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Einige Minuten lang ging Lothar an Jonnys Seite durch den Park nach dem Dorfe zu. Er sah forschend von der Seite in ihr Gesicht, aber er sprach nicht, bis sie mitten im Parke waren. Dann schob er plötzlich seinen Arm durch den ihren.
»Du bist so still, Jonny.«
Sie wurde dunkelrot.
»Ich habe Kopfweh.«
»Immer noch?«
»Ja.«
»Ist es so schlimm, daß du nicht reden kannst?«
Sie rang mit ihrem Entschlusse. Dann richtete sie sich straff empor und sagte, starr vor sich hinsehend: »Bitte, Herr Graf – nennen Sie mich nicht mehr du – wir sind keine Kinder mehr.«
Erst lachte er ein wenig. Aber dann bekam sein Gesicht plötzlich einen harten, finstern Ausdruck. Er blieb mit einem Ruck stehen und vertrat ihr den Weg.
Sie erschrak, als sie scheu in sein verändertes Gesicht blickte.
»Was waren das für törichte Worte, Jonny?«
»Herr Graf – ich bitte –«
Er faßte sie bei beiden Armen und schüttelte sie in schmerzlichem Zorne.
»Untersteh dich und rede mich noch einmal so förmlich an. Das dulde ich nicht, verstehst du?«
Sie sah ihn mit qualvollen Blicken an. Er hätte das süße, hilflose Gesicht mit Küssen bedecken mögen. Mit weicher Stimme fuhr er fort: »Also wie heiße ich, Jonny?«
Ihre Lippen zuckten.
»Bitte – begreifen Sie doch – es geht nicht anders – Sie müssen –«
»Gar nichts muß ich. Hier in Wildenfels bin ich der Herr, hier habe ich zu befehlen und nicht zu müssen. Gleich auf der Stelle sagst du: Lieber Lothar, ich war sehr töricht, verzeihe mir, ich will es nie wieder tun.«
Jonnys Augen füllten sich mit Tränen. »Ich kann ja nicht – darf nicht,« sagte sie leise.
Da legte er den Arm um ihre Schultern, nahm ihr das Tüchlein aus der Hand und trocknete ihre Tränen.
»Du törichte kleine, liebe Jonny – bist doch sonst kein Hasenfuß. Hast du dich erschrecken lassen? Heute morgen und gestern abend sagtest du doch ohne alle Bedenken ›du‹ zu mir. Und jetzt plötzlich kränkst du mich mit solch zeremoniellem Unsinn. Das kommt aber doch nicht aus deinem eigenen Herzen. Gestehe es nur – meine Mutter hat dir diese Flausen in den Kopf gesetzt.«
Sie schluckte tapfer an ihren Tränen. »Gräfin Susanne hat recht, es schickte sich nicht, es war taktlos von mir – aufdringlich.«
Er zuckte zusammen und preßte sie fest an sich. Ganz bleich war er geworden. »So, so – das hat dir meine Mutter eingeredet – taktlos – aufdringlich – du? Und dadurch hast du dich schrecken lassen, armes Kleinchen?«
»Ach bitte, Herr Graf – es muß ja sein.«
»Still – kein solches Wort mehr, dieses gräßliche ›Herr Graf‹ macht mich ganz wild,« brauste er auf. Und sodann fuhr er, sich beherrschend, liebevoll fort: »Kleines Dummerchen, meinst du, das lasse ich mir von dir gefallen? Jetzt sieh mich mal an.«
Er hob ihren Kopf und sah ihr tief in die Augen. Unter diesem Blicke fühlte sie sich machtlos und ohne Willen.
»Nun sprich mir mal nach: Lieber Lothar.«
Sie sah ihn bittend an. Er lächelte.
»Es hilft dir nichts – also – lieber Lothar.«
Willenlos sprach sie es nach. Er nickte befriedigt.
»Nun weiter: Lieber Lothar, ich sage aller Welt zum Trotz ›du‹ zu dir, weil du es willst und werde dich nie wieder anders nennen.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Gräfin Susanne verlangt Gehorsam.«
Er sah zärtlich in ihre ängstlichen Augen.
»Ich verlange auch Gehorsam und hier in Wildenfels geht mein Wille noch über den meiner Mutter. Also schnell: Ich sage aller Welt zum Trotz du zu dir, weil du es willst und werde dich nie wieder anders nennen.«
Jonny zögerte noch immer. Aber da sah er sie mit einem seltsam zwingenden Blick an.
»Ich will es,« sagte er leise.
Und da sprach sie willenlos seine Worte nach.
Er atmete auf. »So – Gott sei Dank – nun können wir weitergehen. Und laß dir nie wieder einfallen, mir ungehorsam zu sein.«
Jonny wußte nicht, ob sie weinen oder lachen sollte.
»Aber deine Mutter, Lothar – wenn sie es hört?«
»Darüber mache dir keine Sorge, ich werde mit ihr sprechen. Wer jetzt sag' gleich noch einmal zur Uebung: Lieber Lothar.«
Da faßte sie schnell seine Hand und preßte ihre heißen, jungen Lippen darauf.
Er zog sie erschrocken zurück.
»Jonny – das darfst du nie wieder tun – nie wieder,« sagte er heiser. Sie sah ihn bittend an.
»Laß mich doch – ich muß dir zeigen, wie dankbar ich dir bin – daß du so gut zu mir bist.«
Da faßte er ihre Hände und küßte sie langsam und andächtig, eine nach der andern. Und dann drückte er ihre rosigen Handflächen an seine heißen Wangen, über die Augen, weil er ihren Blick nicht mehr ertragen konnte. So stand er eine Weile. Dann ließ er ihre Hände los und zwang sich, weitergehend, zu einem leichten Tone.
»Wie ist es morgen mit dem Eisfeste, Jonny. Kommst du mit?«
»Nein, Großmama würde sich erkälten, das ist nichts für sie.«
»Aber du möchtest gern mit.«
Sie errötete.
»Da du hingehst, wäre ich auch gern dabei.«
»Nur meinetwegen? Nicht auch wegen Baron Hasselwert?«
Sie sah ihn erstaunt an.
»Warum wegen Baron Hasselwert?«
»Nun – weil er die Absicht hat, dich zur Baronin Hasselwert zu machen.«
Sie erschrak.
»Um Gotteswillen!«
»Magst du ihn nicht?«
Energisch schüttelte sie den Kopf.
»Nein – o – nein.«
»Aber vielleicht ist dir ein anderer lieber,« forschte er.
Sie wurde glühend rot und ihr Herz klopfte in wilden Schlägen.
»Nun?« drängte er ungeduldig.
»Nein, nein – keinen – die Männer sind mir alle ganz gleichgültig.«
Das hatte er zu hören erwartet und war nun zufrieden.
»Mich wirst du doch ausnehmen,« neckte er übermütig.
Sie schritt schneller aus, wie auf der Flucht und er sah einen Augenblick nur die kleinen geröteten Ohren.
»Lauf doch nicht so, Jonny. Also gelt – mich nimmst du aus?«
Sie nickte hastig.
»Ja – dich und Großmama hab' ich gleich lieb.«
Da schritt er frohgemut neben ihr und sang ein lustiges Lied, das hell durch den Wald klang. Das erinnerte ihn an Jonnys Weigerung, zu singen. Er brach ab.
»Du – heute abend singst du mir deine Lieder, ja?«
»Gern.«
»Und das Eisfest, das haben wir ganz vergessen. Ich hoffe doch, daß du mitkommst, Großmama wird das schon einrichten. Im Gasthof zu Hasselwert soll getanzt werden. Tanzest du gern?«
»O ja – du auch?«
»Hm – es kommt drauf an, mit wem. Du müßtest mir gleich im voraus ein paar Tänze zusagen.«
Ihre Augen glänzten. Er sah, wie ihr das Verlangen die Wangen rötete und nahm sich vor, ihre Beteiligung am Feste durchzusetzen. Jetzt fürchtete er weder Hasselwert, noch sonst einen Bewerber mehr.
Im Dorfe angelangt, begleitete Lothar Jonny in alle Behausungen, in denen sie im Auftrage der Gräfin zu tun hatte. Die Leute waren erst ein wenig verschüchtert, Lothar war ihnen fremd geworden. Aber er wußte sie bald zutraulich zu machen und ihnen die Lippen zu öffnen. Da berichteten sie dann gesprächig all ihre kleinen und großen Leiden und Freuden. Auch allerlei Wünsche brachten sie vor und Lothar notierte sich einiges und versprach Erfüllung.
Auf dem Gange durch das Dorf merkte er, daß hier manches geändert und gebessert werden konnte. Der Vorsatz, seine Güter selbst zu bewirtschaften, setzte sich immer fester.
Auf dem Heimwege plauderte er mit Jonny darüber. Sie ging voll Wärme und Interesse darauf ein, und es war ein heimlicher Stolz, ein heißes Freuen in ihr, daß er sie zur Vertrauten seiner Pläne machte.
Erst in der Nähe des Schlosses wurde sie wieder gedrückt und einsilbig. Die Angst vor Gräfin Susanne wurde wieder wach. Lothar sah es ihr an. Ehe sie auf den freien Platz hinaustraten, sagte er eindringlich:
»Nicht so verzagt aussehen, Jonny. Ich leide es nicht, daß dir jemand etwas zuleide tut. Kopf hoch – und mache ein frohes Gesicht. Ich kann es nicht sehen, wenn du traurig bist.«
Sie lächelte tapfer.
Lothar ging sofort zu seiner Großmutter hinauf. Gräfin Susanne war nicht zu sprechen, sie war beschäftigt, sich für zu Tische anzukleiden. Er erzählte der alten Dame, was seine Mutter von Jonny verlangt hatte.
Gräfin Thea nickte vor sich hin.
»Ich wußte ja, daß es wieder etwas gegeben hatte. Was willst du nun tun?«
»Natürlich Mama sofort erklären, daß ich Jonny als zu mir gehörig betrachte und eine so steife Anrede nicht dulden werde.«
Die alte Dame sah nachdenklich aus.
»Willst du einen Rat von mir annehmen, Lothar?«
»Gern, du weißt, daß ich es mit Freuden tue.«
»Dann vermeide so viel als möglich alle Schroffheiten. Laß es Jonnys wegen nicht zu einem Konflikte kommen zwischen deiner Mutter und dir, so lange du es vermeiden kannst. Ihr werdet ja nicht viel in Gegenwart deiner Mutter zusammen sein – kaum mehr als bei Tische – da läßt sich wohl eine direkte Anrede vermeiden.«
»Aber in Gesellschaft, Großmama? Wenn Jonny zum Beispiel das Eisfest mit besucht – oder Silvester, wenn Mama hier in Wildenfels einen großen Ball gibt – da will ich auf alle Fälle zu Jonny in der alten Vertraulichkeit Stellung nehmen.«
»Nun – Jonny ist in Gesellschaft ziemlich still und zurückhaltend. Ich werde mit ihr sprechen, daß sie in Gegenwart deiner Mutter jede Anrede vermeidet. Hört deine Mutter dann von dir noch das alte vertrauliche ›du‹, dann wird sie wohl selbst mit dir darüber sprechen, daß es ihr unangenehm ist. Und dann ist es Zeit für dich, Stellung zu der Angelegenheit zu nehmen – in aller Ruhe und schuldigen Ehrfurcht. Dann kann sie wenigstens Jonny keinen Vorwurf machen. Sprichst du jetzt darüber, so wird sie sich noch mehr gegen Jonny erbittern, weil sie glauben wird, daß diese sich bei dir beklagte.«
Lothar küßte ihr die Hand.
»Du hast recht, wie immer, Großmama. Wahrlich, Du hast mehr diplomatische Fähigkeiten, als ich.«
Gräfin Thea lächelte.
»Man lernt es, diplomatisch zu sein, wenn man merkt, daß der gerade Weg manche Fallgrube enthält. Da weicht man gern rechts und links ein wenig aus.«