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Siebentes Kapitel.

Am nächsten Tage fuhr Werner mit Sanna zuerst zu Verhagens, um sie mit Käthe bekannt zu machen. Tante Phine sah ihnen mit einem gehässigen Gesicht nach. Daß Werner ihr noch immer nicht über alles, was sie wissen wollte, Aufschluß gegeben hatte, verstärkte ihren Groll. Sie ahnte nicht, daß es Werner schwer wurde, ihr die näheren Verhältnisse zu erklären und gewissermaßen das Geheimnis seiner seltsamen Ehe preiszugeben. Solche Eröffnungen macht man nicht einmal seinen vertrautesten Freunden gern. Tante Phine aber war seinem Innern völlig fremd. Trotzdem hatte er sich gesagt, daß es nötig sei, die alte Dame einzuweihen, damit sie Sanna gegenüber nicht Dinge berührte, die diese verletzen oder beunruhigen mußten. Aber er schob diese Eröffnung hinaus, solange er konnte.

Nun war das junge Paar auf dem Wege zu Verhagens. Werner fühlte sich eigentümlich beklommen und unruhig. Wie würde Käthes Anblick jetzt auf ihn wirken? Als er sie vor seiner Abreise zuletzt gesehen hatte, war in seinem Herzen noch immer ein schmerzhaftes Gefühl gewesen. Er hatte ihren bittenden Augen gegenüber noch kein befreites Lächeln gehabt, und sie war traurig gewesen, weil sie erkannt haben mochte, daß der Jugendfreund noch immer unter der Enttäuschung litt, die sie ihm hatte zufügen müssen.

Während er nun mit Sanna seinem Ziele immer näher kam, saßen in Käthe Verhagens hübschem lauschigen Zimmer ihr Gatte und ihr Bruder Rudolf der Hausfrau gegenüber.

»Ihr könnt es mir glauben oder nicht,« sagte Rudolf eifrig, »das Gerücht hat bereits die ganze Stadt durchlaufen. Gestern nachmittag soll Werner bereits mit seiner jungen Frau eingetroffen sein.«

Käthe erwiderte ungläubig: »Wenn sich Werner Rutland wirklich verheiratet hätte, warum hätte er es dann uns, seinen besten Freunden, nicht mitgeteilt?«

»Seine Vermählungsanzeige kann ja verloren gegangen sein, oder er ist früher angekommen als diese.«

Käthe seufzte ungeduldig.

»Ich gäbe etwas darum, wenn ich Gewißheit hätte!« rief sie in ihrer lebhaften Art.

»Es ist aber doch kaum zu glauben, daß er sich in dieser kurzen Zeit verheiratet haben soll. Bedenkt doch, daß sechs Wochen allein zur Hin- und Rückreise nötig waren. Daß er in Swakopmund eingetroffen ist, hat er dir gemeldet, Rudolf. Da hätte er ja kaum vier Wochen Zeit gehabt, sich da unten zu vermählen. Wer weiß, was Frau Fama da wieder für einen Unsinn gezeitigt hat,« sagte Fritz Verhagen zweifelnd.

In diesem Augenblick öffnete ein zierliches, hübsches Zöfchen die Tür und meldete: »Herr und Frau Rutland.«

Die drei Menschen sahen sich sprachlos an. Dann ermannte sich Fritz Verhagen zuerst.

»Wir lassen bitten.«

Gleich darauf trat Werner mit seiner Frau ins Zimmer. Nun kam Leben in Käthes Gestalt. Sie eilte mit strahlendem Gesicht dem jungen Paar entgegen und ergriff ohne Umstände beider Hände.

»Ist es denn wahr, Werner – ist es wirklich wahr? Wir wollten es nicht glauben, – Rudolf brachte uns eben erst die Neuigkeit,« stieß sie atemlos und freudig erregt hervor.

In Werners Herzen wachten doch noch einmal alte Schmerzen auf, als er das schöne, lebensfrische Geschöpf vor sich sah, dem seine tiefe, ehrliche Liebe gehört hatte. Er verstand nur zu gut ihre Freude an seiner Vermählung, wich doch damit der Schatten, den seine unglückliche Liebe auf ihr Glück geworfen hatte.

»Ich bringe euch meine junge Frau,« sagte er jedoch scheinbar ruhig. »Sanna, dies ist Käthe Verhagen, meine Jugendfreundin – und das ist Fritz Verhagen, ihr Gatte –«

»Und ich bin sein bester Freund, Rudolf Raven, meine verehrte, gnädige Frau – ich gestatte mir, Sie im Namen der ganzen Familie herzlichst zu begrüßen,« fiel ihm Rudolf ins Wort und beugte sich über Sannas Hand.

Käthe schob ihn zur Seite und zog Sanna zu sich auf den Diwan.

»Was dir einfällt, Rudolf. Im Namen der ganzen Familie? Wer hat dich dazu berechtigt? Wir begrüßen Frau Sanna Rutland selbst und – ach du lieber Gott! – an Herzlichkeit soll es nicht fehlen. Bitte, nehmen Sie uns die formlose Begrüßung nicht übel. Aber wenn uns Werner Rutland seine junge Frau bringt, so gehört sie zu uns. Gelt Werner?«

»Es ist sehr lieb von dir, Käthe. Ich habe es meiner Frau vorausgesagt, daß ihr ein Plätzchen neben mir in euren Herzen gehören wird.«

Käthe blickte mit feuchten Augen in Sannas Gesicht, aus dem ihr eine scheue Freude entgegenleuchtete.

»Werner hat mir sehr viel Gutes von Ihnen allen erzählt, gnädige Frau. Ich freue mich, daß Sie so gut zu mir sind und so freundlich,« sagte Sanna warm.

Die drei Menschen lauschten entzückt ihrer fremdartigen Sprechweise.

»Sie sind Ausländerin, gnädige Frau?« fragte Fritz Verhagen artig, nachdem er auch Sanna durch einen Handkuß begrüßt hatte.

»Doch nicht – ich bin Deutsche – mein Vater war deutscher Offizier,« antwortete sie lächelnd.

Rudolf faßte Werner bei den Schultern.

»Du – eine Schande ist es, von fremden Menschen muß man erfahren, daß du dich verheiratet hast.«

»Ihr müßt entschuldigen, die Umstände brachten das mit sich. Unsere Hochzeit mußte etwas übereilt stattfinden – wir sind am Sterbebette meines Schwiegervaters getraut worden. Und ehe ihr meine Nachricht erhalten hättet, war ich selbst da.«

»Nun, das läßt sich als Entschuldigung hören.«

Käthe plauderte lebhaft mit der jungen Frau in einer so herzlichen, warmen Art, daß Sanna schnell alle Scheu verlor und darauf froh einging. Die Herren hörten zu und fanden die junge Frau mit ihren etwas weltfremden Ansichten sehr reizend.

Als sie eine kleine Schilderung von ihres Vaters Farm gegeben hatte, sagte Rudolf Raven, ihr entzückt in die Augen sehend: »Von Ihrer Heimat müssen Sie mir noch viel erzählen, gnädige Frau. Werner hat sich mit kühner Hand einen Paradiesvogel in das alte Haus an der Werft geholt. Da er mein Freund ist, darf ich mich hoffentlich oft zu einem Plauderstündchen einfinden. Werner hat mir auch noch viel zu erzählen. Wie ist es nun mit deinem Wandervogeltrieb, Werner? Wirst du nun hübsch ruhig und seßhaft zu Hause bleiben?«

»Nein, Rudolf, – noch habe ich meine Forschungen nicht abgeschlossen. Ich reise schon in wenigen Tagen wieder ab.«

Sie sahen ihn alle erstaunt an.

»Wie – du willst deine junge Frau allein lassen?« fragte Rudolf fast bestürzt. »Gnädige Frau – das dürfen Sie nicht leiden.«

Sanna warf errötend einen scheuen Blick zu Werner hinüber. Dann sagte sie zaghaft:

»Werner weiß, was er tun muß.«

Rudolf sprang auf.

»Aber du Unmensch – das ist ja unerhört! So eine reizende, junge Frau läßt man doch nicht allein, um toten Dingen nachzuforschen.«

Werners Stirn rötete sich. Er fühlte, daß ihn Käthe mit forschenden Augen ansah.

»Diese Reise war schon vorher beschlossene Sache, – ich bin Verpflichtungen dafür eingegangen, die ich nicht lösen kann. Wir hätten unsere Hochzeit bis nach der Reise verschoben, wenn der Vater meiner Frau nicht gestorben wäre. Sanna ist noch so jung – ich habe sie nur heimgebracht, um sie im Schutze meines Hauses zu wissen. Und da komme ich nun auch gleich mit einer großen Bitte zu euch – vor allen Dingen zu dir, liebe Käthe. Nimm dich meiner jungen Frau ein wenig an. Sie ist ein Fremdling in der deutschen Heimat ihres Vaters und muß sich erst in mancherlei finden.«

Käthe Verhagen legte plötzlich ihren Arm fest um Sannas Schultern.

»Sie soll mir wie eine Schwester sein, Werner, ich verspreche es dir,« sagte sie ernst.

»Nun – ich hoffe ebenfalls von dieser Verschwesterung Vorteil zu ziehen. Gnädige Frau – ich werde Ihr getreuer Ritter sein, solange Werner fern bleibt!« rief Rudolf.

Sanna sah mit einem frohen Lächeln zu den Geschwistern auf.

»Sie sind beide so gut zu mir!«

Werner legte seine Hand auf Rudolfs Schulter.

»Ich ernenne dich feierlichst zum Ritter meiner Frau!«

»Dagegen erhebe ich Widerspruch!« rief Fritz Verhagen. »Zu solchem Ehrenamt ist Rudolf nicht alt genug. Mir kommt es eher zu.«

»Ach – weil du ein ganzes Jahr älter bist als ich! Nee, nee – mein Lieber, du bist auch durch Familiensorgen viel zu sehr gebunden.«

»Gnädige Frau – entscheiden Sie selbst, wem von uns beiden Sie mehr Vertrauen schenken,« wandte sich Fritz lachend an Sanna.

Diese blickte schelmisch von einem zum andern. »Da wird mir die Wahl schwer,« sagte sie lächelnd.

»Jedenfalls weiß ich meine Frau in gutem Schutz bei euch allen,« sagte Werner zufrieden. »Aber deine Hilfe erbitte ich doch ganz besonders, Käthe. Sanna wird diese am nötigsten brauchen. Vor allen Dingen möchte ich dich bitten, zuweilen in meinem Hause nach dem Rechten zu sehen. Du kennst Tante Phine – man muß ihr ein kräftiges Selbstbewußtsein entgegensetzen, wenn man nicht unter ihre Tyrannei geraten will. Und Sanna ist keine Kampfesnatur.«

Käthe streckte fröhlich die Arme aus.

»O – auf eine lustige Fehde mit Tante Phine soll es mir nicht ankommen. Zuerst wollen wir aber unser Bündnis mit einem schwesterlichen ›Du‹ besiegeln. Werner Rutlands Frau kann ich unmöglich mit steifen Formen anreden. Also auf du und du, liebe Sanna. Und morgen kommt ihr beide zu uns zu Tisch und bleibt bis zum Abend. Wir müssen noch viel besprechen, ehe Werner wieder abreist.«

Werner sagte mit Sannas Einverständnis zu. Man plauderte dann noch ein halbes Stündchen, dann verabschiedete sich das junge Paar, das noch einige Besuche machen wollte.

Käthe küßte Sanna herzlich zum Abschied.

»Wir werden uns sehr oft sehen, nicht wahr? Ich bin ja auch viel allein, wenn mein Mann im Geschäft ist. Und meine beste Freundin, Lotte Hansen, geht wieder nach Zürich, sie studiert Medizin. Da freue ich mich, daß ich in dir Ersatz finden werde,« sagte Käthe noch zuletzt.

Sanna saß dann froh und angeregt im Wagen neben Werner.

»Was sind das für liebe, gute Menschen, – man muß sie liebhaben,« sagte sie lebhaft.

»Ich wußte, daß sie dir gefallen würden,« antwortete er ruhig.

Sie sah ihn prüfend an.

»Du schienst mir so still in ihrer Gesellschaft? Oder habe ich mir das nur eingebildet?«

Er vermied ihren Blick.

»Ich war wohl nicht stiller als sonst. Vielleicht schien es dir so im Gegensatz zu Rudolf Ravens Lebhaftigkeit,« sagte er hastig, obwohl er sich bewußt war, daß sie recht hatte.

»Herr Raven ist sehr lustig,« sagte Sanna vergnügt. »Man muß viel über ihn lachen.«

»So wird er dir in meiner Abwesenheit ein guter Gesellschafter sein.«

Sannas Gesicht überflog jäh ein leiser Schatten. Wenn sie an Werners Abreise dachte, wurde ihr das Herz schwer. Ihre Scheu vor einem Zusammenleben hatte sich durch sein kluges, zurückhaltendes Benehmen fast verloren.

Sie hätte jetzt gern gesehen, wenn er geblieben wäre. Aber darum zu bitten wagte sie nicht. Sie wollte ihn in keiner Weise hindern in der Freiheit seines Handelns. Leicht mußte sie ihm sein Beschützeramt machen, damit sie ihm nicht lästig wurde.

* * *

Käthe Verhagen hatte mit einem langen Blick hinter dem jungen Paare hergesehen.

Ihr Mann sagte erstaunt: »Was hat sich Werner Rutland für ein blutjunges Frauchen aus den Kolonien geholt? Was hältst du von dieser Ehe, Käthe?«

Sie seufzte.

»Da ist wohl nicht alles so, wie es sein sollte. Diese liebe, kleine Sanna scheint mir dazu geschaffen, einen Mann glücklich zu machen – trotz ihrer großen Jugend. Eins ist sicher – sie liebt ihren Mann.«

»Ei – woher weißt du das so genau?«

»Das merken wir Frauen an allerlei geheimnisvollen Zeichen,« sagte Käthe lächelnd.

»Hörst du, Rudolf, Käthe hört und fühlt einmal wieder mit ihrem sechsten Sinn.«

Rudolf nickte.

»Käthe wird schon recht haben. Übrigens ist diese Frau Sanna ein liebes, kleines Ding – ein kleiner, süßer Paradiesvogel.«

Käthe und ihr Mann sahen sich lachend an. Dann sagte die schöne Frau neckend zu ihrem Bruder:

»Hast du schon wieder Feuer gefangen, du Schmetterling?«

Rudolf zuckte lächelnd die Achseln.

»Was kann ich denn dafür, daß es so viele schöne Frauen gibt, und daß mir eine immer besser gefällt als die andere.«

Käthe gab ihm einen kleinen Nasenstüber.

»Warte nur – deine Stunde schlägt auch noch einmal.« – Er nickte, als wisse er, daß er einem unentrinnbaren Schicksal in die Arme lief.

»Ich warte – sei ganz beruhigt, Schwesterherz. Aber ich will euch jetzt von meiner liebenswürdigen Gegenwart befreien. Meine Neuigkeit ist ja nun bestätigt worden. Mahlzeit, Herrschaften! Morgen komme ich natürlich auch zu Tisch, obwohl ihr mich schnöderweise noch nicht dazu eingeladen habt und ich mich eigentlich beleidigt fühlen könnte.«

»Das laß lieber bleiben, Rudolf – ich meine das Beleidigtfühlen. Ich verspreche dir auch, daß du neben dem Paradiesvogel sitzen sollst. Auf Wiedersehen! – und bessere dich!« sagte Käthe lachend.

Rudolf schüttelte dem Schwager die Hand und drückte Käthe einen Kuß auf die Wangen, dann ging er.


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