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Am nächsten Morgen hatte Werner Tante Seraphine um eine Unterredung bitten lassen. Er empfing sie in seinem Arbeitszimmer, nachdem er sich gleich nach dem Frühstück von Sanna auf eine Stunde beurlaubt hatte.
Seraphine war natürlich voll brennender Neugier und hatte Mühe, die zur Gewohnheit gewordene, überlegen vornehme Miene festzuhalten.
Werner schob ihr einen Sessel hin und bat sie, Platz zu nehmen. Seinem Gesicht war anzusehen, daß ihm diese Unterredung nicht angenehm war. Er zögerte eine ganze Weile, bis er begann. Aber dann richtete er sich entschlossen auf und berichtete kurz und sachlich, wie es gekommen war, daß Sanna seine Frau wurde.
»Du siehst also, Tante Phine, daß ein etwas absonderliches Verhältnis zwischen mir und Sanna besteht. Ich habe dir dies alles offen erklärt, um dich zur größten Zartheit gegen meine junge Frau zu veranlassen. Ich bin nur dem Namen nach Sannas Gatte und ihr rechtmäßiger Schutz und Hort. Sie ist noch zu jung und unerfahren, um die ganze Tragweite dieses Schrittes ermessen zu können. Ihr Herz ist noch ein völlig unbeschriebenes Blatt, und ich weiß nicht, ob es eines Tages, wenn es erwacht, für mich oder für einen anderen schlagen wird. Deshalb ist es gut, daß ich jetzt noch für zwei Jahre verreise. Inzwischen wird sie Zeit haben, sich über ihr Empfinden klar zu werden. Komme ich nach zwei Jahren zurück, so soll sie selbst entscheiden, ob sie ihr Glück an meiner Seite finden kann – ob sie meine Frau bleiben will. Andernfalls werde ich sie freigeben, wie ich es ihrem Vater versprochen habe.«
Seraphine war mit atemloser Spannung seinen Worten gefolgt. Verworrene Pläne und Gedanken kreuzten ihr Hirn.
»Soll das heißen, daß du dich in diesem Falle von Sanna scheiden lassen willst?«
»Ja, Sannas Glück ist meine Lebensaufgabe. Es wird sich dann ein Grund zur Scheidung finden lassen.«
Seraphine hatte vor Erregung rote Flecken im Gesicht.
»Nun – das muß ich sagen, reichlich romantisch ist eure Geschichte. Ich meine aber, du hättest die ganze Angelegenheit einfacher gestalten können, wenn du Sanna nur als deinen Schützling hier ins Haus gebracht hättest, da du doch einmal wieder auf Reisen gehst.«
»Du vergißt, daß ich Sanna dann allerlei Mißdeutungen ausgesetzt hätte. Und noch eins – es könnte ja sein, daß mir etwas zustieße unterwegs – dann will ich Sanna als meine gesetzliche Erbin vor allen Sorgen geschützt wissen.«
»Du gehst da doch wohl zu weit in deinem Dankbarkeitsgefühl gegen deinen Lebensretter. Übrigens wird eine Ehescheidung auch nicht wenig Staub aufwirbeln.«
»Ich werde dafür sorgen, daß Sannas Ruf dabei unangetastet bleibt.«
»Und du? Willst du dann als schuldiger Teil gelten?«
»Du bist sehr großmütig, um so mehr, als du deine Frau nicht liebst. Es hätte mich ja auch bei deinem Charakter wunder genommen, daß du Käthe Verhagen so schnell vergessen konntest.«
Werner zog die Stirn finster zusammen.
»Bitte, erwähne Frau Verhagens Namen nicht im Zusammenhang mit mir. Daß du zufällig dahinter gekommen bist, daß sie mir mehr galt als andere Frauen, berechtigt dich zu keinerlei Schlüssen.«
Tante Phine biß sich auf die Lippen und schwieg, während sie dachte:
»Rede du dagegen, so viel du willst, ich bin überzeugt, daß du diese Käthe Verhagen noch immer liebst.«
Eine Weile herrschte Schweigen, dann sagte Werner scheinbar ruhig:
»Wir sind von unserem Gegenstand abgekommen. Also nicht wahr, nachdem ich dir die Verhältnisse klargelegt habe, kann ich über dein feinfühlendes Benehmen Sanna gegenüber beruhigt sein?«
Seraphine warf fast beleidigt den Kopf zurück.
»Über Mangel daran hat sich noch nie jemand bei mir zu beklagen gehabt – das hätte keines Wortes weiter bedurft.«
Es zuckte leise um Werners Mund, wie ein unterdrücktes Spottlächeln.
»Du hättest ja aus Unwissenheit einen Verstoß begehen können. Nun du eingeweiht bist, verlasse ich mich auf dich.«
»Das kannst du unbesorgt, ich werde Sanna behandeln wie ein junges Mädchen, nicht wie eine verheiratete Frau. Im Grunde besteht ja auch eure Ehe nur zum Schein.«
Werner hatte wieder eine Weile stumm vor sich hingesehen. Tante Phines Worte: ›Im Grunde besteht ja eure Ehe nur zum Schein,‹ klangen in ihm nach. Sie hatte ja so recht damit! In wenig Tagen würde er wieder abreisen, und Sanna blieb allein zurück. Sie würde von der neuen Umgebung, von neuen Vergnügungen und Beschäftigungen in Anspruch genommen werden und ihn bald vergessen. Es würden täglich neue Menschen in ihr Leben treten – und da war dann vielleicht eines Tages einer dabei, dem sie ihr junges, unberührtes Herz zu eigen gab. Und dann? –
Er zog die Stirn wie im Schmerz zusammen. Warum mochte er plötzlich dieses ›dann‹ nicht mehr ausdenken? Würde es ihm schwer werden, sie dann freizugeben?
»Hast du schon einen bestimmten Tag für deine Abreise festgesetzt?« fragte sie, als handelte es sich um einen Nachmittagsausflug.
Er schrak aus seinem Sinnen empor.
»Ja – morgen in acht Tagen reise ich ab. Am 25. Juni geht mein Dampfer in See.«
»So bald schon?« sagte sie höflich.
»Es ist besser, ich zögere nicht länger. Du begreifst, daß der ganze Zustand für mich peinlich ist.«
Seraphine nickte.
»Vollkommen.«
»Also nicht wahr, Tante Phine, – ich kann Sanna beruhigt unter deinem Schutz zurücklassen?«
»Und du wirst nicht vergessen, daß sie scheu und weltfremd ist, daß sie der Leitung und Hilfe bedarf? Ich bitte dich, ihr jeden erreichbaren Wunsch zu erfüllen, sie soll sich froh und glücklich fühlen in meinem Hause. Ich werde dir für meinen Bankier die nötige Anweisung geben. Sanna soll gut und fein gekleidet sein.«
Seraphine lächelte überlegen.
»Ich weiß, was ich dem Hause Rutland schuldig bin. Und ich sorge dafür, daß deine Frau es würdig vertritt.«
»Gut, dann ist alles im klaren. Nur noch eins: Ich möchte, ehe ich abreise, einige Bekannte einladen, vielleicht nächsten Sonnabend. Willst du so freundlich sein, die nötigen Anordnungen zu einem kleinen, aber gewählten Festmahl zu treffen?«
»Das soll geschehen. Hast du schon überlegt, wer geladen werden soll?«
»Noch nicht. Ich schicke dir nachher die Liste. Mir liegt daran, alle die Leute an Sannas Seite zu empfangen, mit denen ich sie gern einen näheren Verkehr pflegen lassen möchte.«
»Sind Verhagens dabei?« fragte Seraphine anscheinend unbefangen und harmlos. Ihre Augen hatten jedoch dabei wieder den lauernden Ausdruck.
Werners Gesicht rötete sich unmutig, aber er beherrschte sich und sagte ruhig:
»Selbstverständlich, die zuerst. Rudolf Raven und seine Schwester sind meine ältesten Freunde, und Fritz Verhagen ist mir sehr angenehm. Käthe Verhagen hat mir versprochen, sich Sannas herzlichst anzunehmen. Wir werden heute mittag, wie du weißt, ihre Gäste sein. Und ihr Mann und Rudolf haben sich erboten, Sanna Ritterdienste zu leisten.«
Ein harter, kalter Glanz lag in Seraphine Münzers Augen.
»So, so – der lustige Rudolf auch,« sagte sie mit unnachahmlichem Ausdruck. »Nun – der wird ein sehr angenehmer Ritter sein.«
Werner erhob sich schroff.
»Das hoffe ich. Sanna soll so viel als möglich mit frohen Menschen zusammensein. Ich bitte dich, derartigen Verkehr in jeder Weise zu unterstützen,« sagte er kurz und trat an das Fenster.
Seraphine blickte ihm mit einem unbeschreiblichen Lächeln nach. Was er da gesagt hatte – klang das nicht, als wolle er Sanna den Weg ebnen zu einem anderen Glück? Wünschte er vielleicht, daß er auf diese Weise seine Freiheit wiederfand? Sicher hatte er, nur durch seine Großmut gezwungen, diese Ehefessel auf sich genommen. Sie drückte ihn wohl bereits? Nun, in diesem Punkte sollten dann seine Wünsche mit den ihren zusammentreffen! Was an ihr lag, wollte sie tun, ihm die Freiheit wieder zu verschaffen, ob mit oder ohne seinen Willen. Und jedenfalls wollte sie Rudolf Raven zur Verwirklichung ihrer Pläne im Auge behalten. Er war ein hübscher, stattlicher Mann und hatte viel Glück bei Frauen. Unverheiratet und unverlobt war er auch noch, – man konnte ein wenig nachhelfen. Wenn sich Sanna in Werners Abwesenheit in Rudolf Raven verliebte – das wäre die beste Lösung. Die Leute würden ja ein bißchen böse reden, wenn Werner und Sanna sich trennten und die junge Frau dann Rudolfs Gattin würde. Aber mochten sie. Seraphine konnte sich ganz leicht über die Meinung der Leute wegsetzen, wenn dabei ihre Pläne gefördert wurden.
So fing sie schon jetzt an, Ränke zu schmieden, um sich wieder die erste Stelle in diesem Hause zurückzuerobern.
* * *
Sanna war in den Garten hinausgegangen. Werner fand sie in träumerischer Versunkenheit auf einer Bank sitzend. Als er zu ihr trat, schrak sie empor und sah verwirrt lächelnd zu ihm auf.
»Hast du Langeweile gehabt, Sanna?« fragte er lächelnd.
Sie schüttelte den Kopf, so daß goldene Lichter auf ihrem Haar tanzten im Sonnenschein.
»Ich habe inzwischen allerlei mit Tante Phine besprochen für die Zeit meiner Abwesenheit. Nächsten Dienstag reise ich ab.«
Sie wandte langsam das Gesicht von ihm fort. Ihre Augen senkten sich, so daß die langen Wimpern wie goldige Halbmonde auf der kindlichen Rundung der Wangen lagen. Aber sie sagte kein Wort. So fuhr er fort:
»Sonnabend abend wollen wir unsere nächsten Freunde und Bekannten zu einer kleinen Feier laden. Es ist dir doch recht?«
»Mir ist alles recht, was du bestimmst,« antwortete sie einfach.
»Du sollst doch auch deine Meinung äußern.«
Nun blickte sie auf.
»Werden Verhagens und Rudolf Raven auch kommen?«
»Gewiß, Sanna. Gelt, sie haben dir am besten gefallen von den Menschen, die du gestern bei unseren Besuchen kennengelernt hast?«
»Ja – und sie werden mir immer am besten gefallen, zumal Käthe. Ach – wie ist sie lieb und schön. Sie ist nun auch meine Freundin – ich habe noch nie eine gehabt. Findest du nicht, daß sie wundervolles, goldenes Haar hat?«
Er lächelte und streichelte leise über ihre dicken Flechten.
»Nun – schöneres Haar als das deine sah ich noch nie.«
Dunkle Röte stieg in ihr Gesicht, und sie sah erschreckt in seine Augen.
Er lachte, obwohl ihm das Herz seltsam schwer und unruhig in der Brust schlug.
»Nun? Du siehst mich an, als habe ich dir etwas Schreckliches gesagt, kleine Sanna.«
Sie lächelte beklommen und strich über ihre Stirn.
»Ich bin es nicht gewöhnt, so etwas zu hören. Bitte – sage mir nie wieder solche Worte. Ich weiß nun schon, ihr nennt das Höflichkeit oder Artigkeit, und es ist bei euch so Sitte. Hier sagen sich alle Menschen Liebes und Gutes – auch wenn sie anders fühlen – aus Höflichkeit. Ich muß mich auch daran gewöhnen. Aber du – du sollst nie etwas aus Höflichkeit zu mir sagen, nur immer, was wahr ist. Ich weiß doch ganz genau – mein Haar ist häßlich und widerspenstig, so unbändig, daß ich's kaum bewältigen kann. Käthes Haar ist weich und fein und glänzt so goldig. Wie eine Krone liegt es auf ihrem Kopf und schmiegt sich, wie sie es haben will.«
Werner blickte mit scheinbar abwägendem Blick auf ihre schweren kastanienbraunen Zöpfe und die losen, widerspenstigen Locken, die sich so anmutig um die weiße Stirn ringelten. Früher hatte auch ihm Käthe Verhagens Blondhaar als das schönste gegolten. Jetzt mußte er sich aber eingestehen, daß Sannas Haar noch viel schöner und reicher war, selbst in dieser schlichten, ungekünstelten Anordnung. Oder vielleicht gewann es dadurch noch besonders.
»Ich werde dir gewiß nie aus Höflichkeit eine Lüge sagen, Sanna, das glaube mir. Und wenn dir dein Haar nicht gefällt, so weißt du eben selbst nicht, wie schön es ist, und welchen Schatz du daran besitzest. Manche Frau möchte wohl ein Vermögen dafür hingeben. Übrigens hast du recht – auch Käthe Verhagen hat schönes Haar.«
Sie schwiegen eine Weile. Werner blickte Sanna nachdenklich an, und sie schaute hinaus in den Garten. Um das Schweigen zu brechen, sagte er endlich:
»Ich habe gestern auch dein Erbteil in sicheren Papieren angelegt.«
Fragend sah sie zu ihm auf.
»Ach – du meinst das Geld, das Vater für die Farm erhielt?«
»Ja, ich wollte es dir nur der Ordnung halber mitteilen.«
»Muß ich mich um dieses Geld kümmern?« fragte sie unbehaglich.
»Nein, das besorgt alles mein Bankier. Wenn du Geld brauchst, sag es Tante Phine, sie wird dich jederzeit reichlich damit versorgen. Ich habe das mit ihr besprochen.«
Sie seufzte verstohlen auf.
»Ach – ich werde nie lernen, mit Geld richtig umzugehen. Gelt, wenn ich etwas brauche, bitte ich Tante Phine, es für mich zu kaufen – oder Käthe – darf ich das?«
»Gewiß. Aber du mußt das auch selbst lernen. Es ist gar nicht so schwer, als du denkst. Die Gewohnheit macht viel.«
Sie legte die Hände gefaltet in den Schoß.
»Wenn du nur wüßtest, wie mir das alles ist – wie ein Märchen, das ganze Deutschland. Ich muß nur immer staunen. Manchmal zwicke ich mich heimlich in den Finger, weil ich zu träumen glaube.«
»Bald genug wirst du dich an alles gewöhnen. Komme ich in zwei Jahren zurück, wird dir nichts mehr fremd sein.«
»Wirst du wieder in die Nähe unserer Farm kommen?« fragte sie leise.
»Nein, Sanna, diesmal will ich andere Gebiete durchforschen.«
Sie preßte die Hände zusammen. Im Herzen bangte sie sich unsagbar um ihn. Am liebsten hätte sie ihn gebeten: »Nimm mich mit!« oder »Bleibe bei mir!« Aber sie wagte es nicht auszusprechen, was ihre Seele erfüllte, sie glaubte kein Recht dazu zu haben.
Wieder hingen sie eine Weile ihren Gedanken nach. Dann sah Werner nach der Uhr.
»Es wird Zeit für dich zum Umkleiden, Sanna – wir werden bei Verhagens zu Tisch erwartet.«
Sie erhob sich sofort, und sie gingen ins Haus. In ihrem Wohnzimmer trat Sanna vor das Bild von Werners Mutter und sah lange in die gütigen Frauenaugen. »Du dürftest ihn bitten, daheim zu bleiben. Dir zuliebe würde er es wohl auch tun. Aber ich darf ihn nicht halten,« flüsterte sie, und eine große Traurigkeit erfüllte ihr Herz.