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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Es wurde am anderen Tag spät Nachmittags, bis ich mich der bei dem Kaufmann versammelten Gesellschaft anschließen konnte. Die Partie fand in einer Villa statt, die ungefähr zwei Meilen außerhalb der Stadt angenehm in der Mitte von in der ganzen Umgegend berühmten Blumengärten lag. Das Frühstück war längst vorüber und die Gäste hatten sich durch die Gärten zerstreut; die einen standen im Begriff, auf dem Rasen zu einem Tanz anzutreten, andere saßen unter schattigen Zelten, und wieder andere wandelten durch die Blumenbeete, auf welchen das Feuer der Farben unter dem Einfluß des klaren Sonnenlichts und dem Wehen des sanften Westwinds sich nur um so prächtiger ausnahm. Lebhaft rauschende Musik, untermengt mit dem Lachen fröhlicher Kinder, welche ihrer Zahl nach bei weitem die Mehrheit der Gesellschaft ausmachten.

In der Oeffnung eines gewölbten Laubengangs, der von den härteren Pflanzen des Gartens zu einer seltenen Sammlung tropischer Gewächse unter einer hohen Glaskuppel führte und so zu sagen die heimische Vegetation des Nordens mit der des fernsten Ostens in Verbindung brachte, stand eine Gestalt, die mir sogleich auffiel und meinen Blick fesselte. Der Eingangsbogen war üppig von parasitischen Kletterpflanzen überwachsen und prangte in den prächtigsten Farben von Scharlach, Gold und Purpur, so daß sich die Gestalt wie ein idealisirtes Bild männlicher Jugend, das frisch aus der Hand der Natur kam, von einem Blumenrahmen umgeben, ausnahm. Nie hatte ich ein so strahlendes männliches Antlitz gesehen, wie das dieses Jünglings.

Der Anblick hatte etwas Unbeschreibliches, das buchstäblich blendete. Bei längerer Betrachtung machte man freilich mit Staunen die Wahrnehmung, daß die Züge an sich nicht von fehlerloser Regelmäßigkeit waren; auch konnte die Statur des Jünglings, ungefähr Mittelgröße, nicht eben imponirend genannt werden. Gleichwohl war die Gesammterscheinung nicht weniger eindrucksvoll. Große Augen von unaussprechlichem Glanz, eine höchst harmonische Färbung, ein Ausdruck von ansteckender Lebhaftigkeit und Freude, die Form selbst so untadelich fein, daß die wohl beherrschte Kraft der Muskel sich am besten in der Leichtigkeit und Anmuth ihrer Bewegungen aussprach.

Er hatte die eine Hand nachlässig auf die goldenen Locken eines Kindes gelegt, das sich an seine Kniee anschmiegte und zu seinem Gesicht mit jener stummen zärtlichen Neugier aufblickte, welche man an Kindern bemerkt, wenn sie etwas sehen, was zu schön ist für eine lärmende Bewunderung. Er unterhielt sich dabei mit dem Wirth, einem grauhaarigen, mit der Gicht behafteten Mann, der sich auf seinen Krückenstock stützte und ihm mit der Miene neidischer Trauer zuhörte. Dem Reichthum des alten Mannes verdankten es alle die Blumen des Gartens, daß sie aufs Neue sich der Sommerluft und des Sonnenlichts erfreuen konnten. Oh, daß er ihm selbst auch nur eine Stunde von der Jugend hätte erkaufen können, die in der That wie ein Heros der Schöpfung ihm zur Seite stand – der Glanz derselben gewoben in seine Schönheitskrone, ihre Freuden unterworfen seinem Scepter der Hoffnung und des Frohsinns!

Da schlug die kräftige Stimme des Kaufmannsohns an mein Ohr. »Ah, mein lieber Doktor, Sie finden sich so spät ein, daß ich schon fürchtete, Sie würden gar nicht kommen. Dort ist der neue Freund, von dem ich gestern Abend mit Ihnen sprach; erlauben Sie mir, Sie mit ihm bekannt zu machen.« Er nahm meinen Arm in den seinigen und führte mich dem Jüngling zu, der unter dem Blumenbogen stand und mir von ihm als ein Herr Margrave vorgesteilt wurde.

Nichts konnte offener und herzlicher sein, als das Benehmen dieses neuen Bekannten. Schon nach wenigen Minuten konnte ich mich so vertraulich mit ihm unterhalten, als seien wir in demselben Haus aufgewachsen und hätten uns mit einander auf demselben Spielplatz umgetrieben. Seine Art der Conversation war eigenthümlich, leicht, rasch, ungezwungen und reich an Abwechslung.

Er sagte, der Platz gefalle ihm und er beabsichtige einige Wochen zu verweilen. Auf seine Bitte gab ich ihm meine Adresse, und er versprach, mich in einer frühen Stunde zu besuchen, wenn ich noch unbehelligt sei von rathholenden Kranken. Auf dem Weg nach meiner Wohnung versuchte ich mir den Zauber zu erklären, den dieser junge Fremde in so merkwürdiger Weise auf Alle übte, die ihm nahe kamen, und da ich stets für alle moralische Wirkungen materielle Ursachen aufzufinden bemüht war, so bildete ich mir ein, er liege in der ansteckenden Lebenskraft der in hochcivilisirten Kreisen seltensten von allen seltenen Gaben – der vollkommenen Gesundheit: jener Gesundheit, welche an sich schon der größte Hochgenuß ist und, da sie sich selbst im bloßen Daseinsbewußtsein glücklich fühlt, die harmlose Fröhlichkeit ihres herrlichen animalischen Lebens wie eine Atmosphäre um sich her verbreitet. Die Gesundheit in ihrer größten Vollkommenheit findet sich selten mehr nach den Jahren der Kindheit und kann namentlich nicht bestehen bei einer Ueberanstrengung des Gehirns oder wo man dem aufreibenden Einfluß der Leidenschaften Zugang gestattet. Der Mensch, den ich eben gesehen, machte auf mich den Eindruck der Jugend in dem goldenen Zeitalter der Dichter – der Jugend des sorgenlosen Arcadiers, ehe noch eine Nymphe oder Schäferin sein Herz mit einem Seufzer gequält hatte.


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