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VII

Bei Mitsou. Sie tritt vor Robert ein. Er blinzelt unter dem elektrischen Licht und mißt im Weitergehen die Möbel mit feindseligen Blicken. Mitsou dreht sich um und betrachtet ihn. Sie hat sich so stürmisch in das Taxi gestürzt, in dem er sie erwartete, die Fahrt war so kurz gewesen (einige beglückende Küsse, ein paar abgebrochene Sätze: ›Sehr voll das Theater? Nicht zu müde? – Was haben Sie wohl die ganzen zwei Stunden getrieben?‹ und so weiter), daß sie gar nicht die Muße gehabt hat zu ergründen, ob er – wie sie das kindlich nennt – ›noch immer böse‹ ist. Er ist nicht böse – er ist auf der Hut. Er prüft die unbekannten Türen, blickt auf die baumelnde Merowinger Krone und betrachtet schließlich das Schlafzimmer, dessen Luxus infolge seiner Banalität süßlich provinzlerisch wirkt, Provinz mit geknüpften Vorhängen, Spitzen und dicken Teppichen. Das blendend saubere Bett sieht brav ehelich aus. Nicht sehr feine Wäsche, hellblaue Bänder an den Kopfkissen, die Steppdecke aus hellblauer Seide … Ein großes Bett zum Schlafen und Kinderzeugen.

›Wenn ich mich diesem Bett nähere‹, sagt sich Robert, ›dann bin ich verloren‹, – denn er hat eben bemerkt, daß er fürchterlich schläfrig ist …

Mitsou: Mein Liebster, hier können wir ungestört plaudern, es ist niemand hier. Kommen Sie, damit ich Ihnen alles zeige! Da ist das Badezimmer, ich lasse das Wasser gleich einlaufen. Er hört das Rauschen des Wassers und lächelt vor Behagen. Er hat schon morgens gebadet und würde gerne jede Stunde wieder baden, wenn man ihn dazu aufforderte. Hier ist das Boudoir und hier geht's auf den Gang hinaus zum W. C. Kommen Sie her, damit ich Ihnen den elektrischen Knipser zeige.

Robert keusch, wie nur ein Mann: Aber, Mitsou lassen Sie nur, ich werde schon finden.

Mitsou: Das sagt man, und dann hat man's in der Nacht dringend, steht auf, stößt sich an allen Ecken und kommt schließlich in die Küche … Sehen Sie, hier links von der Tür ist der Knipser. Ist Ihnen das unangenehm, wenn ich Ihnen das W. C. zeige? Mein Gott, was sind Sie kompliziert! Sie schämen sich doch auch nicht, etwas zu trinken zu verlangen, und dann trauen Sie sich nicht von dem zu reden, was man nachher muß … Und hier ist der Salon.

Er folgt ihr und wirft einen flüchtigen Blick auf die Kissen im Negergeschmack und auf das falsche Meißner Porzellan. Er denkt nur an das Bett. Diese großen Kopfkissen, unter die man die Arme steckt, um sich bequem zurechtzulegen, die Musik der Federmatratze und das faltenlose weiße Bettuch … Ein Bein hier … und ein Bein da … und schlafen …

›Schlafen?‹ denkt er und gibt sich einen Ruck. ›Als ob es sich jetzt um Schlafen handelte! …‹

Mitsou hat ihn ins Schlafzimmer zurückgeführt. In ihrem schwarzen Kleid, mit ihren keuschen Lidern und ihrem vornehmen Hals sieht sie demutsvoll aus, wie eine Braut. Robert bewegt das nicht, doch merkt er wohl, daß Mitsou in Schwarz gegen das weiße Spitzengewebe ein schönes Bild abgibt. Und er lächelt.

Robert: Woran denken Sie, Mitsou?

Mitsou die Augen hebend, ganz junges Mädchen: Ich denke, daß ich mich nun nebenan im Boudoir ausziehen werde. Das Bad ist eingelassen, ich brauche dazu zehn Minuten, dann lasse ich das Wasser frisch ein und dann …

Robert gierig das Bett betrachtend: … und dann gehn wir zu Bett!

Mitsou geschmeichelt: Liebster! Sie hängt sich an seinen Hals, küßt ihn und entflieht.

Robert, allein gelassen, bleibt einen Augenblick vor dem Bett stehen: ›Nur meine Wange‹, sagt er sich, ›nur meine Wange auf das Kissen legen dürfen, während ich warte … Nicht daran zu denken! Wenn ich erst meine Wange auf dieses weiße Linnen gelegt habe, findet Mitsou ein schnarchendes Ungeheuer in Stiefeln auf dem Bett liegen …‹

Er wirft sich in einen Lehnstuhl, bildet sich ein, an Mitsou zu denken, verfällt aber sofort in den starren Schlaf des Soldaten, sitzend, mit vorgestrecktem Kopf und harten Zügen. In diesem Zustand der Versteinerung befallen ihn stoßartig heftige Träume: Bilder aus dem Krieg und aus der Jugendzeit – beides ihm noch so nah – folgen einander in wirrem Wechsel: schwarzes Blut in Lachen, Feuergarben, dann wieder ein Sommerhaus auf dem Land, ein Fluß mit einem flachen Boot in der Sonne … Eben fischt er als barfüßiger Junge Kaulquappen in einem Strohhut – als Mitsou wiederkehrt …

Mitsou in einem pfirsichfarbenen Morgenkleid, die gelösten Haare um die Wangen, sehr bewegt und tapfer: Ich bin bereit …

Robert beglückt, weil sie nicht im Pyjama ist: Das sind die Worte eines Opfers, mein Liebling.

Er nimmt sie in die Arme und wird ernst, weil sie nackt ist und weil sie zittert.

Robert: Mitsou, verzeihen Sie meinen unpassenden Anzug. Darf ich ins Badezimmer gehn?

Mitsou ebenfalls sehr ernst: Ja. Das Bad ist eingelassen. Ich glaube, es ist alles Notwendige da.

Er geht. Während er unter großem Geplätscher mit Bürste und Waschlappen hantiert, das Vergnügen des warmen Wassers auskostet und Mitsous Vorsorglichkeit bewundert – neue Seife, frische Tücher, Badesalz, Essenzen –, legt sie sich angstvoll ins Bett. Sie bebt leicht und bemerkt, wie das rosa Band an ihrem Hemd zittert. Ehrfurchtsvoll lauscht sie dem gedämpften Lärm, der aus dem Badezimmer dringt. Es fällt ihr plötzlich ein, wie Petite Chose vorige Woche die Treppe im Empyrée hinunterhuschte und ohne Scham rief: ›Fein, fein, nun wollen wir lieben, lie–ben!‹ Mitsou, der es weder nach tanzen noch jubeln zumute ist, denkt einen Augenblick nach und schüttelt den Kopf: ›Ja. Ja! Aber bei Petite Chose war es keine Liebesgeschichte.‹ Ein wenig beschämt denkt sie an einen fern zurückliegenden Tag, an jenen Tag, da sie sich mit kalter Liebenswürdigkeit ihrem ältlichen Freund hingab, der sie erfolglos liebkoste. ›Wie weit das alles ist! Ich kenne mich gar nicht mehr aus! Ich werde gar nicht wissen … Ich werde mich benehmen wie eine alte Jungfer …‹ Sie seufzt. Robert tritt ohne anzuklopfen ein. Er ist im Bademantel.

Mitsou im Bett aufgerichtet: Aber ich habe Ihnen doch ein Pyjama zurechtgelegt. Auf dem Stuhl neben der Badewanne.

Robert ganz frisch und fröhlich durch das Bad: Glauben Sie, daß ich ›von Herrschaften abgelegte Kleider‹ benütze?

Er läßt, seiner Wirkung sicher, den Bademantel fallen und steht nackt vor ihr. Sie wendet – und das ist schade – die Augen ab, macht sich ganz klein auf ihrem Plätzchen und sagt: ›Sie werden sich erkälten!‹ Mit einem Satz ist er im Bett, schlägt die Decke zurück, gräbt sich in die Kissen, schlingt den linken Arm um Mitsous Hüfte und drückt ihren ganzen Körper an sich. Sie stößt einen Schrei aus wie ein gefangenes kleines Tier und schweigt, indes ihr Atem unter der heftigen Umarmung fliegt …

Robert sieghaft: Ah! Ah!

Er könnte aber nicht sagen, ob sein Siegesjubel der gefangenen Mitsou gilt oder der Bettwäsche, die seinen Körper streichelt – sanftes, glattes, kühles Leinen, ein tausendmal entbehrtes Wollustgefühl. Seinem Gesicht gegenüber hat er ein junges Gesicht mit großen Augen, die in dem Halbdunkel sehr schwarz aussehen, ein junges, helles, rundes Gesicht, einem Stern vergleichbar, von einem Bogen dunkler Haare umrahmt. Er berührt fast die Nase, die kleine Nase, die so bequem ist für Küsse auf den Mund … Er atmet einen Atem ein, der noch nach Zahnpasta riecht, und den Duft der mit Toilettewasser abgeriebenen Wangen. Er trennt mit seinem nackten Knie zwei seidenverhüllte Knie und bettet sein Bein bequem zwischen Schenkel, deren schöne Form und straffe Muskeln er tastend wahrnimmt. Er fühlt sich wohl. Wenn er sich's getraute, er sagte zu dieser unbekannten Frau, die er so eng umschlungen hält: ›Meine Liebe, bleiben wir so. Schlafen wir, wenn es uns freut, oder plaudern wir – recht wenig. Oder streicheln wir einander ohne Wildheit – geschwisterlich fast. Wir können ja Schlimmeres tun, wenn uns die Lust danach packt. Die Begierde mag wohl imstande sein, uns beide in der Nacht zu wecken … Aber ach! diese Frist des Zartgefühls ist uns verwehrt. Ich muß, wenn nicht einer in der Achtung des anderen sinken soll, dieses Seidenhemd, dessen Weichheit meiner Haut so wohl tut, fortschieben, muß unsere geschwisterliche Umarmung lösen, muß ungestüm werden, und du mußt dich mir hingeben … Gewiß werden wir nachher zufrieden sein – zufrieden wie Kinder, die eine Fensterscheibe einwerfen, um ihr Selbstgefühl zu heben, und nachher feststellen, daß die Scheibe am Ende besser war als der kalte Luftzug … Komm!‹ Dieses letzte Wort denkt er nicht mehr, sondern spricht es aus: ›Komm!‹

Mitsou in unbestimmter Angst: Wohin?

Robert erbarmungsvoll, denn sie ist sehr hübsch: Aber, mein liebstes Kind, ich bin sehr schlimm, mußt du wissen! Komm fort aus dieser Ruhe, reißen wir uns aus dieser Paul- und Virginie-Romantik, aus dieser sentimentalen Träumerei. Willst du nicht mit mir kommen?

Mitsou, der es in diesem Augenblick ganz gleichgültig ist, daß sie ihn nicht versteht: Doch!

Aber sie schließt die Augen, und ihre Hände bleiben ebenso keusch wie ihre Lider.

Robert ganz leise: Schläfst du, Mitsou?

Mitsou ebenso: Ja.

Sie wirft durch ihre Wimpern einen Blick auf den hübschen nackten Faun über sich. Er lacht, daß er die schwarzen Augen aufblitzen sieht, – nervös bricht auch sie in ein lautes Lachen aus. Die entzückende Fröhlichkeit der Tiere ist ihnen ganz nahe, es verlangt sie nach freundschaftlichen Bissen, nach einer lustigen Balgerei – aber beide erinnern sich, daß die notwendige, die unvermeidliche Liebesumarmung bevorsteht. ›Komm!‹ … Er setzt seinen guten Willen ein, den seine Jugend bald erhitzt, und befleißt sich einer wenig überraschenden Methode. Zuerst der Mund, ja, der Mund! Dann der Busen – den Busen nicht vergessen! Diese Brüste, die weder prall sind wie reife Äpfel, noch länglich wie Zitronen und sich von seinen Händen leicht umspannen lassen, sie verdienen die schmachtende Liebkosung, die wilde Inbrunst, die er ihnen widmet …

Mitsou überwältigt und dem Weinen nahe: Ah!

Der Schrei, der verzweifelt geschwungene Mund, die Hoffnung, daß sie nun weinen werde, erhitzen den Angreifer weit mehr, als er vorausgesehen hat. Er überspringt alle Stationen die der elementare Liebescode vorschreibt und hat von seinem weißen Opfer, das in gelöstem Haar unter ihm ruht und keinen Widerstand leistet, nichts mehr zu fordern. Bewußt genießt er einen Augenblick das Wohlgefühl, das ihn durchströmt, dann beginnt die Vereinigung, langsam, begleitet von leisen Klagen, dem Rhythmus zweier Körper folgend, die sich wiegen, als gälte es einen Schmerz zu lindern und einzuschläfern …

Das Zimmer Mitsous sieht zum erstenmal auf der Spitzenwand des Bettes ein prächtiges Bild: den Schatten eines nackten Reitertorsos, schmal in den Hüften, breit in den Schultern, hinabgebeugt zu seinem unsichtbaren Pferd …


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