Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Den nächsten Nachmittag fuhr zuerst Lothar mit seiner Mutter im Schlitten nach Hasselwert. Gleich darauf folgte Gräfin Thea mit Jonny im Wagen nach. Das junge Mädchen sorgte liebevoll dafür, daß die alte Dame ordentlich mit Pelz und Fußsack versehen war, damit sie sich ja nicht auf der langen Fahrt erkälte.
Als Lothar und Gräfin Susanne eintrafen, herrschte bereits fröhliches Treiben auf dem Hasselwerter See. Die buntgestreiften, mit Tannengrün dekorierten Zelte nahmen sich sehr malerisch aus auf der glitzernden Eisfläche. Punschbowle, Pfannkuchen, Kaffee und feines Gebäck, nebst allerhand Delikatessen und feinen Likören wurde in den Zelten nach Wunsch gereicht. Die Musiker saßen hinter Tannengrün verborgen auf einer Tribüne, damit man ihre grotesken Vermummungen nicht sehen konnte. Die jungen Herrschaften blickten aber gerade deshalb hinter die Kulissen und amüsierten sich königlich über die mit Ohrenklappen, Wärmflaschen und warmen Decken ausstaffierten Gestalten, die schmelzende Walzerklänge über den See trompeteten.
Baron Hasselwert, der noch ein sehr schneidiger Schlittschuhläufer war, flog von einer Gruppe zur andern, um seine Gäste zu begrüßen und zu unterhalten. Zuweilen lief er nach dem Gasthofe hinüber, um zu sehen, ob auch die ältern Herrschaften gut versorgt waren. An allen Fenstern sah man die lachenden, vergnügten Gesichter.
Als Gräfin Susanne mit Lothar im Schlitten vorfuhr, eilte der Baron herbei, half ihr aus dem Schlitten und begrüßte Mutter und Sohn sehr erfreut. Aber dabei glitten doch seine Augen forschend zwischen ihnen hin und her.
»Ihre verehrte Frau Mama kommt nicht, meine verehrte, gnädigste Frau Gräfin?« fragte er sichtlich betrübt.
»Doch, Herr Baron, Großmama kommt mit meiner Pflegeschwester nach,« antwortete Lothar schnell, ehe Gräfin Susanne antworten konnte.
Seiner Mutter fiel die Pflegeschwester anscheinend sehr auf die Nerven, sie sah ärgerlich in sein Gesicht. Da sie ihm aber in Gegenwart des Barons keinen Verweis erteilen konnte, schritt sie stumm zwischen ihm und dem Baron zu den übrigen Gästen. Lothar wurde schnell von allen Seiten umringt. Man begrüßte ihn warm und herzlich und freute sich, ihn wieder einmal zu sehen. Die jungen Damen wandten ihm ihr Interesse zu. Sie freuten sich des stattlichen Kavaliers. Seine vornehme schlanke Erscheinung in dem schicken Sportanzug, sein rassiges, gebräuntes Gesicht und die lustigen Augen gefielen ihnen sehr.
»Kinder, ein schneidiger Tänzer mehr für heute abend,« sagte die resolute kleine Lilly Sander, die Tochter des Kommandeurs der Garnison, zu ihren Freundinnen.
»Famos, er sieht aus, als könnte man sich gut mit ihm amüsieren,« erwiderte Baroneß Stettenheim und warf einen schneidigen Erobererblick zu Lothar hinüber.
»Vorsicht – der Schein trügt – er unterhält sich sehr angelegentlich mit der langweiligen Herta Liebenau – dann ist er vielleicht selbst ledern,« sagte eine üppige Blondine mit muntern Augen.
»Wenn er nur gut tanzen kann. Uebrigens hat er Komtesse Liebenau nicht selbst aufgesucht, seine Mutter hat ihn zu ihr geführt. Wißt Ihr, was meine verheiratete Schwester mir erzählt hat?«
»Nun – was denn, Lilly?«
»Gräfin Liebenau und Gräfin Susanne Wildenfels schmieden Pläne für die Zukunft. Sie sollen in letzter Zeit sehr intim sein und Herta Liebenau ist sehr oft in Wildenfels gewesen. Merkt Ihr etwas?«
»Da gehört ja nicht viel dazu. Aber daß dieser hübsche Mensch nicht gerade sehr gut zu Herta paßt, muß ich konstatieren. Er steht ihr entschieden nicht zu Gesicht.«
»Ach – noch ist es ja nicht so weit. Aber interessant ist diese Neuigkeit doch. Wir werden mal Jonny Warrens ein bißchen aushorchen.«
»Kommt sie denn?«
»Ja, ich hörte, daß sie nachkommt mit der alten Gräfin Wildenfels. Seht – jetzt hat er sich von Herta losgeeist – er kommt herüber zu uns.«
»Zu dumm – da hält ihn Herr von Soltenau auf, Elly, gib doch deinem Vater einen kleinen Wink.«
Elly von Soltenau lachte.
»Papa ist nicht für zarte Winke, da müßte ich schon mit dem Zaunspfahl kommen. Aber wartet – da läuft mein Bruder Hans, der ist mit Graf Lothar befreundet. Hans! Hans!«
Hans von Soltenau kam schnell herbei.
»Wo brennt es denn, Elly?«
»Ach, mach' jetzt keine dummen Witze. Hol' uns mal Graf Wildenfels herbei, dort drüben steht er mit Papa. Aber falle nicht mit der Tür ins Haus, hörst du, es darf nicht aussehen, als ob wir einen Wunsch geäußert hätten.«
»Hm – schön – werde mein Möglichstes tun. Was bekomme ich als Belohnung, meine Damen?«
Die jungen Mädchen kicherten.
»Machst du es nicht ohne, Hans?« fragte Elly lachend.
»Umsonst ist der Tod. Mindestens muß mir jede der Damen einen Tanz für heute abend zugestehen.«
»Angenommen. Aber lauf, sonst frieren wir hier an.«
Hans von Soltenau machte seine Sache gut. Lothar kam mit ihm herüber.
Einige der Damen kannten Lothar aus ihrer grünsten Backfischzeit. Schnell war er in lustiger Unterhaltung mit ihnen. Einige junge Herren kamen noch herbei. Man lief in einer langen Reihe lachend und jubelnd über den See.
Lothars Augen flogen jedoch immer wieder nach dem Wege, der von Wildenfels herüberführte. Und endlich sah er den Wagen kommen.
»Herrschaften, ich bitte um einige Minuten Urlaub. Großmama kommt eben mit meiner Pflegeschwester. Darf ich diese herüberholen?«
Alle stimmten lustig bei.
Lothar stürmte dem Ufer zu. Aber Baron Hasselwert war ihm doch zuvorgekommen. Zum Glück hielt ihn Gräfin Thea Hasselwert im Gespräch fest und so mußte er betrübt zusehen, wie Lothar sich eilig mit Jonny entfernte. Diese wurde heute entschieden noch einige Grade liebenswürdiger aufgenommen von den jungen Damen. Lothar betonte bei jeder Gelegenheit die »Pflegeschwester« und war so ritterlich bemüht um sie, daß man ganz genau merkte, auf welchem Standpunkt er sie zu sehen wünschte.
Hasselwert hatte Gräfin Thea inzwischen bei ihren alten Freunden in einem der Gastzimmer am Fenster untergebracht. Nun kam er wieder heraus und hielt nach Jonny Umschau. Er sah sie zwischen Lothar und einem jungen Offizier inmitten einer langen Kette über den See laufen. Gerade, als er sich anschickte, ihr zu folgen, kam ihm Gräfin Susanne in den Weg. An ihrer Seite befand sich Komtesse Liebenau.
»Lieber Baron, wir brauchen einen Kavalier zu einer Fahrt über den See. Komtesse Herta ist nicht sehr sicher. Sie haben die Güte und führen sie auf der andern Seite.«
Was blieb ihm anderes übrig, als mit den beiden Damen langsam über den See zu laufen!
Sehnsüchtig blickte er zu Jonny hinüber, deren strahlendes Gesichtchen reizender denn je aussah. Als er sich endlich von den beiden Damen losmachen konnte und sich nach Jonny umsah, flog sie nicht weit von ihm mit Lothar und Hans von Soltenau vorüber. Er nahm schnellen Anlauf, um sie einzuholen, wurde aber gleich darauf von einer Kette junger Leute umringt, die ihn mit allerlei Fragen und Wünschen festhielten.
Auch Gräfin Susanne hatte bemerkt, daß Jonny zwischen Lothar und Hans von Soltenau über den See lief. Ihre Stirn zog sich zusammen. Sie hatte doch Lothar ausdrücklich gebeten, sich möglichst viel mit Komtesse Liebenau zu beschäftigen. Statt dessen lief er unausgesetzt mit Jonny und Komtesse Herta saß drüben allein im Zelt, fror Stein und Bein und hatte eine rote Nasenspitze. Diese Jonny Warrens wurde ihr reichlich unbequem. Wenn Hasselwert nicht die absurde Idee gehabt hätte, sich um Fräulein Warrens zu bewerben, dann hätte sie ihn hinter Lothar und Jonny hergeschickt, damit sie ihrem Sohn einmal gründlich den Standpunkt klar machen konnte. Aber das hieß ja die Gefahr für den Baron direkt heraufbeschwören. Susanne zweifelte keinen Augenblick, daß Jonny Hasselwerts Bewerbung annehmen würde.
So beschloß sie, selbst Lothar und Jonny zu folgen und sie zu trennen. Aber das war nicht so einfach, wie sie dachte. Zwar war sie noch immer eine sehr gute Läuferin, aber die jugendliche Frische und Elastizität fehlte. Sie kam nicht so schnell vorwärts, als sie wünschte, und die beiden jungen Leute entwischten ihr immer wieder.
Müde und verstimmt gab sie das Rennen endlich auf und war froh, als sie Oberst Sandern in das Schlepptau nahm und zu den Zelten führte. Sie beschloß, dort zu warten, bis Lothar vorüberkam, und setzte sich zur Komtesse Liebenau, die ab und zu von einer mitleidigen Seele ein Stück mit herumgeschleift wurde. Lothar und Jonny waren aber gerade jetzt nach dem Gasthofe hinübergelaufen, um zu sehen, ob Gräfin Thea gut untergebracht war und es ihr an nichts fehlte.
Sie fanden die alte Dame in angeregter Unterhaltung mit einigen ältern Herrschaften am Fenster sitzend. Lothar wurde auch hier sehr freundlich und herzlich begrüßt und Jonny nicht minder. Wiederholt betonte Lothar im Laufe des Gesprächs, daß er Jonny als seine Pflegeschwester betrachte. Einige der Herrschaften sahen sich dabei verständnisinnig an. Man wußte nun, daß Lothar auf seiten seiner Großmutter stand inbezug auf das junge Mädchen.
Als Lothar mit Jonny wieder draußen war auf dem See, lief er gerade seiner Mutter in den Weg. Sie war äußerst schlecht gelaunt. Hasselwert bekümmerte sich wenig um sie und suchte überall nach Jonny, und auf Lothar hatte sie in den Zelten wohl eine Stunde gewartet und inzwischen kalte Füße bekommen. Schließlich lief sie mit dem alten Herrn von Soltenau ein Stück, um sich zu erwärmen, und dabei traf sie endlich auf ihren Sohn.
Ohne von Jonny Notiz zu nehmen, forderte sie ihn auf, sie nach dem Gasthof hinüber zu führen, da sie müde sei. Aber Herr von Soltenau vereitelte ahnungslos diesen Versuch, ein Alleinsein mit Lothar herbeizuführen.
»Lassen Sie das Jungvolk ruhig auf dem Eise, gnädigste Gräfin, ich werde mir die Ehre geben, Sie hinüber zu begleiten, da ich mich ebenfalls nach dem warmen Zimmer sehne.«
Innerlich wütend, mußte sie das artige Anerbieten annehmen. Lothar war nun wieder frei. Jonny hatte sich jedoch eilig entfernt, als Gräfin Susanne ihren Sohn ansprach. Er sah sich suchend nach ihr um, ohne sie zu finden. Einige junge Herren, mit denen er von der Kinderzeit noch bekannt war, schleppten ihn unter fröhlichem Hallo nach dem Zelte, an die unerschöpfliche Punschbowle. Er mußte ein Glas mit ihnen trinken und konnte sich nicht gleich wieder losmachen. Endlich konnte er unbemerkt entwischen. Draußen lief er fast der Komtesse Liebenau in den Weg, die am Arme eines mitleidigen ältern Herrn krampfhafte Versuche machte, sich auf den unsichern Füßen zu halten. Entsetzt umkreiste er sie in weitem Bogen, sich den Anschein gebend, als hätte er sie nicht gesehen. Unruhig suchte er nach Jonny und plötzlich entdeckten seine scharfen Augen sie fast an der äußersten Spitze des Sees, und zwar in Baron Hasselwerts Begleitung.
Hei! Wie er da pfeilschnell dahinflog. Als er näher kam, sah er, daß Jonnys Gesicht sehr rot war und daß ihre Augen hilflos nach Rettung ausschauten. Sie strahlten auf, als sie Lothar kommen sah, während des Barons Gesicht sich verfinsterte.
»Sie haben mein Schwesterchen unter Ihren Schutz genommen, während ich mich an Ihrer famosen Bowle labte, Herr Baron. Ich danke Ihnen sehr. Ihre Pflichten als Gastgeber sind wirklich sehr anstrengend. Drüben im Zelt verlangt man auch allseitig nach Ihnen,« sagte Lothar ohne alle Gewissensbisse, der Wahrheit ein Schnippchen schlagend.
»Es war mir eine Ehre und ein Vergnügen, Herr Graf,« antwortete Hasselwert ein wenig säuerlich. Lothar wandte sich an das junge Mädchen.
»Komm, Jonny, wir toben noch einmal um den ganzen See, ehe es dunkel wird. Herr Baron, wir wollen Sie nicht länger Ihren andern Gästen entziehen – Adieu!«
Er faßte ihre Hand und zog sie eilig mit sich fort, ehe der Baron etwas erwidern konnte.
Als sie außer Hörweite waren, fragte Lothar lächelnd:
»Kam ich zur rechten Zeit, kleine Jonny? Du sahst aus wie ein armes, schüchternes Vöglein, das dem Vogelsteller ins Garn gelaufen ist und ängstlich davonflattern möchte.«
Jonny seufzte.
»Ach, weißt du, Lothar – das trübt mir das ganze Fest. Baron Hasselwert war wirklich im besten Zuge, mir eine entscheidende Frage vorzulegen. Was tue ich nur, wenn er mich wieder stellt?«
»Sehr einfach, du dankst ihm für die Ehre, Baronin Hasselwert zu werden.«
»Du – so einfach ist das nicht. Es tut mir doch schrecklich leid, ihn zu betrüben. Er ist immer so liebenswürdig und gütig zu mir gewesen.«
»Deshalb hat er noch lange kein Recht, sich mit seinen achtundvierzig Jahren um eine neunzehnjährige junge Dame zu bewerben. Es geschieht ihm ganz recht, wenn er einen Korb bekommt,« antwortete Lothar ungerührt. Er gönnte dem Baron nicht einmal ihr Mitleid.
»Wie kannst du nur so hart sein, Lothar. Man kann doch nichts dafür, wenn man einen Menschen lieb hat. Das kommt ganz von selbst. Das Herz fragt leider gar nicht, ob das Alter oder die Verhältnisse zusammen stimmen.«
Er sah seitwärts auf sie nieder. In seinem Gesicht zuckte es leise. Wie herzig und lieb sie aussah.
»Du redest, als verständest du selbst etwas von der Liebe – das klang ja beinahe wie eigene Erfahrung,« neckte er.
Sie wurde sehr verlegen und sah erschrocken zur Seite.
»Wollen wir nicht zu den Zelten hinüberlaufen? Es wird dunkel und ich glaube, das Feuerwerk wird gleich beginnen.«
»Das sehen wir von hier auch sehr gut. Ich bin viel lieber mit dir allein, als drüben zwischen all den Menschen. Uebrigens weichst du mir aus. Wie steht es also mit deiner Erfahrung in Herzenssachen?«
Sie sah ängstlich zu ihm auf. Er verlangsamte das Tempo und blieb schließlich vor ihr stehen.
»Nun?« drängte er.
Sie fuhr sich mit dem Muff über das erhitzte Gesicht und um den weichen, blühenden Mund zuckte es plötzlich wie im Trotz.
»Wie kannst du nur so – so dumm fragen? Das war natürlich nur so eine allgemeine Betrachtung.«
Er sah sie eine Weile an. Nie kehrte sich sonst ihr Trotz gegen ihn. Das war Notwehr – er fühlte es. Und es gelüstete ihn, den zuckenden Trotz von ihren Lippen fortzuküssen. Seine Augen leuchteten in der Dämmerung mit heißem Ausdruck in die ihren.
»Jonny – du mußt mir etwas versprechen, jetzt gleich.«
»Was denn?«
»Daß du, so lange ich in Rom bin, keinerlei Bewerbung um deine Hand annimmst – aus welchem Grunde es auch immer sei – auch wenn man dich von irgend einer Seite dazu drängt. Weißt du, ich könnte den Gedanken nicht ertragen, daß du einem andern – ich meine, einem Menschen, den ich nicht genau prüfen kann, deine Hand reichtest. Ich habe doch so eine Art Bestimmungsrecht über dich, nicht wahr?«
Sie nickte stumm.
»Also versprich mir, ohne meine Einwilligung verlobst du dich mit niemand.«
Sie sah zu Boden und er fühlte, wie ihre Hand in der seinen bebte.
»Das kann ich dir versprechen – ich heirate überhaupt nicht – niemals.«
Er drehte sie plötzlich übermütig im Kreise herum.
»Niemals? Du – das ist ein leichtsinniges Versprechen, das nehme ich nicht an.«
»Doch, das kannst du gern,« ereiferte sie sich.
Er drückte ihren Arm an sich. Schade, daß sie nicht allein waren, er hätte sich gern einmal wieder unter der Maske der Brüderlichkeit einen Kuß gestohlen.
»Nun müssen wir aber wirklich hinüber, Lothar. Ich muß auch wieder einmal nach Großmama sehen. Vielleicht will sie gar nach dem Feuerwerke nach Hause.«
Er schob ihre schlanke Gestalt vor sich her, um ihr nicht länger in das süße Gesicht sehen zu müssen, weil er fühlte, daß er zu Ende war mit seiner Fassung.
Schweigend liefen sie hinüber. Am Ufer flammte die erste Rakete auf. Jonny erschrak und wäre gefallen, wenn sie Lothar nicht schnell in seinen Armen aufgefangen hätte. Einen Augenblick ruhte sie an seinem Herzen. Da war ihr zumute, als versänke die Welt um sie her.
»Hast du dir weh getan, Liebling?« fragte er weich und zärtlich.
Sie schüttelte den Kopf und richtete sich auf. Er führte sie sorgsam weiter. Sie sprachen nicht mehr. In der Nähe der übrigen Gesellschaft blieben sie stehen und sahen dem Feuerwerke zu. Treibende Sehnsucht im Herzen, in unruhige Gedanken versunken, standen sie nebeneinander. Mit den leuchtenden Kugeln und Sternen flogen heiße Wünsche zu dem abendlichen Winterhimmel empor.
Das Abendessen wurde im Gasthofe an kleinen Tischchen eingenommen. Hasselwert hatte seinen Koch und die Dienerschaft mit der Herstellung desselben beauftragt.
Gräfin Thea unterhielt sich so gut, daß sie nicht an die Heimfahrt dachte. Eine alte Exzellenz führte sie zu Tisch und Lothar und Jonny nahmen gerade an ihrem Tische Platz, als Gräfin Susanne eintrat.
Sie schritt schnell auf Lothar zu und sagte leise:
»Ich suche dich überall, du sollst Komtesse Liebenau zu Tisch führen.«
Lothars Gesicht verriet, wie wenig angenehm ihm diese Botschaft war.
»Ich bedauere, Mama – wir sind hier schon vier Personen,« sagte er abwehrend.
»Du wußtest doch, daß ich es wünschte,« flüsterte sie ärgerlich.
Da aber nichts mehr zu ändern war, rauschte sie davon. Gleich darauf nahm sie mit Baron Hasselwert, Komtesse Liebenau und einem blassen jungen Leutnant, dem die Komtesse nun als Tischdame zugefallen war, am Nebentische Platz.
Gräfin Susanne nahm sich vor, am nächsten Tage Lothar darauf aufmerksam zu machen, daß sie es ferner nicht leiden würde, wenn er sich so viel mit Fräulein Warrens beschäftigte und sich wie ihr leiblicher Bruder benahm. An etwas anderes dachte sie noch mit keinem Gedanken. Aergerlich und verstimmt sah sie nach dem Nebentische hinüber. Und plötzlich versteinerte sich ihr Gesicht geradezu. Sie hatte soeben ganz deutlich gehört, daß Jonny sagte:
»Bitte, Lothar – reich mir die Schüssel herüber.«
Sie warf einen vernichtenden Blick zu dem jungen Mädchen hinüber. Jonny bemerkte ihn zum Glück nicht, sonst wäre es wohl für den Rest des Tages um ihren Frohsinn geschehen gewesen. Aber Lothar hatte den Blick aufgefangen und er wußte nun, daß es zu einer Auseinandersetzung kommen würde.
Daß er Jonny um keinen Preis von neuem kränken lassen würde, stand bei ihm fest. Ein markanter Zug grub sich um seinen Mund. Wenn Lothar Wildenfels so aussah, war er zum Aeußersten entschlossen.
Gräfin Susanne brach zeitiger auf, als sie beabsichtigt hatte. Sie war sehr mißgestimmt, daß Lothar auch beim Tanzen Komtesse Liebenau in keiner Weise auszeichnete. Die arme Komtesse wurde nicht halb so viel von Tänzern umlagert, wie das simple Fräulein Warrens. Das fand die Gräfin unerhört.
Auch Baron Hasselwert war bei dem Feste nicht, wie er gedacht, auf seine Kosten gekommen. Er konnte kein ungestörtes Wort mit Jonny sprechen.
Jonny aber sagte, als sie mit Gräfin Thea nach Hause fuhr: »Ach, Großmama – heute war es himmlisch, ich hätte bis zum Morgen tanzen können.«