findet, daß, »kleine Menschen mehr zur Brachycephalie, große mehr zur Dolichocephalie neigen«Citiert von Schaaffhausen in: Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 419. und große Leute lassen sich wohl mit den größeren Kaninchen mit längerem Kopfe vergleichen, welche sämmtlich verlängerte Schädel haben oder dolichocephal sind.

Nach diesen verschiedenen Thatsachen können wir bis zu einem gewissen Punkte die Mittel erkennen, durch welche der Mensch die beträchtliche Größe und die mehr oder weniger abgerundete Form seines Schädels erlangt hat; und dies sind gerade Merkmale, welche ihm in einer ausgezeichneten Weise, zum Unterschiede von den niederen Thieren, eigen sind.

Eine andere äußerst auffällige Verschiedenheit zwischen dem Menschen und den niederen Thieren ist die Nacktheit seiner Haut. Walfische und Delphine (Cetacea), Dugongs (Sirenia) und der Hippopotamus sind nackt. Dies mag für dieselben beim Gleiten durch das Wasser von Vortheil sein; auch wird es kaum wegen des Wärmeverlusts von Nachtheil für sie sein, da diejenigen Arten unter ihnen, welche kältere Gegenden bewohnen, von einer dicken Schicht von Thran umgeben sind, welche demselben Zwecke dient, wie der Pelz der Seehunde und Ottern. Elephanten und Rhinocerosse sind fast haarlos, und da gewisse ausgestorbene Arten, welche einstmals unter einem arctischen Klima lebten, mit langen Haaren oder Wolle bedeckt waren, so dürfte es fast scheinen, als wenn die jetzt lebenden Arten beider Gattungen ihre Haarbedeckung dadurch verloren hätten, daß sie lange Zeit der Wärme ausgesetzt waren. Dies erscheint um so wahrscheinlicher, als diejenigen Elephanten in Indien, welche in höher gelegenen und kälteren Districten leben, mehr Haare habenOwen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 619. als die in den Niederungen lebenden. Dürfen wir dann wohl schließen, daß der Mensch von Haaren entblößt wurde, weil er ursprünglich irgend ein tropisches Land bewohnt hat? Die Thatsache, daß er Haare hauptsächlich im männlichen Geschlecht an der Brust und im Gesicht, und in beiden Geschlechtern an der Verbindung aller vier Gliedmaßen mit dem Rumpfe behalten hat, begünstigt jene Folgerung, allerdings unter der Annahme, daß das Haar verloren wurde, ehe der Mensch die aufrechte Stellung erlangt hatte; denn die Theile, welche jetzt die meisten Haare behalten haben, würden die am meisten gegen die Wärme der Sonne geschützten gewesen sein. Die Schädelhöhe bietet indeß eine merkwürdige Ausnahme dar; denn zu allen Zeiten muß sie einer der am meisten exponierten Theile gewesen sein, und doch ist sie dicht mit Haaren bedeckt. Die Thatsache indessen, daß die andern Glieder der Ordnung der Primaten, zu welcher der Mensch gehört, trotzdem sie verschiedene heiße Gegenden bewohnen, doch mit Haaren, und zwar im Allgemeinen auf der oberen Fläche am dichtesten,Isidore Geoffroy St. Hilaire giebt in der Histoire natur. génér. Tom. II. 1859, p. 216-217 Bemerkungen über das Behaartsein des Kopfes beim Menschen, ebenso über den Umstand, daß die obere Körperfläche bei Affen und anderen Säugethieren dichter mit Haaren bekleidet ist, als die untere. Dies ist auch von verschiedenen anderen Autoren erwähnt worden. Doch führt Prof. Gervais (Hist. natur. des Mammifères. Tom. I. 1854, p. 28) an, daß beim Gorilla das Haar am Rücken dünner sei, als an der unteren Fläche, da es oben theilweise abgerieben werde. bekleidet sind, steht mit der Annahme in Widerspruch, daß der Mensch in Folge der Einwirkung der Sonne nackt wurde. Mr. Belt ist der Ansicht,The Naturalist in Nicaragua. 1874, p. 209. Als eine Bestätigung der Ansicht Mr. Belt's will ich eine Stelle aus Sir W. Denison's Varieties of Vice-Regal Life, Vol. I. 1870, p. 440, citieren: »Man sagt, es bestehe bei den Australiern der Gebrauch, wenn das Ungeziefer lästig wird, die Haut zu sengen«. daß es innerhalb der Tropen für den Menschen ein Vortheil sei, von Haaren entblößt zu sein, da er dadurch in den Stand gesetzt wird, sich von der Menge Zecken (Acari) und andren Parasiten zu befreien, von denen er oft heimgesucht wird und welche häufig Verschwärungen veranlassen. Ob aber dieses Übel hinreichend groß ist, um zum Nacktwerden des Körpers durch natürliche Zuchtwahl zu führen, dürfte bezweifelt werden, da keines der vielen die Tropen bewohnenden Säugethiere, so viel mir bekannt ist, irgend ein specielles Erleichterungsmittel erlangt hat. Die Ansicht, welche mir die wahrscheinlichste zu sein scheint, ist die, daß der Mensch oder vielmehr ursprünglich die Frau, wie ich in den Capiteln über geschlechtliche Zuchtwahl noch weiter zeigen werde, ihr Haarkleid zu ornamentalen Zwecken verlor; und nach dieser Annahme ist es durchaus nicht überraschend, daß der Mensch in Bezug auf das Behaartsein von allen übrigen Primaten so beträchtlich abweicht. Denn durch die geschlechtliche Zuchtwahl erlangte Charaktere weichen oft bei nahe mit einander verwandten Formen in einem außerordentlichen Grade von einander ab.

Nach einer populären Ansicht ist die Abwesenheit des Schwanzes ein vorwiegend unterscheidendes Merkmal des Menschen; da aber diejenigen Affen, welche dem Menschen am nächsten stehen, gleichfalls dies Organ nicht besitzen, so betrifft dessen Verschwinden nicht den Menschen allein. Seine Länge ist zuweilen bei Species einer und derselben Gattung merkwürdig verschieden; so ist er bei einigen Arten von Macacus länger als der ganze Körper und besteht aus vierundzwanzig Wirbeln; bei anderen existiert er nur als ein kaum sichtbarer Stumpf und enthält nur drei oder vier Wirbel. Bei einigen Arten von Pavianen sind fünfundzwanzig Schwanzwirbel vorhanden, während beim Mandrill nur zehn sehr kleine abgestutzte Wirbel und nach Cuvier's AngabeSt. George Mivart in Proceed. Zoolog. Soc. 1865, p. 562, 583. J. E. Gray, Catalogue Brit. Mus. »Skeletons«. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. II, p. 517. Isid. Geoffroy St. Hilaire, Hist. natur. génér. Tom. II, p. 244. zuweilen nur fünf solche vorhanden sind. Der Schwanz läuft beinahe immer nach dem Ende hin spitz zu, mag er nun kurz oder lang sein, und ich vermuthe, daß dies ein Resultat der durch Nichtgebrauch eintretenden Atrophie der terminalen Muskeln in Verbindung mit der der Arterien und Nerven ist, welche zuletzt zu einer Atrophie der endständigen Knochen führt. Für jetzt kann aber die häufig vorkommende große Verschiedenheit in der Länge des Schwanzes nicht erklärt werden. Es handelt sich indessen hier specieller um das völlige äußerliche Verschwinden des Schwanzes. Prof. Broca hat vor Kurzem gezeigt,Revue d'Anthropologie. 1872. »La Constitution des Vertèbres caudales.« daß der Schwanz bei allen Säugethieren aus zwei, meist plötzlich von einander abgesetzten Theilen besteht; der basale Theil besteht aus mehr oder weniger vollkommen mit Canälen versehenen und Fortsätze gleich gewöhnlichen Wirbeln besitzenden Wirbeln, während die Wirbel des terminalen Theils keine Canäle haben, beinahe glatt und echten Wirbeln kaum ähnlich sind. Ein, wenn auch nicht äußerlich sichtbarer Schwanz ist beim Menschen und den anthropomorphen Affen wirklich vorhanden und ist bei beiden nach demselben Typus gebaut. Im terminalen Theil sind die das Os coccygis bildenden Wirbel völlig rudimentär, an Größe und Zahl verkümmert. In dem basalen Theil finden sich auch nur wenig Wirbel, sie sind fest mit einander verbunden und in ihrer Entwicklung gehemmt; sie sind aber viel breiter und platter geworden als die entsprechenden Wirbel im Schwanze anderer Thiere; sie bilden das, was Broca die accessorischen Kreuzbeinwirbel nennt. Diese sind von functioneller Bedeutung, sie haben gewisse innere Theile zu stützen, und so fort; ihre Modification steht in directem Zusammenhange mit der aufrechten oder halbaufrechten Stellung des Menschen und der anthropomorphen Affen. Diese Folgerung ist um so vertrauenswürdiger, als Broca früher einer andern Ansicht war, die er jetzt aufgegeben hat. Die Modification der basalen Schwanzwirbel beim Menschen und bei den höheren Affen dürfte daher direct oder indirect durch natürliche Zuchtwahl bewirkt worden sein.

Was sollen wir aber von den rudimentären und variablen Wirbeln des terminalen Theils des Schwanzes sagen, welche das Os coccygis bilden? Eine Idee, welche schon oft lächerlich gemacht worden ist und es ohne Zweifel wieder werden wird, daß nämlich Reibung mit dem Verschwinden des äußeren Theils des Schwanzes etwas zu thun gehabt hat, ist doch nicht so lächerlich, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheint. Dr. Anderson giebt an,Proceed. Zoolog. Soc. 1872, p. 210. daß der außerordentlich kurze Schwanz des Macacus brunneus von elf Wirbeln, mit Einschluß der unter die Haut versenkten basalen, gebildet wird. Das Ende ist sehnig und enthält keine Wirbel; auf dies folgen fünf rudimentäre und so kleine Wirbel, daß sie zusammengenommen nur anderthalb Linien lang sind; sie sind beständig in der Form eines Hakens nach einer Seite gebogen. Der nur ein wenig mehr als einen Zoll lange freie Theil des Schwanzes enthält nur vier weitere kleine Wirbel. Dieser kurze Schwanz wird aufrecht getragen; aber ungefähr ein Viertel der Gesammtlänge ist nach links hin auf sich zurückgebogen; dieser terminale Theil, welcher die hakenförmige Partie enthält, dient dazu, »die Lücke zwischen dem obern auseinanderweichenden Theil der Gesäßschwielen auszufüllen«, das Thier sitzt daher auf ihm und macht ihn rauh und schwielig. Dr. Anderson faßt seine Beobachtungen folgendermaßen zusammen: »Diese Thatsachen scheinen mir nur eine Erklärung zuzulassen. Wegen seiner geringen Länge ist dieser Schwanz dem Affen im Wege, wenn er sich niedersetzt, und wird in dieser Stellung häufig unter das Thier gesteckt. Wegen des Umstandes, daß er nicht bis über das Ende der Sitzhöcker reicht, scheint es, als wäre der Schwanz mit Willen des Thieres in den Zwischenraum zwischen den Gesäßschwielen hineingebogen worden, um zu vermeiden, zwischen diesen und den Boden gedrückt zu werden, und als wäre die Krümmung mit der Zeit bleibend geworden, sich von selbst einfügend, wenn das Thier zufällig auf den Schwanz zu sitzen kam«. Unter diesen Umständen ist es nicht überraschend, daß die Oberfläche des Schwanzes rauh und schwielig geworden ist; Dr. Murie,Proceed. Zoolog. Soc. 1872, p. 786. welcher diese Art und drei andere, nahe verwandte Arten mit unbedeutend längerem Schwanze im zoologischen Garten sorgfältig beobachtet hat, sagt, daß wenn sich das Thier setzt, »der Schwanz nothwendigerweise auf eine Seite des Gesäßes gesteckt wird; und mag er kurz oder lang sein, die Wurzel ist immer dem ausgesetzt, abgerieben oder gestutzt zu werden«. Da wir nun dafür Beweise haben, daß Verstümmelungen gelegentlich vererbt werden,Ich beziehe mich hier auf Dr. Brown-Séquard's Beobachtungen über die vererbten Wirkungen einer bei Meerschweinchen Epilepsie verursachenden Operation, und auf die noch kürzlicher bekannt gemachten analogen Wirkungen der Durchschneidung des Sympathicus am Halse. Ich werde hernach Veranlassung haben, Salvin's interessanten Fall von den allem Anscheine nach vererbten Wirkungen der Gewohnheit der Mot-mots anzuführen, wonach sich diese Vögel die Fahnen ihrer eigenen Schwanzfedern abbeißen, s. auch über den Gegenstand im Allgemeinen: Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. II, p. 26-28. so ist es nicht sehr unwahrscheinlich, daß bei kurzschwänzigen Affen der vorspringende, functionell nutzlose Theil des Schwanzes nach vielen Generationen rudimentär und verdreht worden ist, weil er beständig gerieben und verdrückt wurde. Wir sehen beim Macacus brunneus den vorspringenden Theil in diesem Zustand und beim M. ecaudatus und mehreren höheren Affen vollständig abortiert. So weit wir es beurtheilen können, ist dann schließlich der Schwanz beim Menschen und bei den anthropomorphen Affen in Folge davon verschwunden, daß der terminale Theil eine sehr lange Zeit hindurch durch Reibung beschädigt wurde, während der basale, in der Haut eingebettete Theil reduciert und modificiert wurde, um sich der aufrechten oder halbaufrechten Stellung anzupassen.

 

Ich habe nun zu zeigen versucht, daß einige der unterscheidendsten Merkmale des Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach entweder direct oder, und zwar häufiger, indirect durch natürliche Zuchtwahl erlangt worden sind. Wir müssen im Auge behalten, daß Modificationen in der Bildung oder der Constitution, welche nicht dazu dienen, einen Organismus an seine Lebensgewohnheiten oder an die von ihm verzehrte Nahrung oder passiv an die ihn umgebenden Bedingungen anzupassen, auf diese Weise nicht erlangt werden können. Wir dürfen indessen bei der Entscheidung, welche Modificationen für jedes Wesen von Nutzen sind, nicht zu sicher sein; wir müssen uns daran erinnern, wie wenig wir über den Gebrauch vieler Theile wissen oder was für Veränderungen im Blute oder den Geweben einen Organismus für ein neues Klima oder irgend eine neue Art von Nahrung geeignet zu machen dienen können. Auch dürfen wir das Princip der Correlation nicht vergessen, durch welches, wie Isidore Geoffroy in Bezug auf den Menschen gezeigt hat, viele fremdartige Bildungsabweichungen unter einander verbunden werden. Unabhängig von der Correlation führt eine Veränderung in einem Theile oft, in Folge des vermehrten oder verminderten Gebrauchs anderer Theile, zu andern Veränderungen einer vollständig unerwarteten Art. Auch ist es gut, sich solcher Thatsachen zu erinnern wie des wunderbaren Wachsthums von Gallen auf Pflanzen, welche das Gift eines Insects veranlaßt, und der merkwürdigen Farbenveränderungen im Gefieder von Papageien, wenn sie sich von gewissen Fischen ernähren oder wenn ihnen das Gift von Kröten eingeimpft wird.Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. II, p. 320, 322. Denn wir sehen hieraus, daß die Körperflüssigkeiten, wenn sie zu irgend einem bestimmten Zweck abgeändert werden, andere merkwürdige Veränderungen herbeiführen können. Ganz besonders müssen wir im Auge behalten, daß Modificationen, welche im Verlaufe vergangener Zeiten zu irgend einem nützlichen Zweck erlangt und beständig gebraucht worden sind, wahrscheinlich sicher fixiert und schon lange vererbt worden sind.

Man kann daher den directen und indirecten Resultaten natürlicher Zuchtwahl eine sehr beträchtliche, wennschon unbestimmte, Ausdehnung geben; doch gebe ich jetzt, nachdem ich die Abhandlung von Naegeli über die Pflanzen und die Bemerkungen verschiedener Schriftsteller, besonders die neuerdings von Prof. Broca in Bezug auf die Thiere geäußerten, gelesen habe, zu, daß ich in den früheren Ausgaben meiner Entstehung der Arten wahrscheinlich der Wirkung der natürlichen Zuchtwahl oder des Überlebens des Passendsten zu viel zugeschrieben habe. Ich habe die fünfte Ausgabe der »Entstehung« dahin geändert, daß ich meine Bemerkungen nur auf die adaptiven Veränderungen des Körperbaus beschränkte; ich bin aber nach den Aufklärungen, die wir selbst in den letzten wenigen Jahren erhalten haben, überzeugt, daß sehr viele Bildungen, die uns jetzt nutzlos zu sein scheinen, sich später als nützlich erweisen und daher unter die Wirksamkeit der natürlichen Zuchtwahl fallen werden. Nichtsdestoweniger hatte ich früher die Existenz vieler Structurverhältnisse nicht hinreichend beachtet, welche, soweit wir es für jetzt beurtheilen können, weder wohlthätig noch schädlich zu sein scheinen; und ich glaube, dies ist eines der größten Versehen, welches ich bis jetzt in meinem Werke entdeckt habe. Es mag mir als Entschuldigung zu sagen gestattet sein, daß ich zwei bestimmte Absichten vor Augen hatte, erstlich, zu zeigen, daß Species nicht einzeln geschaffen worden sind, und zweitens, daß natürliche Zuchtwahl das bei der Veränderung hauptsächlich Wirksame war, wenn sie auch in großem Maße durch die vererbten Wirkungen des Gebrauchs und in geringerem Maße durch die directe Wirkung der umgebenden Bedingungen unterstützt wurde. Indessen bin ich nicht im Stande gewesen, den Einfluß meines früheren und damals sehr verbreiteten Glaubens, daß jede Species absichtlich erschaffen worden sei, vollständig zu beseitigen, und dies führte mich zu der stillschweigenden Annahme, daß jedes einzelne Structurdetail, mit Ausnahme der Rudimente, von irgendwelchem speciellen, wenn auch unerkannten Nutzen sei. Mit dieser Annahme im Sinne würde wohl ganz natürlich Jedermann die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl, sei es während früherer oder jetziger Zeiten, zu hoch anschlagen. Einige von Denen, welche das Princip der Entwicklung annehmen, aber natürliche Zuchtwahl verwerfen, scheinen zu vergessen, während sie mein Buch kritisieren, daß ich die beiden eben erwähnten Absichten vor Augen hatte. Wenn ich daher auch darin geirrt haben sollte, daß ich der natürlichen Zuchtwahl eine große Kraft zuschrieb, was ich aber durchaus nicht zugebe, oder daß ich ihren Einfluß übertrieben hätte, was an sich wahrscheinlich ist, so habe ich, wie ich hoffe, wenigstens dadurch etwas Gutes gestiftet, daß ich dazu beigetragen habe, das Dogma einzelner Schöpfungsacte umzustoßen.

Daß alle organischen Wesen mit Einschluß des Menschen viele Modificationen des Körperbaus darbieten, welche für dieselben weder jetzt von irgend einem Nutzen sind, noch es früher gewesen sind und daher keine physiologische Bedeutung haben, ist, soviel ich jetzt erkennen kann, wahrscheinlich. Wir wissen nicht, was die zahllosen unbedeutenden Verschiedenheiten zwischen den Individuen einer jeden Species hervorbringt; denn der Rückschlag verlegt das Problem nur wenige Schritte rückwärts; und doch muß jede Eigentümlichkeit ihre eigene wirksame Ursache gehabt haben. Sollten diese Ursachen, welcher Art sie auch gewesen sein mögen, gleichförmiger und energischer längere Zeit hindurch wirken (und es läßt sich kein Grund dafür annehmen, warum dies nicht zuweilen eintreten sollte), so würde das Resultat hiervon das Auftreten nicht bloß einer unbedeutenden individuellen Verschiedenheit, sondern einer scharf markierten constanten Modification sein, wenn auch einer Modification ohne physiologische Bedeutung. Structurveränderungen nun, welche in keiner Weise wohlthätig sind, können durch natürliche Zuchtwahl nicht gleichförmig gehalten werden, wennschon alle solche, welche nachtheilig sind, durch dieselbe werden beseitigt werden. Indessen würde Gleichförmigkeit der Charaktere natürliche Folge der angenommenen Gleichförmigkeit der anregenden Ursachen sein, wie auch in gleicher Weise Folge der ungehinderten Kreuzung vieler Individuen. Derselbe Organismus kann daher auf diese Weise im Verlauf aufeinanderfolgender Zeiträume nach einander mehrere Modificationen erlangen, und diese werden in einem nahezu gleichförmigen Zustande überliefert werden, so lange die anregenden Ursachen dieselben bleiben und freie Kreuzung eintreten kann. In Bezug auf diese anregenden Ursachen können wir hier, ebenso wie bei Besprechung der sogenannten spontanen Abänderungen, nur sagen, daß sie in einer viel innigeren Beziehung zu der Constitution des abändernden Organismus als zu den Naturbedingungen, denen derselbe ausgesetzt war, stehen.


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