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33.

Lothar war in Jena angekommen und hatte in demselben Hotel Wohnung genommen, dessen Namen er der Grill notiert hatte. Er trug sich in das Fremdenbuch nur unter dem Namen Wilden ein, um keine Vorsichtsmaßregel außer acht zu lassen. Daß Jonny jedenfalls gut bewacht würde, bezweifelte er nicht. Noch an demselben Abend brachte er in Erfahrung, wo sich das Haus der Frau Doktor Brinkmann befand. Der Portier des Hotels kannte wohl jeden Menschen in Jena und gab ihm genauen Bescheid.

Lothar bestellte zugleich für den nächsten Tag ein Zimmer für Grill. Nachdem er sich ein wenig erfrischt hatte, ging er noch aus, um sich wenigstens das Haus anzusehen, in dem er Jonny zu finden hoffte. Im Parterre waren mehrere Fenster erhellt und er sah, daß sich einige Schatten dahinter bewegten. Eines der Fenster war geöffnet, aber es war ein Vorhang vorgezogen, so daß man keinen Einblick in das Zimmer erhielt.

Lothar stand eine ganze Weile am Gartenzaun und sah nach den hellen Fenstern. Und dann ertönte Klavierspiel und eine frische helle Mädchenstimme sang »Das Veilchen« von Mozart. Wenn Stumpfnäschen geahnt hätte, daß da draußen ein Kavalier den Zuhörer spielte, dann hätte es wohl noch ein Lied zugegeben.

Lothars Brust hob sich doch etwas freier. So sehr schlimme Dinge konnten in dem freundlichen Hause doch nicht geschehen. Er wußte nicht, was er eigentlich gefürchtet hatte. Aber wer konnte wissen, welcher Art die Pension der Frau Doktor Brinkmann war. Nun klang helles Mädchenlachen zu dem Lauschenden heraus. Am liebsten wäre er in das Haus hineingestürmt, um zu sehen, ob sich Jonny unter diesen jungen Damen befand. Aber er sah ein, daß es sehr unklug gewesen wäre.

Langsam ging er zum Hotel zurück. Viel Schlaf fand er nicht in dieser Nacht.

Am anderen Morgen bummelte Lothar in den Straßen von Jena herum, bis die Zeit gekommen sein würde, wo er anstandsgemäß einen Besuch machen konnte.

Immer noch zu früh kam er am Ufer der Saale an und schritt langsam vorwärts. Er beschloß, erst einmal am Hause vorüberzugehen und sich die Szenerie bei Tage zu beschauen. Das dichte Gesträuch am Gartenzaun verbarg ihn, ohne ihm einigen Einblick zu versperren. Kurz bevor er die Gartenpforte erreichte, traten aus dem Hause zwei junge Damen. Es war das hübsche Stumpfnäschen und Fräulein Helma mit dem eckigen Knabengesicht. An der Pforte trafen sie mit Lothar zusammen. Das Stumpfnäschen warf einen schnellen, koketten Blick auf den vornehmen, eleganten jungen Herrn. Es ließ sich nie eine Gelegenheit entgehen ein wenig zu kokettieren, das war ihr Lebensinhalt.

Die beiden jungen Mädchen gingen Arm in Arm vor Lothar her. Er folgte ihnen, um vielleicht etwas von ihrem Gespräch zu verstehen. Fräulein Helma machte Trudi darauf aufmerksam. Sie ging am liebsten mit Trudi aus, weil diese sehr viel bewundernde Blicke erhielt und sich Helma in ihrem Glanze etwas sonnen konnte.

»O Gott, Trudi – der ist entzückend – du, solch einen schneidigen Menschen hab ich hier noch nicht gesehen. Du, er beobachtet uns sehr scharf – er folgt uns sicher mit Absicht.«

Trudi lächelte geschmeichelt und ließ »ganz aus Versehen« ein Buch fallen, das sie in der Hand hielt.

Natürlich bückte sich Lothar schnell darnach und gab es ihr zurück, indem er artig grüßte.

Stumpfnäschen dankte mit einem Lächeln und einem entzückenden Augenaufschlag.

Lothar war nicht gewillt, den »Zufall« ungenützt zu lassen.

»Verzeihung, meine Damen – ist hier in der Nähe vielleicht die Wohnung von Frau Doktor Brinkmann?«

Trudi ahnte, daß diese Frage nur ein Vorwand war, ein Gespräch anzuknüpfen. Helma zwickte sie vor Vergnügen in den Arm. Sie sahen sich beide vorsichtig um.

»Frau Doktor Brinkmann wohnt im vierten Hause von hier – wir haben es eben verlassen.«

»Ah – das ist ja ein günstiger Zufall. Sie können mir gewiß Auskunft geben, ob Frau Doktor Brinkmann jetzt zu sprechen ist, mein gnädiges Fräulein.«

»Frau Doktor ist augenblicklich nicht zu Hause. Sie wird jedoch bald zurück sein,« erwiderte Trudi und zwickte Helma ebenfalls. Augenscheinlich amüsierten sich die beiden königlich und waren gespannt, welche Wendung das Gespräch nun nehmen würde.

Lothar war sehr angenehm überrascht, als er hörte, daß Frau Doktor Brinkmann nicht zu Hause war. So glückte es ihm vielleicht eher, Jonny zu sehen und zu sprechen.

»Ich danke Ihnen für die Auskunft, mein gnädiges Fräulein. Eigentlich gilt mein Besuch weniger Frau Doktor Brinkmann, als einer jungen Verwandten von mir, die in ihrem Hause seit kurzer Zeit lebt. Würden Sie die Güte haben, mir zu sagen, auf welche Weise ich zu Fräulein Jonny Warrens gelangen kann? Ich muß sie in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«

Trudi sog mit einer drolligen kleinen Grimasse die Luft ein und sah Helma an, als wollte sie sagen: »Spiritus – merkst du was?« Helma gab jedoch den Blick verständnislos zurück. Sie kapierte nicht so schnell.

Trudi witterte irgend etwas Romantisches. Und sie wollte sich dem vornehmen jungen Herrn gefällig zeigen – man konnte nicht wissen, welchen Nutzen es brachte. Sie sah Helma bedeutungsvoll an.

»Sollen wir den Herrn zu Fräulein Jonny führen, Helma?«

»Ach, bitte, meine verehrten jungen Damen, tun Sie das. Sie machen mich auf ewig zu Ihrem Schuldner,« bat Lothar dringend.

Die Mädchen kicherten ein wenig und zögerten noch einen Augenblick. Aber er sah doch, daß sie nicht abgeneigt waren. Endlich entschloß sich Trudi.

»Folgen Sie uns, mein Herr. Wir werden Sie in das Sprechzimmer führen und Ihnen Fräulein Jonny herunterschicken.«

Lothar hätte am liebsten einen Freudensprung gemacht, aber er vermochte sich zu beherrschen und in ruhiger Weise seinen Dank auszusprechen.

Er folgte den Damen in das Haus. Der Flur war leer. In der Küche hantierten die Mädchen und ein leichter Bratenduft machte sich bemerkbar.

Trudi öffnete eine Tür.

»Bitte, wollen Sie hier eintreten, mein Herr. Wir werden Fräulein Jonny gleich benachrichtigen.«

Lothar küßte in froher Dankbarkeit den beiden jungen Damen die Hand, worüber diese vor Vergnügen erröteten. Dann trat er ein und blieb in großer Erregung mitten im Zimmer stehen. So nahe seinem Ziele, fürchtete er ein neues Hindernis. Wenn nur diese Frau Doktor nicht nach Hause kam, ehe er Jonny im Arm hielt.

Trudi und Helma waren draußen eine Weile stehen geblieben und zwickten sich gegenseitig wieder in stummer Wonne.

»Ahnst du was?« flüsterte Trudi dann wichtig.

»Was denn, Trudi?«

»Mein Gott – kannst du dir nicht denken, wer dieser vornehme, schneidige Kavalier ist?«

»Nun – ich denke, ein Verwandter von Fräulein Jonny.«

»Baby – bist du dumm. Ich will wetten, daß es der junge Graf ist, wegen dem man Fräulein Jonny hierhergeschickt hat.«

Helma machte große Augen. »Meinst du – ach – das wäre ja – du – da haben wir vielleicht eine Dummheit gemacht. Wollen wir ihn nicht lieber warten lassen, bis Frau Doktor kommt?«

Stumpfnäschen tippte ihre Freundin auf die Stirn.

»Daß er dann am Ende Fräulein Jonny nicht zu sehen bekommt. Nein – er ist zu reizend – ich helfe ihm. Ach Gott, Helma – das wird romantisch, gib acht. So ein Abenteuer habe ich mir schon lange gewünscht. Aber nun komm schnell. Wir rufen Jonny. Sag aber kein Wort, wer sie sprechen will.«

Sie jagten nun eilig die Treppe empor und klopften an Jonnys Tür. Diese hatte soeben, wie sie jetzt oft tat, Lothars frühere Briefe gelesen und öffnete mit sichtlichen Tränenspuren im Gesicht die Tür.

»Fräulein Jonny, Sie möchten sofort in das Sprechzimmer kommen!« rief Trudi atemlos, und ehe Jonny antworten konnte, liefen die beiden wieder davon.

Jonny schloß erst ihre Briefe wieder fort und ging hinunter, ahnungslos, wer sie zu sprechen wünsche. Sie glaubte, Frau Doktor habe sie rufen lassen.

Trudi und Helma hatten sich unten an die Tür gestellt, die in den Garten führte, so daß sie Jonny nicht sehen konnte. Mit gespannten Gesichtern warteten sie auf die Dinge, die da kommen sollten. Jonny öffnete die Tür zum Sprechzimmer und trat ein. Mit einem leisen Aufschrei blieb sie stehen und starrte zu Lothar hinüber.

»Lothar!« rief sie in einem unbeschreiblichen Tone und wäre vor Schrecken umgesunken, wenn er sie nicht sofort in seine Arme genommen hätte.

»Jonny – meine süße, kleine Jonny – ich hab dich wieder,« rief er beseligt und sah ihr tief in die erloschenen Augen. Sie seufzte tief auf und sah ihn an, wie in einem wundersamen Traume.

»Lothar! Lothar!«

Ein anderes Wort fand sie nicht, aber in diesen Worten lag eine Welt von Liebe und Herzeleid. Sie sagten ihm alles, was er hören wollte. Er preßte sie fest an sich und küßte ihre Lippen mit so leidenschaftlicher Innigkeit wieder und wieder, daß sie nicht mehr über seine wahren Gefühle im Zweifel sein konnte.

Und dann strömte seine ganze zurückgehaltene Sehnsucht in glühenden Worten über sie hin. Alles, was er für sie fühlte, was er seit den Weihnachtstagen hatte in sich verschließen müssen und ihn so gedrückt und gequält hatte, machte sich Luft in ungestümen Worten. Und er brauchte sie nicht zu fragen, ob sie ihn wiederliebe. Ihre großen strahlenden Augen verrieten es ihm, ihr Erröten und Erblassen, das Zittern und Beben der schlanken, in seinen Armen ruhenden Gestalt. Wie ein Sturmwind riß er sie mit fort, ehe sie nur Zeit hatte, sich zu besinnen. Sie konnte nichts fühlen und denken, als die grenzenlose Seligkeit dieser Stunde, die alle Not und Pein auslöschte. Sie vergaßen beide Zeit und Ort. Er zog sie neben sich auf das zierliche Korbsofa, ohne sie aus seinen Armen zu lassen und küßte immer wieder ihren zuckenden Mund, die jetzt wieder goldig schimmernden Augen und die zitternden Hände.

Endlich vermochte sich Jonny ein wenig zu fassen. Sie bog sich plötzlich abwehrend zurück und sah ihn ängstlich an.

»Lothar – die Komtesse Liebenau? Ich denke, sie ist deine Braut?«

Er küßte sie lachend.

»Kleines Närrchen – hast du dir wirklich dieses Märchen aufbinden lassen? Nie habe ich einen Augenblick daran gedacht, diese vornehme Puppe zu heiraten.«

»Aber deine Mutter – Lothar – o mein Gott – was soll deine Mutter sagen zu alledem?«

Sein Gesicht verfinsterte sich einen Augenblick.

»Laß das jetzt – trübe mir diese Stunde nicht – mit ihr werde ich fertig. Jetzt halte ich dich, mein geliebtes Leben, jetzt bist du mein und keine Macht der Erde soll uns trennen.«

Jonny ließ sich nur zu gern von ihm beruhigen. Eng umschlungen saßen sie nebeneinander und sagten sich alles, wovon ihre Herzen so voll waren.

Inzwischen hatten Helma und Trudi im Hausflur auf der weißen Bank gesessen. Sie hatten nur Jonnys Aufschrei gehört und zuweilen einen Ton der leidenschaftlichen Männerstimme. Atemlos vor Erwartung saßen sie da, sie wären jetzt um die Welt nicht ausgegangen.

Endlich kam Frau Doktor von einem Gange in die Stadt nach Hause zurück.

Trudi trat ihr entgegen.

»Fräulein Jonny hat Besuch bekommen, Frau Doktor,« meldete sie harmlos.

Die gute Dame erschrak sichtlich.

»Besuch – wen denn?«

»Oh, einen jungen, sehr vornehm und aristokratisch aussehenden Herrn.«

Frau Doktor hatte sich die Hutbänder gerade aufgebunden. Nun stürmte sie in heller Aufregung nach dem Sprechzimmer. Eine dunkle Ahnung verriet ihr, wer dieser Herr sein könnte, und in heller Angst sah sie schon die hohe Pension für Jonny wie einen schönen Traum verfliegen.

Ganz entsetzt riß sie die Türe auf und starrte entgeistert auf das glückliche Paar. Trudi und Helma hielten sich im Hintergrund und sahen der kommenden Szene mit Spannung entgegen. Als sie das Paar innig umschlungen sitzen sahen, zwickten sie sich wieder in die Arme.

Lothar hatte sich erhoben und verneigte sich vor Frau Doktor.

»Mein Herr – ich muß doch bitten – ich weiß nicht« – stotterte die erschreckte Frau. Aber Lothar ließ sie gar nicht ausreden.

»Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich nicht erst Ihnen meinen Besuch machte. Ich hörte, Sie seien ausgegangen. Mein Name ist Wildenfels.«

Trudi und Helma stießen einen undefinierbaren Ton aus vor Entzücken, aber Frau Doktor fiel beinahe in Ohnmacht, als sie ihre Ahnung bestätigt sah.

»Herr Graf Wildenfels?« fragte sie tonlos.

»Zu dienen, gnädige Frau.«

»Um Gotteswillen, Herr Graf – Sie bringen mich in eine furchtbare Verlegenheit. Oh, mein lieber Gott – Ihre Frau Mutter hat mir verboten, Sie jemals mit Fräulein Jonny zusammenkommen zu lassen. Gegen meinen Willen ist es nun geschehen. Ach, du lieber Himmel, wäre ich doch nicht fortgegangen. Aber wer konnte so etwas denken! Was wird die Frau Gräfin dazu sagen? Sie wird mir nicht glauben, daß ich schuldlos bin.«

Lothar trat ihr einen Schritt näher.

»Beruhigen Sie sich, gnädige Frau, ich werde selbst für Sie zeugen bei meiner Mutter. Ich konnte nicht warten, bis Sie kamen, ich hatte sehr notwendig mit meiner Braut zu sprechen.«

Er zog Jonny an seine Seite. Stumpfnäschen schluchzte vor Wonne.

»Welch ein schönes Paar, Helma,« sagte es begeistert.

»Ihre Braut?« sagte Frau Doktor und sank fassungslos in einen Sessel.

Lothar schloß die Tür, zum größten Leidwesen der beiden Lauscherinnen, die nun hinaufstürmten, um die Neuigkeit den andern Pensionärinnen mitzuteilen.

Lothar hatte sich verneigt.

»Fräulein Warrens ist meine Braut seit dieser Stunde.«

Frau Doktor rang die Hände.

»Ach, du liebe Zeit – was soll das werden – wie soll ich das nur verantworten? Frau Gräfin wird natürlich das gezahlte Geld zurückfordern. Sie schädigen mich sehr, Herr Graf, ich bin doch auf meine Pensionärinnen angewiesen.«

»Beruhigen Sie sich doch, gnädige Frau. Sie hätten mich wahrlich nicht hindern können, meine Braut zu sehen. Und Schaden soll Ihnen in keiner Weise erwachsen, dafür bürge ich Ihnen.«

Das beruhigte Frau Doktor wunderbar. Sie jammerte aber noch ein wenig.

»Oh, mein Gott, mein Gott, ich bin ja so fassungslos, so erschrocken. Wie haben Sie nur die Adresse erfahren? Frau Gräfin hatte doch alles so angeordnet, daß es nicht möglich war.«

Lothar lächelte.

»Die Damen waren in dieser Beziehung wohl ein wenig unklug. In unserem Deutschen Reiche verschwindet so leicht keine junge Dame, ohne eine Spur zurückzulassen. Im übrigen, verehrte Frau Doktor, bin ich zu ernsten Nachforschungen gar nicht gekommen. Sie sollten sich etwas stärkere Briefkuverts anschaffen.«

Sie sah ihn erstaunt an.

»Briefkuverts?«

»Ja. Sie haben dieser Tage meiner Mutter einen Brief geschickt. Und durch das dünne Kuvert konnte ich ganz deutlich drei Worte lesen. Jena – Pension – Brinkmann. Das genügte mir. Nun Sie darüber orientiert sind, können wir wohl ruhig über die Angelegenheit verhandeln. Es ist mir wünschenswert, daß meine Braut vorläufig ruhig hier bei Ihnen bleibt, aber nicht allein. Die Kammerfrau meiner verstorbenen Großmutter trifft heute mittag hier ein. Können Sie mir noch ein Zimmer für sie zur Verfügung stellen? Meine Braut muß unbedingt eine vertraute und ihr treu ergebene Dienerin um sich haben. Der Preis spielt keine Rolle. Ich werde Sie auch sonst in jeder Weise entschädigen für den Verdienst, der Ihnen verloren geht, wenn Sie sich meinen Wünschen in jeder Beziehung fügen.«

Frau Doktor Brinkmann rechnete in fieberhafter Hast. Sie wog Für und Wider ab und war praktisch genug, zu erkennen, daß sie nur gewinnen konnte, wenn sie sich dem sehr bestimmt auftretenden jungen Herrn bedingungslos fügte. Sie klagte und jammerte noch ein Weilchen, um Lothars Opferwilligkeit noch zu erhöhen. Dieser faßte nun sein Anerbieten in bestimmte Zahlen und Frau Doktor war besiegt. Was ging [sie] schließlich der Unwille der Gräfin Wildenfels an. Sie hatte getan, was sie tun konnte. Im übrigen mochte sie sich mit ihrem Sohne auseinandersetzen. Der junge Graf sah ganz so aus, als wüßte er seinem Willen Geltung zu verschaffen. Die praktische Dame lenkte also ein und versprach, alles zu tun, was man von ihr verlangte. Sie war nun einfach Wachs in Lothars Händen und versicherte ihm, daß die Kammerfrau ein hübsches Zimmerchen bekommen sollte.

Lothar atmete auf und als nun ein ungeheurer Wortschwall auf ihn einstürmte, sah er Jonny in komischem Entsetzen an. Daß er hier mit seiner Braut kein vernünftiges Wort mehr reden konnte, sah er ein. Deshalb bat er Jonny, sich zum Ausgehen fertig zu machen, um Grill im Hotel abzuholen.

Während Jonny in ihr Zimmer hinaufging, mußte Lothar Frau Doktors Wortschwall noch über sich ergehen lassen. Um sie abzulenken, lobte er ihren hübschen Garten. Sie führte ihn hinaus und zeigte ihm mit Stolz ihre Gemüse- und Obstanlagen.

Oben an den Fenstern standen die Pensionärinnen in atemloser Erregung und verfolgten jede Bewegung des jungen Aristokraten mit brennendem Interesse. Trudi und Helma waren neben Jonny die Heldinnen des Tages.

Auch Maria Hagen hatte von den beiden Mädchen gehört, was geschehen war. Sie stand aber allein in ihrem Zimmer und blickte, durch die Jalousie verborgen, auf Lothar herab. Das Geschwätz der Mädchen und ihre romantischen Ergüsse sagten ihr nicht zu. Aber immerhin interessierte sie Lothar Jonnys wegen sehr.

Plötzlich wurde die Tür zu ihrem Zimmer geöffnet und herein flog, mit gänzlich verändertem Gesichtsausdruck, Jonny Warrens. Lachend und weinend zugleich umarmte sie Maria.

»Liebe Gute – Ihnen muß ich es zuerst sagen. Ich habe mich soeben mit Graf Wildenfels verlobt. Sie haben mich so liebevoll und verständig in meinem Leid getröstet – Ihnen will ich nun auch alles erzählen, was mich drückte. Aber nicht jetzt – jetzt habe ich keine Zeit. Ich gehe mit meinem Bräutigam, um meine treue alte Grill abzuholen. Ach so – Sie wissen nicht, wer Grill ist. Das erzähle ich Ihnen später. Ach, Maria – ich bin so glücklich nach all dem Leid. Sie sind mir nicht böse, daß ich ein Weilchen das Ihre darüber vergesse. Ich mußte Ihnen sagen, wie glücklich ich bin. Aber wahrhaftig – jetzt mache ich Frau Doktor Konkurrenz mit meiner Redseligkeit.«

Maria küßte sie lächelnd auf den roten Mund.

»Lassen Sie sich von Herzen Glück wünschen, liebe Jonny. Ich gönne es Ihnen aufrichtig, wenn ich auch sehr traurig bin, daß Sie nun wieder von uns gehen werden.«

»Vorläufig bleibe ich ja noch hier, Maria. Und wir wollen uns noch näher einander anschließen. Sie müssen aber mit hinunter kommen, ich will Sie meinem Verlobten vorstellen.«

Inzwischen hatten sich auch die anderen Pensionärinnen »ganz zufällig« im Garten eingefunden. Jonny mußte sie alle vorstellen und Lothar blickte lächelnd auf die blühende Mädchenschar. Trudi und Helma sprach er noch besonders seinen Dank aus dafür, daß sie ihn ins Haus geführt hatten. Und mit Maria, die ihm sehr gefiel, unterhielt er sich angeregt, bis Jonny zum Ausgehen fertig war.

Während Lothar mit Jonny nach dem Hotel ging, um Grill abzuholen, stand in der Pension Brinkmann alles auf dem Kopf. Stumpfnäschen war in einem Taumel des Entzückens. Ein Graf, ein richtiggehender Graf hatte ihr die Hand geküßt, hatte sich mit ihr unterhalten und seine Braut sollte nun noch lange Zeit mit ihnen zusammen sein. Bei Tisch wurde vor Aufregung fast nichts gegessen und Frau Doktor machte schon im Geiste aus den üppigen Resten wieder ein vollständiges Menu für den nächsten Tag. Die Plappermäulchen standen nicht still, Frau Doktor kam nur zu Worte, um Bericht zu erstatten. Die Aussicht, eine feudale alte Kammerfrau als Hausgenossin zu bekommen, erschien allen sehr romantisch und die schöngeistige Helma erklärte, sie fühle sich direkt inspiriert, einen Roman über das neue Brautpaar zu schreiben.

Dann wurden Blumen gepflückt, um Jonnys Zimmer zu schmücken, und man debattierte aufgeregt darüber, ob Graf Wildenfels wohl an der Abendtafel mit teilnehmen würde. Diese von Trudi aufgeworfene Frage brachte endlich einige Ruhe in den aufgeregten Schwarm. Die jungen Damen stürzten alle in ihre Zimmer, um ihre schönsten Kleider für diesen Fall herauszusuchen.

Nur Maria Hagen saß still abseits auf einer Bank im Garten und sah mit großen sinnenden Augen vor sich hin.

»So lange Jonny noch hier bleibt, will ich auch hier bleiben. Aber wenn sie geht, dann melde ich mich im Diakonissinnenstift – länger will ich mich nicht egoistisch in meinen Schmerz vergraben. Es wird ja auch für mich eine Aufgabe im Leben zu finden sein,« dachte sie mit neu erwachendem Lebensmute.

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