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Seraphine Münzer stand, feierlich in Seide gekleidet, in der großen, hallenartigen Diele des Hauses Rutland und warf einen wahren Feldherrnblick um sich. Es war alles zum Empfang des jungen Paares bereit. In wenigen Minuten mußte Werner mit seiner jungen Frau eintreffen. Tante Phine paßte mit ihrem scharfkantigen, unbewegten Gesicht und der stolzen, vornehmen Haltung vorzüglich in die altertümliche Pracht der hochgewölbten Diele mit den herrlichen, in Eichenholz geschnitzten Wänden. Die mit schönen, alten Malereien geschmückte Decke wölbte sich erst oben über dem ersten Stockwerk. Man sah von unten ein geschnitztes Geländer rings um den Flur des ersten Stockes laufen; er war von unten durch schwere Säulen gestützt, um die sich Rundbänke zogen. Oben führten zahlreiche Türen nach allen vier Seiten in die Zimmer, und unten lagen die Eingänge zu den Räumen unter dem säulengestützten Raume. Alle diese Eingänge waren geöffnet, die breiten Flügeltüren waren zurückgeschlagen, so daß man die schönen Räume überblicken konnte. Nur im Hintergrunde, hinter der schweren, vom Alter dunkelbraun gebeizten Eichentreppe mit dem kunstvoll geschnitzten Geländer waren einige Türen geschlossen, die in ein schmales Treppenhaus führten, welches von den im Erdgeschoß befindlichen Küchen- und Wirtschaftsräumen bis zum zweiten Stock führte. Dieses Treppenhaus hatte einen Nebenausgang nach der Straße und wurde von Dienstboten und Lieferanten benutzt.
Seraphine trat noch einmal in die Tür, die zum Speisezimmer führte. Hier war bereits die Tafel festlich gedeckt. Ein kostbares Damasttuch von feinstem Gewebe lag auf dem großen, runden Tisch. Darauf stand schweres Silbergerät und altes, wertvolles Porzellan, feingeschliffene Kristallgläser und eine große, mit Blumen und Früchten gefüllte Schale, die ein silbernes Schiff mit goldenen Masten und Segeln darstellte, das glückbringende Sinnbild des Hauses Rutland.
Tante Phine wußte, was sie dem Glanz dieses Hauses schuldig war. Sie verstand zu vertreten, das mußte man ihr lassen.
Hätte sie freilich geahnt, welch ein schlichtes, einfaches Geschöpf die junge Frau Rutland war, hätte sie gewußt, daß diese in einer weltabgeschiedenen Farm ohne alle Bequemlichkeit aufgewachsen war, vielleicht hätte sie sich mit einer geringeren Prachtentfaltung begnügt. Sie rief jetzt durch den Speiseaufzug, der Speisezimmer und Küche verband, einen Befehl hinunter. Gleich darauf hörte sie draußen den Wagen vorfahren. Ohne Hast, in steifer Würde und mit hocherhobenem Haupte ging Seraphine bis zur Mitte der Diele zurück und erwartete hier die Ankommenden. Ein Diener hatte die Tür geöffnet und stand nun draußen am Wagenschlag. Werner Rutland führte seine junge Frau an ihm vorüber über die Schwelle seines Hauses. Seraphine ging nun dem jungen Paare einige Schritte gemessen entgegen, jeder Zoll eine regierende Fürstin.
Werners Lippen umspielte verstohlen ein Lächeln. Genau so hatte er sich den Empfang vorgestellt. Er hatte Sanna sogar schon im voraus eine humoristische Schilderung davon geliefert, um sie darauf vorzubereiten. Nun mußte Sanna ein wenig lächeln und sah halb schelmisch, halb beklommen zu ihm auf. Er drückte leise ihren Arm und führte sie Tante Phine zu.
»Hier bringe ich dir meine junge Frau – dies ist Tante Phine, liebe Sanna!« sagte er, die Hand der alten Dame küssend.
Seraphine streckte langsam ihre kühle, hagere Hand aus, und Sanna legte die ihre schnell hinein. Ihre Augen blickten bang und unruhig in Tante Phines ausdrucksloses Gesicht.
Seraphine war von der ersten schnellen Musterung der jungen Frau sehr befriedigt und zugleich erstaunt. Dieses kindliche Wesen mit der bescheidenen, fast ängstlichen Haltung würde nicht schwer zu beherrschen sein. Wie kam Werner nur zu dieser kindlichen, schüchternen Frau?
Mühsam zwang sie sich einige freundliche Worte ab. Sanna fand keine Erwiderung dafür, die Kehle war ihr wie zugeschnürt. Unwillkürlich faßte sie wie Schutz suchend nach Werners Arm, und dieser lächelte ihr ermutigend zu.
»Ich stelle meine Frau unter deinen besonderen Schutz, Tante Phine! Sei recht lieb und gut zu ihr! Sie hat weder Vater noch Mutter und unsere Sitten und Gebräuche sind ihr fremd. Du wirst ihr helfen, sich zurechtzufinden, nicht wahr? Du mußt dich auch in Zukunft aufopfern und dem Haushalte vorstehen. Sanna ist noch zu jung und unerfahren. Ich rechne auf deine Bereitwilligkeit, weiß ich doch, daß du dem Glanz des Hauses Rutland jedes Opfer bringst.«
Tante Phine war ganz Huld und Gnade. Sie jubelte innerlich, daß man ihr so kampflos den ersten Platz überließ. Keine Ahnung kam ihr, daß Werner seine Worte wohlberechnet hatte, um sie nicht gegen Sanna zu erbittern. Sie war äußerst befriedigt, daß sie, wie sie es sich gewünscht, als Opfer hinstellen konnte, was ihr heiß ersehnt und erstrebenswert war.
»Du weißt, daß ich jederzeit zu Opfern bereit bin, lieber Werner, es ist ja selbstverständlich, daß ich auch fernerhin meine Kräfte dem Wohle dieses Hauses widme,« sagte sie würdevoll. Und zu Sanna gewendet, fuhr sie fort: »Ich werde dich selbst in deine Zimmer führen.« Das sagte sie mit einem Ausdruck, als lasse sie sich zu einer großen Huld und Gnade herab.
Inzwischen war das Gepäck des jungen Paares in die Zimmer geschafft worden. Sanna und Werner schritten hinter Tante Phine die breite Eichentreppe empor. Werner trat mit in Sannas Zimmer, um sich durch einen forschenden Blick zu überzeugen, daß Tante Phine auch frische Blumen zum Willkommen aufgestellt hatte. Es war geschehen. O ja – auf Tante Phine konnte man sich verlassen! Mochten ihre Gefühle der jungen Frau gegenüber sein, wie sie wollten, – an Äußerlichkeiten ließ sie es nie fehlen.
Sanna sah sich, Werners Hand noch immer festhaltend, in ihrem neuen Reiche um. Die gediegene Pracht der Ausstattung machte einen überwältigenden Eindruck auf sie. Die Zimmer waren einer längst vergangenen Zeit und Geschmacksrichtung gemäß eingerichtet. Solche Möbel hatte Sanna noch nie gesehen. Aber trotzdem fühlte sie sich traulich und heimisch berührt. Die tiefen Fensternischen erregten ihre Aufmerksamkeit.
»O, – die starken Mauern, – sie machen den Eindruck, als wäre man sicher dahinter vor allen Gefahren,« sagte sie aufatmend.
»Du sollst auch sicher und geborgen sein in dieses Hauses Schutz. Nicht wahr, Tante Phine, du hilfst mir, Sanna zu beschützen und zu behüten, wenn ich wieder auf Reisen gehe?« antwortete Werner.
Seraphine wandte sich ihm überrascht zu.
»Du willst wieder auf Reisen gehen?«
Er nickte.
»Ja. Aber darüber sprechen wir später. Jetzt wollen wir Sanna alleinlassen, damit sie sich ein wenig in ihrem Reiche umsehen kann. Hoffentlich gefällt es dir gut, Kind!«
»Es ist sehr schön hier – und so heimisch und traut. Ich weiß nicht, woran es liegt, – aber mir ist, als wären mir diese Zimmer nicht fremd, – als hätte ich sie schon im Traum gesehen,« sagte Sanna leise und versonnen.
Seraphine hatte kein Verständnis für derartige Stimmungen. Außerdem beschäftigte sie der Gedanke, daß Werner wieder reisen würde, außerordentlich.
»Du wirst dich umkleiden wollen, Susanna, – dein Gepäck steht in deinem Garderobenzimmer. Wenn du Bedienung brauchst, klingle, bitte. Das Zimmermädchen wird dann sofort erscheinen. In einer Stunde wird gespeist,« sagte sie in ihrer kühlen Weise.
Werner lächelte Sanna zu.
»Du mußt pünktlich fertig sein, Sanna! Tante Phine hält Pünktlichkeit für die erste Tugend. Ich hole dich dann ab, um dich ins Speisezimmer zu führen.«
Er küßte ihr die Hand. Sie sah errötend von ihm zu Tante Phine.
»Also bis nachher, Susanna!« sagte diese huldvoll.
»Bitte, – nenne mich Sanna, – ich bin nur an diesen Namen gewöhnt, liebe Tante Phine!« bat die junge Frau.
Damit rauschte Seraphine hinaus.
Werner blickte Sanna lächelnd ins Gesicht.
»Gelt, sie ist ganz so, wie ich sie dir beschrieben habe, die gute Tante Phine?« fragte er leise.
Sie nickte und sah ihn mit schelmischem Einverständnis an.
»Also auf Wiedersehen in einer Stunde, Sanna! Sei pünktlich – sonst stehe ich für nichts!«
Sie blickten sich lachend an, und dann verließ Werner schnell das Zimmer.
Draußen stand Seraphine, noch seiner wartend.
»Willst du wirklich wieder verreisen, Werner?« fragte sie hastig, als könne sie nicht erwarten, die Antwort zu hören.
Er sah sie belustigt an. Wußte er doch ganz genau, daß ihr eine Bestätigung angenehm sein würde.
»Wir sprechen noch darüber, Tante Phine! Ich habe dir überhaupt manches zu sagen. Jetzt verlangt mich jedoch danach, den Reisestaub abzuschütteln.«
Damit küßte er ihr artig die Hand und verschwand in seinen Zimmern, die denen Sannas gegenüber lagen, auf der anderen Seite des Flurs.
Seraphine sah ihm stumm und starr nach. Dann blickte sie auf Sannas Tür und schüttelte, die Achseln zuckend, den Kopf, als wollte sie sagen:
»Daraus werde ein anderer klug!«
Sanna ging zögernd und langsam durch ihre Zimmer. Jedes Möbel, jedes Bild betrachtete sie aufmerksam. Zuweilen streifte sie wie schmeichelnd mit den Händen über einen besonders schönen Gegenstand hin. Über einem Schränkchen, das mit wundervollen Schnitzereien verziert war, hing in einem vergoldeten Rahmen das Bild einer Dame in einer Tracht, die Sanna völlig fremd war. Wie seltsam dieses Gesicht auf sie wirkte. Es war, als ob ihr die grauen Augen ermutigend zulächelten. Wo hatte sie nur diese Augen schon gesehen, mit dem leisen humoristischen Ausdruck, mit der warmen Güte und Zartheit, die so zum Herzen sprach. Es war, als ob dieses Gesicht lebendig würde, als ob die Lippen sich bewegten und ihr zuflüsterten: »Kleine Sanna, liebe, kleine Sanna!«
Und da ging es wie ein Ruck durch ihre Gestalt. Plötzlich wußte sie, daß dieses Damenbildnis sie an Werner erinnerte. Ein helles Rot flog über ihr Gesicht.
»Wer bist du?« fragte sie halblaut, als müßte ihr das Bild Antwort geben. Aber dann lächelte sie über sich selbst und dachte: »Ich will gleich nachher Werner fragen, wer diese liebe, freundliche Dame ist. Sie gefällt mir viel, viel besser als Tante Phine.«
Langsam ging sie weiter, aber noch einige Male blickte sie nach dem Bilde zurück, und als sie mit ihrem Rundgang fertig war, setzte sie sich dem Bilde gegenüber an das Fenster. Dies Zimmer gefiel ihr am allerbesten, hier würde sie am allerliebsten weilen, das fühlte sie, und unter den gütigen, lächelnden Augen da drüben würde sie sich geborgen fühlen. Sie nickte dem Bilde lächelnd zu.
»Du bist gut, – das fühlt man,« sagte sie froh.
Und dann blickte sie zum Fenster hinaus. Ein leiser, entzückter Ausruf entfloh ihren Lippen. Da lag vor ihr der herrlichste alte Garten mit prachtvollen, breitästigen Bäumen und wundervollen Blumenrabatten. Blühende Rosen in ungeahnter Reichhaltigkeit und Fülle sandten ihren Duft zu ihr empor, als sie schnell das Fenster öffnete und sich hinausbog. Zwischen dem Gebüsch schimmerte das Dach eines hübschen Gartenhäuschens, welches von schlanken Säulen getragen wurde. Sie drückte die Hände aufs Herz und wandte sich nach dem Frauenbildnis um, als müsse sie jemand an ihrer Freude teilnehmen lassen.
»Heimat!« sagte sie bewegt vor sich hin – und dann noch ein zweites und drittes Mal mit starkem, innigen Ausdruck dieses eine Wort: »Heimat! Heimat!«
So grüßte sie die neue Umgebung und nahm sie in ihr Herz auf.
Dann glitt sie wieder in ihren Sessel und schloß die Augen. So saß sie reglos, bis ein feiner, silberner Ton sie aus ihrer Versunkenheit weckte. Erschreckt fuhr sie auf und blickte nach der hübschen kleinen Standuhr, die sie an die entschwindende Zeit gemahnt hatte. Eine halbe Stunde war bereits vergangen, jetzt mußte sie sich eilen, um pünktlich fertig zu werden.
Schnell schritt sie hinüber in das an ihr Schlafzimmer stoßende Ankleidezimmerchen, das in ganz leichten Farben gehalten war. Hier standen ihre Koffer bereit. Sie wusch sich Gesicht und Hände und ordnete das lockige, schwere Haar in frische Flechten. Dann nahm sie ein passendes Kleid aus dem Koffer, duftig und geschmackvoll in schwarz, mit einem Spitzeneinsatz am Hals und halblangen Ärmeln. Das legte sie an, und erst, als sie mit dem Schluß nicht fertig wurde, klingelte sie nach Bedienung. Ein sauber gekleidetes, frisches Mädchen trat ein und fragte nach ihrem Befehl. Es trug ein weißes Häubchen auf dem blonden Haar und sah sehr freundlich und dienstwillig aus.
Sanna bat, ein wenig schüchtern, ihr das Kleid zu schließen. Mit flinken, geschickten Händen führte das Mädchen den Auftrag aus. Sanna mußte an die alte Negerin denken, die ihr daheim ähnliche Kammerzofendienste geleistet hatte.
»Haben gnädige Frau weitere Befehle?«
Sanna wollte sich schon erkundigen, wer die Dame sei, deren Bild in ihrem Wohnzimmer drüben hing. Aber es fiel ihr ein, daß es vielleicht nicht statthaft sei, eine Dienerin danach zu fragen. Seufzend dachte sie, wieviel sie noch zu lernen haben würde, ehe sie sich richtig benehmen konnte in diesem Lande, das nun ihre Heimat war.
»Nein – ich danke, – ich – ich möchte nur noch wissen, wie Sie heißen.«
»Berta, gnädige Frau!«
»Es ist gut, Berta – so kann ich Sie doch nennen – nicht wahr? Ich brauche jetzt nichts mehr, – wenn Sie später Zeit haben, können Sie mir wohl meine Sachen auspacken.«
»Gleich nachher, – das gnädige Fräulein hat es mir schon anbefohlen.«
»Dann nehmen Sie, bitte, hier die Schlüssel.«
Berta nahm knicksend das zierliche Schlüsselbund und ging hinaus.
Draußen begegnete ihr Werner.
»Ist meine Frau fertig, Berta?«
»Ja, gnädiger Herr!«
Werner klopfte an die Tür zu Sannas Wohnzimmer und trat dann erst ein.
Sanna kam Werner mit erregt glühenden Wangen entgegen. Sie hatte sich beeilen müssen.
»Beinahe hätte ich mich verspätet, Werner. Habe ich schon warten lassen?« fragte sie ängstlich.
Er lachte.
»Aber, Sanna, – du hast dich doch nicht durch meine scherzhafte Drohung schrecken lassen? Hier in diesem Hause hat sich alles nach dir zu richten, das vergiß nicht. Hat dich Tante Phine etwa doch schon eingeschüchtert durch ihre Herrscherinnenmiene? Das laß sie ja nicht merken, sonst sieht sie in dir ein Opfer ihrer Tyrannengelüste. Nicht ducken lassen, kleine Frau! Tue Tante Phine den Gefallen, sie scheinbar als Oberhoheit zu betrachten, aber halte dich innerlich ganz frei von jedem Einfluß, den sie auf dich ausüben will.«
»Müssen wir jetzt zu Tisch gehen, oder haben wir noch ein Weilchen Zeit?«
»Wir haben Zeit, solange du willst.«
»Ich möchte zwei Wünsche aussprechen.«
Er zog die Stirn in wichtige Falten.
»Gleich zwei?«
Sie nickte lächelnd.
»Nun – dann heraus damit,« forderte er sie auf. Sie führte ihn vor das Damenbildnis und sah erwartungsvoll in sein kluges, kühnes Gesicht mit den warmen, humorvollen Augen.
»Ich möchte wissen, wer das ist.«
Ein weicher Ausdruck erschien auf seinem Gesicht.
»Ist das einer von den zwei Wünschen?«
»Ja, der stärkste.«
»Das ist meine Mutter, Sanna!«
Sie atmete tief auf und legte die Hand aufs Herz.
»Ach – wie gut! Ihre Augen erinnerten mich gleich an dich und – sie haben mich willkommen geheißen – ganz sicher. Sie sprachen zu mir und machten mich froh. Ich freue mich sehr, daß dieses Bild in meinem Zimmer hängt. Das ist, als sei ein Schutzgeist bei mir.«
Werner hatte ihren Worten mit seltsamer Ergriffenheit zugehört. Seine Augen ruhten sinnend auf ihrem jungen Gesicht.
Dann erinnerte er sich, daß sie von zwei Wünschen gesprochen hatte.
»Du hattest noch einen Wunsch auf dem Herzen, Sanna! Ist der auch so schwer zu erfüllen?« fragte er lächelnd.
Sie wandte ihm das Gesicht wieder zu.
»Ich möchte gern einmal in den schönen, großen Garten hinaus, der vor meinen Fenstern liegt.«
Er zog ihren Arm durch den seinen.
»So komm. Hast du lauter solche vermessenen Wünsche?«
Sie sah ihn an, und der hinreißende Schelmenzug lag wieder auf ihrem Gesicht.
»Du solltest dein Schicksal nicht herausfordern.«
Er fand sie entzückend mit diesem Ausdruck.
Sie waren die Treppe hinabgeschritten, und er führte sie nun durch ein in hellen Farben gehaltenes und mit einem großen, kostbaren Gobelin geschmücktes Zimmer. Von hier führte eine mit Glasfenstern versehene Tür über einige Sandsteinstufen in den Garten.
Sanna riß sich hier plötzlich von Werners Arm los und lief mit schnellen Schritten auf dem Hauptweg hinab bis zu den Rosensträuchern. Mit einem entzückten Ausruf blieb sie hier stehen und betrachtete, den Duft in vollen Zügen einatmend, die blühende Pracht.
»Wie schön – wie schön!« rief sie Werner entgegen, der ihr langsam gefolgt war.
Er freute sich an ihrem Entzücken und schnitt einige der schönsten Blüten ab, die sich erst halb entfaltet hatten.
»Komm – laß dich schmücken für das erste Mahl, das du in meinem Hause einnimmst,« sagte er und befestigte eine zarte Blüte in ihrem kastanienbraunen Haar. Sie hielt still und senkte errötend die Augen. Dabei sah sie so hold und lieblich aus, daß er sie am liebsten in seine Arme genommen und geküßt hätte. Aber er bezwang sich, um sie nicht zu erschrecken, und bot ihr die anderen abgeschnittenen Rosen.
»So – die steckst du in den Gürtel, dann sieht dein schwarzes Kleid doch ein wenig festlich aus.«
Sie tat, wie er geheißen hatte. In diesem Augenblick erschien Tante Phine in der offenen Tür.
Werner nickte ihr zu.
»Wir kommen sofort, Tante Phine!« rief er hinüber und fuhr leiser zu Sanna fort: »Ich glaube, der Braten brennt an, wenn wir uns jetzt nicht beeilen – und das würde uns Tante Phine nie verzeihen.«
Sie schritten den Weg gemeinsam zurück. Sanna ließ den Blick umherschweifen.
»Darf ich mich in diesem Garten aufhalten, so oft ich will?«
»Du darfst alles tun, was dir Freude macht. Haus und Garten sind dein Eigentum.«
Sie drückte in aufwallender Dankbarkeit seinen Arm.
»Du bist so gut, Werner – so unbeschreiblich gut. Mein lieber Vater könnte mich nicht mehr verwöhnen. Wenn ich es dir nur danken könnte!«
»Du dankst es mir, indem du dich wohl und zufrieden fühlst.«
Sie waren bei Seraphine angelangt, die ihnen mißbilligend ob ihrer Unpünktlichkeit entgegensah. Werner schnitt ihr jeden Vorwurf ab, indem er sagte:
»Ist das Festmahl bereit, Tante Phine? Wir sind heute ausnahmsweise ein bißchen unpünktlich gewesen. Sanna mußte sich erst ein wenig umsehen. Aber nun sollst du deine Freude haben. Wir werden dir bei Tisch alle Ehre antun.«
Sie saßen dann in dem schönen altertümlichen Speisezimmer mit den wundervollen, dunkel gebeizten Eichenmöbeln, die so fest und gediegen auf ihren Plätzen standen, als seien sie seit Jahrhunderten mit dem Hause verwachsen.