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Natur der Beweise für den Ursprung des Menschen. – Homologe Bildungen beim Menschen und den niederen Thieren. – Verschiedene Punkte der Übereinstimmung. – Entwicklung. – Rudimentäre Bildungen; Muskeln, Sinnesorgane, Haare. Knochen, Reproductionsorgane u. s. w. – Die Tragweite dieser drei großen Classen von Thatsachen in Bezug auf den Ursprung des Menschen.
Ein Jeder, welcher zu entscheiden wünscht, ob der Mensch der modificierte Nachkomme irgend einer früher existierenden Form sei, würde wahrscheinlich zuerst untersuchen, ob der Mensch, in einem wie geringen Grade auch immer, seiner körperlichen Structur nach und in seinen geistigen Fähigkeiten variiert, und wenn dies der Fall ist, ob diese Abänderungen seinen Nachkommen in Übereinstimmung mit den bei niederen Thieren geltenden Gesetzen überliefert werden; ferner, ob die Abänderungen, soweit es unsere Unwissenheit zu beurtheilen gestattet, die Wirkungen derselben allgemeinen Ursachen sind und ob sie von denselben allgemeinen Gesetzen beherrscht werden wie bei anderen Organismen, z. B. von der Correlation, den vererbten Wirkungen des Gebrauchs und Nichtgebrauchs u. s. w. Ist ferner der Mensch ähnlichen Mißbildungen unterworfen, in Folge von Bildungshemmungen, von Verdoppelung von Theilen u. s. w., und bietet er in irgendwelchen seiner Mißbildungen einen Rückschlag auf einen früheren und älteren Bildungstypus dar? Natürlich ließe sich auch untersuchen, ob der Mensch, wie so viele anderen Thiere, Varietäten und Unterrassen habe entstehen lassen, die nur unbedeutend von einander abweichen, oder Rassen, welche so verschieden von einander sind, daß sie als zweifelhafte Species zu classificieren sind. Wie sind derartige Rassen über die Erde verbreitet und wie wirken sie bei einer Kreuzung auf einander, sowohl in der ersten Generation, als in den folgenden? Und so ließen sich noch über viele andere Punkte Fragen aufstellen.
Bei dieser Untersuchung würde man dann zunächst zu der wichtigen Frage kommen, ob der Mensch zu einer im Verhältnis so rapiden Zunahme neigt, daß hierdurch gelegentlich heftige Kämpfe um das Dasein und in Folge dessen wohlthätige Abänderungen veranlaßt werden, gleichviel ob am Körper oder am Geiste, welche dann bewahrt bleiben, während die nachtheiligen beseitigt werden. Greifen die Rassen oder Arten, gleichviel welcher Ausdruck hier angewandt wird, über einander über und ersetzen einander, so daß einige schließlich unterdrückt werden? Wir werden sehen, daß alle diese Fragen, wie es in der That in Bezug auf die meisten derselben auf der Hand liegt, bejahend beantwortet werden müssen, in derselben Weise wie bei den niederen Thieren. Die verschiedenartigen, hier angedeuteten Betrachtungen können aber füglich eine Zeit lang noch zurückgestellt werden, und wir wollen zuerst nachsehen, in wie weit die körperliche Bildung des Menschen mehr oder weniger deutliche Spuren seiner Abstammung von irgend einer niederen Form zeigt. In späteren Capiteln werden dann die geistigen Fähigkeiten des Menschen im Vergleich mit denen der niederen Thiere betrachtet werden.
Die körperliche Bildung des Menschen. – Es ist notorisch, daß der Mensch nach demselben allgemeinen Typus oder Modell wie die anderen Säugethiere gebildet ist. Alle Knochen seines Skelets können mit entsprechenden Knochen eines Affen oder einer Fledermaus oder Robbe verglichen werden; dasselbe gilt für seine Muskeln, Nerven, Blutgefäße und Eingeweide. Das Gehirn, dieses bedeutungsvollste aller Organe, folgt denselben Bildungsgesetzen, wie Huxley und andere Anatomen gezeigt haben. BischoffDie Großhirnwindungen des Menschen. 1868, p. 96. Die Schlussfolgerungen dieses Schriftstellers ebenso wie die, zu denen Gratiolet und Aeby in Bezug auf das Gehirn gelangt sind, werden in dem dem ersten Theile des vorliegenden Werks angefügten Anhange von Prof. Huxley erörtert werden. welcher zu den Reihen der Gegner gehört, giebt zu, daß jede wesentliche Spalte und Falte in dem Gehirn des Menschen ihr Analogon in dem Gehirn des Orang findet; er fügt aber hinzu, daß auf keiner Entwicklungsperiode die Gehirne beider vollständig unter einander übereinstimmen. Eine völlige Übereinstimmung konnte man auch nicht erwarten, denn sonst würden ihre geistigen Fähigkeiten dieselben gewesen sein; VulpianLeçons sur la Physiol. 1866, p. 890, nach dem Citat bei Dally, L'ordre des Primates et le Transformisme. 1868, p. 29. bemerkt: »Les différences réelles, qui existent entre l'encéphale de l'homme et celui des singes supérieurs, sont bien minimes. II ne faut pas se faire d'illusions à cet égard. L'homme est bien plus près des singes anthropomorphes par les caractères anatomiques de son cerveau, que ceux-ci ne le sont non seulement des autres mammifères, mais même de certains quadrumanes, des guenons et des macaques.« Es wäre aber überflüssig, hier noch weitere Einzelheiten in Betreff der Übereinstimmung zwischen dem Menschen und den höheren Säugethieren in der Bildung des Gehirns und aller anderen Theile des Körpers anzuführen.
Es dürfte indessen der Mühe werth sein, einige wenige Punkte, welche nicht direct oder augenfällig in Verbindung mit dem Körperbau stehen, speciell anzuführen, aus denen diese Übereinstimmung oder Verwandtschaft deutlich hervorgeht.
Der Mensch ist fähig, von den anderen Thieren gewisse Krankheiten aufzunehmen oder sie ihnen mitzutheilen, wie Wasserscheu, Pocken, Rotz, Syphilis, Cholera, Flechten u. s. w.,Dr. W. Lauder Lindsay hat diesen Gegenstand ziemlich ausführlich behandelt im »Journal of Mental Science«, July, 1871, und in der »Edinburgh Veterinary Review«, July, 1858. und diese Thatsache beweist die große ÄhnlichkeitEiner meiner Kritiker (British Quarterly Review, Octob. 1, 1871, p. 472) hat das, was ich hier gesagt habe, in sehr starker und verächtlicher Weise kritisiert; da ich aber nicht den Ausdruck »Identität« brauche, sehe ich nicht ein, daß ich hier einen großen Irrthum begangen hätte. Zwischen der Thatsache, daß dieselbe oder eine sehr ähnliche Infection oder Ansteckung bei zwei verschiedenen Thieren dieselbe Wirkung hervorruft, und der Prüfung zweier verschiedener Flüssigkeiten mit demselben chemischen Reagens scheint mir eine sehr starke Analogie zu bestehen. ihrer Gewebe und ihres Blutes, sowohl in ihrem feineren Bau, als in ihrer Zusammensetzung, und zwar viel deutlicher, als es durch deren Vergleichung unter dem besten Mikroskop oder mit Hülfe der sorgfältigsten chemischen Analyse nachgewiesen werden kann. Die Affen sind vielen von denselben nicht contagiösen Krankheiten ausgesetzt, wie wir. So fand Rengger,Naturgeschichte der Säugethiere von Paraguay. 1830, p. 50. welcher eine Zeit lang den Cebus Azarae in seinem Vaterlande sorgfältig beobachtete, daß er Katarrh bekam, mit den gewöhnlichen Symptomen, welcher auch bei häufigen Rückfällen zu Schwindsucht führte. Diese Affen litten an Schlagfluß, Entzündung der Eingeweide und grauem Staar am Auge. Die jüngeren starben oft am Fieber während der Periode, in der sie ihre Milchzähne verloren; Arzneien haben dieselbe Wirkung auf sie, wie auf uns. Viele Arten von Affen haben eine starke Vorliebe für Thee, Kaffee und spirituose Getränke; sie können auch, wie ich selbst gesehen habe, mit Vergnügen Tabak rauchen.Dieselben Geschmackseigenthümlichkeiten kommen manchen noch niedrigeren Thieren zu. Mr. A. Nicols hat, wie er mir mittheilt, in Queensland in Australien drei Individuen von Phascolarctus cinereus gehalten; ohne daß es ihnen irgendwie gelehrt worden wäre, entwickelte sich bei ihnen ein starker Geschmack für Rum und für Tabakrauchen. Brehm behauptet, daß die Eingeborenen von Nord-Afrika die wilden Paviane dadurch fangen, daß sie Gefäße mit einem starken geistigen Getränke hinstellen, in welchem sich die Affen betrinken. Er hat mehrere dieser Thiere, die er in Gefangenschaft hielt, in diesem Zustande gesehen und giebt einen höchst komischen Bericht ihres Benehmens und ihrer wunderbaren Grimassen. Am folgenden Morgen waren sie sehr verstimmt und übel aufgelegt; sie hielten ihren schmerzenden Kopf mit beiden Händen und boten einen äußerst erbarmungswürdigen Anblick dar. Wurde ihnen Bier oder Wein angeboten, so wandten sie sich mit Widerwillen ab, labten sich dagegen an Citronensaft.Brehm, Thierleben. 2. Aufl. Bd. I, p 147, 155. Über den Ateles, p. 194. Wegen anderer analoger Angaben s. p. 72, 194. Ein amerikanischer Affe, ein Ateles, wollte, nachdem er einmal von Branntwein trunken geworden war, nie mehr solchen anrühren; er war daher weiser als viele Menschen. Diese unbedeutenden Thatsachen beweisen, wie ähnlich die Geschmacksnerven bei den Affen und den Menschen sein müssen und in wie ähnlicher Weise ihr ganzes Nervensystem afficiert wird.
Der Mensch wird von inneren Parasiten geplagt, welche zuweilen tödtliche Wirkungen hervorbringen, in gleicher Weise auch von äußeren; alle diese Schmarotzer gehören zu denselben Gattungen oder Familien wie die, welche andere Säugethiere bewohnen, und, was die Krätzmilbe betrifft, zu derselben Species.Dr. W. Lauder Lindsay in: Edinburgh Veterinary Review, July, 1858, pag. 13. Der Mensch ist in gleicher Weise wie andere Säugethiere, Vögel und selbst Insekten,In Bezug auf Insekten s. Dr. Laycock, On a general law of vital periodicity. British Associat. 1842. Macculloch sah einen Hund an dreitägigem Wechselfieber leiden. Silliman's Americ. Journ. of Science. XVII, 305. Ich werde später auf diesen Gegenstand zurückkommen. jenem geheimnisvollen Gesetz unterworfen, welches gewisse normale Vorgänge, wie die Trächtigkeit, ebenso wie die Reife und die Dauer gewisser Krankheiten den Mondperioden zu folgen veranlaßt. Seine Wunden werden durch denselben Heilungsproceß wieder hergestellt, und die nach der Amputation seiner Gliedmaßen gelassenen Stümpfe besitzen gelegentlich, besonders während der früheren embryonalen Periode, eine gewisse Fähigkeit der Regeneration wie bei den niedersten Thieren.Die Beweise hiefür habe ich gegeben in der Schrift: »Über das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication.« 2. Aufl. Bd. II, p. 17 d. Übers.; Weiteres könnte noch hinzugefügt werden.
Der ganze Hergang jener bedeutungsvollsten Verrichtung, der Fortpflanzung der Art, ist bei den Säugethieren in auffallender Weise derselbe, von dem ersten Acte der Werbung des Männchens an»Mares e diversis generibus Quadrumanorum sine dubio dignoscunt feminas humanas a maribus. Primum, credo, odoratu, postea aspectu. Mr. Youatt, qui diu in Hortis Zoologicis (Bestiariis) medicus animalium erat, vir in rebus observandis cautus et sagax, hoc mihi certissime probavit, et curatores ejusdem loci et alii e ministris confirmaverunt. Sir Andrew Smith et Brehm notabant idem in Cynocephalo. Illustrissimus Cuvier etiam narrat multam de hac re, qua ut opinor nihil turpius potest indicari inter omnia hominibus et quadrumanis communia. Narrat enim Cynocephalum quendam in furorem incidere aspectu feminarum aliquarum, sed nequaquam accendi tanto furore ab omnibus. Semper eligebat juniores et dignoscebat in turba et advocabat voce gestuque.« bis zu der Geburt und der Ernährung der Jungen. Die Affen werden in einem fast genau so hülflosen Zustande geboren wie unsere eigenen Kinder; und in gewissen Gattungen weichen die Jungen in ihrem Aussehen von den Erwachsenen genau so viel ab, wie menschliche Kinder von ihren erwachsenen Eltern.Diese Bemerkung machen in Bezug auf Cynocephalus und die anthropomorphen Affen Geoffroy St. Hilaire und Fr. Cuvier, Hist. natur. des Mammifères. Tom. I. 1824. Einige Schriftsteller haben als einen wichtigen Unterschied hervorgehoben, daß beim Menschen die Jungen in einem viel späteren Alter zur Reife gelangen, als bei irgend einem anderen Thiere. Wenn wir aber einen Blick auf die Menschenrassen werfen, welche tropische Länder bewohnen, so ist der Unterschied nicht groß. Denn der Orang wird, wie man annimmt, nicht vor einem Alter von 10 bis 15 Jahren reif.Huxley, Stellung des Menschen in der Natur, p. 38 (Übers.). Der Mann weicht von der Frau in der großen Körperkraft, in dem Behaartsein u. s. w., ebenso wie in Bezug auf den Geist, in derselben Weise ab, wie die beiden Geschlechter vieler Säugethiere von einander abweichen. Es ist überhaupt die Übereinstimmung im allgemeinen Bau, in der feinen Structur der Gewebe, in der chemischen Zusammensetzung und in der Constitution zwischen dem Menschen und den höheren Thieren. besonders den anthropomorphen Affen eine äußerst enge.
Embryonale Entwicklung. – Der Mensch entwickelt sich aus einem Eichen von ungefähr 1/125 Zoll (0,2 mm) im Durchmesser, welches in keiner Hinsicht von den Eichen anderer Thiere abweicht. Der Embryo selbst kann auf einer frühen Stufe kaum von dem anderer Glieder des Wirbelthierreichs unterschieden werden. Auf dieser Periode verlaufen die Halsarterien in bogenförmigen Ästen, als wenn sie das Blut zu Kiemen brächten, welche bei den höheren Wirbelthieren nicht vorhanden sind; doch sind die Spalten an den Seiten des Halses noch vorhanden (Fig. I, f. g.) und geben die frühere Stellung jener an. Auf einer etwas späteren Periode, wenn sich die Gliedmaßen entwickeln, entstehen, wie der berühmte v. Baer bemerkt, die Füße von Eidechsen und Säugethieren, die Flügel und Füße der Vögel und ebenso die Hände und Füße des Menschen sämmtlich aus derselben Grundform. »Erst auf späteren Entwicklungsstufen«, sagt Professor Huxley,Huxley, Stellung des Menschen in der Natur, p. 75 (Übers.). »bietet das junge menschliche Wesen deutliche Verschiedenheiten von dem jungen Affen dar, welcher letztere ebenso weit vom Hunde in seiner Entwicklung abweicht, wie es der Mensch thut. So auffallend diese letztere Behauptung zu sein scheint, so ist sie doch nachweisbar richtig.«
Da manche meiner Leser vielleicht noch niemals die Abbildung eines Embryo gesehen haben, habe ich umstehend eine solche von einem Menschen und eine andere vom Hunde von ungefähr derselben Entwicklungsstufe gegeben, beide Copien nach zwei Werken von zweifelloser Genauigkeit.Der menschliche Embryo (obere Figur) ist nach Ecker, Icones physiol., 1851-1859, Tab. XXX. Fig. 2. Dieser Embryo war zehn Linien lang, so daß die Zeichnung sehr vergrößert ist. Der Hundeembryo ist nach Bischoff, Entwicklungsgeschichte des Hunde-Eies. 1845. Taf. XI, Fig. 42 B. Diese Zeichnung ist fünfmal vergrößert; der Embryo war 25 Tage alt. Die inneren Eingeweide sind weggelassen und die Uterinanhänge in beiden Figuren entfernt worden. Mich führte Prof. Huxley auf diese Abbildungen, dessen Werke »Stellung des Menschen in der Natur« die Idee, sie hier zu geben, entnommen ist. Auch Haeckel hat analoge Figuren in seiner Schöpfungsgeschichte gegeben.
Nach den vorstehenden, auf Grund so bedeutender Autoritäten mitgetheilten Angaben würde es meinerseits überflüssig sein, noch eine Anzahl weiterer entlehnter Einzelheiten zu geben, um zu zeigen, daß der Embryo des Menschen streng dem anderer Säugethiere gleicht. Es mag indeß noch hinzugefügt werden, daß der menschliche Embryo in verschiedenen Punkten seiner Bildung gleichfalls gewissen niederen Formen in deren erwachsenem Zustande ähnlich ist. So ist z. B. das Herz zuerst einfach ein pulsierendes Gefäß, die Excremente werden durch eine Kloake entleert, und das Schwanzbein springt wie ein wahrer Schwanz vor, indem es sich beträchtlich »jenseits der rudimentären Beine« verlängert.Prof. Wyman, in: Proceed. Americ. Acad. of Sciences. Vol. IV. 1860, p. 17. Bei den Embryonen aller luftathmenden Wirbelthiere entsprechen gewisse Drüsen, die sogenannten Wolffschen Körper, den Nieren erwachsener Fische und fungieren auch wie diese.Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. I, p. 533. Selbst in einer späteren embryonalen Periode lassen sich einige auffallende Übereinstimmungen zwischen dem Menschen und den niederen Thieren beobachten. Bischoff sagt, daß die Gehirnwindungen eines menschlichen Foetus vom Ende des siebenten Monats ungefähr die Entwicklungsstufe erreichen, welche ein erwachsener Pavian zeigt.Die Großhirnwindungen des Menschen. 1868, p. 95. Wie Professor Owen bemerkt,Anatomy of Vertebrates. Vol. II, p. 553. »ist die große Zehe, welche beim Stehen oder Gehen den Stützpunkt bildet, vielleicht die charakteristischste Eigenthümlichkeit des menschlichen Bau's«. Aber bei einem Embryo von ungefähr einem Zoll Länge fand Professor Wymanen,Proceed. Soc. Nat. Hist, Boston, 1863. Vol. IX, p. 185. »daß die große Zehe kürzer als die anderen und, statt diesen parallel zu sein, unter einem Winkel von dem Fußrande vorsprang und daher mit dem bleibenden Zustande dieses Theils bei den Affen übereinstimmte.« Ich will mit der Anführung einer Stelle von Huxley schließen,Die Stellung des Menschen in der Natur, p. 74. welcher fragt, ob der Mensch in einer vom Hund, Vogel, Frosch oder Fisch verschiedenen Weise entstehe, und dann sagt: »die Antwort kann nicht einen Augenblick zweifelhaft sein, die Ursprungsweise und die frühen Entwicklungsstufen des Menschen sind mit denen der in dem Thierreiche unmittelbar unter ihm stehenden Formen identisch. Ohne allen Zweifel steht er in diesen Beziehungen den Affen viel näher, als die Affen dem Hunde stehen.«
Rudimente. – Obgleich dieser Gegenstand nicht von wesentlich größerer Bedeutung ist als die beiden letzterwähnten, so soll er doch aus mehreren Gründen hier mit größerer Ausführlichkeit behandelt werden.Ich hatte eine Skizze dieses Capitels bereits niedergeschrieben, ehe ich eine werthvolle Abhandlung von G. Canestrini gelesen hatte, welcher ich viel zu verdanken habe: Caratteri rudimentali in ordine all' origine del uomo, in: Annuario della Soc. d. Nat. Modena, 1867, p. 81. Haeckel hat ganz vorzügliche Erörterungen über diesen ganzen Gegenstand unter dem Titel Dysteleologie in seiner »Generellen Morphologie« und seiner »Schöpfungsgeschichte« angestellt. Es läßt sich nicht eines der höheren Thiere anführen, welches nicht irgend einen Theil in einem rudimentären Zustande besäße, und der Mensch bietet keine Ausnahme von dieser Regel dar. Rudimentäre Organe müssen von solchen unterschieden werden, welche auf dem Wege der Bildung sind, obschon in manchen Fällen die Unterscheidung nicht leicht ist. Die ersteren sind entweder absolut nutzlos, wie die Zitzen der männlichen Säugethiere oder die oberen Schneidezähne von Wiederkäuern, welche niemals das Zahnfleisch durchschneiden, oder sie sind von so untergeordnetem Nutzen für ihren jetzigen Besitzer, daß wir nicht annehmen können, sie hätten sich unter den jetzt existierenden Bedingungen entwickelt. Organe in diesem letzteren Zustand sind nicht streng genommen rudimentär, sie neigen aber nach dieser Richtung hin. Andererseits sind in der Bildung begriffene Organe, wenn auch noch nicht völlig entwickelt, für ihre Besitzer von großem Nutzen und weiterer Entwicklung fähig. Rudimentäre Organe sind äußerst variabel, und dies läßt sich zum Theil daraus verstehen, daß sie nutzlos oder nahezu nutzlos sind und in Folge dessen nicht länger mehr der natürlichen Zuchtwahl unterliegen. Sie werden oft vollständig unterdrückt. Wenn dies eintritt, können sie nichtsdestoweniger gelegentlich durch Rückschlag wiedererscheinen, und dies ist ein der Aufmerksamkeit wohl werther Umstand.
Nichtgebrauch während derjenigen Lebensperiode, in welcher ein Organ sonst hauptsächlich gebraucht wird, und dies ist meist während der Reifezeit der Fall, in Verbindung mit Vererbung auf einem entsprechenden Lebensalter scheinen die hauptsächlichsten Ursachen gewesen zu sein, welche das Rudimentärwerden der Organe veranlaßten. Der Ausdruck »Nichtgebrauch« bezieht sich nicht bloß auf die verringerte Thätigkeit der Muskeln, sondern umfaßt auch einen verminderten Zufluß von Blut nach einem Theile oder Organe hin; entweder weil dasselbe weniger Änderungen des Druckes ausgesetzt ist, oder weil es in irgendwelcher Weise weniger gewohnheitsgemäß thätig ist. Es können indessen Rudimente von Theilen in dem einen Geschlecht auftreten, welche im anderen Geschlecht normal vorhanden sind; und solche Rudimente sind, wie wir später sehen werden, oft in einer von der oben erwähnten verschiedenen Art entstanden. In manchen Fällen sind Organe durch natürliche Zuchtwahl verkümmert, weil sie der Art unter einer veränderten Lebensweise nachtheilig geworden sind. Der Prozeß der Verkümmerung wird wahrscheinlich oft durch die beiden Principe der Compensation und Ökonomie des Wachsthums unterstützt; aber die letzten Stufen der Verkümmerung. – wenn nämlich der Nichtgebrauch Alles, was ihm einigermaßen zugeschrieben werden kann, vollbracht hat, und sobald die durch die Ökonomie des Wachsthums bewirkte Ersparnis sehr klein sein würdeEinige gute kritische Bemerkungen über diesen Gegenstand haben Murie und Mivart gegeben, in: Transact. Zool. Soc. Vol. VII, p. 92. –, sind nur schwer zu erklären. Die endliche und vollständige Unterdrückung eines Theils, welcher bereits nutzlos und in der Größe sehr verkümmert ist, in welchem Falle weder Compensation noch Ökonomie des Wachsthums in's Spiel kommen können, läßt sich vielleicht mit Hülfe der Hypothese der Pangenesis verstehen und, wie es scheint, auf keine andere Weise. Da indeß der ganze Gegenstand der rudimentären Organe in meinen früheren WerkenVariiren der Thiere und Pflanzen im Zustande der Domestication. 2. Aufl. Bd. II, p. 359 und 450. s. auch Entstehung der Arten. 7. (deutsche) Aufl. p. 523. ausführlich erläutert und erörtert worden ist, brauche ich hier über dieses Capitel nichts mehr zu sagen.
In vielen Theilen des menschlichen Körpers hat man Rudimente verschiedener Muskeln beobachtet;So giebt z. B. Richard (Annal. d. scienc. natur. 3. Ser. Zool. T. XVIII, p. 13) Beschreibung und Abbildung von Rudimenten des von ihm so genannten »muscle pédieux de la main«, welcher, wie er sagt, zuweilen »infiniment petit« sei. Ein anderer, »Tibial postérieur« genannter Muskel ist meist an der Hand gar nicht vorhanden, erscheint aber von Zeit zu Zeit in einem mehr oder weniger rudimentären Zustande. und nicht wenige Muskeln, welche in manchen niederen Thieren regelmäßig vorhanden sind, können gelegentlich beim Menschen in einer beträchtlich verkümmerten Form nachgewiesen werden. Jedermann muß die Kraft beobachtet haben, mit welcher viele Thiere, besonders Pferde, ihre Haut bewegen oder erzittern machen, und dies wird durch den Panniculus carnosus bewirkt. Überbleibsel dieses Muskels in einem noch wirkungsfähigen Zustande werden an verschiedenen Theilen unseres Körpers gefunden, z. B. an der Stirn, wo sie die Augenbrauen erheben. Das Platysma myoides, welches am Halse entwickelt ist, gehört zu diesem System, kann aber nicht willkürlich in Thätigkeit gebracht werden. Wie mir Professor Turner von Edinburgh mittheilt, hat er gelegentlich Muskelfasern an fünf verschiedenen Stellen entdeckt, nämlich in den Achselhöhlen, in der Nähe der Schulterblätter u. s. w., welche alle auf das System des großen Hautmuskels bezogen werden müssen. Er hat auch gezeigt,Prof. W. Turner, Proc. Roy. Soc. Edinburgh, 1866-67, p. 65. daß der Musculus sternalis oder »sternalis brutorum«, welcher nicht etwa eine Verlängerung des Rectus abdominis, sondern eng mit dem Panniculus verwandt ist, in dem Verhältnis von ungefähr 3 % unter mehr als 600 Leichnamen vorkam. Er fügte hinzu, daß dieser Muskel »eine vorzügliche Erläuterung der Angabe darbiete, daß gelegentlich auftretende und rudimentäre Bildungen besonders einer Abänderung in der Anordnung ausgesetzt sind.«
Einige wenige Personen haben die Fähigkeit, die oberflächlichen Muskeln ihrer Kopfhaut zusammenzuziehen, und diese Muskeln befinden sich in einem variabeln und zum Theil rudimentären Zustand. Herr A. de Candolle hat mir ein merkwürdiges Beispiel des lange erhaltenen Bestehens oder der langen Vererbung dieser Fähigkeit, ebenso wie ihrer ungewöhnlichen Entwicklung mitgetheilt. Er kennt eine Familie, von welcher ein Glied (das gegenwärtige Haupt der Familie), als junger Mann schwere Bücher von seinem Kopfe schleudern konnte, allein durch die Bewegung seiner Kopfhaut, und er gewann durch Ausführung dieses Kunststücks Wetten. Sein Vater, Onkel, Großvater und alle seine drei Kinder besitzen dieselbe Fähigkeit in demselben ungewöhnlichen Grade. Vor acht Generationen wurde diese Familie in zwei Zweige getheilt, so daß das Haupt des oben genannten Zweigs Vetter im siebenten Grade zu dem Haupte des andern Zweigs ist. Dieser entfernte Verwandte wohnt in einem anderen Theile von Frankreich; und als er gefragt wurde, ob er diese selbe Fertigkeit besäße, producierte er sofort seine Kraft. Dieser Fall bietet eine nette Erläuterung dafür dar, wie zäh eine absolut nutzlose Fähigkeit überliefert werden kann, welche wahrscheinlich von unsern alten halbmenschlichen Vorfahren herrührt; viele Affen haben nämlich das Vermögen, und benutzen es auch, ihre Kopfhaut stark vor- und rückwärts zu bewegen.s. meine Schrift: »Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei Menschen und Thieren.« 4. Aufl. 1884, p. 124.
Die äußeren Muskeln, welche dazu dienen, das ganze äußere Ohr zu bewegen, und die inneren Muskeln, welche dessen verschiedene Theile bewegen, finden sich bei dem Menschen in einem rudimentären Zustande und sie gehören sämmtlich zum System des Panniculus; sie sind auch in ihrer Entwicklung, oder wenigstens in ihren Functionen, variabel. Ich habe einen Mann gesehen, welcher das ganze Ohr vorwärts ziehen konnte; andere können es nach oben ziehen; ein anderer konnte es rückwärts bewegen;Canestrini citiert für ähnliche Thatsachen Hyrtl, (Anuario della Soc. dei Natural. Modena, 1867, p. 97). und nach dem, was mir eine dieser Personen sagt, ist es wahrscheinlich, daß die Meisten von uns dadurch, daß wir oft unsere Ohren berühren und hierdurch unsere Aufmerksamkeit auf sie lenken, nach wiederholten Versuchen etwas Bewegungskraft wiedererlangen könnten. Die Fähigkeit, die Ohren aufzurichten und sie nach verschiedenen Richtungen hinzuwenden, ist ohne Zweifel für viele Thiere von dem höchsten Nutzen, da diese hierdurch den Ort der Gefahr erkennen; ich habe aber nie auf zuverlässige Autorität hin von einem Menschen gehört, welcher auch nur die geringste Fähigkeit, die Ohren in dieser Weise zu richten, besessen hätte, die einzige Bewegung, welche für ihn von Nutzen sein könnte. Die ganze äußere Ohrmuschel kann man als Rudiment betrachten, zusammen mit den verschiedenen Falten und Vorsprüngen (Helix und Antihelix, Tragus und Antitragus u. s. w.), welche bei den niederen Thieren das Öhr kräftigen und stützen, wenn es aufgerichtet ist, ohne sein Gewicht sehr zu vermehren. Manche Autoren vermuthen indeß, daß der Knorpel der Ohrmuschel dazu dient, die Schallschwingungen dem Hörnerven zu übermitteln. Mr. Toynbee kommt aber,The Diseases of the Ear by J. Toynbee. London, 1860, p. 12. Ein angesehener Physiolog, Prof. Preyer, theilt mir mit, daß er in neuerer Zeit Versuche über die Functionen der Ohrmuschel angestellt habe und ziemlich zu demselben Resultate gekommen sei, wie das oben erwähnte. nachdem er alle bekannten Erfahrungen über diesen Punkt gesammelt hat, zu dem Schluß, daß die äußere Ohrmuschel von keinem bestimmten Nutzen ist. Die Ohren des Schimpanse und Orang sind denen des Menschen merkwürdig ähnlich, auch sind die Ohrmuskeln gleichfalls nur sehr gering entwickelt,Prof. A. Macalister, Annals and Mag. of Nat. Hist. Vol. VII. 1871. p. 342. und mir haben die Wärter in den zoologischen Gärten versichert, daß diese Thiere sie nie bewegen oder aufrichten, so daß also diese Organe in einem gleichermaßen rudimentären Zustande sind, was die Function betrifft, wie beim Menschen. Warum diese Thiere, ebenso wie die Voreltern des Menschen, die Fähigkeit, ihre Ohren aufzurichten, verloren haben, können wir nicht sagen. Es könnte sein, doch befriedigt mich diese Ansicht nicht völlig, daß sie in Folge ihres Lebens auf Bäumen und wegen ihrer großen Kraft nur wenigen Gefahren ausgesetzt waren und deshalb während einer langen Zeit ihre Ohren nur wenig bewegt und dadurch allmählich das Vermögen, sie zu bewegen, verloren haben. Dies würde ein paralleler Fall mit dem jener großen und schweren Vögel sein, welche das Vermögen, ihre Flügel zum Fluge zu gebrauchen in Folge des Umstandes verloren haben, daß sie oceanische Inseln bewohnen und daher den Angriffen von Raubthieren nicht ausgesetzt gewesen sind. Die Unfähigkeit des Menschen und mehrerer Affen, die Ohren zu bewegen, wird indessen zum Theil dadurch ausgeglichen, daß sie den Kopf sehr frei in einer horizontalen Ebene bewegen und somit Laute aus allen Richtungen her auffangen können. Es ist behauptet worden, daß nur das Ohr des Menschen ein Läppchen besitze; »ein Rudiment ist aber beim Gorilla zu finden«Mr. St. George Mivart, Elementary Anatomy, 1873, p. 396. und wie ich von Prof. Preyer höre, fehlt es nicht selten beim Neger.
Der berühmte Bildhauer Mr. Woolner macht mich auf eine kleine Eigentümlichkeit am äußeren Ohre aufmerksam, welche er oft sowohl bei Männern wie bei Frauen beobachtet und deren volle Bedeutung er erfaßt hat. Seine Aufmerksamkeit wurde zuerst auf den Gegenstand gerichtet, als er seine Statue des »Puck« arbeitete, welchem er spitze Ohren gegeben hatte. Er wurde hierdurch dazu veranlaßt, die Ohren verschiedener Affen und später noch sorgfältiger die des Menschen zu untersuchen. Die Eigentümlichkeit besteht in einem kleinen stumpfen, von dem inneren Rande der äußeren Falte oder des Helix vorspringenden Punkte. Wenn er vorhanden ist, ist er bei der Geburt schon entwickelt und findet sich, nach Prof. Ludwig Meyer, häufiger beim Manne, als bei der Frau. Mr. Woolner hat ein sorgfältiges Modell eines solchen Falles gemacht und mir die vorstehende Zeichnung (Fig. 2) geschickt. Dieser Punkt springt nicht bloß nach innen nach dem Mittelpunkte des Ohres hin, sondern oft etwas nach außen von der Ebene des Ohres vor, so daß er sichtbar wird, wenn der Kopf direct von vorn oder von hinten betrachtet wird. Er ist in der Größe und auch etwas in der Stellung variabel, indem er entweder etwas höher oder tiefer steht; zuweilen kommt er auch nur an dem einen Ohre und nicht gleichzeitig am andern vor. Sein Vorkommen ist nicht auf den Menschen beschränkt; ich beobachtete einen Fall bei einem Ateles beelzebuth im zoologischen Garten; und Dr. E. Ray Lankester theilt mir einen anderen Fall von einem Schimpanse im Hamburger zoologischen Garten mit. Der Helix besteht offenbar aus dem nach innen gefalteten äußeren Rande des Ohrs, und diese Faltung scheint in irgend einer Weise damit zusammenzuhängen, daß das ganze äußere Ohr beständig nach rückwärts gedrückt wird. Bei vielen Affen, welche nicht hoch in der ganzen Ordnung stehen, wie bei den Pavianen und manchen Arten von Macacus,s. auch die Bemerkungen und die Abbildungen der Lemuridenohren in der vortrefflichen Abhandlung von Murie und Mivart in den Transact. Zool. Soc. Vol. VII. 1869, p. 6 und 90. ist der obere Theil des Ohrs leicht zugespitzt und der Rand ist durchaus nicht nach innen gefaltet. Wäre aber der Rand in dieser Weise gefaltet worden, so würde nothwendig eine kleine Spitze nach innen und wahrscheinlich auch etwas nach außen von der Ebene des Ohrs vorspringen; und so ist eine solche auch, wie ich glaube, in vielen Fällen entstanden. Andererseits behauptet Prof. L. Meyer in einem vor kurzem veröffentlichten guten Aufsatze,Über das Darwinsche Spitzohr in: Archiv für path. Anat. und Phys. 1871, p. 485. daß das Ganze bloß ein Fall von Variabilität sei, und daß die Vorsprünge nicht wirklich solche seien, sondern nur daher rührten, daß der innere Knorpel zu jeder Seite der Spitze nicht vollständig entwickelt sei. Ich bin völlig bereit zuzugeben, daß dies für viele Fälle, so für die von Prof. Meyer abgebildeten, wo mehrere sehr kleine Spitzen sich fanden oder wo der ganze Rand buchtig ist, die richtige Erklärung ist. Ich selbst habe durch die Gefälligkeit des Dr. L. Down das Ohr eines mikrocephalen Idioten sehen können, bei dem sich an der Außenseite des Helix und nicht an dem nach innen gefalteten Rande ein Vorsprung befand; die Spitze kann daher in diesem Falle in keiner Beziehung zu einer frühern Ohrspitze stehen. Nichtsdestoweniger scheint mir meine ursprüngliche Ansicht, daß diese Vorsprünge Überreste der Spitzen früher aufgerichteter und zugespitzter Ohren seien, noch immer die wahrscheinlich richtige zu sein. Ich glaube dies wegen der Häufigkeit des Vorkommens derselben und wegen der allgemeinen Übereinstimmung ihrer Stellung mit der der Spitze eines zugespitzten Ohrs. In einem Falle, von dem mir eine Photographie zugesandt wurde, ist der Vorsprung so groß, daß, wenn man im Einklänge mit Prof. Meyer's Ansicht annehmen wollte, das Ohr würde durch die gleichmäßige Entwicklung des Knorpels, entlang der ganzen Ausdehnung des Randes vollständig werden, dieser ein ganzes Drittel des Ohres bedecken würde. Zwei Fälle sind mir mitgetheilt worden, einer von Nord-Amerika und einer von England, bei denen der obere Rand gar nicht nach innen gefaltet, sondern zugespitzt war, so daß er im Umrisse dem zugespitzten Ohre eines gewöhnlichen Säugethieres sehr ähnlich war. In einem dieser Fälle, dem eines kleinen Kindes, verglich der Vater das Ohr mit der Zeichnung eines Affenohrs, des Ohrs vom Cynopithecus niger, die ich mitgetheilt habe,Ausdruck der Gemüthsbewegungen. 4. Aufl. 1884, p. 118. und meinte, daß beider Umrisse einander sehr ähnlich seien. Wenn in diesen beiden Fällen der Rand in der normalen Weise nach innen gefaltet worden wäre, so hätte sich ein Vorsprung nach innen bilden müssen. Ich will noch hinzufügen, daß in zwei andern Fällen der Umriß nach innen etwas zugespitzt blieb, obschon der Rand des obern Theils des Ohrs völlig normal, in einem Falle freilich sehr schmal, nach innen gefaltet war.
Der vorstehende Holzschnitt (Fig. 3) ist eine sorgfältig gefertigte Copie einer Photographie eines Orang-Foetus (die mir freundlichst von Dr. Nitsche zugesandt wurde), an welcher zu sehen ist, wie verschieden der zugespitzte Umriß des Ohres in dieser Periode von dessen Form im erwachsenen Zustande ist, wo es eine große allgemeine Ähnlichkeit mit dem des Menschen hat. Ganz offenbar wird das Herunterfalten der Spitze eines solchen Ohres, wenn es sich nicht während seiner weitern Entwicklung noch bedeutend verändert, einen nach innen vorspringenden Fortsatz entstehen lassen. Es scheint mir daher im Ganzen noch immer wahrscheinlich, daß die in Rede stehenden Vorsprünge in manchen Fällen, sowohl beim Menschen als bei Affen, Überbleibsel eines früheren Zustandes sind.
Die Nickhaut, oder das dritte Augenlid, mit ihren accessorischen Muskeln und anderen Gebilden ist besonders wohl entwickelt bei den Vögeln und ist für diese von großer functioneller Bedeutung, da sie sehr schnell über den ganzen Augapfel gezogen werden kann. Sie findet sich auch bei manchen Reptilien und Amphibien und bei gewissen Fischen, wie z. B. bei Haifischen. Sie ist ziemlich gut entwickelt in den beiden unteren Abtheilungen der Säugethiere, nämlich bei den Monotremen und Marsupialien und in einigen wenigen unter den höheren Säugethieren, wie beim Walroß. Beim Menschen und den Quadrumanen dagegen, wie bei den meisten übrigen Säugethieren existiert sie, wie alle Anatomen annehmen, nur als ein bloßes Rudiment, als die sogenannte halbmondförmige Falte.J. Müller, Handbuch der Physiologie. 4. Aufl. Bd. 2, p. 312. Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 260; derselbe über das Walroß: Proceed. Zool. Soc. 8. Novbr. 1854. s. auch R. Knox, Great Artists and Anatomists, p. 106. Dies Rudiment ist, wie es scheint, bei Negern und Australiern etwas größer als bei Europäern. s. C. Vogt, Vorlesungen über den Menschen. Bd. I, p. 162.
Der Geruchssinn ist für die größere Zahl der Säugethiere von der höchsten Wichtigkeit, für einige, wie die Wiederkäuer, dadurch, daß er dieselben vor Gefahren warnt, für andere, wie die Carnivoren, daß er sie die Beute finden läßt, für noch andere, wie den wilden Eber, zu beiden Zwecken. Der Geruchssinn ist aber von äußerst untergeordnetem Nutzen, wenn überhaupt von irgendwelchem, selbst für die dunkelfarbigen Rassen, bei denen er allgemein noch höher entwickelt ist als bei den civilisierten Rassen;Sehr bekannt und auch von Andern bestätigt ist der Bericht, den Al. von Humboldt von dem Geruchsvermögen der Eingeborenen von Süd-Amerika giebt. Houzeau behauptet (Études sur les Facultés Mentales etc. Tom. I. 1872, p. 91), wiederholt Versuche angestellt und constatiert zu haben, daß Neger und Indianer im Dunkeln Personen an ihrem Geruche erkennen können. Dr. W. Ogle hat einige merkwürdige Beobachtungen über den Zusammenhang des Riechvermögens mit dem Farbstoff der Schleimhaut des riechenden Theils der Nasenhöhle ebenso wie der Körperhaut gemacht. Ich habe daher im Texte von den dunkelfarbigen Rassen als von den mit feinerem Geruchssinn, als die Weißen, begabten gesprochen. s. Ogle's Aufsatz in: Medico-chirurgical Transactions, London. Vol. LIII. 1870, p. 276. doch warnt er sie weder vor Gefahren, noch leitet er sie zur Nahrung; auch verhindert er nicht, daß die Eskimos in der übelriechendsten Atmosphäre schlafen, oder daß viele Wilde halbfaules Fleisch essen. Bei Europäern ist das Geruchsvermögen bei verschiedenen Individuen sehr verschieden, wie mir ein ausgezeichneter Naturforscher versichert hat, bei dem dieser Sinn sehr hoch entwickelt ist und der dem Gegenstande seine Aufmerksamkeit zugewandt hat. Wer an das Princip einer stufenweisen Entwicklung glaubt, wird nicht leicht zugeben, daß dieser Sinn in seinem jetzigen Zustande ursprünglich vom Menschen, wie er jetzt existiert, erlangt wurde. Er erbte die Fähigkeit in einem abgeschwächten und insofern rudimentären Zustande von irgend einem früheren Vorfahren, dem sie äußerst nutzbar war und von dem sie beständig gebraucht wurde. Bei den Thieren, welche diesen Sinn in hoher Entwicklung besitzen, wie bei Hunden und Pferden, ist die Erinnerung an Personen und Orte entschieden mit ihrem Geruche vergesellschaftet; und es läßt sich vielleicht hierdurch verstehen, woher es kommt, daß, wie Dr. Maudsley richtig bemerkt hat,The Physiology and Pathology of Mind. 2. Edit. 1868, p. 134. der Geruchssinn beim Menschen »in einer merkwürdig wirksamen Weise Ideen und Bilder bereits vergessener Scenen und Orte wieder erweckt«.
Der Mensch weicht auffallend von allen übrigen Primaten darin ab, daß er fast nackt ist. Doch finden sich wenige kurze steife Haare über den größeren Theil des Körpers beim männlichen Geschlecht und feine dunenartige an dem des weiblichen. Die verschiedenen Rassen weichen sehr in dem Behaartsein von einander ab; bei Individuen, welche zu derselben Rasse gehören, sind die Haare äußerst variabel, nicht bloß in der Menge, sondern auch in der Stellung. So sind bei manchen Europäern die Schultern völlig nackt, während sie bei anderen dicke Haarbüschel tragen.Eschricht, Über die Richtung der Haare am menschlichen Körper, in: Müller's Archiv für Anat. und Phys. 1837, p. 47. Ich werde mich oft auf diese sehr interessante Arbeit zu beziehen haben. Es läßt sich wohl kaum bezweifeln, daß die in dieser Weise über den Körper zerstreuten Haare die Überbleibsel des gleichförmigen Haarkleids der niederen Thiere sind. Diese Ansicht wird dadurch um so wahrscheinlicher, daß, wie bekannt ist, feine, kurze und hellgefärbte Haare an den Gliedmaßen und anderen Theilen des Körpers sich gelegentlich zu dicht stehenden langen und im Ganzen groben dunklen Haaren entwickeln, wenn sie in der Nähe alter, entzündeter Oberflächen abnorm ernährt werden.Paget, Lectures on Surgical Pathology. 1853. Vol. I, p. 71.
Sir James Paget theilt mir mit, daß Personen, welche zu einer und derselben Familie gehören, oft in ihren Augenbrauen einzelne wenige Haare haben, die viel länger als die übrigen sind, so daß diese unbedeutende Eigentümlichkeit vererbt zu werden scheint. Auch diese Haare scheinen ihre Repräsentanten zu haben; denn an einem jungen Schimpanse, und bei gewissen Arten von Macacus, finden sich zerstreut stehende, beträchtlich lange Haare auf der nackten Haut oberhalb der Augen, die unsern Augenbrauen entsprechen; ähnliche lange Haare springen aus der Haarbekleidung der Augenbrauenleisten bei manchen Pavianen vor.
Das feine, wollähnliche Haar oder der sogenannte Lanugo, mit welchem der menschliche Foetus während des sechsten Monats dicht bedeckt ist, bietet einen noch merkwürdigeren Fall dar. Er entwickelt sich zuerst während des fünften Monats an den Augenbrauen und dem Gesicht und besonders um den Mund, wo er viel länger als auf dem Kopfe ist. Ein Schnurrbart dieser Art wurde von EschrichtEschricht, Über die Richtung der Haare am menschlichen Körper, in: Müller's Archiv für Anat. und Phys. 1837, p. 40, 47. an einem weiblichen Foetus beobachtet. Doch ist dies kein so auffallender Umstand, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag; denn die beiden Geschlechter gleichen einander in allen äußeren Merkmalen während der früheren Wachsthumsperioden sehr. Die Richtung und Anordnung der Haare auf allen Theilen des Embryonalkörpers sind dieselben wie beim erwachsenen Körper, unterliegen aber bedeutender Variabilität. So ist die ganze Oberfläche, selbst mit Einschluß der Stirn und der Ohren, dicht bekleidet; es ist aber eine bezeichnende Thatsache, daß die Handflächen und Fußsohlen völlig nackt sind, wie es die unteren Flächen aller vier Extremitäten der niederen Thiere sind. Da dies kaum eine zufällige Übereinstimmung sein kann, so stellt die wollige Bedeckung des Foetus wahrscheinlich das erste bleibende Haarkleid derjenigen Säugethiere dar, welche behaart geboren werden. Es sind Berichte von drei oder vier Fällen veröffentlicht worden, wo Personen über ihren ganzen Körper und das Gesicht dicht mit feinem langen Haar bedeckt geboren waren; und dieser merkwürdige Zustand wird streng vererbt und steht mit einer abnormen Entwicklung der Zähne in Correlation.s. mein »Variiren der Thiere u. Pflanzen im Zustande der Domestication« 2. Aufl. Bd. II, p. 373. Prof. Alex. Brandt hat mir vor Kurzem einen weitern Fall mitgetheilt von einem Vater und Sohn, die in Rußland mit denselben Eigenthümlichkeiten geboren wurden. Ich habe Zeichnungen von beiden aus Paris erhalten. Prof. Alex. Brandt hat, wie er mir mittheilt, das Haar vom Gesicht eines in dieser Weise ausgezeichneten, fünfunddreißigjährigen Menschen mit dem Lanugo eines Foetus verglichen und beides in der Textur völlig ähnlich gefunden; er bemerkt dazu, daß deshalb der Fall wohl einer Entwicklungshemmung des Haares in Verbindung mit einem fortbestehenden Wachsthum zugeschrieben werden könne. Wie mir ein Arzt an einem Kinderhospital versichert hat, ist der Rücken vieler zarten Kinder mit langem seidenartigem Haar bedeckt, welche Fälle wahrscheinlich in dieselbe Categorie gehören.
Es scheint, als wenn der hinterste Backzahn, der sogenannte Weisheitszahn, bei den civilisierten Menschenrassen rudimentär zu werden strebte. Diese Zähne sind meistens kleiner als die anderen Backzähne, wie es gleichfalls mit den entsprechenden Zähnen beim Schimpanse und Orang der Fall ist; auch haben sie nur zwei getrennte Wurzeln. Sie durchbrechen das Zahnfleisch nicht eher als im siebzehnten Jahre ungefähr, und man hat mir versichert, daß sie viel mehr der Zerstörung ausgesetzt sind und früher verloren werden, als die anderen Zähne; doch widersprechen dem ausgezeichnete Zahnärzte. Auch sind sie viel mehr, sowohl in ihrer Bildung, als in der Zeit ihrer Entwicklung, zu variieren geneigt als die anderen Zähne.Dr. Webb, Teeth in Man and the Anthropoid Apes. Citiert von C. Carter Blake in Anthropolog. Review, July, 1867, p. 299. Bei den schwarzen Rassen sind dagegen die Weisheitszähne gewöhnlich mit drei getrennten Wurzeln versehen und meist gesund; auch weichen sie von den anderen Backzähnen weniger in der Größe ab, als bei den kaukasischen Rassen.Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 320, 321, 325. Professor Schaaffhausen erklärt diese Verschiedenheit zwischen den Rassen dadurch, daß »der hintere zahntragende Abschnitt der Kiefer« bei den civilisierten RassenÜber die primitive Form des Schädels. Übers. in Anthropolog. Review. Oct. 1868, p. 426. »immer verkürzt« ist; und ich meine, diese Verkürzung kann man ruhig dem Umstande zuschreiben, daß civilisierte Menschen sich gewöhnlich von weichen, gekochten Speisen ernähren und daher ihre Kinnladen weniger gebrauchen. Mr. Brace theilt mir mit, daß es in den Vereinigten Staaten eine durchaus gewöhnliche Operation werde, bei Kindern einige Backzähne zu entfernen, da die Kinnladen nicht groß genug wachsen für die vollständige Entwicklung der normalen Zahl.Prof. Mantegazza schreibt mir aus Florenz, daß er neuerdings den letzten Backzahn bei den verschiedenen Menschenrassen untersucht habe und zu dem gleichen Resultate, wie das im Texte mitgetheilte, gekommen sei, daß er nämlich bei den höheren oder civilisierten Rassen auf dem Wege der Atrophie oder Elimination sei.
In Bezug auf den Verdauungscanal ist mir nur ein einziges Beispiel von einem Rudimente vorgekommen, nämlich der wurmförmige Anhang des Blinddarms. Der Blinddarm ist eine Abzweigung oder ein Divertikel des Darms, welcher mit einem Blindsack endigt, und bei vielen niedrigeren pflanzenfressenden Säugethieren ist er außerordentlich lang, bei dem marsupialen Koala ist er factisch über dreimal so lang wie der ganze Körper.Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 416, 434, 441. Zuweilen ist er in einen langen, sich allmählich zuspitzenden Fortsatz ausgezogen und zuweilen in Abtheilungen abgeschnürt. Es scheint, als wenn in Folge veränderter Ernährung oder Lebensweise der Blindsack bei verschiedenen Thieren sehr verkürzt worden sei, wo dann der wurmförmige Anhang als Rudiment des verkürzten Theils übrig blieb. Daß dieser Anhang ein Rudiment ist, können wir aus seiner unbedeutenden Größe und aus den Beweisen für seine Veränderlichkeit beim Menschen schließen, welche Professor CanestriniAnnuario della Soc. dei Natur. Modena, 1867, p. 94. gesammelt hat. Er fehlt gelegentlich vollständig oder ist wiederum bedeutend entwickelt; seine Höhle ist zuweilen vollständig für die Hälfte oder zwei Drittel seiner Länge verschlossen, wobei dann der Endtheil aus einer abgeplatteten, soliden Ausbreitung besteht. Beim Orang ist dieser Anhang lang und gewunden; beim Menschen entspringt er vom Ende des kurzen Blinddarms und ist gewöhnlich 4-5 Zoll lang, während er nur ein Drittel Zoll im Durchmesser hat. Er ist nicht bloß nutzlos, sondern wird zuweilen Todesursache, von welcher Thatsache mir vor Kurzem zwei Fälle bekannt geworden sind. Es rührt dies daher, daß kleine, harte Körper in den Canal eindringen und dadurch Entzündung verursachen.Ch. Martins (De l'unité organique, in: Revue des Deux Mondes. 15 Juin, 1862, p. 16) und Haeckel (Generelle Morphologie. Bd. II, p. 278) haben beide bemerkt, daß dies eigenthümliche Rudiment zuweilen den Tod verursacht.
Bei einigen niederen Vierhändern, bei den Lemuriden und bei den Carnivoren, ebenso bei vielen Beutelthieren findet sich in der Nähe des unteren Endes des Oberarmbeins ein Canal, das sogenannte supracondyloide Loch, durch welches der große Nerv der vorderen Gliedmaßen und zuweilen auch die große Arterie hindurchtritt. Nun findet sich am Oberarmbein des Menschen gewöhnlich eine Spur dieses Canals; zuweilen ist er aber ziemlich vollständig entwickelt, indem er von einem überhängenden hakenförmigen Knochenfortsatze gebildet wird, der sich dann durch einen Bandstreifen zu einem Loche vervollständigt. Dr. Struthees,In Bezug auf die Vererbung s. Dr. Struthees in der »Lancet«, Febr. 15., 1873, und einen andern wichtigen Aufsatz, ebenda Jan. 24., 1863, p. 83. Dr. Knox war, wie mir gesagt wurde, der erste Anatom, der die Aufmerksamkeit auf dieses eigenthümliche Gebilde beim Menschen lenkte; s. seine Great Artists and Anatomists, p. 63; s. auch einen wichtigen Aufsatz über diesen Fortsatz von Gruber im Bulletin de l'Acad. Imp. de St. Pétersbourg. Tom. XII, 1867, p. 448. welcher sorgfältig auf den Gegenstand geachtet hat, hat jetzt gezeigt, daß diese Eigenthümlichkeit zuweilen vererbt wird, da sie bei einem Vater und unter sieben seiner Kinder bei nicht weniger als vieren vorgekommen ist. Ist der Canal vorhanden, so tritt unveränderlich der große Armnerv durch ihn hindurch, und dies beweist deutlich, daß er das Homologon und Rudiment des supracondyloiden Lochs der niederen Säugethiere ist. Nach einer Schätzung von Professor Turner kommt er, wie mir derselbe mittheilte, an ungefähr einem Procent frischer Skelette vor. Wenn aber die gelegentliche Entwicklung dieser Bildung beim Menschen, wie es als wahrscheinlich erscheint, Folge eines Rückschlags ist, so ist sie ein Rückschlag auf einen sehr alten Zustand der Dinge, da sie bei den höhern Vierhändern fehlt.
Es findet sich am Oberarmbein noch eine andere Durchbohrung oder ein Loch, welches gelegentlich beim Menschen vorhanden ist und das intercondyloide genannt werden kann. Dieses kommt, wenn auch nicht constant, bei verschiedenen anthropomorphen und anderen Affen,Mr. St. George Mivart, in: Philosoph. Transact. 1867, p. 310. aber gleichfalls bei vielen der niederen Säugethiere vor. Es ist merkwürdig, daß dies Loch während alter Zeiten viel häufiger vorhanden gewesen zu sein scheint, als in neuerer Zeit. Mr. BuskOn the Caves of Gibraltar, in Transact. Internat. Congress of prehist. Arch. Third Session. 1869, p. 159. Professor Wyman hat vor Kurzem gezeigt (Fourth Annual Report, Peabody Museum, 1871, p. 20), daß diese Durchbohrung sich bei 31 % der menschlichen Überreste aus einigen alten Grabhügeln in den westlichen Vereinigten Staaten und in Florida findet. Sie kommt häufig bei Negern vor. hat über diesen Gegenstand die folgenden Beweisstücke gesammelt: Professor Broca »beobachtete die Durchbohrung an 4½ % der von ihm auf der Cimetière du Sud in Paris gesammelten Armknochen, und in der Höhle von Orrony, deren Inhalt der Bronzeperiode zugeschrieben wird, fand sie sich selbst an acht Oberarmbeinen unter zweiunddreißig. Dieses außerordentliche Verhältnis glaubt er aber dem Umstande zuschreiben zu müssen, daß die Höhle vielleicht eine Art ›Familiengruft› gewesen ist. Ferner fand Mr. Dupont 30 % durchbohrter Armknochen in den Höhlen des Lesse-Thals, welche der Rennthierperiode angehören, während Mr. Leguay in einer Art von Dolmen in Argenteuil 25 % perforiert fand; und Pruner-Bey fand von den Knochen von Vauréal 26 % in diesem Zustande. Auch darf man nicht unbeachtet lassen, daß Pruner-Bey angiebt, dieser Zustand sei bei Guanchenskeletten der gewöhnliche.« Die Thatsache, daß alte Rassen, in diesem Falle wie in mehreren anderen, häufiger als neuere Rassen Bildungen darbieten, welche denen niederer Thiere gleichen, ist interessant. Eine hauptsächliche Ursache hiervon scheint die zu sein, daß ältere Rassen in der langen Descedenzreihe ihren entfernten, thierähnlichen Urerzeugern etwas näher stehen als moderne Rassen.
Obgleich das Schwanzbein, mit gewissen anderen später zu beschreibenden Wirbeln, beim Menschen als Schwanz keine Function hat, so wiederholt es doch offenbar diesen Theil anderer Wirbelthiere. Auf einer früheren Embryonalperiode ist es frei und springt, wie wir gesehen haben, über die unteren Extremitäten vor, wie in der Zeichnung (Fig. 1) eines menschlichen Embryo zu sehen ist. In gewissen seltenen und anomalen FällenQuatrefages hat neuerdings die Beweise über diesen Punkt gesammelt. Revue des Cours Scientifiques. 1867-1868, p. 625. Im Jahre 1840 zeigte Fleischmann einen menschlichen Foetus, der einen frei vorspringenden Schwanz besaß, mit selbständigen Wirbelkörpern, was nicht immer der Fall ist. Dieser Schwanz wurde von den vielen, bei der Naturforscherversammlung in Erlangen anwesenden Anatomen kritisch untersucht (s. Marshall, in: Niederländ. Archiv für Zoologie. December, 1871). hat man gefunden, daß es selbst noch nach der Geburt ein kleines äußeres Rudiment eines Schwanzes bildet. Das Schwanzbein ist kurz und enthält gewöhnlich nur vier Wirbel in einem rudimentären Zustande; sie bestehen mit Ausnahme des obersten nur aus dem Wirbelkörper.Owen, On the nature of Limbs. 1849, p. 114. Sie sind mit einigen kleinen Muskeln versehen, von denen, wie mir Professor Turner mittheilt, der eine ausdrücklich von Theile als eine rudimentäre Wiederholung des Extensor des Schwanzes beschrieben worden ist. welcher bei vielen Säugethieren so kräftig entwickelt ist.
Das Rückenmark erstreckt sich beim Menschen nur bis zum letzten Rücken- oder ersten Lendenwirbel nach abwärts; doch läuft ein fadenartiges Gebilde (das filum terminale) in der Achse des Kreuztheils des Rückenmarkskanals und selbst dem Rücken der Schwanzwirbel entlang noch hinab. Der obere Theil dieses Gebildes ist, wie mir Professor Turner mittheilt, unzweifelhaft mit dem Rückenmarke homolog, der untere Theil besteht aber offenbar nur aus der pia mater oder der gefäßreichen Hüllmembran. Selbst in diesem Falle kann man sagen, daß das Schwanzbein eine Spur eines so wichtigen Gebildes wie des Rückenmarks trägt, wenngleich es nicht mehr in einen knöchernen Canal eingeschlossen ist. Die folgende Thatsache, für deren Mittheilung ich gleichfalls Professor Turner zu Dank verpflichtet bin, zeigt, wie genau das Schwanzbein dem wirklichen Schwanze bei niederen Thieren entspricht: Luschka hat nämlich neuerdings an der Spitze der Schwanzknochen einen sehr eigenthümlich gewundenen Körper entdeckt, welcher mit der mittleren Kreuzbeinarterie im Zusammenhang steht; diese Entdeckung veranlaßte dann Krause und Meyer, den Schwanz eines Affen (Macacus) und einer Katze zu untersuchen; bei Beiden fanden sie, wenn auch nicht gerade an der Spitze, einen ähnlich gewundenen Körper.
Die Fortpflanzungsorgane bieten verschiedene rudimentäre Bildungen dar; diese weichen aber in einer bedeutungsvollen Hinsicht von den vorstehenden Fällen ab. Wir haben es hier nicht mit dem Überbleibsel eines Theiles zu thun, welcher der Species nicht mehr in einem functionsfähigen Zustande angehört, vielmehr mit einem Theile, welcher beständig bei dem einen Geschlecht vorhanden und in Function ist, während er in dem anderen durch ein bloßes Rudiment vertreten wird. Nichtsdestoweniger ist das Vorkommen solcher Rudimente ebenso schwer unter Zugrundelegung des Glaubens an die besondere Schöpfung jeder einzelnen Species zu erklären, wie die vorhin erörterten Fälle von Rudimenten. Ich werde später auf diese Rudimente zurückzukommen haben und werde zeigen, daß ihr Vorhandensein allgemein nur auf Erblichkeit beruht, insofern nämlich, als das eine Geschlecht Theile erlangt hat, welche zum Theil auch dem anderen überliefert worden sind. An dieser Stelle will ich nur einige Beispiele solcher Rudimente anführen. Es ist allgemein bekannt, daß bei den Männchen aller Säugethiere, mit Einschluß des Menschen, rudimentäre Brustdrüsen vorhanden sind; diese haben sich in mehreren Fällen vollständig entwickelt und haben eine reichliche Menge von Milch gegeben. Ihre wesentliche Identität bei beiden Geschlechtern zeigt sich gleichfalls durch ihre sympathische Vergrößerung bei beiden während der Masern. Die sogenannte Vesicula prostatica, welche bei vielen männlichen Säugethieren beobachtet worden ist, ist jetzt ganz allgemein für das Homologon des weiblichen Uterus in Verbindung mit dem damit verbundenen Canal anerkannt worden. Man kann unmöglich Leuckart's klare Beschreibung des Organs und seine Betrachtungen darüber lesen, ohne die Richtigkeit seiner Folgerungen zuzugeben. Dies wird besonders bei denjenigen Säugethieren deutlich, bei welchen der weibliche Uterus sich gabelförmig theilt; denn bei den Männchen derselben ist die Vesicula prostatica in gleicher Weise getheilt.Leuckart, in Todd's Cyclopaedia of Anatomy. 1849-52. Vol. IV, p. 1415. Beim Menschen ist dies Organ nur von drei bis sechs Linien lang, ist aber, wie so viele anderen rudimentären Organe, in Bezug auf seine Entwicklung, wie auf andere Merkmale, variabel. Es ließen sich noch andere rudimentäre Bildungen, die zu dem Fortpflanzungssystem gehören, hier anführen.s. hierüber Owen, Anatomy of Vertebrates. Vol. III, p. 675, 676, 706.
Die Tragweite der drei großen, jetzt mitgetheilten Classen von Thatsachen ist nicht mißzudeuten. Es würde aber überflüssig sein, hier die ganzen Folgerungen, welche ich im Einzelnen in meiner »Entstehung der Arten« gegeben habe, zu wiederholen. Die homologe Bildung des ganzen Körpers bei den Gliedern einer und derselben Classe ist sofort verständlich, wenn wir ihre Abstammung von einem gemeinsamen Urerzeuger und gleichzeitig ihre spätere Anpassung an verschieden gewordene Bedingungen annehmen. Nach jeder anderen Ansicht ist die Ähnlichkeit der Form zwischen der Hand eines Menschen oder eines Affen und dem Fuße eines Pferdes, der Flosse einer Robbe, dem Flügel einer Fledermaus u. s. w. völlig unerklärlich.In einem neuerdings erschienenen und mit ausgezeichneten Illustrationen ausgestatteten Werke (La Théorie Darwinienne et la création dite indépendante. 1874) bemüht sich Prof. Bianconi, nachzuweisen, daß in den obigen wie in andern Fällen homologe Bildungen vollständig nach mechanischen Grundsätzen unter Berücksichtigung ihres Gebrauchs erklärt werden können. Niemand hat so gut gezeigt, wie wunderbar derartige Bildungen ihren Zwecken angepaßt sind; diese Anpassung lässt sich, wie ich glaube, durch natürliche Zuchtwahl erklären. Bei Betrachtung des Fledermausflügels wendet er (p. 218) etwas an, was mir wie ein (um Auguste Comte's Worte zu brauchen) bloß methaphysisches Princip erscheint, nämlich »die Erhaltung der Säugethiernatur des Thieres in ihrer Integrität«. Nur in einigen wenigen Fällen bespricht er Rudimente und dann auch nur solche Theile, welche theilweise rudimentär sind, wie die Afterklauen des Schweins und Ochsen, welche den Boden nicht berühren; von diesen weist er klar nach, daß sie dem Thiere von Nutzen sind. Unglücklicherweise betrachtet er solche Fälle gar nicht, wie die kleinen nie das Zahnfleisch durchbrechenden Zähne des Ochsen, oder die Milchdrüsen männlicher Säugethiere, oder die Flügel gewisser Käfer, die unter den verwachsenen Flügeldecken liegen, oder die Rudimente der Pistille und Staubfäden in gewissen Blüthen, und viele andere derartige Fälle. Obgleich ich Professor Bianconi's Werke große Bewunderung zolle, scheint mir doch die jetzt von den meisten Naturforschern getheilte Ansicht, daß homologe Bildungen nach dem Principe einfacher Anpassung unerklärlich seien, unerschüttert geblieben zu sein. Es ist keine wissenschaftliche Erklärung, wenn man sagt, daß sie alle nach demselben ideellen Plane gebaut seien. In Bezug auf die Entwicklung können wir nach dem Princip, daß Abänderungen auf einer im Ganzen späteren embryonalen Periode auftreten und zu entsprechenden Altern vererbt werden, deutlich verstehen, woher es kommt, daß die Embryonen sehr verschiedener Formen doch mehr oder weniger vollkommen den Bau ihres gemeinsamen Urerzeugers beibehalten. Von keinem anderen Standpunkte aus ist je eine Erklärung der wunderbaren Thatsache gegeben worden, daß die Embryonen eines Menschen, Hundes, einer Robbe, Fledermaus, eines Reptils u. s. w. anfangs kaum von einander unterschieden werden können. Um das Vorhandensein rudimentärer Organe zu verstehen, haben wir nur anzunehmen, daß ein früherer Vorfahre die in Frage stehenden Theile in vollkommenem Zustande besessen hat und daß dieselben unter veränderten Lebensgewohnheiten bedeutend reduciert wurden, und zwar entweder in Folge einfachen Nichtgebrauchs oder mittelst der natürlichen Zuchtwahl derjenigen Individuen, welche am wenigsten mit überflüssigen Organen belastet waren, letzteres mit Unterstützung durch die früher angegebenen Vorgänge.
Wir können hiernach verstehen, woher es gekommen ist, daß der Mensch und alle übrigen Wirbelthiere nach demselben allgemeinen Plane gebaut sind, warum sie die gleichen Stufen früherer Entwicklung durchlaufen und warum sie gewisse Rudimente gemeinsam beibehalten haben. Folgerecht sollten wir offen die Gemeinsamkeit ihrer Abstammung zugeben: irgend eine andere Ansicht sich zu bilden, hieße annehmen, daß unser eigener Bau und der sämmtlicher Thiere um uns her nur eine Falle sei, um unser Urtheil gefangen zu nehmen. Die Richtigkeit dieser Folgerung wird noch bedeutend verstärkt, wenn wir die Glieder der ganzen Thierreihe und die Thatsachen ihrer Verwandtschaft oder Classification, ihrer geographischen Verbreitung und geologischen Aufeinanderfolge betrachten. Es ist nur unser natürliches Vorurtheil und jene Anmaßung, die unsere Vorfahren erklären hieß, daß sie von Halbgöttern abstammten, welche uns gegen diese Schlußfolgerung einnehmen. Es wird aber nicht lange dauern, und die Zeit wird da sein, wo man sich darüber wundern wird, daß Naturforscher, welche mit dem Bau und der Entwicklung des Menschen und anderer Säugethiere in Folge eingehender Vergleichungen bekannt waren, haben glauben können, daß jedes derselben die Folge eines besonderen Schöpfungsactes gewesen sei.