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Göttin, du steigst und küssest mit rosigem Hauche die Wolken
Und den finsteren First marmorner Tempel du küßt.
Eisig erschauernd erwacht der Wald: er ahnt deine Nähe;
Aufwärts mit gieriger Lust hebt sich zum Fluge der Falk;
Unter dem feuchten Laub in den Nestern flüstert es schwatzhaft,
Graulicher Möwe Gekreisch gellt auf violblauem Meer.
Flüsse zuerst erfreu'n sich an dir auf dem mühsamen Felde,
Leuchten zitternd hervor unter der Pappeln Geraun.
Kühn von der Trift eilt das bräunliche Fohlen zu hohen Gewässern,
Hoch den bemähnten Kopf, wiehernd hinaus in den Wind.
Aus den Hütten erschallt als Antwort der wachsamen Hunde
Kraft und das ganze Tal dröhnet von starkem Gebrüll.
Aber der Mensch, den du weckst zu dem lebenerschöpfenden Werke –
Jungfrau aus alter Zeit immer aufs neue verjüngt! –
Noch staunt er sinnend dich an, wie dich, aufrecht unter den weißen
Herden, am Berge verehrt Arierväter dereinst.
Noch schwebt der Hymnus einher auf den Schwingen des frischen Morgens,
Den dir die Väter gesagt, auf ihre Stäbe gestützt.
»Hirtin des Himmels, du brichst der eifersüchtigen Schwester
Ställe, die roten Küh' führst du zum Himmel zurück;
Führest die roten Küh', die schneeige Herde führst du,
Blonde Stuten, geliebt von dem aswinischen Paar.
So wie das junge Weib zum Manne geht, frisch aus dem Bade –
Inniger Liebeswunsch strahlt ihr hell aus dem Blick –
Läßt du lächelnd herniedersinken die lieblichen Schleier:
Heiter den Himmeln enthüllst du deine Jungfraungestalt.
Brennend die Wangen, vom Atem bewegt den schneeigen Busen,
Eilst du zum flammenden Gott Surja, dem König der Welt.
Und du erreichst ihn, umfaßt mit rosigen Armen im Bogen
Seinen kräftigen Hals – fliehst jenes Furchtbaren Strahl
Eilig. Dann nehmen die Aswins, die Ritter des Himmels im schönen,
Goldenen Wagen dich Rosige, Zitternde auf;
Wendest dich hin, wo der Gott, der die Ruhmeslaufbahn durchmessen,
In des Abendes Ruh' suche, ermüdet, nach dir.
Fliege gnädig vorbei über unsere Häuser in deinem
Rötlichen Wagen! – so riefen die Väter dich an –
Komm aus den Tälern des Morgens zu uns, von dem Glücke begleitet,
Mit dem blühenden Korn und mit der schäumenden Milch;
Unter den Kälbern tanzend mit blühenden Locken verehre,
Hirtin des Himmels, dich zahlreiche Nachkommenschaft.«
So der Arier Gesang. Doch du zogst den Hymettus vor, der
Zwanzigfältig umspült, himmelwärts Thymianduft haucht.
Schnelle, sterbliche Jäger gefielen dir auf dem Hymettus,
Schreitend mit dem Kothurn über den tauigen Grund.
Vor dir neigten die Himmel sich, eine liebliche Röte
Schattete Hügel und Wald: Göttin, du schwebtest herab.
Göttin, nicht du! Es stieg – gar mächtig zog ihn dein Kuß an –
Schön wie ein schöner Gott, Kephalos leicht durch die Luft.
Blumen und Bäche feierten Hochzeit, es atmeten Düfte:
Auf dem liebenden Wind zog er geflügelt empor.
Frei umwallt den Nacken das goldige Haar, um die weiße
Schulter der Köcher hängt golden am purpurnen Band.
Nieder ins Gras fiel der Bogen und Lailaps erhob seine treue,
Schlaue Schnauze und starr sah er entschweben den Herrn.
O einer Göttin Küsse, ihr duftenden unter dem Taue!
O Ambrosia der Lieb' in einer kindlichen Welt!
Liebest du noch, o Göttin? Doch unser Geschlecht ist ermattet:
Schöne, dein Antlitz erscheint über den Städten, betrübt.
Trübe schmachten Laternen und kaum erblickt auf dem Heimweg
Dich eine bleiche Schar, die sich zu freuen gemeint.
Zornig reißt der Handwerker auf die kreischenden Läden
Und er fluchet dem Tag, der ihn zur Fronarbeit zwingt.
Nur ein Geliebter vielleicht, der seine süße Geliebte
Ruhig dem Schlaf überließ, von ihren Küssen noch heiß,
Tritt deinem eiskalten Antlitz entgegen rüstig, und heiter,
Ruft: »Aurora, o trag' auf deinem Flammenroß mich!
Zu den Sternengefilden entführe mich, laß mich die Erde
Sehen, die wiederum ganz in deinem Rosenschein lacht,
Daß ich mein Weib erblicke im Lichte des Sonnenaufgangs,
Mit dem schwarzen Gelock über der tauigen Brust.«