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XIV.

Ringkämpfe – Fechten – Karpfen in der Luft

 

Durch meine Erkrankung kam ich auch um die großen Ringwettkämpfe, die im Mai in Tokio stattfanden. Ob mir wirklich etwas damit entgangen ist? Zwar halte ich sehr viel von dem griechisch-lateinischen Ringkampf, so wie er noch heutzutage von sportgeübten jungen Athleten betrieben wird. Aber wenn schwere »Mehlsäcke«, Männer von fünfzig Jahren, mit ihrem bloßen Bruttogewicht schon den Gegner zu Boden zwingen, kann ich das eigentlich nicht als Ringkampf erachten. Übrigens: einen japanischen Ringkampf habe ich einmal mit angesehen – und zwar in Rom. Und wenn ich auch nicht gerade nach Japan gekommen bin, um meine römischen Erinnerungen zum besten zu geben, so glaube ich doch, daß ich aus all dem, was ich damals gesehen und mittlerweile noch dazu gehört und gelesen habe, einigermaßen einen japanischen Ringkampf zu schildern vermag, als wäre ich selbst dabei gewesen!

Zuerst ein paar Vorbemerkungen. Japanische Ringkämpfer sind nichts für unseren am klassischen Vorbild geschulten Geschmack; sie sind keine Athleten, die schön sind wie griechische Skulpturen, sondern sie wirken als Kolosse, als gewaltige Massen, als halbe Berge. Sie stehen auf dem Podium wie Riesen, die nicht von dieser Welt sind. Heiraten werden gewöhnlich immer innerhalb dieser Familien geschlossen, und die aus solchen Ehen stammenden Söhne werden von Kindheit an auf den gleichen Beruf vorbereitet, der sehr einträglich ist. Was ich von ihnen in Rom sah – und was ich dann auf ein paar alten japanischen Holzplastiken im Museum von Kioto bemerkte, z. B. an den vier Königen der Windrichtungen, die unter ihren gewaltigen Füßen die sich windenden Dämonen zertreten und mit weiter Gebärde den Zugang zum Himmel beschirmen: das verbindet sich nun in meiner Erinnerung zum rechten Bilde dieser ungeheuer großen Männer. Da finde ich die gleichen riesenstarken Muskeln, von denen Fett keineswegs wegtrainiert ist, im Gegenteil wird durch regelmäßige Überfütterung an diesen Körpern systematisch eine Fett- und Muskulaturbildung erzeugt, die wohl das Ideal des japanischen Ringkämpfers sein mag, nicht aber dem des Hellenen entspricht.

Nehmen wir nun einmal an, wir seien in der Arena und hätten uns unseren Platz mühsam erobert – denn an solchem Nachmittag ist es gepfropft voll. Ganze Familien sitzen schon stundenlang vor Beginn da; sie haben ihre Frühstückskörbe oder ihre hölzernen Eßkästchen mitgenommen, in denen zierlich angeordnet hier weiß und gelb ein Ei, dort etwas Grünes, etwas Schwarzes liegt, buntes Zuckerwerk dazwischen, und das alles auf einer Unterlage von weißem gekochten Reis. Mit kleinen Stäbchen wird das zierlich und geschickt gegessen; die Sakéflasche mit Patentverschluß darf nicht fehlen; Zigarettenrauch hüllt die Familie in eine Wolke ein. Kinder schreien, Mandarinenschalen und Schokoladenpapiere sind rings über den Boden verstreut. Das jüngste Baby ist am buntesten gekleidet; dem Alter entsprechend werden die Farben der Mädchenkleider gedämpfter. Der Japaner ist zum Festefeiern geschaffen und nimmt gern jeden Vorwand wahr, um mit der ganzen Familie loszuziehen. Gleichviel, ob es sich um die Kirschblüte, um eine Shintozeremonie oder den Ringkampf handelt. Der japanische Mittelstand geht auf solche Art dem Vergnügen nach.

Da sitzen sie nun dicht zusammengepfercht und warten stundenlang, aber das macht sie nicht weiter nervös. Was liegt ihnen daran, ob sie warten? Sie sind ja »ausgegangen«, sie schmausen, sie trinken ihren Sake und sind zufrieden. Nun treten die Ringkämpfer auf, kolossale, schwerfällig sich bewegende Fleischberge: Onishuki, 32 Jahre alt, wiegt 291 englische Pfund und ist seit 1917 »Champion« (auf japanisch: Yokozuna); und Tochigiyama, 31 Jahre alt, hat es auf 25o englische Pfund gebracht und gilt seit dem gleichen Jahre als »Champion«: Das sind die beiden einzigen Champions von ganz Japan. Ihre Oberkörper sind entblößt; Schultern, Brust, Nacken und Arme bilden eine ungeheure Masse. Der Kopf ist klein, der Blick hochmütig, das lange schwarze Haar pomadisiert und zu einem gekringelten Schopf nach hinten gekämmt. Dies ist ein Überbleibsel aus alten Zeiten, da alle Japaner, welchen Standes sie auch sein mochten, das Haar lang trugen und sich mit den seltsamen vor- und emporstehenden Schleifen schmückten, so wie wir es heute noch häufig auf den Holzschnitten ihrer berühmten Maler sehen. – Die übrigen Ringkämpfer, die weniger beliebt sind, weniger gefeiert werden, treten nach ihnen auf und stellen sich in eine Reihe. Sie alle tragen reichgestickte Lendenschurze aus Brokat, die weit abstehen, je nachdem sie bis an die Knie oder weniger tief herunterreichen. Haben sie mit stampfenden Füßen dem Publikum ihren Gruß dargebracht, so spülen sie sich auf dem Podium den Mund und streuen Salz um sich her: das Symbol der Reinigung. Dann knien sie nieder und stemmen die Fäuste auf den Boden; die Gegner sehen einander scheel von der Seite an. Der Schiedsrichter gibt mit seinem Fächer ein Zeichen: die entsetzlichen, furchterregenden Männer springen auf, und der Kampf beginnt.

Sie müssen einander umwerfen, aufheben, zu Boden zwingen, über den Rücken werfen. Das gibt keine schönen Bewegungen. Oft knieen sie nieder und wirken dann wie riesige Kröten mit herausquellenden Augen. Jeder muß seinen Gegner eine gewisse Anzahl von Malen auf den Boden zwingen, ehe er als Sieger die Arena verlassen darf. Mir mißfiel dieses Chaos von häßlichen Bewegungen. Welcher Unterschied gegenüber der bildnerischen Schönheit, die dem griechisch-römischen Ringkampf noch heute innewohnt! Die schweren, unbeholfenen, plumpen Körpermassen sich miteinander abarbeiten zu sehen, macht weiß Gott keinen Spaß; weder gibt es da irgendeine Freude an plastischen Bewegungen, noch irgendeine Anteilnahme am schließlichen Sieg des einen oder des anderen – wenigstens nicht für unsern europäischen Geschmack. Der Japaner freilich ist begeistert über seine Riesen. Dem Sieger wirft man unter Jubelgeschrei Pfeifen, Mützen, Notizbücher oder die Medizinflasche zu, die jeder stets bei sich trägt. Hüte, Kappen und alle anderen Gegenstände bekommt man wieder zurück gegen ein Geldgeschenk, das dem Favoriten zusteht, der so mit Gegenständen beworfen wird.

Aber wir haben noch nicht alle Einzelheiten beachtet. Haben noch nicht erwähnt, daß jedem der Champions zwei Männer folgten, die ein Paradeschwert in den Händen tragen. – Nun stampfen wiederum sämtliche Ringkämpfer mit den Füßen nach links und nach rechts, daß die ganze Arena zittert. Sie strecken die Arme, klatschen in ihre fleischigen Hände, bis einem das Trommelfell zu zerreißen droht, bewegen sich wie eine massige Bergkette nach rückwärts und verschwinden allmählich.

Vielleicht interessiert es den Leser noch, zu hören, wie solche Ringkämpfer heißen: da nennt sich der eine das »lieblich sich neigende Weidenbäumchen«, der andere das »von zarter Brise durchwehte Pflaumenbäumchen«. Oder er heißt der »unvergängliche Fels«. Als ich meinen Führer fragte, ob die erstgenannten Namen als Scherz oder Ironie zu gelten hätten, bestritt er das sehr entschieden. Wir Europäer würden es gewiß doch nur humoristisch nehmen können, wenn solch ein Koloß sich »lieblich sich neigendes Weidenbäumchen« nennt! Anders der Japaner, dessen Denken und Empfinden wir nur schwer verstehen können.

»Wir kennen das europäische Gefühl für Humor und Ironie kaum, vielleicht gar nicht!« sagte mir Kawamoto, mein neuer Führer. »Als bei uns das Zivilstandsregister eingeführt wurde, gingen alle, die einen Namen haben mußten, zu den Priestern, und diese schlugen in ihren heiligen Büchern nach und gaben denen, die vor ihnen standen, als Namen die erste beste Wortverbindung, die sie gerade auf der vor ihnen aufgeschlagenen Seite fanden, Namen sind also Zufall. Sie gehen dann aber auch von berühmten Ringkämpfern auf einen jüngeren Nachfolger über, wenn sich der ältere vom öffentlichen Auftreten zurückzieht.«

Plötzlich war es mir, als begriffe ich überhaupt nichts mehr von Japan und den Japanern. Von den Ringkämpfen kann ich nur noch berichten, daß sie im Mai in Tokio von Professionals aufgeführt und so hoch geschätzt werden wie vorzeiten die Kämpfe, die in früheren Jahrhunderten durch die Samurai minderen Ranges an den Höfen der Daimyos vorgeführt wurden. Ganz etwas anderes ist der Jiu-Jitsu-Kampf, der auch in Europa bekannt ist: das ist ein Sport, den alle Schüler und Studenten ausüben. Ein ziemlich moderner Sport übrigens …

Um gleich beim japanischen Sport zu bleiben, möchte ich noch von der Fechtkunst sprechen, die ich in der Fechtschule zu Kioto zu bewundern Gelegenheit hatte. Die Japaner fechten mit Bambusstöcken; drei Stöcke sind durch Leder miteinander verbunden, und oberhalb der Hand befindet sich ein Handschutz aus Leder. Jeder Kämpfer hält mit beiden, ziemlich weit voneinander entfernten Händen den Fechtstock vorgestreckt. Die Fechter tragen ein weißes Hemd, gefältelte Hosen, einen Rohrpanzer und Lederschutzteile an den Unterarmen. Auf dem Kopf haben sie einen durchsichtigen eisernen Helm mit einem Nackenschutz aus gesteiftem Kattun. Die Schläge werden oberhalb des Scheitels nach den Schläfen, nach der rechten Hand hin, ja sogar nach der Kehle geführt. Wiederum ist das Ganze nicht so fein und vornehm wie unser Fechten mit dem Florett oder Degen, nicht so forsch wie unser Säbelfechten. Alles Ästhetische des europäischen Fechtens fehlt diesem mehr grausamen als anmutigen Stoßen und Stechen vollkommen. In früheren Jahrhunderten pflegten die Samurai aller Stände auf diese Weise zu fechten. Sie waren indessen weniger gut geschützt: über der Stirn trugen sie nur ein metallenes Band, über dem Scheitel ein Tuch. Und sie fochten auch nicht mit Stöcken, sondern mit schweren hölzernen Schwertern, die gewaltige Hiebe verabfolgten.

Dies alles klingt gar nicht, als ob ich krank in meinem Bett im Hospital läge. Indessen: schaue ich zum Fenster hinaus, was sehe ich? Sport! Mein Blick geht über den Hospitalgarten und über den ganz ausgetrockneten Fluß hinweg direkt auf das Sportfeld, auf dem jeden Tag, ich möchte beinahe sagen: jede Stunde die Jugend von Kobe sich sportlich betätigt. Lauter Schuljungen und Studenten – kein Zweifel, daß die junge Generation körperlich trefflich ausgebildet sein wird! Übrigens sind die Japaner zwar nicht groß, aber doch alle robust und kräftig gebaut. Der Kimono läßt das nicht immer so erkennen, allein die Arbeiter und Rickshamänner sind von kräftiger Statur und stehen sehr gerade auf ihren schönen Beinen mit den sehr entwickelten Waden.

Ich blicke aus meinem Fenster – und was sehe ich weiter? Ich muß es schildern, denn es ist ein echt japanisches Bild. Ich sehe lauter große Fische, ungeheure Karpfen, die vom Wind getrieben in Schwärmen daherkommen: schwarz und weiß, gelb und blau, rot und gelb. Seltsam dieses Bild so vieler Karpfen, die ihre Teiche verlassen haben und nun, vom Winde getrieben, durch den Lichtglanz heranschweben und schwärmen …

Es ist das Knabenfest im Mai. Jeder Knabe bekommt von seinen Eltern so einen Karpfen. Dieser Karpfen kann aus Papier sein oder aus Baumwolle oder aus Seide. Er wird im Garten an einem Bambuspfahl hochgezogen. Das Maul ist geöffnet, der Wind bläst da hinein, und nun wehen alle diese Karpfen steif auf der Brise; schwimmen dort in der Luft! Warum den Knaben an diesem Festtage im Mai ein Karpfen gegeben wird? Weil der Karpfen ein starker Fisch ist, der seinen Weg durch die Wässer macht und auch gegen den Strom schwimmt. Das muß auch der Knabe lernen: gegen den Strom zu schwimmen wie ein starker Fisch. Je steifer sein Karpfen vom Winde aufgeblasen über den Dächern steht, desto günstiger wird das Vorzeichen gedeutet. Darum beten die Knaben um günstigen Wind. Beten, daß er wehen, und ihr Luftfisch kräftig und stark über den hinaufblickenden Jungenköpfen stehen möge.

An diesem Tag bekommen die Knaben auch noch andere Geschenke: Puppen. Aber Puppen, die mächtige Helden ihrer Mythologie darstellen, und unter ihnen befindet sich nicht nur der chinesisch-japanische Gott Shokin, der mit seinen breiten Füßen alle die elenden gehörnten Gnome und teuflischen Wesen zermalmt, sondern unter ihnen sehen wir auch Kintaro, der mit einem Riesenbären rang, und ferner … Admiral Togo in seiner modernen Uniform. Und am Ende ist ihnen der Admiral Togo wohl lieber als Kintaro und Shokin …

Auf den Balkons der Häuser, deren hölzerne Fensterläden und papierne Scheiben weit geöffnet sind, so daß man bis ins Innere sehen kann, stehen die anmutig gekleideten kleinen Mädchen und schauen sich ebenfalls die Karpfen in der Luft an. Auch sie haben ihr besonderes Fest, doch fällt das in den Monat April. Dann bekommen auch sie ihre Puppen, ihre Mädchenpuppen.

Ein steifer Wind erhebt sich, die Fische richten sich gerade auf, als wollten sie untertauchen. Alles jubelt. Ich sehe und höre das alles durch mein geöffnetes Spitalfenster von meinem Bett aus.


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