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Das Restaurant Lavoie. Da es erst sieben Uhr ist und noch etliche Tische frei sind, finden Mitsou und ihr Leutnant einen guten Platz, einen Ecktisch und werden verhältnismäßig beflissen von einem Kellner und einem Oberkellner bedient. Es ist noch heller Tag, die dumpfe Luft riecht nach Melonen und Erdbeeren. Robert betrachtet mit Entzücken den schweren goldigen Abenddunst, der den Himmel hinter der Madeleine zart grün erscheinen läßt.
Ein Kellner zwölf Jahre alt und ernst, wie es diesem Alter entspricht: Brotkarten, meine Herrschaften?
Robert: Lassen Sie, Mitsou, ich habe welche.
Mitsou: Ich auch. Ich habe Zusatzkarten, weil ich einen Ausweis für Nachtarbeit habe. Geben Sie nur zwei, das ist mehr als genug.
Robert: Aber ich habe Hunger, Mitsou. Hier, junger Mann! Das ernste Kind entfernt sich.
Mitsou: Sitzen Sie da gut? Möchten Sie nicht lieber mein Eckplätzchen?
Robert: Nein, ich sitze hier sehr gut.
Er blickt mit der etwas unechten Sicherheit eines dreiundzwanzigjährigen Lebemannes um sich und mit einer geheuchelten schlechten Laune, die die Gäste davor warnen soll, Mitsou anzusehen, und auch den Eindruck erwecken will, er sei schon sehr an sie gewöhnt, ja geradezu blasiert. Nachdem er diese stumme Warnung zwei müden Deputierten, zwei Damen vom amerikanischen Roten Kreuz und einer Gruppe von geschwätzigen, langweiligen höheren Offizieren zugeworfen hat, beschließt er, sich über Mitsou zu freuen – über Mitsou im Restaurant, Mitsou im schwarzen Seidencape, das ihr von den Schultern gleitet und ihren langen, weißen, biegsamen Hals – den Hals eines Opfertieres – erstrahlen läßt.
Sie ist mit einemmal außerordentlich hübsch.
Robert: Wie steht Ihnen Schwarz doch gut, Mitsou!
Und gleichzeitig fragt er sich: ›Warum sieht Mitsou, die nicht geschminkt ist, deren glattgekämmtes Haar Stirn und Ohren frei läßt, die ihre Bewegungen beherrscht und ihre Stimme noch nicht ein einziges Mal erhoben hat, – warum sieht sie doch nicht wie eine Dame aus?‹ Diese Frage beschäftigt ihn derart, daß er nicht bemerkt, wie der Oberkellner neben ihm wartet und auf seinem fetten Römerantlitz seine Gedanken zur Schau trägt: ›Meine Zeit ist kostbar … aber verschwenden wir sie auf dem Altar des Vaterlandes und klagen wir nicht …‹
Mitsou durch Roberts betrachtenden Blick geschmeichelt: Robert …
Robert: Ach ja! Mitsou, wollen Sie nicht Hummer essen? Seit vier Monaten habe ich keinen gesehen – Homard à l'indienne? –
Mitsou: O ja! Mit Mayonnaise und allen Scheren.
Der Oberkellner den Blick über die traurige Welt erhebend: Mayonnaise paßt nicht zu Hummer auf indische Art. Der Reis ist mit Safran und Curry zubereitet.
Mitsou: Oh, das macht nichts. Dann bestellen Sie mir die Mayonnaise extra.
Robert: Schreiben Sie die Mayonnaise auf. Huhn mit Pilzen … Ah, wie schön, Mitsou, daß es das heute gibt. Mitsou, essen Sie gern Huhn?
Mitsou: O ja! Hauptsächlich, wenn Salat dabei ist.
Der Oberkellner: Salat paßt nicht zu Huhn mit Pilzen – es ist mit einer Sauce und …
Mitsou: Das macht auch nichts. Bestellen Sie mir einen Salat extra.
Der Oberkellner: Erdbeeren, Himbeeren, Kirschen in Eis, Bananen.
Mitsou lebhaft: Kirschen in Eis! Kirschen in Eis!
Robert: Aber die sind nicht mehr gut, Mitsou! Die haben keinen Geschmack mehr.
Mitsou: Das ist gerade lustig.
Robert: Kirschen für Madame! Und für mich Walderdbeeren lüstern: mit Schlagsahne. Schicken Sie mir den Weinkellner. Mitsou, Bordeaux, Burgunder oder Champagner?
Mitsou: Das ist mir egal. Ich kann keinem Wein anmerken, aus welchem Land er ist.
Robert: Ich glaube, es gibt hier einen sehr guten Bordeaux, der im Glas ein wenig nach Kaffee und Veilchen duftet …
Mitsou entsetzt: Was, und das ist erlaubt?
Robert: Burgunder kommt nicht in Betracht, der paßt nicht zum Hummer und verträgt sich auch nicht mit dem Huhn …
Mitsou: Wie ist Burgunder? Moussiert der?
Robert: Wenn man ihn dazu zwingt … Ich sehe schon, wir werden Champagner trinken müssen …
Mitsou: Ja, ja! Einen Champagner ohne Geschmack. Der Weinkellner, obwohl sichtbar und anwesend, hat es aufgegeben, sich für das Gespräch zu interessieren.
Robert empört: Ohne Geschmack? Wo sind Sie erzogen, Mitsou?
Mitsou ärgerlich, wegen des Kellners: Jedenfalls nicht in der Schankstube!
Robert zum Weinkellner: Eine Flasche ***. Mineralwasser, Mitsou?
Mitsou: Ja, eines, das moussiert.
Sie warten auf den Hummer. Gäste setzen sich an die noch leeren Tische. Das Amerikanische herrscht vor. Blonde Offiziere, mit Wangen rot wie Winteräpfel, bewundern Mitsou bis zur äußersten Grenze des Möglichen – das heißt, sie stellen von Zeit zu Zeit ihr halbvolles Glas nieder, blicken Mitsou an, öffnen den Mund und vergessen zu trinken. Robert runzelt die Brauen, um die Genugtuung des Besitzenden zu verbergen. Mitsou vergleicht ihn mit allen Anwesenden und stellt fest, daß er der hübscheste ist. Und sie übertreibt damit kaum. Ihr Liebhaber ist braun und schlank und hat magere Hände, deren feine Knochen sich unter einer dünnen Haut bewegen. Sein nicht gestutzter Schnurrbart bedeckt eine kurze Oberlippe, die die Nasenspitze ein wenig herabzieht, wenn er spricht. Und die Augen, die, wie Mitsou findet, ›für einen Mann sehr groß‹ sind, liegen geheimnisvoll tief in ihren Höhlen.
Sie sind beide sehr jung und sehr ernst und schweigen. Sie betrachtet ihn – er aber beobachtet sie. Der Rausch fehlt – doch der wird schon kommen. Man bringt den Champagner vor dem Hummer, und während Mitsou mit blinzelnden Augen nur ein wenig an dem schäumenden Getränk nippt, trinkt er sein Glas in einem Zuge aus.
Mitsou lachend: Das ist besser als Faßwein, wie?
Er antwortet auf diese tiefe Weisheit mit einem Kopfnicken, ›So, nun hab' ich's‹, denkt er. ›Nun weiß ich's: Sie ist weitaus hübscher, wenn sie traurig ist, als wenn sie lacht. Ich müßte ihr sentimentale und traurige Sachen erzählen. Aber das kann ich nicht! Warum nicht? Ich schrieb ihr doch ganz ungezwungen …‹ Er bemerkt, daß er gar nicht sicher ist, ob er diesen Abend Mitsous Geliebter werden möchte. ›Was für ein Vieh bin ich‹, denkt er just in dem Augenblick, da das Tier, das fröhliche und gierige Tier in ihm verstummt.
Mitsou zum Oberkellner, der sie bedient: Danke, genug!
Robert protestierend: Aber Sie haben nur eine kleine Schere!
Mitsou vornehm: Ich nehme vielleicht noch einmal. Aber ehrlich gestanden, diese exotischen Tiere mag ich nicht sehr.
Robert wider Willen lachend: Ich könnte wetten, daß Sie nie das Meer gesehen haben, Mitsou.
Mitsou: Doch, in Deauville. Ich hab mich dort sehr gelangweilt.
Robert: Das begreife ich.
Mitsou: Nicht wahr? Das freut mich, daß Sie derselben Ansicht sind. Mir sagt es nichts.
Mitsou: Deauville. Ich bin zwar im Auto hingefahren und nur zwei Tage dort geblieben. Aber ich habe kein Verständnis für die Orte, wo die Leute den ganzen Tag im Freien bleiben. Ich verstehe, daß man in ein Kasino geht oder in einen Teesalon. Aber all die Leute im Freien, es sieht aus, als ob sie keine Wohnung hätten …
Robert: Aber die frische Luft, Mitsou! Und das Meer! Die wilde Brandung von Deauville!
Mitsou den Kopf schüttelnd: Nein, das sagt mir nichts. Das Land macht mir keinen Spaß … Ihn betrachtend: Mit Ihnen vielleicht … Mit Ihnen auch die Bambushütte, wenn Sie wollen …
Robert entwaffnet und durch das Essen gekräftigt: Mitsou, Liebste! Wir wollen zur Bambushütte fahren. Aber nicht im Auto – ich habe kein Auto, Mitsou.
Mitsou: Ich auch nicht.
Robert: Aber …
Mitsou: Ach so, das vor dem Theater, meinen Sie. Das gehört nicht mir. Es gehört Pierre. Er braucht eines für seine Geschäfte.
Robert kalt: Ah!
Mitsou ahnungslos fortfahrend: Er hat sehr viel zu tun. Glücklicherweise.
Robert nervös: Haben Sie mir nichts Angenehmeres mitzuteilen?
Mitsou immer noch ahnungslos: Was meinen Sie?
Robert: Mitsou, sprechen Sie nicht von – von der betreffenden Person, das ist nicht unbedingt notwendig.
Mitsou, die jetzt doch immerhin drei Gläser Champagner in sich hat: Oh, sind Sie empfindlich! Morgen früh werde ich Ihnen, auch wenn ich Ihnen heute nacht nicht gefalle, doch etwas geschenkt haben, was ich noch niemandem geschenkt habe …
Robert …?
Mitsou: Nein, nein, nicht das, was Sie glauben … Aber Liebe. Noch nie habe ich geliebt, jetzt tu' ich es … Sie sehen, daß die betreffende Person nicht zu beneiden ist, und daß es Unsinn ist, wenn Sie …
Er küßt ihr die Hand und behält die feinen, langen, warmen Finger, die seinen Druck so aufrichtig erwidern und sich ihm so freimütig anvertrauen, zwischen den seinen. Dabei wird er die Beute einer sonderbaren Halluzination. Er sieht den Satz, den Mitsou eben ausgesprochen hat, geschrieben vor sich und liest ihn da draußen im spärlichen Sonnenlicht, das zwischen zwei Erdwälle fällt: ›Geliebt habe ich noch nie, erst jetzt tu' ich es.‹ Ein mahnendes Zucken der kleinen Hand erweckt ihn. ›Was habe ich nur?‹ fragt er sich. ›Ich glaube, Gott verzeih' mir die Sünde, ich habe vergessen, daß Mitsou da ist, daß sie vor mir sitzt …‹ – laut Kellner, noch eine Flasche, bitte!
Mitsou: Noch eine Flasche? Aber Sie werden einen Schwips kriegen! Sie bricht in ein grundloses Gelächter aus. Flügelschlagen mit den Armen. Mir ist heiß! Mir ist heiß! Wollen wir nicht fortgehen?
Robert: Fortgehen? Und das Huhn mit den Pilzen im Stich lassen? Da kommt es gerade, wie gerufen.
Mitsou: Da kommt es gerade, wie gerufen. Das ist ein Satz aus meiner Rolle in der nächsten Revue.
Robert: Die verspricht interessant zu werden.
Es wird serviert. Mitsou ißt wenig. Robert weniger, als er gehofft hat. Das Gespräch flaut immer mehr ab und beschränkt sich schließlich auf einige Ausrufe, Händedrücke und gezwungen verständnisinnige Blicke – ihr Gelächter aber verbirgt die Dürftigkeit des Dialogs. An den Nachbartischen beneidet man das Liebespaar, das sich so gut zu unterhalten scheint. In Wirklichkeit jedoch beginnt Robert, trotz der Wirkung des Champagners und des guten Essens zu verzweifeln. Er hat die Beine Mitsous zwischen seine Stiefel genommen, und sie duldet den rauhen Druck seiner wackeren Reiterknie … Trotzdem begehrt er sie noch immer nicht … Er möchte eigentlich gar nichts – oder nur eines: weggehen, weggehen, weggehen … eine stille Gasse vor sich haben, in der der Tag verdämmert, oder eine leere breite Allee im Frühlingsgrün oder auch nur eine der öden, von Lastautos und Kanonen zerfurchten Landstraßen im Felde … Mitsou nimmt so wenig Platz in seinen Wünschen ein, daß er darüber außer sich gerät. Er sucht in den trunkenen und ehrerbietigen Blicken der Amerikaner Anregung zu Begierde und Eifersucht. Er ruft sich das Bild der halbnackten Mitsou in fraisefarbenen Strümpfen vor Augen. Er beschimpft sich, er versucht vergebens, sich aufzupeitschen … Schließlich macht er gar keine Anstrengung mehr, zu glänzen oder auch nur zu gefallen. Er stellt ohne Freude fest, daß Mitsou lebhaft wird, wie eine Perle leuchtet, daß der Wein ihr Gesicht nicht rötet, daß vielmehr ihre Nasenflügel blaß und durchsichtig bleiben … Ohne Freude und ohne Groll hört er dann und wann, wie sie in belehrendem Ton allerlei spießbürgerliche Binsenweisheit zum besten gibt: ›Malvenblätter machen nüchtern, das hat meine Mutter schon immer gesagt … Wenn man einen Mann zwei Schritte allein tun läßt, so kann man sicher sein, daß er drei Dummheiten macht, sagt meine Mutter … Meine Mutter sagt, es ist keine Schande, wenn einen jemand, der weniger ist, als man selbst, beleidigt …‹
Er spinnt sich immer mehr in trübe Gedanken ein. Wenn er es wagte, würfe er die Serviette hin und eine Banknote dazu, zündete sich eine Zigarette an und … adieu! Plötzlich hört er mit ungeheurer Erleichterung Mitsou nach der Zeit fragen. Er schwindelt um fünf Minuten.
Mitsou: Oh, schon? Mein Liebster, ich muß ins Empyrée … O weh! O weh! Wie schade! Und mir dreht sich's im Kopf …
Robert: Kellner, die Rechnung! Unsere Mäntel … Er steht zu früh auf.
Mitsou in engelhafter Harmlosigkeit: Wo gehn Sie hin? Haben Sie Bauchweh? Im ersten Stock oben …
Robert entsetzt: Ob ich …? Sie sind verrückt, Mitsou!
Mitsou: Wieso? Haben Sie nie Bauchweh!
Robert bemüht, abzulenken: Die Königin von Spanien hat keine Beine, Madame!
Mitsou: Das ist mir neu. Was sagen die in Spanien zu einer Königin ohne Unterleib? Habe ich meine Handschuhe? Ja, ich habe sie! Habe ich meine Tasche? Nein, ich habe meine Tasche nicht.
Robert offenkundig etwas beschwipst und von der Mitsou allgemein gezollten Aufmerksamkeit elektrisiert, beginnt zu summen:
Tu n'auras pas
Le haut, le bas,
Le sac et le blé,
Le blé, le sac, et l'argent du meunier!
Sie gehen durch das Restaurant, und alles blickt auf sie. Mitsou kämpft gegen Schwindelgefühle und rüstet sich mit vornehmem Hochmut, Robert mimt eine nachlässige Ungezwungenheit, die ungefähr so zu ihm paßt wie ein Schleppkleid.
Sie treten ins Freie. Die lang anhaltende Abenddämmerung des Frühlings beleuchtet die Madeleine. Kleine Kinder von drei bis fünf Jahren verkaufen Abendzeitungen und verwelkte Narzissen. Wenn das Bündel nicht zwanzig Sous kostete anstatt zehn Centimes, so wäre alles wie im tiefsten Frieden. Mitsou schaudert ein wenig, Robert streckt sich und atmet tief, froh, dem geschlossenen Raum entkommen zu sein.
Der Diener an der Tür: Taxi?
Mitsou: Ja, und zwar schleunigst.
Sie stützt sich auf Roberts Arm, während zwei livrierte Jungen eine abendliche Jagd beginnen. Leichtfüßig, als wären sie keine Erdenwesen, laufen sie an die beiden Enden der Rue Royale und lauern dort auf Autowild. Dann und wann fängt einer ein Taxi im Flug, springt auf, bleibt ein wenig daran hängen und läßt es dann wieder für eine bessere Beute im Stich … Schließlich kommt ein erlegtes Fahrzeug den Fußsteig entlang und hält.
Robert zum Chauffeur: Ins Empyrée-Montmartre.
Der Chauffeur gehässig: Weiter nicht?
Robert schroff, wie es sich für einen wohlerzogenen Mann in diesem Falle gehört: Sie werden fahren, wohin ich will. Steigen Sie ein, Mitsou.
Mitsou zum Chauffeur, der die Kinnbacken zu einer Entgegnung öffnen will: Nein, weiter nicht! Glauben Sie, daß ich mich je an ihr Gesicht gewöhnen könnte?
Der Chauffeur fährt ohne weitere Widerrede ab, da er den echten Akzent einer Landsmännin gehört hat. Mitsou lehnt den Kopf an Roberts Schulter, und Roberts Arm umfaßt die schmalen Hüften Mitsous. Es ist der schönste Augenblick. Die frischere Luft, die Geschwindigkeit, der grünblaue Lichtschein der Gaslaternen, der Alkohol des Weines, der in ihren Adern tobt, das Parfüm Mitsous für Robert, und für Mitsou das Erlebnis eines Mundes, der ihren Mund küßt, – all das ist köstlich. Zum erstenmal genießt Mitsou einen Kuß, weiche Lippen, eine kühne Zunge, lückenlose Zähne. Ach, der kleine Zahn da unten, der schärfer ist als die anderen … Die Freude an dem Biß ist so heftig, daß Mitsou sich von ihrem Geliebten losmacht.
Mitsou mit zurück geworfenem Kopf und geschlossenen Augen: Ah, jetzt hast du mich gebissen …
Er drückt sie ohne Schonung gegen die Polsterung des Wagens und die wackelnde Wand. Er genießt es, daß er sich – endlich – normal erregt fühlt, er ist voll hastiger Gier und denkt kaum an die Frau, die er begehrt … Trotzdem entsinnt er sich ihres Namens und ruft sie leise: – Mitsou! –
Mitsou mit schwacher Stimme: Ja … Aber, wie willst du denn … Wir sind schon da … Laß mich, wir sind schon da! Laß mich doch, sag' ich dir, du siehst ja, daß ich nicht die Kraft habe, dich zu hindern …
Er hört nicht und folgt nicht, aber das Taxi hält vor den düsteren, violetten Lampen, die den Vorübergehenden anzeigen, daß hier ein Vergnügungslokal ist.
Robert: Wohin?
Mitsou auf den Künstlereingang deutend: Mit mir … Wartest du nicht auf mich?
Robert gereizt, gierig: Nein, komm du mit mir.
Mitsou verzweifelt: Aber das kann ich doch nicht. Und mein Kontrakt? Willst du den Schlüssel?
Robert: Was für einen Schlüssel?
Mitsou: Den von meiner Wohnung. Da kannst du dich ins Bett legen und auf mich warten.
Robert schockiert: Nein!
Mitsou immer verzweifelter: Aber was willst du denn tun?
Robert erstaunt, daß sie ihn, seinen Armen entronnen, noch duzt: Spazierengehen … Draußen warten … Ins Kino gehen …
Mitsou: Aber warum willst du mich nicht in meinen Rollen sehen?
Robert düster: Ich weiß es nicht. Ich habe keine Lust mehr, dich in deinen Rollen zu sehen.
Mitsou gekränkt: Und ich habe gerade soo hübsche Kostüme und ein ernstes Couplet ›der Efeu auf dem Schlachtfeld‹, mit einem kleinen Gürtel aus Efeubeeren und einem gleichen Kranz im Haar …
Robert in Lachen ausbrechend: Oh, ist das komisch!
Mitsou verblüfft: Robert! Was haben Sie denn?
Robert: Nichts! Ich denke an die Leute, die glauben, daß auf dem Schlachtfeld Efeu wächst … Seien Sie mir nicht böse, liebste Mitsou. In zwei Stunden erwarte ich Sie mit einem Taxi.
Mitsou ungeschickt: Nicht nötig. Ich habe den Wagen …
Robert unterbrechend: Schenken Sie ihn einem Armen, Mitsou, oder fahren Sie allein mit ihm. Ich werde ein Auto nehmen.
Er zieht den Hut, küßt ihr die Hand, als ob sie ihm nicht den Mund hinhielte, und sieht zu, wie sie enteilt. Sie läuft mit vorgestrecktem Kopf wie eine kleine Beamtin, die sich verspätet hat, und sie dreht sich nicht um, weil sie fürchtet, hinter sich im traurigen violetten Licht der Bogenlampen das düstere, unzufriedene Gesicht eines jungen Mannes zu sehen, dessen Mund noch gerötet ist vom letzten heftigen Kusse.