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XV.

Das Fujiyahotel – Zwergbäume – Holland und Japan – Bibliophile – Karpfenfütterung

 

Drei Nächte und zwei Tage in Yokohama. Eine silhouettenlose, uninteressante Stadt. Import und Export, Geschäftigkeit, all die tausend Dinge, die das Glück der Menschheit ausmachen sollen. Ich kann über Yokohama absolut nichts sagen. Man muß dorthin, wenn man einen Dampfer besteigen oder verlassen will – das ist aber auch alles. In Miyanoshita werde ich mich ausruhen können. Eine Stunde Bahnfahrt bis nach Kozu an den Reisplantagen entlang – ach, die sind mit unseren indischen Sawahs nicht im entferntesten zu vergleichen! Putzig wirken die Bauernhäuschen mit ihren Dächern aus Schilf, die der größeren Haltbarkeit halber noch mit Grasbüscheln bepflanzt sind. Dann taucht plötzlich ganz unerwartet der Fujiyama auf! Eben haben wir links eine Bucht gesehen, nun ein Blick nach rechts: der Fujiyama. Wieder aber hat der Berggeist Wolken um sich gesammelt. Nun haben wir zwei-, dreimal den Fujiyama gesehen und freuen uns dessen, ohne Hokusai zu beneiden, den großen japanischen Maler, der den Berg von 36 verschiedenen Seiten gesehen und diese Ansichten in farbigen Holzschnitten verewigt hat.

siehe Bildunterschrift

15. Mausoleum von Ieyasu zu Nikko

Ankunft in Kozu. Wir steigen aus. Das Auto steht bereit. Eine Stunde Fahrt auf schlechtem, für japanische Verhältnisse allerdings schon guten Boden nach Miyanoshita, der berühmten Sommerfrische, die zwischen den Hakonebergen am Hakonemeer liegt. Hier das beste Hotel von ganz Japan: das Fujiyahotel.

siehe Bildunterschrift

16. Grab von Ieyasu zu Nikko

Wir fahren durch Odàwara. Das alte Schloß mit seinen aus weißem Gestein hoch aufgerichteten Wänden mahnt an vergangene Zeiten. Wir sind wie im Fluge vorbei. Viele Dörfchen und japanische Herbergen und Hotels; das größte trägt den Namen: »Der Turm, in dem Segen wohnt.« Reiche Japaner verbringen hier den Sommer, um die warmen Bäder zu gebrauchen. Denn hier entspringen warme Quellen.

siehe Bildunterschrift

17. Im Ieyasu-Mausoleum zu Nikko

Bergwände, dicht mit Pinien und Farnen bewachsen. Wasserfälle. Alles sehr grün nach reichlichem Regen. Eine Wohltat, diese frische Luft nach all dem Gestank von Kobe und Yokohama. Ich lebe auf. Dann unversehens das Hotel: wie ein japanisches Schloß oder ein großer Pavillon in weiß und gelb; gelb lackiert ist das erhabene Schnitzwerk und die Fassade, die zwischen den hier sehr spät blühenden roten Azalien hervorschaut.

Auf diesem idealen Fleckchen Erde läßt sich's gut ausruhen. Es ist die Zeit der Irisblüte, und die großen violetten, blauen, weißen Blumen stehen überall in Vasen. In den ersten Tagen holt mich Kawamoto um neun Uhr morgens ab und führt mich die steinernen Treppen hinab, quer durch den Park zu einem Schwimmbad, von dem aus sich eine prächtige Aussicht auf die Berge bietet. Dort sitzen wir zusammen auf einem Stein und plaudern, während auffallend große schwarze Falter die roten Azalien umgaukeln und sehr kleine gelbschwarze Bachstelzchen von Ast zu Ast fliegen. Schwarze, scharf gezeichnete Eidechsen huschen über den Boden. Und die Sonne scheint und gibt mir neue Kräfte. Wir plaudern. Kawamoto ist ein reizender Mensch. Ich glaube, daß ich mich mit dem ganzen Volk ausgesöhnt hätte, wenn alle Japaner, denen ich auf meinen Wegen begegnete, so gewesen wären wie dieser eine. Er trägt Kimono und Überkimono, obwohl ihm sehr warm ist – indessen, das Obergewand ist nun einmal Vorschrift! Es wird der Etikette gemäß sogar im Zimmer getragen. Er benutzt seinen Fächer. Er erzählt mir von lauter japanischen und buddhistischen Dingen, über die ich nichts in den banalen Büchern gelesen habe. Ich begreife nicht, wie er immer wieder errät, daß ich dies oder jenes noch nicht weiß. Und nun richte ich tausenderlei Fragen an ihn.

»Kawamoto, wissen Sie etwas über die Zwergpflanzen?«

»Nicht viel«, antwortet er ehrlich. »Die junge Pflanze, eine Banane, eine Esche, eine Pinie, Efeu oder gar eine Cryptomeria, wird erst in einem weiten Topf eingepflanzt und dann in immer kleinere Töpfe umgesetzt. Der Gärtner muß bei jeder Pflanze genau wissen, nach wieviel Wochen dies zu geschehen hat. Das ist eine Geduldsprobe. Auch der Ginko Japonica …«

»Mit den Fächerblättern und den vielen Beeren?«

»Jawohl – auch Ginko Japonica eignet sich gut dafür, zu solch einem Zwergbäumchen gezogen zu werden.«

»Uns erscheint das als unnatürlicher Zwang.«

»Für uns aber liegt eine bestimmte Idee zugrunde. Wir zwingen das Bäumchen zum Gehorsam und zur Resignation: beides sind hohe buddhistische Tugenden. Zugleich aber verleihen wir ihm Schönheit. Oder finden Sie etwa ein Zwergbäumchen nicht schön?«

»Doch, im Grunde genommen finde ich es schön mit seinem festen, kleinen Stämmchen, in seinem blauen oder grünen winzigen Porzellantopf und dem Stückchen Felsgestein daneben.«

»Auch dies Felsgestein ist symbolisch. Es soll dem kleinen Baum eine physische und moralische Stütze bieten. Und wenn das Bäumchen zur richtigen Zeit gestutzt wird, bleibt es gesund. Sonst würde es wild wachsen. Der Mensch wächst doch auch nicht wild auf. Sogar große Bäume werden von Zeit zu Zeit mit großer Kunst auf diese Weise beschnitten. Hier der Park ist zu groß, aber Sie erinnern sich doch gewiß noch des Gartens, den wir in Kioto sahen, und der dem reichen Kaufmann gehörte. Nun: dort wird jeder Baum, sogar der größte, solchem Zwang unterworfen. Wächst ein Stamm allzu gerade auf, so wird ihm in bestimmter Höhe ein Gürtel aus Bambusstäben mit einem Eisendraht umgelegt, der ihn hinabzieht, so daß eine zierliche Biegung entsteht. Wir lieben die wilde Natur nicht allzu sehr, und unsere Natur ist in ihrer Wildheit auch nicht immer schön. Dennoch gibt es auch in dieser unveränderten Natur oft sehr schön wachsende Bäume, die schon seit Jahrhunderten als Vorbild dienen. Jene Pinie dort drüben, die all ihre Zweige horizontal in einer Richtung – nach Westen – ausstreckt, einen Zweig über dem andern, ist doch z. B. sicherlich ein Baum, der nach so einem Vorbild gestutzt und zurechtgeformt wurde; nur fehlt es den Gärtnern des Hotels wohl an der nötigen Zeit und wohl auch an den nötigen Kenntnissen, um ihm diese Gestalt immer ganz gut zu erhalten. Doch möchte ich Ihnen von den Zwergbäumen nichts weiter erzählen, weil ich selber nicht viel mehr über sie weiß. Ich kann nur noch sagen, daß viele reiche Leute ganze Sammlungen solcher Zwergbäumchen besitzen, und daß einzelne Exemplare daraus oft Tausende von Yens kosten.«

Kawamoto ändert nun plötzlich das Gesprächsthema. Er fängt an, über unsere früheren niederländisch-japanischen Beziehungen zu reden, und wir kommen auf Decima; ich glaube, daß wir dort einmal im Jahr ein Kauffahrteischiff aus- und einladen durften. Und das wird den Export- und Importkaufleuten, die für das Glück der Welt sorgen, wohl herzlich wenig bedeutet haben.

»Geschäft verträgt sich doch nicht mit buddhistischen Anschauungen, Kawamoto«, bemerkte ich scherzend. Er aber spricht weiter:

»Ein japanischer Arzt lehrte vor langer Zeit in Nagasaki die holländische Sprache. Er besaß ein Wörterbuch und ein Kräuterbuch. Die Japaner redeten ihn auf holländisch als »Doktor« an. Seine Schüler kopierten sowohl das Wörterbuch wie das Kräuterbuch auf präpariertem japanischen Papier; sie schrieben mit Bambusfedern und ostindischer Sepia. Vereinzelte Exemplare davon sind noch heute in der Universität von Kioto zu sehen … Zu jener Zeit und auch später noch schwärmten wir für holländische Bücher und holländische Gelehrsamkeit. Als im Jahr 1868 der Mikado wieder zur Macht kam, hatte der letzte Shogùn, ein Tokùgawa, dessen Anhänger von der Abschaffung des Shogùnats nichts wissen wollten, einen Vasallen namens Katsu. Dieser war sehr lernbegierig, insbesondere interessierte ihn alles, was die Marine betraf. Eines Tages nun entdeckte er in einem Buchladen ein dickes, schweres Buch über die Marine; der Preis betrug dreißig Ryo, – das ist soviel wie dreitausend Yen. Er ging zu sämtlichen Freunden und Verwandten und hatte in drei Tagen die Summe beisammen. Doch als er in den Buchladen zurückkehrte, um das Buch zu erwerben, war es bereits verkauft. Nun bat er den neuen Besitzer des Buches flehentlich, es ihm kopieren zu lassen. Der willigte ein. Drei Jahre war Katsu damit beschäftigt; während dieser Zeit aber stellte er an den Besitzer des Buches unzählige Fragen über Seeschifffahrt, die der niemals zu lösen vermochte, obgleich er Seemann war. Darauf gab er das teure Buch, dieses einzige Exemplar, dem Katsu und begnügte sich mit dessen Kopie. – Doch auch englische Bücher standen hoch im Wert. Der Daimyo-Prinz von Satzuma zeigte eines Tages dem Grafen Samejuna den größten Schatz seines Hauses. Wissen Sie, was das war? Eine Kiste aus Paulowniaholz mit Quasten, darin wiederum eine kleinere, und dann nochmals eine kleinere, und in der kleinsten endlich, in Brokatstoff eingewickelt, »Webster's englisches Wörterbuch«, vermutlich das einzige Exemplar, das in Japan existierte …«

Ich stand auf und schlug vor: »Kawamoto, wollen wir zu den Karpfen gehen?«

Wir machten uns auf den Weg und fütterten die Karpfen. In dem Teich, der hinter dem Hotel vor einem hohen Hintergrunde aus Felsgestein und roten Azalien angelegt ist, in diesem von Felsen eingefaßten Wasser schwimmen an die hundert Karpfen, große und kleine, in allen Farben. Es gibt rötlichgoldene, gelblichgoldene, blauschwarze, silbergraue, schwarzgesprenkelte, weiße, weiß und gelbe, weiß und rote, und ein ganz großer ist schneeweiß, hat eine purpurrote Schabracke auf dem Rücken und darauf eine Art Kamm. Ein Fisch, der sicherlich seine hundert Yen kostet. Das Wasser stürzt aus dem natürlichen Wasserfall oben auf dem Berge über die Felsen. Ich habe bemerkt, daß diese Fische, die dick und behäbig aussehen wie gesättigte Bürger, immer zur gleichen Stunde, um sechs Uhr, gemeinsam eine »Dusche« nehmen wollen. Das ist sehr seltsam, wie es sie zu dieser Stunde köstlich dünkt, so still unter dem starken herabströmenden Strahl liegenzubleiben, der von einem Felsblock niederfließt. Sie stellen sich förmlich an, sie drängen einander weg; die stärksten bleiben am längsten unter dem Strahl; die kleinen rotgelben, die jedesmal, wenn sie aus dem Wasser auftauchen, wie Rubinen glitzern, bringen es niemals fertig, bis unter den Strahl zu geraten. Möglich auch, daß der Strahl ihnen zu stark ist, und daß sie lieber miteinander spielen. Ich habe das schon alles mehr als einmal immer zur gleichen Stunde bemerkt.

Sind diese Karpfen nun eigentlich schön? Nein, sie sind zu plump, zu aufdringlich; haben nichts anderes zu tun, als ihre Edelsteinfarben in der Sonne glitzern zu lassen. Und ich frage meinen Führer:

»Finden Sie nicht, daß diese toten Felsblöcke, die uns umringen, mehr von buddhistischer Besinnlichkeit und nachdenklicher Haltung haben, als diese dicken Fische jemals zeigen könnten?«

»Gewiß«, antwortete Kawamoto. »Aber die Felsblöcke sind ja nicht tot. Sie vermuten ganz richtig: sie denken nach, und dereinstmals werden sie ins Nirwana eingehen. Wer weiß, in welcher neuen Gestalt? Unsere Karpfen haben wieder andere Tugenden. Unsere Samurai waren wie Karpfen. Wenn der Koch uns den Karpfen serviert, roh, wie wir ihn essen, so schneidet er ihn der Länge nach durch und legt beide Teile aufeinander. Auf der Tafel wird dem Fisch ein Tropfen Soja in das eine Auge geträufelt. Er springt dann noch einmal flüchtig auf und ist nun erst vollends tot. So starben auch unsere Samurai, wenn sie verurteilt waren, Harakiri zu machen. Sie stießen sich das Schwert in den Bauch und zuckten einmal vor Schmerz zusammen. Das war aber auch alles – und dann waren sie tot wie der Karpfen. Menschen wie Tiere haben ihr Schicksal.«

»Wissen Sie etwas von Sò-shi, dem weisen Zeitgenossen des Konfuzius? Als er einmal die Karpfen sah, sprach er zu seiner Frau: ›Sieh nur, wie fröhlich die umherschwimmen.‹ Die Frau antwortete ihm darauf verstimmt. ›Woher kannst du das wissen? Wir sind doch keine Fische.‹ Der Philosoph aber antwortete: ›Schau in die Tiefe deines eigenen Herzens, und du wirst alle lebenden Geschöpfe begreifen. Was für einen Unterschied gibt es denn zwischen diesen Karpfen und uns? Was für einen Unterschied zwischen den Ameisen zu unsern Füßen und zwischen uns selbst? Wir sind nicht mehr und nicht weniger denn sie. Und so weiß ich, daß diese Karpfen fröhlich umherschwimmen …‹«


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