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Viertes Kapitel.

Fräulein Seraphine Münzer hatte es sich nach Werner Rutlands Abreise so recht gemütlich und behaglich in dem alten schönen Patrizierhause gemacht. Sie fühlte sich so vollkommen uneingeschränkt als Herrin, daß sie gar nicht daran dachte, es könnte eines Tages anders werden.

Vor allen Dingen hatte sie für sich die Zimmer der verstorbenen Herrin des Hauses mit Beschlag belegt, die zu Lebzeiten Johann Rutlands verschlossen geblieben waren. Es waren die schönsten Zimmer des Hauses im ersten Stock. Im Erdgeschoß waren nur Gesellschafts- und Speisezimmer. Die Wohn- und Schlafräume Johann Rutlands und seiner Frau, ebenso einige Zimmer für Werner befanden sich im ersten Stock. Seraphine hatte bisher ihre Zimmer im zweiten Stock bewohnt. Da sich aber da oben nur noch Zimmer für die Dienstboten und allerlei Wirtschaftsräume befanden, war es Fräulein Seraphine schon lang ein Dorn im Auge gewesen, daß man sie im zweiten Stock untergebracht hatte. Wozu sollten die schönen Zimmer im ersten Stock mit den wundervollen alten Möbeln leer stehen? Johann Rutland ruhte draußen auf dem Friedhofe bei seiner Frau, und Werner war für lange, vielleicht – ›man konnte nicht wissen‹ – für immer in die weite Welt gegangen. Da wäre es doch töricht gewesen, wenn sie, Fräulein Seraphine Münzer, die Bescheidenheit so weit getrieben hätte, ›da oben‹ bei den Dienstboten wohnen zu bleiben. Fromme Rücksicht ist eine schöne Sache, so lange sie einen Zweck hat, aber jetzt hatte sie keinen Zweck mehr, es konnte niemandes Gefühl verletzen, wenn sich die ›stellvertretende Herrin des Hauses‹ in den Zimmern der ehemaligen wirklichen Herrin breitmachte. Und so machte sich Tante Phine breit, sehr breit sogar, trotz ihrer hageren Gestalt und ihrer spitzen Nase. Alle Zimmer der verstorbenen Herrin nahm sie in Benützung.

Werner hatte ihr, trotzdem ihr Johann Rutland ein ansehnliches Jahrgeld ausgesetzt hatte, einen bedeutenden Zuschuß bewilligt, damit Haus, Hof und Garten und die Dienerschaft zu ihrem Rechte kamen. Seraphine lebte vollständig auf Kosten Werners und konnte ihr Jahrgeld sparen. Sie fühlte sich aber nun auch vollständig als reiche Patrizierin, und wenn sie ihre Kränzchenschwestern bei sich sah, dann waren für den Abend auch immer deren Männer gebeten, und Seraphine spielte auf Werners Kosten und mit seinen Weinkellerschlüsseln die gastfreie Wirtin. Auch sonst sah sie gern und viel Gesellschaft bei sich und prunkte gehörig mit den Silberschätzen des Hauses, mit den feinen alten Damasten und dem kostbaren Porzellan.

Warum sollten diese Schätze auch ungewürdigt von Motten und Rost zerfressen werden? Tante Phine fühlte sich verantwortlich für den Glanz des Hauses Rutland und war sich bewußt, seine würdige Vertreterin zu sein. Oft dachte sie befriedigt, wie gut es doch war, daß Werner Rutland nicht ›diese Käthe Raven‹ geheiratet hatte. Ein rechter Segen, daß die nun Käthe Verhagen hieß und unschädlich war, im geheimsten Schrein ihres Herzens dankte sie es ihr doch, daß sie nicht Werners Frau geworden war, und daß sie ihm den Geschmack am Heiraten, ›hoffentlich für immer‹, genommen hatte. Wenn er wirklich nach einigen Jahren wiederkäme, dann würde er sich wie ein echter Bücherwurm mit seinem Reisewerk befassen und sie nach Belieben schalten und walten lassen. Heiraten würde der ganz sicher nicht mehr.

Tante Phine war sehr zufrieden mit dem Stand der Dinge und ließ sich die Schleppen an ihren ›Prachtgewändern‹ noch ein Stück länger machen, damit sie recht königlich einherrauschte.

In diese Behaglichkeit traf nun plötzlich ein Eilbrief Werner Rutlands wie eine vernichtende Bombe. Dieser Brief war in Bremerhaven zur Post gegeben worden und wirkte auf Tante Phine wie ein eisiges Sturzbad. Er lautete:

»Liebe Tante Seraphine! Wie Dir der Poststempel dieses Briefes schon verrät, bin ich nach Deutschland zurückgekehrt, schneller wohl, wie Du vermutet hast. Sehr erstaunt wirst Du sein, wenn ich Dir sage, daß ich nicht allein zurückkomme, sondern mit meiner jungen Frau.«

Hier sank Tante Phine erst einmal entgeistert in ihren Sessel zurück. Ihre fahle, blasse Hautfarbe bekam entschieden einen grünlichen Anstrich, und ihre kalten, etwas vorstehenden Augen drohten aus dem Kopfe zu springen. Nachdem sie mit Hilfe von englischem Riechsalz und kaltem Wasser notdürftig ihre Lebensgeister wieder geweckt hatte, nahm sie den Brief wieder auf und las ächzend und stöhnend, sich in ohnmächtigem Groll verzehrend, weiter:

»Ich habe mich am 10. Mai in Swakopmund mit Fräulein Susanne Folkhard vermählt. Du wirst Dich wundern, daß ich mich so schnell entschlossen habe zu dieser Heirat. Die Gründe teile ich Dir mündlich mit. Heute nur so viel: Ich reise jetzt mit meiner jungen Frau noch auf einige Tage nach Berlin, wo wir allerhand Einkäufe zu machen haben. Nächsten Sonnabend treffen wir dann in Danzig ein, und ich bitte Dich, mit Deinem bewährten Geschick alles zum Empfang meiner jungen Frau vorzubereiten.

Sie soll die Zimmer bewohnen, die Tante Anna bewohnt hat, und die den jeweiligen Herrinnen des Hauses Rutland zukommen. Sie sind ja, wie es bei Deiner tadellosen Führung des Haushaltes selbstverständlich ist, in vollster Ordnung, und Du wirst nur nötig haben, zu lüften und für hübschen Blumenschmuck zu sorgen. Ich selbst bewohne meine alten Zimmer wie sonst.

Weiter habe ich heute nichts zu bemerken. Alles andere mündlich. Meine junge Frau läßt sich Dir mit herzlichen Grüßen empfehlen, wie ich selbst es auch tue. Dein Werner.«

Das war ja unglaublich, ganz unglaublich! Werner Rutland, den sie ›wohlbesorgt und aufgehoben‹ bei den ›Wilden‹ wähnte, war auf dem Wege nach Hause, und nicht nur allein, sondern mit seiner Frau. Und der Himmel stürzte nicht ein über der unerhörten Tatsache, daß es nun wieder eine wirkliche Herrin im Hause Rutland geben würde, daß sie selbst, Seraphine Münzer, in das Schattendasein einer entthronten Königin untertauchen mußte? Sie sah sich mit einem glanzlosen Blick um in dem Zimmer, in dem sie sich so siegesgewiß eingenistet hatte. Diese Zimmer sollte sie nun wieder räumen, zur heimlichen Schadenfreude der Dienstboten natürlich, um sie der jungen Frau Werner Rutlands zu überlassen.

Wie kam er denn überhaupt dazu, zu heiraten, noch dazu, ohne ihr vorher Mitteilung davon zu machen? Den Tod konnte man ja haben auf der Stelle vor Schreck über diese unerhörte Neuigkeit. So sicher hatte sie ihn da unten gewähnt vor allen heiratslustigen Jungfrauen und Witwen. Brachte er etwa gar eine Negerin, eine Wilde, in das stolze Haus seiner Vorfahren? Nach dieser Nachricht gab es ja überhaupt keine Unmöglichkeiten mehr. Wie mußte er nur zu dieser Frau gekommen sein? Ja, hatte er denn schon so ganz und gar Käthe Verhagen vergessen, die er doch so unmenschlich geliebt hatte? O diese Männer, diese Männer! Konnte man sich wohl auf einen von ihnen verlassen?

Aber alle Empörung half nichts. Sie sah, nachdem sie eine Weile in ohnmächtigem Zorn gegen diese Heirat gewütet hatte, mit verbissenem Grimm ein, daß sie sich Werners Anordnungen fügen mußte.

In ihrer kleinlichen Seele setzte sich in dieser ihren herrschsüchtigen Charakter so tief demütigenden Stunde ein an Haß grenzender Groll gegen die künftige Herrin des Hauses Rutland fest. Sanna erwuchs in ihr eine erbitterte Feindin, noch ehe ihr Fuß die Schwelle des Hauses überschritten hatte. Während Seraphine dann wohl eine Stunde lang grübelnd die Zimmerflucht durchschritt, nahm sie sich fest vor, sich von der jungen Frau nicht von ihrem Posten als Leiterin des Hauswesens verdrängen zu lassen. Sie hatte nicht Lust, jetzt plötzlich bescheiden in den Hintergrund zu treten, nachdem sie jahrelang Alleinherrscherin gewesen war.

Fräulein Seraphine bestimmte nicht nur der Ehrgeiz und die Herrschsucht zu diesem Vorsatz. Sie hatte in all den Jahren ein nettes Sümmchen für sich aus der Haushaltkasse erübrigt. Dieser angenehme Zuschuß sollte ihr nicht verloren gehen, solange sie es hindern konnte. Wie hätte sie auch sonst ihre kostspieligen Wünsche befriedigen sollen? Sie liebte Schmuck und schöne Kleider. Von ihrer Rente allein konnte sie derartige Ausgaben nicht bestreiten. Alles in allem hatte Seraphine Münzer nun eine Reihe bitterer Stunden durchzukosten, die sie alle der jungen Frau auf die Rechnung schob.

Die Dienerschaft lächelte schadenfroh hinter der unbeliebten Haustyrannin her, als ihre Sachen wieder nach dem zweiten Stock geschafft werden mußten. Sie hatte wohl oder übel erklären müssen, daß der Herr des Hauses mit einer jungen Frau zurückkehre, und daß diese die Zimmer beziehen würde, die sie räumen mußte.

Neben diesen Bitterkeiten plagte Seraphine eine brennende Neugier, wie Werners Frau beschaffen sein mochte. Vor allem quälte sie der Gedanke, ob diese sich leicht beherrschen und beiseite schieben lassen, oder ob es zu einem erbitterten Kampf kommen würde.

Zu alledem ärgerte sie noch die viele Arbeit. In den wenigen Tagen gab es natürlich viel zu tun. Seraphine mußte eine geplante Festlichkeit, zu der sie schon Einladungen ausgeschickt hatte, absagen lassen, da dieselbe gerade am Sonnabend hätte stattfinden sollen.

Das Bitterste kam aber noch für die arme Seraphine. Ihre Kränzchenschwestern, voran ihre ›beste Freundin‹, Frau Geheimrat Papperitz, zu denen das Gerücht von Werner Rutlands Heirat gedrungen war, kamen der Reihe nach herbei, um Seraphine mit süßen Worten Glück zu wünschen und ihr zwischen den Worten mehr oder weniger deutlich zu verstehen zu geben, daß man nun das Ende ihrer Herrlichkeit voraussah. Seraphine Münzer konnte jedoch nicht nur andere beherrschen, sondern auch sich selbst, wenn sie es wollte. Und den mit versteckter Bosheit forschenden Blicken gegenüber wollte sie es.

Sie gab sich den Anschein, als sei sie durchaus nicht überrascht, ja als sei sie längst in alles durch Werner eingeweiht. Sie heuchelte sogar eine große Freude an dem Ereignis.

Indes, wenn sie auch den Kopf noch so steif im Nacken trug, so fühlte sie sich doch im Innern grenzenlos gedemütigt. Auch diese Bitterkeit schrieb sie auf Sanna Rutlands Schuldbuch. Es waren also nur gehässige, grollende Gefühle, mit denen sie das junge Paar erwartete.


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