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Neuntes Kapitel.

Am nächsten Morgen trat Seraphine, mit erregten roten Flecken im Gesicht, in Werners Zimmer. Er saß am Schreibtisch und arbeitete seinen Reiseweg aus. Erstaunt blickte er auf.

»Was gibt es, Tante Phine?«

»Verzeihe, wenn ich dich störe, Werner, aber ich bin sehr erregt, ich muß dir sagen, daß ich mich sehr verletzt fühle,« antwortete sie hastig.

»Verletzt? Wodurch denn?«

»Nun, durch diese Liste, die du mir geschickt hast.«

Er schüttelte verständnislos den Kopf.

»Aber wie kann ich dich dadurch verletzt haben?«

Sie hielt ihm mit bebenden Händen die Liste entgegen.

»Da sieh – nicht einen meiner besonderen Freunde und Bekannten hast du mit aufgezeichnet, nicht einmal Herrn und Frau Geheimrat Papperitz. Was soll man denken, welche untergeordnete Rolle ich hier spiele, wenn man im Hause Feste feiert, ohne meine Freunde zu berücksichtigen.«

Werner konnte ein humorvolles Lächeln nicht unterdrücken.

»Aber, Tante Phine – wie kannst du dich darüber aufregen? Du kannst doch selbstverständlich die Liste nach deinen Wünschen vervollständigen. Ich habe dir nur aufgezeichnet, wen ich bei mir zu sehen wünsche, und mit wem ich meine Frau verkehren sehen möchte.«

»Nun – meine Freunde sind doch dazu auch nicht zu gering, sie gehören zu den besten Familien.«

Werner mußte nun doch lachen.

»Zugegeben, Tante Phine, aber sie sind sämtlich ein wenig zu alt für meine junge Frau. Das schließt natürlich einen gelegentlichen Verkehr nicht aus, Sanna wird ja auch mit deinen Kränzchendamen zusammenkommen müssen. Und so lade du getrost noch ein, wen du willst, wir haben ja eine Menge Platz im Hause Rutland.«

Seraphines Erregung hatte sich schnell gelegt, als sie merkte, daß es Werner ganz ferngelegen hatte, ihr die im Laufe der Jahre mühsam erkämpften Vorrechte zu beschneiden. Sie neigte nun huldvoll das Haupt. »Nun, so war es nur ein kleines Mißverständnis. Ich hätte mich auch sonst sehr wundern müssen.«

Werner lachte wieder.

»Ich würde ja gar nicht wagen, dir irgendwelche Vorschriften zu machen,« sagte er mit einem spöttischen Unterton. Sie blickte ihn etwas zweifelnd und mißtrauisch an, hielt es aber dann für klüger, seinen Spott nicht zu beachten. So verabschiedete sie sich schnell unter dem Vorwand, noch alle Hände voll zu tun zu haben. – – – –

Am Sonnabend abend zeigte sich zur Genüge, welche hervorragende Fähigkeit Tante Phine hatte, Feste zu veranstalten. Da sie auch ihre Freunde hatte einladen dürfen und vor diesen beurkunden konnte, daß ihre Herrscherinnenwürde von der jungen Frau in keiner Weise beeinträchtigt worden war, so tat sie ihr möglichstes, den Glanz des Hauses zu entfalten.

Sanna war in Rufe des Entzückens ausgebrochen, als sie, bevor die Gäste eintrafen, in den großen Speisesaal trat, in dem heute die Tafel gedeckt war. Sie war in Hufeisenform aufgestellt und mit so viel Geschmack ausgeschmückt, daß auch verwöhntere Augen als die Sannas Freude und Genuß bei dem Anblick finden mußten.

Seraphine nahm Sannas und Werners Lob mit einer Miene entgegen, als wollte sie sagen: Ich weiß ganz genau, welche hervorragende Persönlichkeit ich bin, und daß ihr ohne mich sehr bedauernswerte Geschöpfe wäret.

Als dann die Gäste eintrafen, gefiel sie sich darin, Sanna mit nachsichtiger Freundlichkeit zu behandeln, etwa wie ein Kind, das zu Gaste geladen war. Sie zeigte durch ihr Verhalten, daß Sanna viel mehr von ihr abhängig war als sie von der jungen Frau.

Zwischen Werner und Rudolf Raven flog zuweilen ein belustigtes Lächeln herüber und hinüber, wenn sie Seraphine beobachteten, und auch um Käthe Verhagens Mund trieben tausend Schelme ihr Spiel.

Jedenfalls fand aber Sanna auch im Kreise von Tante Phines Freunden große Bewunderung. Man fand die junge Frau einstimmig entzückend und lauschte vergnügt, wenn sie in dem drolligen Wirrwarr von verschiedenen Sprachen ihre Ansichten zum besten gab. Der Geheimrat Papperitz, ein hagerer, etwas klappriger Greis, der sich mit Vorliebe noch das Ansehen eines Schwerenöters und Lebemannes gab, sagte mit einem unbeschreiblich lächerlichen Augenaufschlag:

»Ist ja eine entzückende Errungenschaft, diese junge Frau, – fremdländischer Reiz und natürliche, unverdorbene Kindlichkeit, – kostbare Mischung, auf Ehre – strömt berückenden Zauber aus – he he – man möchte zwanzig Jahre jünger sein.«

Sanna war im Anfang still und scheu und blickte zuweilen ängstlich in Werners Gesicht, der ihr dann ermutigend zulächelte. Käthe Verhagen verstand es aber, die Scheu der jungen Frau zu bekämpfen und ihr die Unbefangenheit wiederzugeben. Sie wurde von ihrem Manne und Rudolf kräftig unterstützt. Sanna saß zwischen ihren beiden Rittern und wurde bald durch Rudolfs lustige Stimmung angesteckt.

Er machte ihr in seiner übermütigen Weise auf Tod und Leben den Hof, aber so, daß sich jeder von der Harmlosigkeit seiner Bemühungen überzeugen konnte. Auch Sanna selbst verlor jede Beklommenheit seinen Schmeicheleien gegenüber, obwohl sie dieselben nicht gewöhnt war. Sie nahm sie als Scherz auf und erwiderte sie mit drolligen Bemerkungen, die davon zeugten, daß sie schlagfertig und witzig sein konnte.

Werner saß ihr gegenüber an Käthes Seite und mußte wieder und wieder zu Sanna hinübersehen. Sie trug ein schwarzes Spitzenkleid, welches den schlanken weißen Hals freiließ. Das kastanienbraune Haar hob sich wundervoll dagegen ab. Ihr Lächeln, dessen hinreißendem Zauber sich so leicht niemand entziehen konnte, entzückte ihn immer aufs neue. Wie gebannt starrte er zuweilen auf das Grübchen in ihrer Wange, welches sich beim Lächeln zeigte. Rudolf fing einen solchen Blick auf und sagte neckend:

»Ja, ja, mein lieber Werner, du starrst herüber wie ein Pilger ins gelobte Land. Gelt – du möchtest selbst statt meiner neben deiner Frau Gemahlin sitzen.«

Werner lachte ein wenig gezwungen, aus seiner Versunkenheit aufschreckend. »Ich selbst habe dir deinen Platz neben meiner Frau bestimmt, also ist deine Rede hinfällig.«

Rudolf trank ihm zu.

»Sollst leben, Werner!« Und zu Sanna gewendet, fuhr er mutwillig fort: »Was geben Sie mir, gnädigste Frau Sanna, wenn ich Werner so eifersüchtig mache, daß er seine Reise aufgibt?«

Sanna wurde blutrot, aber sie verlor die Fassung nicht. Ihr Blick flog zu Werner hinüber.

»Ich gebe nichts dafür.«

»O – so wenig?«

»Ja, denn es würde vergeblich sein. Werner würde nicht reisen, wenn es nicht sein müßte. Und was ein Mann tun muß, daran soll man ihn nicht hindern wollen.«

Tante Phines kalte forschende Augen beobachteten die beiden fast unverwandt. In jedem anderen Falle hätte sie sich höchlichst darüber entrüstet, wenn sich Rudolf Raven so angelegentlich mit der Frau eines anderen befaßte. Hier aber entsprach es ihren Wünschen, und sie beschloß, Rudolf sehr viel Gelegenheit zu geben, sich mit Sanna zu beschäftigen.

Der feiste, rosige Herr neben Käthe, der schon wiederholt versucht hatte, Sanna in ein Gespräch zu ziehen, forderte sie während des Nachtisches auf, etwas aus ihrer früheren Heimat zu erzählen.

»Ach ja, ach ja,« unterstützte ihn seine Gattin, eine von Seraphines Kränzchenschwestern. »Es muß doch ungeheuer seltsam sein da unten. Ich höre furchtbar gern solche belehrende Erzählungen. Was trägt man eigentlich für Kleidung?«

Sanna blickte zu Werner hinüber und dann in Rudolfs verräterisch zuckendes Gesicht.

»Ich glaube, ich kann nicht gut erzählen,« sagte sie befangen.

»O bitte, da sind wir entschieden anderer Meinung,« sagte der Geheimrat mit einer tiefen Verbeugung und einem neckischen Augenaufschlag. Auch die anderen bestürmten nun Sanna, und so begann sie zu erzählen von der Farm des Vaters und den faulen Eingeborenen, von ihren Ausflügen nach Windhuk und von dem Aufenthalt in Swakopmund.

Werner half ihr zuweilen. Sie vermochte sehr wohl, ihre Zuhörer zu fesseln, und verstand anschaulich und lebendig zu berichten. Mit viel Schelmerei schilderte sie die Hottentotten als Dienstboten und Hausgenossen. Da fanden dann die anwesenden Hausfrauen, daß ihre Dienstboten doch vorzuziehen seien.

Tante Phine kam jedoch zur Einsicht, daß Sanna durch ihre Erzählungen sich viel zu sehr zum Mittelpunkt der Gesellschaft machte, und hob, als eine kleine Pause eintrat, die Tafel auf.

Die Herren zogen sich zu einer Zigarette zurück, und die Damen plauderten im Salon. Käthe und Sanna standen an der Tür, die zum Garten führte. Sie war offen und ließ die warme, düfteschwere Sommerluft ein.

Sannas Wangen glühten. Sie atmete tief auf. Käthe legte lächelnd den Arm um sie.

»Wie hübsch du erzählt hast, Sanna. Man glaubt es zu sehen. Du mußt mir noch viel von deiner früheren Heimat erzählen.«

»Das will ich gern tun, liebe Käthe. Dir erzähle ich gern und ohne Scheu, was ich weiß. Vor den anderen Menschen kann ich nicht so sprechen, wie ich möchte.«

»Südwest muß doch eine seltsame Anziehungskraft für uns Deutsche besitzen. So viele suchen es auf. Und deinen Mann zieht es auch wieder dahin, trotzdem er dich hier zurückläßt.«

Sanna errötete jäh.

»Weil er seine Forschungen abschließen muß. Ein Mann soll nichts halb tun.«

»Bist du tapfer, Sanna! Bangst du dich nicht um Werner, wenn du ihn wieder in unwirtlichen Gegenden weißt?«

Sanna preßte die Hände zusammen. »Sehr!« sagte sie leise, und ihre Augen schimmerten feucht.

»Und willst ihn doch nicht zurückhalten?«

»Das darf ich nicht,« erwiderte Sanna, und ein trauriges Lächeln umspielte ihren Mund.

Käthe zog sie fest an sich. Ein unerklärliches Mitleid bewegte ihr Herz.

»Warum nicht? Es ist doch dein Recht, ihn zurückzuhalten. Sage ihm doch, daß du dich bangst, dann gibt er sicher die Reise auf.«

»Nein, nein,« erwiderte Sanna hastig und ängstlich abwehrend, »das darf nicht sein. Ich sage das auch sonst keinem Menschen. Nur dir – weil du so gut und freundlich zu mir bist.«

»Auch deinem Gatten nicht?« fragte Käthe ernst und dringend.

Da schüttelte Sanna den Kopf.

»Ihm – o nein – nie. Und du darfst ihm ja nicht verraten, was ich dir sagte, – er soll ganz frei sein – ganz frei und keine Rücksicht auf mich nehmen.«

Käthe Verhagen blickte sinnend hinaus in den vom Mond beleuchteten Garten, in dem sie so oft in kindlicher Daseinsfreude mit Werner und dem Bruder herumgetollt war. Ihr ›sechster Sinn‹, mit dem sie von Gatten und Bruder so viel geneckt wurde, verriet ihr wieder einmal allerlei. Und sie sorgte sich um Werner Rutlands Glück, wie um das der kleinen, lieblichen Sanna.


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