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Amida der Erbarmungsvolle – Die Schnur des Erbarmens – Buddha und Amida
Meine Liebe und Verehrung für den holdseligen Iizo, dem ich alle Last meines Lebens in Gestalt eines Kieselsteines in den Schoß legen durfte, tut meiner Verehrung für Amida, dem Spender des grenzenlosen Lichtes und Gott der erbarmungsvollen Weisheit, keinerlei Abbruch, weil diese Verehrung so völlig anderer Art ist. So vertraut wie mit Iizo könnte ich mit dem strahlenden Amida niemals sein, wenngleich er mich in einer Flut goldenen Lichtes zu trösten kam, als ich krank darnieder lag. Amida oder Amitâbha, wie er im Sanskrit heißt, ist doch auch eine Gottheit von großer Zärtlichkeit. Mit Kwannon und Iizo bildet er die Dreifältigkeit der erbarmungsvollen Gottheiten, die nichts vom Nirwana wissen wollen, bevor der ganzen Menschheit das ewige Heil gesichert ist. Die buddhistischen Gläubigen haben des öfteren im Laufe der Jahrhunderte die Götter ihres Pantheon mit Tugenden gleichsam überschüttet. Amida ist der Gott des Erbarmens, zugleich aber auch der Gott der Weisheit. Jeder Gläubige betet ihn indessen auf seine Weise an, und ich für mein Teil stelle ihn mir lieber als Gott des Erbarmens vor. Sein Paradies liegt im Westen; dort thront er in der sinnenden Haltung der »dyâna-mudra«; die Daumen gegeneinander gelegt, die Handflächen geöffnet nach oben gekehrt; der Heiligenschein umstrahlt den ganzen sitzenden Körper, nicht nur den Kopf. Die Beine hält er gekreuzt. Aber wenn sein Paradies im Westen gelegen ist und Amida der Bodhisat des Westens ist, warum strömen dann die Gläubigen auch im Osten zu ihm hin? Es gibt im August – dem Monat, in dem ganz Japan in ungeheurem Pilgerzuge zu allen heiligen Bergen emporsteigt – eine Nacht, in der Tausende und aber Tausende von Pilgern sich zu den östlichen Bergen aufmachen, zu einem sehr heiligen Orte, wo sie nach Stunden vorbereitenden Wartens in der Sommernachtsstille und Finsternis, in der Sonne selber Amida, den Erbarmungsvollen und den lieblichen Weisen am Horizont aufsteigen sehen wollen. Diese Pilger haben in jener Nacht alle Entzückungen ihrer Seelen, jede allerhöchste Ekstase empfunden … sie warten und warten stundenlang … sie knien auf den Felssteinen, vom Bergwinde umtobt, der sie selbst in diesem Monat bei all ihrer sonstigen Regungslosigkeit erschauern läßt … sie beten und beten … und sie rufen: »Namu, Amida, Butzu! Rette uns, o rette uns, Amida, Buddha!« Und wenn endlich Strahl auf Strahl der aufgehenden Sonne langsam durch die Wolken dringt, wenn endlich an diesem gebenedeiten Morgen die Sonne aufsteigt, schaut der verzückte Pilger, schauen die Tausende von Pilgern dem Gott selber ins strahlende Angesicht, während sie ausrufen: »Rette uns, o rette uns, Amida, der du dereinst Buddha sein wirst!«
Dann steigt er im Osten empor! Also muß doch sein Paradies auch im Osten sein, wie es im Westen ist! Vom Osten bis zum Westen muß es sich ausdehnen wie ein Halbkreis, wie eine Sphäre der Seligkeit. Wer Amida im Westen verehrt, darf ihn auch im Osten an diesem seligsten aller Augustmorgen auf dem Kamme der östlichen Berge verehren. Und wenn wir jenes rührende, prächtige Triptychon sehen, das Yeishiu Sozu gemalt hat und das im Goldenen Pavillon zu Kioto verwahrt wird, so will es auch mir scheinen, als ob Amida selber mit der aufgehenden Sonne wie vor den Augen jener Tausende von Gläubigen aufsteigt. Glanz fließt wie Wogen eines Lichtmeeres um die Gottheit. Amida taucht aus dem Lichtmeer auf: ihm zur Seite Kwannon, zur andern Seite Seishi, eine Göttin der Weisheit; beide Göttinnen halten Musikinstrumente in der Hand, beugen sich herab und bleiben in tieferen Regionen als Amida, dem sie ihre Huldigung mit Spielen und Singen darbringen. Wie Schwestern begleiten sie den göttlichen Bruder in diesem heiligsten Augenblick.
Ich kann mir's nicht anders denken, als daß die Gläubigen Amidas Aufsteigen beim Sonnenaufgang über Groß-Japan, Dai-Nippon, der Welt, so ansehen. Mit lautem Bittgeschrei flehen sie ihn um Hilfe, Gnade oder Erbarmen an. Um seinen Hals hängt eine Schnur mit Quasten. Wer diese Schnur ergreift, ja, wer diese Schnur ergreifen darf, den wird Amida in seinen Händen sicher über alles Leid dieser Welt emportragen, die eine Hölle ist … Ich weiß nicht, was die Pilger empfinden, wenn die heilige Morgenstunde gekommen ist. Vermutlich werden sie in Verzückung die Hände nach der goldenen Schnur ausstrecken, die ihnen doch so fern ist wie die aufgehende Sonne, werden sie dann zur Erde sinken lassen, das Angesicht tief zu Boden neigen, sich dann fromm und weihevoll wieder aufrichten und ruhig den heiligen Ort verlassen und die östlichen Berge wieder hinabsteigen. Sie haben Amida gesehen, sie haben nach Amidas Halsschnur gegriffen, nach der »Schnur des Erbarmens«; sie werden nicht verloren sein; Amida wird sie retten. Sie werden ihre alltägliche Beschäftigung dort unten in Stadt und Dorf gestillten und ruhigen Gemüts von neuem aufnehmen. Der Erbarmer hat ihnen zugelächelt – hat sie ermutigt. Erbarmen hat ihnen aus seinem in rosig-goldener Glorie gebadeten sanft lächelnden Angesicht entgegengeleuchtet …
Ich finde diesen Kult sehr schön und sehr gefühlsinnig. Wir armen Menschen brauchen für unsere verzweifelten Seelen Helfer, die um unseretwillen das Paradies verlassen, gleich als achteten sie es für nichts, so lange wir Menschen noch nicht von den Höllenqualen befreit sind, die unsere Seelen schmerzen. Und was mich an all den Amida-Bildnissen, die ich auf Lotosblumen thronend in den Nebentempeln großer Tempelgebäude antraf, so besonders stark berührte, das war der sanfte, fast weiblich-weiche, erbarmungsvolle Zug auf dem Antlitz, das dem des Buddha glich – aber doch anders ist: menschlicher, uns näher gerückt, während mir das Gesicht des Buddha selbst unserer armen Welt ferner zu sein schien, entrückter und in vollkommener Ruhe und tiefstem Wissen erhabener und göttlicher.