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16.

Der Hausmeister empfing Lothar mit der Nachricht, daß seine Mutter ihn erwarte. Lothar verabschiedete sich daher von Jonny und sagte zu ihr:

»Ich komme nachher zu Großmama, sage ihr, daß ich zu meiner Mutter gerufen wurde.«

Er blieb auf dem Korridor stehen, bis sie verschwunden war. Dann trat er bei seiner Mutter ein. Sie empfing ihn in der »blauen Grotte« und lag in lässig vornehmer Haltung in einem Sessel, als er eintrat. Ein weiches, elegantes Hauskleid in zarten Fliederfarben umhüllte ihre Gestalt. Durch das blaue Licht im Zimmer wirkte dieser Farbenton ganz eigenartig. Trotz der magischen Beleuchtung sah Lothar heute doch, daß auch für seine schöne Mutter die Zeit gekommen war, wo das beginnende Alter anfing, seinen Tribut zu verlangen. Ohne auf das Gespräch vom vorigen Abend zurückzukommen, plauderte sie in der ihr eigenen kühlen Art mit ihrem Sohne. Nicht ein einziges Mal ließ sie etwas wie Wärme durchblicken. Lothar empfand von neuem, daß zwischen ihm und seiner Mutter nie ein herzliches, inniges Gefühl aufkommen konnte. Erkältend legte sich der Gedanke auf seine Brust, wie er gedarbt haben würde an Liebe, wenn seine Großmutter und Jonny ihn nicht mit dem Liebesreichtum ihrer Seelen überschüttet hätten.

Im Laufe des Gespräches erwähnte Gräfin Susanne auch die Einladung zu dem Eisfeste nach Hasselwert. Lothar nahm diese Nachricht mit Genugtuung auf. Er wußte nicht, daß Jonnys Beteiligung so gut wie ausgeschlossen war und hoffte, bei dieser Gelegenheit durch sein Verhalten vor aller Welt festzustellen, daß er von jedem Jonny als seine Schwester respektiert zu sehen wünschte. Eine Stunde mochte vergangen sein, als Jonny zu den beiden ins Zimmer trat.

Sie verneigte sich sehr artig vor der Gräfin und wandte sich dann an Lothar.

»Großmama läßt dich bitten, Lothar, du möchtest zu ihr kommen, wenn du Zeit für sie übrig hast.«

Gräfin Susanne kniff empfindlich die Augen zusammen und fixierte Jonny mit starrem Blicke.

Lothar erhob sich sofort. »Du gestattest wohl, daß ich Großmama guten Morgen sage, Mama?«

»Bitte sehr,« antwortete sie kühl.

Er küßte ihr die Hand und wandte sich an das junge Mädchen.

»Du kommst doch mit, Jonny?«

»Bitte, einen Augenblick, Fräulein Warrens,« sagte Susanne mit scharfer Betonung der Anrede. »Ich habe etwas mit Ihnen zu sprechen. Geh du nur einstweilen allein, Lothar.«

Dieser verneigte sich und nickte Jonny lächelnd zu, als er hinausging. Er ahnte nicht, was seine Mutter von Jonny wollte.

Diese war bei den Worten der Gräfin stehen geblieben. Ein unbehagliches Gefühl beschlich sie stets, wenn diese einmal das Wort an sie richtete. Meistens kam dabei eine Demütigung für sie heraus. Aengstlich sah sie in das kalte, stolze Gesicht, das in dem blauen Lichte noch unnahbarer aussah. Jonny fand dieses blaue Zimmer überhaupt schrecklich und begriff nicht Gräfin Susannes Vorliebe dafür. Ihr war in diesem Zimmer immer zumute, als laste ein unheimlicher Bann auf ihrer Seele.

»Darf ich mich nach Ihren Wünschen erkundigen, Frau Gräfin?« fragte sie leise.

Gräfin Susanne nahm ihr Stiellorgnon und fixierte sie in fast ungezogener Weise.

»Ich muß mich wundern über Ihren Mangel an Takt, Fräulein Warrens,« sagte sie scharf.

Jonny zuckte zusammen und sah betroffen in das unbarmherzige Gesicht ihrer Feindin.

»Frau Gräfin, ich weiß nicht, was ich getan habe. Womit habe ich den Vorwurf der Taktlosigkeit verdient?« fragte sie mit bebender Stimme.

Gräfin Susanne lehnte sich indigniert zurück.

»Schlimm genug, daß Sie es nicht wissen. Ich denke doch, man hat Ihnen in der Pension gelehrt, daß man junge Herren, mit denen man in keiner Weise verwandt ist, nicht einfach ›du‹ und beim Vornamen nennt. Oder nicht?«

Jonny war leichenblaß geworden. »Doch – das – das weiß ich.«

»Schön. Dann brauche ich Sie wohl nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß es ungehörig ist. Jedenfalls verbiete ich Ihnen ein für alle Mal, meinen Sohn so vertraulich anzureden. So lange Sie noch ein Kind waren, mochte das gehen. Jetzt ist es damit vorbei. Mein Sohn ist für Sie Graf Wildenfels – nicht mehr und nicht weniger. Haben Sie mich verstanden?«

Jonny stand starr mit zuckenden Lippen. Kein Ton entrang sich ihrem Munde, nur die Hände preßte sie zitternd zusammen. In den Augen lag ein Ausdruck tödlichen Schreckens und qualvoller Scham.

Stumm neigte sie den Kopf. Am liebsten hätte sie fliehen mögen aus dem Bereiche der kalten, starren Augen. Aber ihre Füße waren wie gelähmt.

Gräfin Susanne wandte sich zur Seite und ergriff ein Buch, um darin zu lesen.

»Sie können gehen, ich habe Ihnen weiter nichts zu sagen, mache Sie aber darauf aufmerksam, daß ich unbedingten Gehorsam verlange. Glauben Sie nicht, daß Sie sich hinter Gräfin Thea stecken können. In dieser Angelegenheit lasse ich mir keine Einmischung gefallen. Uebrigens will ich zu Ihrer Ehre annehmen, daß es nur dieses Hinweises bedarf, um Sie von weitern aufdringlichen Vertraulichkeiten zurückzuhalten.«

Jonny richtete sich plötzlich zu ihrer ganzen schlanken Höhe empor.

»Sie können unbesorgt sein, Frau Gräfin – ich werde weder aufdringlich, noch taktlos sein. Darf ich mich nun zurückziehen?«

»Bitte.«

Gräfin Susanne begann gleichmütig ihre Lektüre. Jonny verließ das Zimmer mit einem Gefühle, als habe sie den Boden unter den Füßen verloren. Draußen lehnte sie sich einen Moment mit geschlossenen Augen an die Wand und preßte die Hände auf das wild klopfende Herz. Und dann eilte sie wie ein verscheuchtes Wild in ihr Zimmer und warf sich mit dumpfem Schluchzen auf ihr Lager.

Ihr war zumute, als habe man sie mit einer Peitsche ins Gesicht geschlagen, als habe man ihre reinsten und heiligsten Gefühle in den Staub getreten. Zugleich schämte sie sich unsagbar, daß man ihr eine Taktlosigkeit und Aufdringlichkeit vorgeworfen hatte und sie prüfte sich ängstlich, ob dieser Vorwurf nur mit einem Schein des Rechts gegen sie erhoben werden durfte. Hatte vielleicht gar Lothar etwas ähnliches empfunden, wie seine Mutter, als sie ihn in der alten vertraulichen Weise begrüßte?

Durch das seltsame neue Gefühl, welches in ihr bei Lothars Anblick erwacht war, hatte sie die ruhige Sicherheit ihres Wesens verloren, sie wußte nicht einmal, ob sie Gräfin Susannes Tadel verdiente oder nicht.

Wie zerschmettert war sie von dem qualvollen Schmerze dieser Stunde. Und sie fühlte, daß sie sehr unglücklich sein würde, wenn sie Lothar von nun an kalt und förmlich mit »Herr Graf« anreden mußte. Zum ersten Male wurde ihr drückend der Standesunterschied zwischen ihm und ihr bewußt, und voll tiefer Verzweiflung machte sie sich klar, daß Gräfin Susanne ein Recht hatte, von ihr zu fordern, daß sie jede Vertraulichkeit mit Lothar unterließ. Mit einem Male war nun der leuchtende Sonnenschein dieses Tages verschwunden, alles Licht, alle Wärme hatte sich in kalten Schatten gewandelt und ihr blieb nicht einmal der Trost, an Großmamas Herzen ihr Leid ausklagen zu können.

Lange lag sie in dumpfem Jammer auf ihrem Lager, bis an die Tür geklopft wurde. Sie erhob sich müde und öffnete. Grill stand draußen.

»Lieber Gott, Fräulein Jonnychen – wie sehen Sie aus – Sie sind doch nicht krank?« rief die gute Alte bestürzt bei ihrem Anblick.

Jonny versuchte zu lächeln. »Nur ein wenig Kopfweh, Grillchen, es wird bald vorüber sein.«

»Soll ich Ihnen ein Brausepulver rühren? Nein? Aber dann reiben Sie sich wenigstens die Wangen ein bißchen mit kaltem Wasser. Sie sollen hinüber kommen zur Frau Gräfin, Graf Lothar ist bei ihr. Wenn Frau Gräfin Ihre blassen Bäckchen steht, erschreckt sie sich.«

Jonny wusch sich schnell das Gesicht und rieb es mit einem Tuch, bis sie wieder Farbe zeigten. »Ist es nun wieder besser, Grillchen?« fragte sie mit erzwungenem Scherz.

»Ja, ja – nun geht es schon. Aber nach Tische müssen Sie hinaus. Sie haben jetzt so viel bei den Weihnachtsarbeiten gesessen. Jawohl – abends hatten Sie immer noch so lange Licht.«

»Ei, Grill – du paßt ja auf wie ein Wächter,« drohte Jonny lächelnd.

Aber das Lächeln gefiel Grill gar nicht. Kopfschüttelnd sah sie hinter Jonny her.

Das junge Mädchen ging sehr langsam, sie fühlte sich totmüde und die Füße versagten ihr fast den Dienst.

Als sie bei Gräfin Thea eintrat, sahen diese und Lothar ihr lächelnd entgegen, als hätten sie eben von ihr gesprochen.

»Kindchen, ich habe Lothar eben erzählt, wie schön du singen kannst. Nun will er dich unbedingt gleich hören. Singst du uns ein paar Lieder?« fragte die alte Dame.

Jonny sah in ihre gütigen, liebevollen Augen und am liebsten hätte sie sich ihr zu Füßen geworfen und ihr allen Kummer gebeichtet. Aber sie durfte Großmama nicht betrüben, wußte sie doch, wie diese immer traurig war, wenn Gräfin Susanne schroff zu ihr war. Sie trat zu ihr heran, vermied aber, Lothar anzusehen.

»Bitte, erlaß mir heute das Singen, Großmama. Ich habe Kopfweh und kann jetzt ganz gewiß keinen Ton herausbringen. Ein ander Mal will ich gern singen – nur jetzt nicht.«

Gräfin Thea sah besorgt in Jonnys Gesicht. »Wahrhaftig, Kind, du siehst ganz bleich aus. Aber ist es denn ein Wunder? Immer hockst du bei mir alten Frau. Gleich gehst du wieder hinaus ins Freie. Du warst ohnedies noch nicht bei meinen Kranken heute. Lothar kann dich begleiten.«

Jonny wehrte erschrocken ab. »O nein – du sollst dich nicht berauben – ich gehe allein.«

Lothar stand schon neben ihr.

»Nein, du gehst nicht allein. Lothar wollte auch ins Dorf, um nach allerlei zu sehen,« erwiderte Gräfin Thea bestimmt.

Jonny stand unschlüssig. Sie fürchtete plötzlich ein Alleinsein mit Lothar. Dieser faßte sie bei den Schultern.

»Nun schnell – mach dich fertig – ich warte hier auf dich.«

Sie ging still und langsam aus dem Zimmer, nicht in ihrer raschen, elastischen Art.

Gräfin Thea sah befremdet hinter ihr her. »Sagtest du nicht, deine Mutter habe Jonny vorhin zurückgehalten?« fragte sie ihren Enkel.

»Ja, Großmama – warum fragst du?«

Die alte Dame sah bekümmert zu ihm auf. »Das Kind hat sonst nie Kopfweh und sie sah aus, als hätte sie geweint.«

Lothar blickte sie betroffen an und seine Stirn rötete sich. »Du glaubst – Mama könnte ihr wehgetan haben?«

Sie seufzte. »Es wäre nicht das erste Mal.«

Lothar fuhr sich unruhig durchs Haar. »Wir wollen sie gleich fragen, wenn sie zurückkommt.«

»Nein, Lothar – frage jetzt nicht, ich werde später selbst mit ihr sprechen. Auf keinen Fall möchte ich, daß du Jonnys Partei deiner Mutter gegenüber nimmst, das sagte ich dir schon vorhin, als wir darüber sprachen. Vorläufig steht sie ja noch in meinem Schutze.«

»Aber du mußt sie nicht kränken lassen, Großmama. Auf keinen Fall dulde ich noch, daß Mama Jonny wie eine Untergebene behandelt. Ganz heiß ist mir heute früh vor Empörung geworden, als ich hörte, daß Mama Jonny als deine Gesellschafterin ausgibt. Das darf nicht mehr sein. Jedenfalls werde ich offiziell durch mein Benehmen dokumentieren, daß ich Jonny wie eine Schwester hochhalte.«

»Das tue immerhin, es kann nicht schaden, obwohl Jonny auch ohnedies allgemein beliebt ist.«

»Gleich morgen bei dem Eisfeste in Hasselwert wird sich Gelegenheit dazu finden.«

»Bei dem Eisfeste? Da wird Jonny wohl kaum dabei sein. Für mich ist es wohl zu anstrengend und deine Mutter nimmt sie nicht mit.«

»So geht sie mit mir.«

»Du wirst deine Mutter begleiten müssen.«

»Dann mag sie sich auch Jonnys Begleitung gefallen lassen.«

»Das wird sie auf alle Fälle verhindern wollen – schon des Barons wegen.«

»Hasselwert? Was ist mit ihm?«

Die alte Dame sah ihn forschend an, als sie erwiderte: »Er hat die Absicht, Jonny seine Hand anzubieten.«

Lothar zuckte zusammen. »Baron Hasselwert? Unmöglich – er könnte ja ihr Vater sein. Und soviel ich weiß, hat er sich früher eifrig um Mama beworben.«

»Das war früher. Jetzt will er jedenfalls Jonny zur Baronin Hasselwert machen. Er hat es selbst deiner Mutter gesagt. Sie war außer sich, daß er das bürgerliche Fräulein Warrens heiraten will und hofft es wohl noch zu hintertreiben.«

Lothar lachte zornig auf. »Ei – darin begegnen wir uns, das hoffe ich auch.«

Gräfin Thea lächelte humorvoll.

»So, so – du auch? Bist du auch so adelsstolz?«

Er setzte sich schnell zu ihren Füßen und erfaßte ihre Hand.

»Großmama – das weißt du besser. Aber ich gönne sie keinem, sie ist mir zu schade für ihn – und überhaupt – sie soll in Wildenfels bleiben – immer.«

Sie strich ihm das Haar aus der heißen Stirn.

»So lieb hast du sie?« fragte sie leise und gütig.

Er küßte ihre Hand.

»Großmama – wie ein Blitz ist es gestern über mich gekommen, als ich sie wiedersah – ich habe sie lieb – anders als du denkst – anders, als ich selbst bisher geglaubt habe. Jonny muß meine Frau werden, wenn ich glücklich sein soll. Wirst du dagegen sein?«

Die alte Dame legte wie überwältigt die Hand vor die Augen.

»Großmama!« bat er leidenschaftlich.

Da sah sie ihn an mit einem seltsam stillen, verklärten Blick. »Ich segne deine Wahl, mein Lothar. Laß dir dein Glück nicht stören durch leere Formen, nicht durch trügerische menschliche Satzungen. Ich bin glücklich und froh. Mein Herz ist voll Weihe. Sieh hinüber – ist es nicht, als ob dein Vater mit helleren Augen zu uns hernieder blickte?«

»Hätte er meine Wahl gebilligt, Großmama?«

»Ja – von ganzem Herzen. Sei du so glücklich, als er nicht werden durfte. Aber versprich mir: Sprich jetzt noch nicht das bindende Wort, laß Jonny ihre Unbefangenheit noch. Du mußt in kurzer Zeit wieder fort – denke an deine Mutter. Das wird nicht ohne harte Kämpfe abgehen. Und Jonny stände ihr dann allein gegenüber. Darum warte, bis du von Rom zurückkommst. Ihr seid noch jung und ein Jahr ist schnell vorbei.«

»Aber wird Jonny inzwischen nicht einen anderen Bewerber erhören?«

Gräfin Thea lächelte.

»Sie liebt dich und ich kenne sie doch genau. Ohne Liebe ergibt sie sich nicht.«

Er schaute sie mit strahlenden Augen an.

»Du sagst das so bestimmt. Woher weißt du, daß sie mich liebt?«

Sie lächelte fein.

»Das habe ich mit meinen alten Augen gesehen. Nun mache nur deine jungen auf, dann merkst du es auch. Jetzt still – Jonny kommt. Und über das Eisfest reden wir noch. Vielleicht läßt es sich doch machen, daß Jonny teilnimmt.«

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