Charles Darwin
Die Abstammung des Menschen
Charles Darwin

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Schlußbemerkungen. – Die Philosophen der derivativenDieser Ausdruck wird in einem guten Artikel in der Westminster Review, Oct. 1869, p. 498 gebraucht. Über das Princip des größten Glücks s. J. S. Mill, Utilitarianism, p. 17. Schule der Moralisten nahmen früher an, daß der Grund der Moralität in einer Art von Selbstsucht läge, neuerdings ist aber das »Princip des größten Glücks« besonders in den Vordergrund gebracht worden. Es ist indeß richtiger von diesem letzteren Princip als von dem Maßstabe des Betragens zu sprechen, und es nicht als das Motiv desselben zu bezeichnen. Nichtsdestoweniger äußern sich alle Schriftsteller, deren Werke ich consultiert habe, mit einigen wenigen Ausnahmen,Mill erkennt in der deutlichsten Weise an (System of Logic, Vol. II, p. 422), daß Handlungen aus Gewohnheit ohne vorherige Erwartung eines Vergnügens ausgeführt werden können. Auch H. Sidgwick bemerkt in seinem Aufsatze über Behagen und Begierde (The Contemporary Review, April, 1872, p. 671): »Um Alles zusammenzufassen, so möchte ich in Widerspruch zu der Theorie, daß unsere bewußten thätigen Impulse immer auf die Erzeugung angenehmer Empfindungen in uns gerichtet sind, behaupten, daß wir überall im Bewußtsein einen besonders Acht habenden Impuls finden, der auf etwas, was nicht Vergnügen ist, gerichtet ist, und daß in vielen Fällen dieser Impuls insofern mit dem auf das eigene Selbst gerichteten unverträglich ist, als diese Zwei nicht leicht in demselben Momente des Bewußtseins gleichzeitig vorhanden sind«. Ein dunkles Gefühl, daß unsere Impulse durchaus nicht immer aus einem gleichzeitigen oder erwarteten Vergnügen entspringen, ist, wie ich nicht anders glauben kann, eine der Hauptursachen für die Annahme der intuitiven Theorie der Moral und für das Verwerfen der utilitarischen Theorie oder der des »größten Glückes«. Was die letztere Theorie betrifft, so ist ohne Zweifel der Maßstab für das Betragen und das Motiv zu demselben häufig mit einander verwechselt worden; doch sind beide factisch in einem gewissen Grade verschmolzen. so, als müßte für jede Handlung ein bestimmtes Motiv existieren, und daß dies mit einem gewissen Behagen oder Unbehagen verbunden sein müsse. Der Mensch scheint aber häufig impulsiv zu handeln, d. h. einem Instinct oder einer alten Gewohnheit zu folgen, ohne sich irgend eines Vergnügens bewußt zu werden, in derselben Weise wie wahrscheinlich eine Biene oder Ameise handelt, wenn sie blindlings ihren Instincten folgt. In Fällen äußerster Gefahr, so wenn ein Mensch während eines Feuers ein Mitgeschöpf, ohne einen Augenblick zu zögern, zu retten unternimmt, kann er kaum ein Vergnügen empfinden; und noch weniger hat er Zeit, darüber nachzudenken, was für ein Unbefriedigtsein er später empfinden würde, wenn er nicht jenen Versuch machte. Sollte er nachher über sein Benehmen nachdenken, so würde er fühlen, daß in ihm noch eine impulsive Kraft liegt, welche von der Sucht nach Vergnügen oder Glück weit verschieden ist und diese scheint der tief eingewurzelte sociale Instinct zu sein.

Was die niederen Thiere betrifft, so scheint es viel passender, von ihren socialen Instincten als von solchen zu sprechen, welche sich mehr zum allgemeinen Besten als zum allgemeinen Glück der Species entwickelt haben. Der Ausdruck »allgemeines Beste« kann definiert werden als die Bezeichnung für die Erziehung der größtmöglichsten Zahl von Individuen in voller Kraft und Gesundheit und mit allen Fähigkeiten in vollkommener Ausbildung, und zwar unter den Lebensbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Da ohne Zweifel die socialen Instincte Beider, sowohl des Menschen als der niederen Thiere in nahezu denselben Abstufungen entwickelt worden sind, so würde es, wenn es ausführbar wäre, wohl rathsam sein, in beiden Fällen dieselbe Definition zu benutzen und als Maßstab für die Moral eher das allgemeine Beste oder die Wohlfahrt der Gemeinde als das allgemeine Glück anzunehmen; doch würde diese Definition vielleicht eine Einschränkung wegen der politischen Moral erfordern.

Wenn ein Mensch sein Leben wagt, um das eines Mitgeschöpfes zu retten, so scheint es richtiger hier zu sagen, daß er für das allgemeine Beste oder die allgemeine Wohlfahrt handelt, als zu sagen, daß er es für das allgemeine Glück der Menschheit thue. Ohne Zweifel fallen die Wohlfahrt und das Glück des Individuums gewöhnlich zusammen, und ein zufriedener glücklicher Stamm wird besser gedeihen als einer, welcher unzufrieden und unglücklich ist. Wir haben gesehen, daß selbst auf einer frühen Periode der Geschichte der Menschheit die ausgesprochenen Wünsche der Gesellschaft nothwendig in hohem Grade das Benehmen jedes einzelnen Mitglieds beeinflußt haben werden; und da alle nach Glück streben, so wird »das Princip des größten Glücks« ein sehr bedeutungsvoller secundärer Führer und ein wichtiges Ziel geworden sein; als primärer Antrieb und Führer werden jedoch immer die socialen Instincte mit Einschluß der Sympathie (welche uns zur Beachtung der Billigung und Mißbilligung Anderer führt) gedient haben. Hierdurch wird der Vorwurf, daß man den Grund des edelsten Theiles unserer Natur in das niedere Princip der Selbstsucht legt, beseitigt; man müßte denn in der That die Genugthuung, welches jedes Thier fühlt, wenn es seinen richtigen Instincten folgt, und das Unbefriedigtsein, welches dasselbe fühlt, sobald es daran gehindert wird, selbstisch nennen.

Der Ausdruck der Wünsche und des Urtheils der Glieder einer und derselben Gemeinschaft, anfangs mündlich, später auch durch Schriftsprache, bildet entweder die einzige Richtschnur unseres Benehmens, oder kräftigt in hohem Maße die socialen Instincte; doch haben derartige Meinungen zuweilen eine direct in Opposition zu diesen Instincten stehende Tendenz. Diese letztere Thatsache wird durch das Gesetz der Ehre sehr wohl erläutert, d. h. das Gesetz der Meinung von Unseresgleichen und nicht aller unserer Landsleute. Ein Verstoß gegen dieses Gesetz, – selbst wenn anerkannt werden muß, daß der Verstoß in strenger Übereinstimmung mit der wirklichen Moral ist –, hat manchem Mann mehr Gewissenbisse verursacht, als ein wirkliches Verbrechen. Wir erkennen denselben Einfluß in dem brennenden Gefühl der Scham, welches die meisten von uns selbst nach Verlauf von Jahren gefühlt haben, wenn sie irgend einen zufälligen Verstoß gegen eine unbedeutende, wenn nur einmal feststehende Regel der Etikette sich in's Gedächtnis zurückrufen. Das Urtheil der ganzen Gemeinschaft wird durch eine gewisse unbestimmte Erfahrung von Dem bestimmt werden, was auf die Länge der Zeit für alle Mitglieder das Beste ist. Dies Urtheil wird aber nicht selten in Folge von Ungewißheit oder von einem schwachen Vermögen des Nachdenkens irren. Daher sind die merkwürdigsten Gebräuche und Formen des Aberglaubens im vollen Gegensatz zur wahren Wohlfahrt und Glückseligkeit der Menschheit durch die ganze Welt so übermächtig geworden. Wir sehen dies in dem Entsetzen, welches ein Hindu fühlt, der seine Kaste verläßt, und in unzähligen anderen Beispielen. Es dürfte schwer sein, zwischen den Gewissensbissen, die ein Hindu fühlt, der der Versuchung nachgegeben hat, unreine Nahrung zu genießen, und denjenigen zu unterscheiden, welche nach dem Begehen eines Diebstahls gefühlt werden; die ersteren dürften aber wahrscheinlich die härteren sein.

Auf welche Weise so viele absurde Gesetze des Benehmens, ebenso wie so viele absurde religiöse Glaubensansichten entstanden sind, wissen wir nicht, ebensowenig, woher es kommt, daß sie in allen Theilen der Welt sich dem menschlichen Geist so tief eingeprägt haben. Es ist aber der Bemerkung werth, daß ein beständig während der früheren Lebensjahre eingeprägter Glaube und zwar so lange das Gehirn Eindrücken leicht zugänglich ist, fast die Natur eines Instincts anzunehmen scheint: und das eigentliche Wesen eines Instincts liegt ja darin, daß man ihm unabhängig vom Nachdenken folgt. Ebensowenig können wir sagen, warum gewisse bewundernswerthe Tugenden, wie die Wahrheitsliebe, von einigen wilden Stämmen viel höher anerkannt werden als von andern,Gute Beispiele theilt Mr. Wallace mit in »Scientific Opinion«, Sept. 15., 1869, und ausführlicher in seinen Contributions to the Theory of Natural Selection. 1870, p. 353. und ferner warum ähnliche Verschiedenheiten selbst unter civilisierten Nationen bestehen. Da wir wissen, wie stark viele fremdartige Gebräuche und Aberglauben fixiert worden sind, brauchen wir uns darüber nicht zu verwundern, daß die auf das Individuum Bezug habenden Tugenden uns jetzt in einem Grade natürlich erscheinen (da sie in der That auf Nachdenken beruhen), daß man sie für eingeboren halten möchte, trotzdem sie vom Menschen in seinem frühesten Zustand nicht geschätzt wurden.

Trotz vieler Zweifelsquellen kann der Mensch meistens, und zwar leicht, zwischen den höheren und niederen moralischen Regeln unterscheiden. Die höheren gründen sich auf die socialen Instincte und beziehen sich auf die Wohlfahrt Anderer; sie beruhen auf der Billigung unserer Mitmenschen und auf Nachdenken. Die niedern Regeln, trotzdem manche von ihnen, wenn sie Selbstaufopferung mit im Gefolge haben, kaum den Namen niederer verdienen, beziehen sich hauptsächlich auf das eigene Selbst und verdanken ihren Ursprung der öffentlichen Meinung, sobald diese durch Erfahrung und Cultur gereift ist; denn sie werden von rohen Stämmen nicht befolgt.

Wenn der Mensch in der Cultur fortschreitet und kleinere Stämme zu größeren Gemeinschaften vereinigt werden, so wird das einfachste Nachdenken jedem Individuum sagen, daß es seine socialen Instincte und Sympathien auf alle Glieder der Nation auszudehnen hat, selbst wenn sie ihm persönlich unbekannt sind. Ist dieser Punkt einmal erreicht, so besteht dann nur noch eine künstliche Grenze, welche ihn abhält, seine Sympathie auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen. In der That, wenn gewisse Menschen durch große Verschiedenheiten im Äußern oder in der Lebensweise von ihm getrennt sind, so dauert es, wie uns unglücklicherweise die Erfahrung lehrt, lange, ehe er sie als seine Mitgeschöpfe betrachtet. Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus, d. h. Humanität gegen die niederen Thiere scheint eine der spätesten moralischen Erwerbungen zu sein. Wilde besitzen dieses Gefühl, wie es scheint, nicht, mit Ausnahme der Humanität gegen ihre Schoßthiere. Wie wenig die alten Römer dasselbe kannten, zeigt sich in ihren abstoßenden Gladiatorenkämpfen. Die bloße Idee der Humanität war, soviel ich beobachten konnte, den meisten Gauchos der Pampas neu. Diese Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen sind, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, daß unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken. Sobald diese Tugend von einigen wenigen Menschen geehrt und ausgeübt wird, verbreitet sie sich durch Unterricht und Beispiele auf die Jugend und wird auch eventuell in der öffentlichen Meinung eingebürgert.

Die höchste mögliche Stufe in der moralischen Cultur, zu der wir gelangen können, ist die, wenn wir erkennen, daß wir unsere Gedanken controlieren sollen und »selbst in unsern innersten Gedanken nicht noch einmal die Sünden nachdenken dürfen, welche uns die Vergangenheit so angenehm machten«.Tennyson, Idylls of the King, p. 244. Was nur immer irgend eine schlechte Handlung der Seele vertraut macht, macht auch ihre Ausführung um so vieles leichter. So hat Marc Aurel schon vor langer Zeit gesagt: »so wie deine gewöhnlichen Gedanken sind, wird auch der Charakter deiner Seele sein, denn die Seele ist von den Gedanken gefärbt«.Betrachtungen des Kaisers M. Aurelius Antoninus. Englische Übersetzung, 2. Ausg. 1869, p. 112. Marc Aurel war 121 geboren.

Unser großer Philosoph Herbert Spencer hat vor Kurzem seine Ansichten über das moralische Gefühl ausgesprochen. Er sagt:Brief an Mill in Bain's Mental and Moral Science. 1868, p. 722. »ich glaube, daß die Erfahrungen der Nützlichkeit, welche durch alle vergangenen Generationen in der menschlichen Rasse organisiert und befestigt worden sind, entsprechende Modificationen hervorgebracht haben, welche in Folge fortgesetzter Überlieferung und Anhäufung zu gewissen Fähigkeiten moralischer Intuition geworden sind, – gewisse Erregungen entsprechen dem rechten und unrechten Betragen, welche keine zu Tage tretende Grundlage in den individuellen Erfahrungen der Nützlichkeit haben.« Wie mir scheint, giebt es nicht die geringste in der Sache selbst liegende Unwahrscheinlichkeit für die Annahme, daß tugendhafte Neigungen mehr oder weniger stark vererbt werden; denn – um hier nicht die verschiedenen Dispositionen und Gewohnheiten zu erwähnen, welche von vielen unserer domesticierten Thiere ihren Nachkommen überliefert werden, – ich habe von authentischen Fällen gehört, in welchen eine Sucht zu stehlen und eine Neigung zu lügen durch Familien selbst höherer Stände hindurchging; und da das Stehlen ein so seltenes Verbrechen in den wohlhabenden Classen ist, so können wir die in zwei oder drei Mitgliedern derselben Familie auftretende Neigung nicht durch eine zufällige Coincidenz erklären. Werden schlechte Neigungen überliefert, so ist es wahrscheinlich, daß auch gute in gleicher Weise vererbt werden. Daß der Zustand des Körpers mit seiner Einwirkung auf das Gehirn einen bedeutenden Einfluß auf die moralischen Neigungen hat, ist den meisten von denen bekannt, welche an chronischer Verdauungsstörung oder an der Leber gelitten haben. Dieselbe Thatsache zeigt sich auch darin, »daß die Verirrung oder Zerstörung des moralischen Gefühls oft eines der ersten Symptome beginnender geistiger Störung ist«Maudsley, Body and Mind. 1870, p. 60. und Geisteskrankheiten werden notorisch häufig vererbt. Ausgenommen durch das Princip der Vererbung moralischer Neigungen haben wir kein Mittel, die Verschiedenheiten zu erklären, welche, wie man annimmt, in dieser Beziehung zwischen den verschiedenen Menschenrassen existieren.

Selbst die theilweise Vererbung tugendhafter Neigungen würde eine unendliche Unterstützung für den primären Antrieb sein, welcher direct aus den socialen Instincten und indirect aus der Gutheißung unserer Mitmenschen entspringt. Nehmen wir für einen Augenblick an, daß tugendhafte Neigungen vererbt werden, so erscheint es wenigstens in solchen Fällen, wie Keuschheit, Mäßigkeit, Humanität gegen Thiere u. s. w. wahrscheinlich, daß sie der geistigen Organisation sich zuerst durch Gewohnheit, Unterricht und Beispiel mehrere Generationen hindurch in derselben Familie fortgesetzt, eingeprägt haben, und nur in einem völlig untergeordneten Grade, wenn überhaupt, dadurch, daß diejenigen Individuen, welche diese Tugenden besaßen, in dem Kampf um's Dasein am besten fortkamen. Der hauptsächlichste Grund, welcher mich mit Rücksicht auf irgend eine derartige Vererbung zweifeln lassen könnte, liegt in jenen sinnlosen Gebräuchen, abergläubischen Formen und Geschmacksrichtungen, wie das Entsetzen eines Hindu vor unreiner Nahrung, welche doch nach demselben Princip vererbt werden müßten. Obschon dies an sich vielleicht nicht weniger wahrscheinlich ist, als daß Thiere durch Vererbung den Geschmack für gewisse Arten von Nahrung oder die Furcht vor gewissen Feinden erlangen, so ist mir doch kein Zeugnis vorgekommen zur Unterstützung der Annahme, daß auch abergläubische Gebräuche und sinnlose Gewohnheiten vererbt würden.

Endlich werden die socialen Instincte, welche ohne Zweifel vom Menschen ebenso wie von den niederen Thieren zum Besten der ganzen Gemeinschaft erlangt worden sind, von Anfang an den Wunsch, seinen Genossen zu helfen, und ein gewisses Gefühl der Sympathie in ihm angeregt, ihn aber auch dazu veranlaßt haben, ihre Billigung und Mißbilligung zu beachten. Derartige Antriebe werden ihm in einer sehr frühen Periode als eine rohe Regel für Recht und Unrecht gedient haben. Aber in dem Maße, wie der Mensch nach und nach an intellectueller Kraft zunahm und in den Stand gesetzt wurde, die weiter ab liegenden Folgen seiner Handlungen zu übersehen, wie er hinreichende Kenntnisse erlangt hatte, um verderbliche Gebräuche und Aberglauben zu verwerfen, wie er, je länger, desto mehr, nicht bloß die Wohlfahrt, sondern auch das Glück seiner Mitmenschen in's Auge fassen lernte, wie in Folge von Gewohnheit, dieser Folge wohlthuender Erfahrung, wohlthätigen Unterrichts und Beispiels, seine Sympathien zarter und weiter ausgedehnt wurden, so daß sie sich auf alle Menschen aller Rassen, auf die schwachen, gebrechlichen und andern unnützen Glieder der Gesellschaft; endlich sogar auf die niederen Thiere erstreckten, – in dem Maße wird auch der Maßstab seiner Moralität höher und höher gestiegen sein. Und die Moralisten der derivativen Schule und auch einige Intuitionisten geben zu, daß der Maßstab der Moralität seit einer frühen Periode der Geschichte der Menschheit wirklich ein höherer geworden ist.Ein Schriftsteller, welcher der Bildung eines gesunden Urtheils wohl fähig ist, drückt sich in der North British Review, July 1869, p. 531 sehr entschieden in diesem Sinne aus. Mr. Lecky scheint (History of Morals. Vol. I, p. 143) in gewissem Maße einzustimmen.

Da man zuweilen sieht, daß zwischen verschiedenen Instincten bei niederen Thieren ein Kampf besteht, so ist es nicht überraschend, daß auch beim Menschen ein Kampf zwischen seinen socialen Instincten, mit den davon abgeleiteten Tugenden, und seinen niederen, wenn auch im Augenblick stärkeren, Antrieben und Begierden sich erhebt. Dies ist, wie Mr. Galtons. sein merkwürdiges Buch »On Hereditary Genius«. 1869. p. 349. Der Herzog von Argyll giebt in seinem: Primeval Man, 1869. p. 188 einige gute Bemerkungen über den in der Natur des Menschen auftretenden Kampf zwischen Recht und Unrecht. bemerkt hat, um so weniger überraschend, als der Mensch sich aus dem Zustand der Barbarei erst innerhalb einer verhältnismäßig neueren Zeit erhoben hat. Haben wir irgend einer Versuchung nachgegeben, so empfinden wir ein Gefühl des Unbefriedigtseins, der Scham, Reue und Gewissensbisse, analog dem, welches in Folge anderer starker nicht befriedigter oder unterdrückter Instincte empfunden wird, und in diesem Fall nennen wir es Gewissen: denn wir können nicht verhindern, daß vergangene Bilder und Eindrücke beständig durch unsere Seele ziehen. Wir vergleichen den abgeschwächten Eindruck einer vorübergegangenen Versuchung mit den beständig gegenwärtigen socialen Instincten oder mit Gewohnheiten, welche wir in früher Jugend erlangt und durch unser ganzes Leben gekräftigt haben, bis sie zuletzt fast so stark wie Instincte geworden sind. Wenn wir, die Versuchung immer vor unsern Augen, derselben nicht nachgegeben haben, so geschah dies weil entweder der sociale Instinct oder irgend eine Gewohnheit in dem Augenblicke in uns vorherrschte, oder weil wir gelernt haben, daß diese uns später, wenn wir sie mit dem abgeschwächten Eindruck der Versuchung vergleichen, um so stärker erscheinen würde, und daß wir ihre Verletzung schmerzlich empfinden würden. Blicken wir auf spätere Generationen, so haben wir keine Ursache zu befürchten, daß die socialen Instincte schwächer werden würden; und wir können wohl erwarten, daß tugendhafte Gewohnheiten stärker und vielleicht durch Vererbung fixiert werden. In diesem Falle, wird der Kampf zwischen unseren höheren und niederen Antrieben weniger hart sein und die Tugend wird triumphieren.

 
Zusammenfassung der letzten beiden Capitel. – Es läßt sich nicht daran zweifeln, daß die Verschiedenheit zwischen der Seele des niedrigsten Menschen und der des höchsten Thieres ungeheuer ist. Wenn ein anthropomorpher Affe unbefangen seinen eigenen Zustand beurtheilen könnte, so würde er zugeben, daß, obgleich er einen kunstvollen Plan sich ausdenken könnte, einen Garten zu plündern, obgleich er Steine zum Kämpfen oder zum Aufbrechen von Nüssen benutzen könnte, doch der Gedanke, einen Stein zu einem Werkzeug umzuformen, völlig über seinen Horizont ginge. Er würde ferner zugeben, daß er noch weniger im Stande wäre, einem Gedankengange metaphysischer Betrachtungen zu folgen oder ein mathematisches Problem zu lösen, oder über Gott zu reflectieren, oder eine große Naturscene zu bewundern. Einige Affen würden indeß wahrscheinlich erklären, daß sie die Schönheit der farbigen Haut und des Haarkleides ihrer Ehegenossen bewundern könnten und wirklich bewundern; sie würden zugeben, daß, obschon sie den andern Affen durch Ausrufe einige ihrer Wahrnehmungen und einfacheren Bedürfnisse verständlich machen könnten, doch die Idee, bestimmte Gedanken durch bestimmte Laute auszudrücken, ihnen niemals in den Sinn gekommen sei. Sie könnten behaupten, daß sie bereit wären, ihren Genossen in derselben Herde auf viele Weise zu helfen, ihr Leben für sie zu wagen und für ihre Waisen zu sorgen, sie würden aber genöthigt sein, anzuerkennen, daß eine interesselose Liebe für alle lebenden Geschöpfe, dieses edelste Attribut des Menschen, vollständig über ihre Fassungskraft hinausginge.

So groß nun auch nichtsdestoweniger die Verschiedenheit an Geist zwischen dem Menschen und den höheren Thieren sein mag, so ist sie doch sicher nur eine Verschiedenheit des Grads und nicht der Art. Wir haben gesehen, daß die Empfindungen und Eindrücke, die verschiedenen Erregungen und Fähigkeiten, wie Liebe, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Neugierde, Nachahmung, Verstand u. s. w., deren sich der Mensch rühmt, in einem beginnenden oder zuweilen selbst in einem gut entwickelten Zustand bei den niederen Thieren gefunden werden. Sie sind auch in einem gewissen Grade der erblichen Veredelung fähig, wie wir an dem domesticierten Hund im Vergleich mit dem Wolf oder Schakal sehen. Wenn bewiesen werden könnte, daß gewisse höhere geistige Fähigkeiten, wie Bildung allgemeiner Begriffe, Selbstbewußtsein u. s. w. dem Menschen absolut eigenthümlich wären, was äußerst zweifelhaft zu sein scheint, so ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieselben nur die begleitenden Resultate anderer weit fortgeschrittener intellectueller Fähigkeiten sind; und diese wiederum sind hauptsächlich das Resultat des fortgesetzten Gebrauchs einer höchst entwickelten Sprache. In welchem Alter entwickelt sich bei dem neugeborenen Kinde das Vermögen der Abstraction, in welchem Alter wird das Kind selbstbewußt und reflectiert über seine eigene Existenz? Wir können hierauf keine Antwort geben; ebensowenig wie wir die gleiche Frage in Bezug auf die aufsteigende Reihe organischer Wesen beantworten können. Das halb Künstliche und halb Instinctive der Sprache trägt noch immer den Stempel ihrer allmählichen Entwicklung an sich. Der veredelnde Glaube an Gott ist den Menschen nicht allgemein eigen und der Glaube an thätige spirituelle Kräfte folgt naturgemäß aus seinen andern geistigen Kräften. Das moralische Gefühl bietet vielleicht die beste und höchste Unterscheidung zwischen dem Menschen und den niederen Thieren: doch brauche ich kaum hierüber etwas zu sagen, da ich erst vor Kurzem zu zeigen versucht habe, daß die socialen Instincte – die wichtigste Grundlage der moralischen Constitution des MenschenBetrachtungen des Kaisers M. Aurelius Antoninus. Englische Übersetzung, 2. Ausg. 1869, p. 139. – mit der Unterstützung der sich äußernden intellectuellen Kräfte und der Wirkungen der Gewohnheit naturgemäß zu der goldenen Regel führen: »was Ihr wollt, daß man Euch thue, das thut auch Andern« und dies ist der Grundstein der Moralität.

In dem nächsten Capitel werde ich einige wenige Bemerkungen über die wahrscheinlichen Stufen und Mittel machen, durch welche die verschiedenen geistigen und moralischen Fähigkeiten des Menschen allmählich weiter entwickelt worden sind. Daß diese Entwicklung wenigstens möglich ist, sollte doch nicht geleugnet werden, wenn wir täglich, bei jedem Kinde, diese Fähigkeiten sich entwickeln sehen: auch können wir eine vollständige Stufenreihe von dem geistigen Zustand eines völligen Idioten, noch niedriger als der des niedrigsten Thieres, bis zu dem Geiste eines Newton verfolgen.

 


 


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