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1802. In diesem September erhielt ich eine Einladung, auf dem Heidegut eines Freundes im Norden zu pirschen. Die Reise zu ihm führte mich ganz unerwartet in fünfzehn Meilen Nähe von Gimmerton. Der Stallknecht eines Gasthauses an der Straße tränkte meine Pferde aus einem Eimer Wasser, als ein Wagen mit grünem, frisch geschnittenem Hafer vorüberfuhr. Der Mann bemerkte:
»Das ist von Gimmerton. Die sind immer drei Wochen hinter allen anderen Leuten zurück mit ihrer Ernte.«
»Gimmerton?« wiederholte ich. Die Erinnerung an diese Gegend war in mir schon dünn und unwirklich geworden. »Ach so. Wie weit ist es denn von hier?«
»So vierzehn Meilen, über die Hügel hin. Unangenehme Straße.«
Es überkam mich mit jähem Einfall, Thrushcross Grange wieder aufzusuchen. Es war noch nicht Mittag, und ich sagte mir, daß ich die Nacht ebensogut unter meinem eigenen Dach wie in einem Gasthof verbringen könnte. Ich würde dann einen weiteren Tag dazu verwenden, um alle schwebenden Angelegenheiten mit meinem Gutsherrn zu erledigen und brauchte mir nicht die Mühe zu machen, wieder in diese Gegend zu reisen. Nach einer kurzen Rast ließ ich durch meinen Bedienten den Weg zum Dorf erfragen. Wir muteten unseren Tieren ziemlich viel zu und erreichten unser Ziel in drei Stunden.
Ich ließ den Bedienten im Ort zurück und ging allein ins Tal hinunter. Die graue Kirche sah grauer als je aus, der einsame Friedhof einsamer als je. Ein Heideschaf weidete das kurze Gras auf den Gräbern ab. Das Wetter war köstlich, warm, zu warm für meinen Ausflug. Aber die Hitze hinderte mich nicht am Genuß der köstlichen Landschaft über und unter mir. Hätte ich sie einen Monat früher gesehen, so hätte sie mich gewiß verlockt, die Wochen vom August bis jetzt in ihrer schönen Einsamkeit zu verbringen. Im Winter gab es nichts Trübseligeres, im Sommer nichts Herrlicheres als die Schluchten zwischen diesen Hügeln und die steilen, von Heidekraut strotzenden Hänge.
Vor Sonnenuntergang langte ich in Grange an. Die Leute hatten sich ins Hinterhaus zurückgezogen, nach dem blauen Rauchfaden zu schließen, der sich aus dem Küchenschornstein emporwand, und sie hörten mein Klopfen nicht. Ich ritt in den Hof. Im Torweg saß ein Mädchen von zehn Jahren und strickte. Eine alte Frau lehnte an der Haustreppe und rauchte nachdenklich eine Pfeife.
»Ist Mrs. Dean drinnen?« fragte ich sie.
»Mrs. Dean? Nee. Sie wohnt nicht mehr hier, ist oben in Wuthering Heights.«
»Dann sind Sie jetzt die Haushälterin?«
»Ja, ich versorge das Anwesen.«
»Schön. Ich bin Mr. Lockwood, der Pächter. Ist irgendein Zimmer in Ordnung? Ich möchte für die Nacht hierbleiben.«
»Der Herr Pächter! Ach, wer konnte das wissen, daß Sie kämen! Jetzt ist gar nichts instand gesetzt, gar nichts richtig aufgeräumt. Aber so etwas!«
Sie legte die Pfeife beiseite und eilte eifrig hinein, von dem Mädchen gefolgt. Drinnen sah ich, daß die Räume in der Tat unbewohnbar waren. Mein unerwartetes Erscheinen hatte die Frau derartig außer sich gebracht, daß ich sie zur Ruhe mahnen mußte. Ich würde einen Spaziergang machen; inzwischen sollte sie irgendeine Ecke für mich zum Essen herrichten und ein Zimmer für die Nacht zum Schlafen. Sie solle nur nicht zuviel säubern und abstauben, aber ein schönes Feuer und frische Bettwäsche seien nötig. Bei bestem Willen steckte sie den Herdbesen, statt des Schüreisens ins Feuer und benutzte auch sonst möglichst viele Werkzeuge auf falsche Weise. Aber ich brach auf, in der Hoffnung, bei der Rückkehr ein einigermaßen angenehmes Nachtlager vorzufinden. Wuthering Heights war mein Ziel.
Ich hatte den Hof schon verlassen, als ich mich noch einmal mit der Frage umwandte: »Ist drüben alles wohl?«
»Soviel ich weiß, ja!« Sie rannte mit einer Pfanne voll glühender Kohlen davon. Bei dieser gefährlichen Arbeit durfte ich sie nicht unterbrechen, sonst hätte ich gern noch gewußt, aus welchem Grunde Mrs. Dean Grange verlassen hatte.
Gemächlich schlenderte ich dahin, die Glut der sinkenden Sonne im Rücken und den sanften Glanz des aufgehenden Mondes vor mir. Jene verblaßte, dieser leuchtete stärker, während ich den Park verließ und den steinigen Felsweg zu Mr. Heathcliffs Haus hinaufstieg. Ehe ich oben anlangte, blieb vom Tageslicht nur ein schwacher bernsteingelber Schimmer im Westen. Aber jeder Kiesel unter mir, jeder Grashalm war im herrlichen Mondschein sichtbar.
Ich brauchte nicht über das Gatter zu klettern und nicht einmal anzuklopfen; die Pforte gab meiner Hand nach. Ein Fortschritt, dachte ich. Auch ein neuer Duft kam mir entgegen: Geruch von Levkojen und Goldlack erfüllte die Luft, vermischt mit dem kräftigen Hauch von Obstbäumen. Alle Fenster, alle Türen standen offen. Trotzdem rötete ein schönes helles Feuer den Kamin, wie es in einem Torfbezirk alltäglich ist. Der behagliche Eindruck auf das Auge gleicht die natürlich allzu große Wärme aus. Zudem ist der Wohnraum hier so groß, daß man Platz genug hat, sich vom Feuer bequem zu entfernen. Die Anwesenden hatten sich nicht weit von einem der Fenster hingesetzt.
Ich konnte die beiden Gestalten sehen und hören, ehe ich eintrat, und sah und hörte infolgedessen alles. Eine Mischung von Neugier und Eifersucht trieb mich dazu, und dies Gefühl wuchs an, je länger ich verweilte.
»Gegen- teil«, rief eine Stimme, hell wie eine silberne Glocke. »Das ist nun das dritte Mal, du Dummchen! Ich sage es dir nicht wieder! Merke es dir, oder ich ziehe dich an den Haaren!«
»Gegenteil – also«, erwiderte eine tiefere, aber sanfte Stimme.
»Und nun küß mich, weil ich es so gut behalten habe!«
»Nein, zuerst lies das Ganze noch einmal richtig durch, und ohne einen einzigen Fehler.«
Der eine der Sprechenden begann zu lesen: ein gutgekleideter junger Mann, der am Tisch saß und ein Buch vor sich hatte. Sein hübsches Gesicht glühte vor Freude. Seine Augen schweiften ungeduldig von der Buchseite zu der schmalen weißen Hand auf seiner Schulter, die ihn durch einen leichten Schlag auf die Wange zurechtwies, sobald solche Zeichen von Unaufmerksamkeit entdeckt wurden. Die junge Frau stand hinter ihm. Ihre hellen Locken durchringelten manchmal seine braunen, wenn sie sich hinabbeugte, um die Studien zu überwachen. Ihr Gesicht – ein Glück, daß er ihr Gesicht nicht erblicken konnte; er wäre sonst keineswegs so ausdauernd geblieben. Ich konnte es sehen und verging vor Reue, daß ich nicht früher alles darangesetzt hatte, um diese strahlende Schönheit heute nicht nur anstarren zu dürfen!
Die Aufgabe war, mit einigen weiteren Fehlern, gelöst worden. Der Schüler verlangte seinen Lohn und erhielt mindestens fünf Küsse, die er allerdings in großzügigster Weise zurückgab. Dann traten sie in die Tür, und ich hörte, daß sie noch ausgehen und einen Spaziergang durchs Moor machen wollten. Hätte ich Unglückseliger mich ihnen in diesem Augenblick genähert, so wäre ich in Hareton Earnshaws Herzen oder sogar offen mit seiner Zunge in die unterste Hölle verwünscht worden. Mit den erbärmlichen Empfindungen eines Lauschers schlich ich hinweg, um in der Küche Zuflucht zu suchen. Auch auf dieser Seite hatte man ungehinderten Eintritt, und an der Tür saß meine alte Freundin Ellen Dean mit einer Näharbeit. Sie sang ein Lied vor sich hin, das von innen häufig durch barsche unduldsame verächtliche Worte unterbrochen wurde, entstammend einer sehr viel weniger musikalischen Kehle.
»He, du, ich wünschte mir lieber, daß du von früh morgens bis spät in die Nacht herumfluchtest, als daß ich dieses Geplärre anhören müßte«, äußerte der Kücheninsasse, als Antwort auf eine nicht zu mir gedrungene Rede Nellys. »Es ist doch eine wahre Schande, daß ich die Heilige Schrift nicht aufmachen kann, ohne daß du mir alle ihre Herrlichkeiten verdirbst. Und das ist nur die eingeborene sündige Bosheit der Welt. Du bist mir eine! Und die andere ist auch nicht besser! Und der arme Bursche ist verloren zwischen euch beiden!« Er stöhnte. »Der bedauernswerte Mensch ist behext worden, gar kein Zweifel. O Herr, richte sie, denn da ist kein Gesetz noch Gerechtigkeit mehr bei denen, die hierselbst herrschen!«
»Nein, denn sonst müßten wir auf lichterloh brennenden Scheiterhaufen sitzen«, entgegnete die Sängerin. »Aber nun sei still, alter Mann, lies deine Bibel wie ein Christenmensch und achte nicht auf mich. Das ist übrigens ›Fee Annies Hochzeit‹, eine hübsche Melodie. Man kann danach auch tanzen.«
Schon wollte Mrs. Dean wieder beginnen, als ich herantrat. Sie erkannte mich sofort und sprang auf:
»Aber Mr. Lockwood! So plötzlich kommen Sie, ohne Anmeldung? In Grange ist alles verschlossen. Hätten Sie uns doch benachrichtigt!«
»Ich habe schon das Nötige angeordnet. Morgen reise ich wieder ab. Wieso sind Sie denn hierher verpflanzt worden, Mrs. Dean?«
»Zillah ging von hier fort, und bald nach Ihrer Abreise nach London wünschte Mr. Heathcliff, ich sollte bis zu Ihrer Rückkehr hier wohnen. Bitte treten Sie ein. Sind Sie heut abend zu Fuß von Gimmerton gekommen?«
»Von Grange, und während man dort mein Zimmer herrichtet, möchte ich mit Ihrem Herrn abrechnen, denn eine neue Gelegenheit wird sich nicht so bald ergeben.«
»Was für eine Abrechnung?« fragte sie, während sie mich ins Haus begleitete. »Er ist soeben ausgegangen und wird eine gute Weile fort bleiben.«
»Es handelt sich um die Pacht.«
»Oh, das müssen Sie mit Mrs. Catherine erledigen oder eigentlich mit mir. Sie hat noch nicht gelernt, ihre geschäftlichen Angelegenheiten selbst zu verwalten. Daher tue ich es für sie, sonst ist niemand da.«
Ich war sehr überrascht.
»Wie ich sehe, wissen Sie nichts – vom Tode Heathcliffs?« fuhr Mrs. Dean fort.
»Heathcliff tot? Seit wann?«
»Seit drei Monaten. Setzen Sie sich doch und geben Sie mir Ihren Hut, ich will Ihnen alles berichten. Aber Sie haben noch gar nichts zu essen bekommen?«
»Ich brauche nichts; zu Haus habe ich mir Abendbrot bestellt. Niemals dachte ich, daß er sterben könnte! Wie kam es? Sie haben Zeit, denn Sie sagten, Sie erwarteten sie nicht so bald zurück – die jungen Leute.«
»Freilich. Jeden Abend muß ich sie wegen ihrer langen Ausgänge schelten, ohne daß sie sich darum kümmern. Trinken Sie wenigstens von unserem alten Ale, das wird Ihnen gut tun. Sie sehen müde aus.«
Ehe ich ablehnen konnte, eilte sie davon. Den Josef hörte ich fragen, ob es nicht ein Skandal sei, daß die Dean sich in ihrem Alter noch Verehrer zulege und sie aus ihres Herrn Keller bewirte! Er schäme sich, dabei zu sitzen und es mit anzusehen. Sie hielt sich bei keiner Antwort auf und kam mit einem schäumenden Silberkrug zurück, dessen Inhalt ich mit geziemendem Ernst lobte. Dann erzählte sie mir das letzte Kapitel von Heathcliffs Lebensgeschichte. Sein Ende war »absonderlich«, wie sie sich ausdrückte:
Vierzehn Tage nach Ihrer Abreise wurde ich nach Wuthering Heights geholt, und ich war um Catherines willen gern einverstanden. Mein erstes Zusammentreffen mit ihr bekümmerte und erschreckte mich, so sehr hatte sie sich seit unserer Trennung verwandelt. Mr. Heathcliff gab mir keine Erklärung, warum er mit einem Male anderer Meinung über meine Anwesenheit in seinem Hause geworden war. Er brauche mich, sagte er nur, und habe den Anblick seiner Schwiegertochter satt. Ich solle das kleine Wohnzimmer für mich nehmen und sie dort möglichst ausgiebig bei mir behalten; ihm genüge es, sie ein- oder zweimal am Tage zu sehen. Sie schien über diese Anordnung erfreut, und allmählich schmuggelte ich eine große Anzahl Bücher und andere Dinge herein, an denen sie in Grange gehangen hatte. So würden wir leidlich angenehm leben, dachte ich. Aber der wohlige Traum dauerte nicht lange. Cathy, anfangs so zufrieden, wurde wieder reizbar und unruhig. Einerseits war es ihr verboten, sich außerhalb des Gartens zu ergehen, und bei Beginn des Frühlings ließ sie sich sehr ungern auf einen so engen Raum beschränken. Anderseits mußte ich sie oft allein lassen, wenn ich meine häuslichen Pflichten erledigte, so daß sie sich über Einsamkeit beklagte. Lieber stritt sie sich sogar mit Josef in der Küche herum, als daß sie oben friedlich und allein saß. Mir machten ihre Streitigkeiten nichts aus, aber Hareton mußte die Küche oft aufsuchen, wenn der Herr den Wohnraum für sich beanspruchte. Zuerst ging sie hinaus, wenn er kam, oder half mir bei meinen Verrichtungen und vermied es, ihn anzureden oder sich sonst mit ihm einzulassen. Dann aber, obschon er weiter so verhalten und schweigsam wie möglich war, änderte sich mit der Zeit ihr Benehmen. Sie konnte ihn durchaus nicht mehr in Ruhe lassen, sprach ihn an, verbreitete sich über seine Dummheit und Sturheit und gab ihrer Verwunderung Ausdruck, wie er denn dieses Leben ertragen könne, beispielsweise einen ganzen Abend dazusitzen, ins Feuer zu stieren und vor sich, hin zu dösen.
»Er ist doch wie ein Hund, nicht wahr, Ellen?« äußerte sie dann. »Oder wie ein Ackergaul. Er tut seine Arbeit, frißt sein Futter und schläft im übrigen. Muß das öde und leer in dem Kopf aussehen! Träumst du jemals, Hareton? Und wenn, wovon träumst du? Aber du kannst nicht einmal mit mir sprechen!«
Er schaute sie an. In Wahrheit wollte er sie weder anschauen noch den Mund aufmachen.
»Oder er träumt vielleicht gerade jetzt!« fuhr sie fort. »Er hat mit der Schulter gezuckt. So macht es Juno auch. Frage ihn mal, Ellen.«
»Mr. Hareton wird gleich Mr. Heathcliff bitten, daß er Sie hinaufschickt, wenn Sie sich nicht benehmen können«, sagte ich.
Tatsächlich hatte er nicht nur mit der Schulter gezuckt. Er hatte auch die Faust geballt, als würde er ganz gern wieder Gebrauch von ihr machen.
Ein andermal rief sie: »Ich weiß, warum Hareton nie redet, wenn ich in der Küche bin. Er fürchtet, daß ich ihn auslache. Sage selbst, Ellen: Er fing an, lesen zu lernen, und weil ich darüber lachte, verbrannte er seine Bücher und gab es auf – war das nicht dumm von ihm?«
»War das nicht ungehörig von Ihnen? Antworten Sie!«
»Möglich. Aber dieses Ausmaß von Albernheit hatte ich doch nicht erwartet. Hareton, wenn ich dir ein Buch gebe, würdest du es jetzt annehmen? Ich will es versuchen.«
Sie legte das Buch, in dem sie geblättert hatte, in seine Hand. Er schleuderte es fort und murmelte, wenn sie nicht Ruhe gäbe, würde sie ihn erst richtig kennenlernen.
»Also, ich lege es hier in das Schubfach des Tisches und gehe zu Bett.«
Sie flüsterte mir zu, ich solle beobachten, ob er es anrühre, und verschwand. Er faßte es nicht an. Diese Mitteilung enttäuschte sie am nächsten Morgen sehr. Offenbar tat ihr seine dauernde Verstimmtheit und Gleichgültigkeit doch leid. Ihr Gewissen warf ihr vor, daß sie ihn von seinen Bemühungen um Selbstbildung abgeschreckt hatte. Aber alle ihre Erfindungsgabe ging nun ans Werk, den Schaden wieder gutzumachen. Während ich plättete oder eine andere Hausarbeit erledigte, die ich nicht im Wohnzimmer verrichten konnte, nahm sie ein schönes Buch und las mir daraus vor. War Hareton zugegen, so unterbrach sie sich bei einer spannenden Stelle und legte das Buch dann offen hin. Dies wiederholte sie mehrere Male, aber er war halsstarrig wie ein Maulesel. Statt dem vorgehaltenen Heubündel zu folgen, saß er bei schlechtem Wetter rauchend bei Josef. Wie die Automaten hockten sie regungslos zu beiden Seiten des Feuers. Der Ältere war zum Glück so schwerhörig, daß er ihr dummes Zeug, wie er es nannte, nicht verstand; der Jüngere stellte sich so gut wie möglich, als beachte er sie überhaupt nicht. Befand er sich an schönen Abenden auf einem seiner Jagdausflüge, so gähnte und seufzte Cathy und quälte mich, ihr etwas zu erzählen. Kaum ging ich darauf ein und begann, eilte sie in den Hof oder Garten oder nahm ihre Zuflucht zu Klagen – denn sie sei lebensmüde, ihr Dasein habe keinen Sinn.
Mr. Heathcliff aber wurde immer menschenscheuer. Auch Hareton hatte er so ziemlich aus seinen Zimmern verbannt. Dieser war durch einen Unfall auf einige Tage Anfang März an den Aufenthalt in der Küche gefesselt: seine Flinte hatte sich draußen in den Bergen von selbst entladen, der Schuß streifte den Arm, und er verlor viel Blut, bevor er nach Haus kam. So sah er sich zum Stillsitzen am Kamin gezwungen, bis er wieder in Ordnung war. Cathy paßte es offensichtlich sehr gut, ihn da zu haben. Jedenfalls mißfiel ihr der Aufenthalt in ihrem Zimmer oben mehr als je, und sie drängte mich unaufhörlich, ich solle mir eine Beschäftigung unten machen, so daß sie bei mir sein könnte.
Am Ostermontag ging Josef mit einigen Stück Vieh zum Markt nach Gimmerton. Nachmittags besorgte ich in der Küche meine Wäsche. Unzugänglich wie immer saß Earnshaw in der Herdecke, und Cathy malte Bilder auf die Fensterscheiben. Um diesen Zeitvertreib noch etwas reichhaltiger zu gestalten, sang sie gedämpft vor sich hin, gab auch einige Seufzer von sich und warf dazwischen ungeduldige kurze Blicke auf den Vetter, der unbeirrbar rauchte und ins Feuer sah. Auf meine Bemerkung, sie stehe meiner Arbeit im Licht, begab sie sich zum Herd hinüber. Ich achtete nicht darauf, in welcher Weise sie sich dort niederließ, bis sie folgendes Gespräch begann:
»Ich habe mir überlegt, Hareton, daß ich mich freuen – daß ich mich sehr freuen würde, dich zum Verwandten zu haben, wenn du nicht so böse zu mir wärst und so grob.«
Hareton äußerte sich nicht.
»Hareton, Hareton! Hörst du zu?«
»Scher dich!« versetzte er unerbittlich.
»Kann ich einmal die Pfeife haben?« Sie streckte vorsichtig die Hand aus und nahm sie ihm aus dem Mund. Ehe er sie wieder erreichen konnte, lag sie zerbrochen im Feuer. Wütend griff er nach einer anderen.
»Halt!« rief sie. »Erst mußt du mir zuhören. Ich kann nicht sprechen, wenn du mir dicke Rauchwolken ins Gesicht bläst.«
»Du sollst dich wegscheren!« schrie er immer wilder.
»Nein, tue ich nicht. Aber ich weiß schon nicht mehr, was ich anstellen soll, damit du mit mir sprichst. Du willst mich überhaupt nicht verstehen. Wenn ich dich dumm nenne, meine ich damit nichts Besonderes. Damit meine ich durchaus nicht, daß ich dich verachte. Komm, sieh mich an, Hareton. Wir sind Verwandte, du mußt mich anerkennen!«
»Ich will mit dir nicht das geringste zu tun haben, mit deinem dreckigen Hochmut, mit deinem verfluchten Spott! Hol mich dieser und jener, wenn meine Augen dich je wieder betrachten!«
Cathy machte eine Grimasse, zog sich zum Fensterplatz zurück und suchte durch das Summen irgendeines munteren Liedes zu verbergen, wie ihr zumute war.
»Sie sollten gut Freund mit Ihrer Kusine sein, Mr. Hareton«, mischte ich mich ein. »Sie bereut ihre Angriffslust, und Sie würden ein ganz anderer Mensch werden, wenn richtige Kameradschaft zwischen Ihnen beiden herrschte.«
»Kameradschaft! Wenn sie mich nicht einmal für würdig hält, ihre Schuhe zu putzen! Nee, und wenn ich dadurch König werden könnte, ich will mich mit einer, die mich haßt, auf gar nichts mehr einlassen.«
»Es stimmt nicht, daß ich dich hasse, richtig ist nur, daß du mich haßt!« heulte Cathy auf; sie konnte sich nicht länger verstellen. »Jawohl, du haßt mich so sehr wie Mr. Heathcliff und noch mehr!«
»Solch eine verdammte Lügnerin!« schrie Earnshaw. »Warum habe ich ihn wütend gemacht! Weil ich deine Partei genommen habe, hundertmal! Das habe ich getan, obwohl du mich verhöhnst – und wenn du mich weiter schindest, renne ich zu ihm hinüber, und er soll wissen, daß du mich sogar aus der Küche vertreibst!«
»Ich wußte nicht genau, daß du meine Partei ergriffen hast.« Sie trocknete sich die Augen. »Mir war elend, verbittert war ich gegen alle. Aber jetzt danke ich dir schön, ich bitte dich um Entschuldigung. Was kann ich sonst tun?«
Sie streckte ihm freimütig die Hand entgegen. Finster wie eine Gewitterwolke hielt er sein Gesicht weiter abgewandt, und seine Fäuste blieben geschlossen. Catherine schien zu erraten, daß es Eigensinn war, in den er sich verrannt hatte, und daß nicht Abneigung seinem verbissenen Benehmen zugrunde lag. Nach einem unentschlossenen Augenblick beugte sie sich zu ihm nieder und drückte einen sanften Kuß auf seine Wange. Das kecke Persönchen glaubte, ich hätte sie nicht beobachtet, und begab sich wieder in gesetzter Haltung nach dem Fenster zurück.
Mißbilligend schüttelte ich den Kopf; da errötete sie und flüsterte: »Es blieb mir nichts anderes übrig, Ellen. Die Hand wollte er mir nicht geben, er schaute nicht einmal auf. Auf irgendeine Art mußte ich ihm zeigen, daß ich ihn gern habe und daß ich seine Freundin sein will.«
Ob es dieser Kuß war, der Hareton überzeugte? Minutenlang mühte er sich, sein Gesicht nicht zu zeigen. Als er schließlich den Kopf hob, war er in großer Verlegenheit, wohin er die Augen wenden sollte. Catherine hatte ein hübsches Buch in der Hand, wickelte es sauber in weißes Papier, verschnürte es mit Bindfaden und adressierte es: Mr. Hareton Earnshaw. Hierauf ersuchte sie mich als ihren Postboten, das Geschenk dem Empfänger zukommen zu lassen, mit der Anweisung:
»Bestelle ihm, wenn er es annimmt, will ich ihm beibringen, es richtig zu lesen. Verweigert er die Annahme, so werde ich hinaufgehen und ihn allerdings auch nie wieder necken.«
Ich überbrachte die Botschaft, von meiner Auftraggeberin mit besorgtem Ausdruck beobachtet. Hareton rührte keinen Finger. Ich legte das Buch auf seine Knie. Er stieß es auch nicht fort. Danach ging ich wieder an meine Arbeit. Catherine saß mit aufgestützten Armen am Tisch, den Kopf in den Händen, bis sie das leise Rascheln der Umhüllung hörte, aus der man das Buch auspackte. Sie glitt hinüber und setzte sich still neben den jungen Mann. Er erzitterte, sein Gesicht war dunkelrot. Alle Grobheit und Düsterkeit waren daraus verschwunden.
Zunächst fehlte ihm noch der Mut, auf ihren fragenden Blick und ihre geflüsterte Bitte ein Wort zu erwidern. »Sag, daß du mir verzeihst, Hareton, denn mit diesem einen kleinen Wort kannst du mich glücklich machen.«
Er murmelte nunmehr etwas Unverständliches.
»Und jetzt wirst du also mein Freund sein?«
»Du würdest dich nur meiner schämen, solange du lebst, und je besser du mich kennst, desto mehr. Das könnte ich nicht aushalten.«
»Wie? Du willst nicht mein Freund sein?« lächelte sie süß wie Honig und rückte ihm näher.
Von der weiteren Unterhaltung konnte ich nichts verstehen. Aber als ich mich umdrehte, erblickte ich zwei strahlende Gesichter, über das endgültig entgegengenommene Buch gebeugt, so daß kein Zweifel blieb: der Friedensvertrag war von beiden Seiten ratifiziert worden. Die Feinde waren von nun an geschworene Verbündete.
Das Werk, das sie miteinander studierten, enthielt viele kostbare Bilder, und die Betrachtung dieser Bilder und der Reiz ihrer neuen Freundschaft hielten sie regungslos an Ort und Stelle, bis Josef heimkam. Der bedauernswerte Mann war völlig entgeistert über das Schauspiel, Catherine auf der gleichen Bank mit Hareton sitzen zu sehen, ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Daß sein Favorit widerspruchslos ihre Nähe duldete, nahm ihn aufs tiefste mit, und er brachte es an diesem Abend nicht einmal zu einer Bemerkung darüber. Nur in abgründigen Seufzern machte sich seine Erregung Luft, während er feierlich seine große Bibel auf dem Tisch öffnete und schmutzige Banknoten aus seinem Taschenbuch darauf ausbreitete. Es war der Erlös aus den Abschlüssen des heutigen Tages. Schließlich rief er Hareton zu sich:
»Das trägst du ins Zimmer vom Herrn, Junge, und bleibst dann dort. Ich verziehe mich in meine Kammer. Dieses hier ist eine unmenschliche Höhle, in die wir nicht passen. Wir müssen uns aus ihr herausretten und etwas anderes suchen.«
»Kommen Sie, Catherine«, sagte ich, »wir müssen uns auch hinausretten. Mit dem Plätten bin ich fertig, gehen Sie mit?«
»Es ist noch nicht acht Uhr!« Unwillig stand sie auf. »Hareton, ich lasse das Buch auf dem Kamin liegen. Morgen bringe ich andere.«
»Alle Bücher, die hierbleiben, trage ich ins Wohnzimmer«, äußerte Josef, »und ich will nicht selig werden, wenn Sie auch nur eins davon wiedersehen. Nun können Sie ja machen, was Sie wollen.«
Cathy drohte, sie würde sich an seiner Bibliothek schadlos halten. Sie lächelte, als sie bei Hareton vorbeiging, und stieg singend die Treppe hinauf. Ihr Herz war gewiß leichter, als es je zuvor unter diesem Dach gewesen war, die ersten Besuche bei Linton vielleicht ausgenommen.
Rasch wuchs das so begonnene Einvernehmen, wenn auch gelegentlich Unterbrechungen vorkamen. Earnshaw konnte nicht durch den bloßen Wunsch zivilisiert werden, und Cathy war kein Philosoph und kein Muster an Geduld. Aber da sie beide das gleiche Ziel im Auge hatten – die eine als Liebende und mit dem guten Willen, Achtung zu empfinden, der andere als Liebender und mit dem Begehren, geachtet zu werden – so erreichten sie es am Ende.
Sehen Sie, Mr. Lockwood, es war leicht genug, Mrs. Catherines Herz zu gewinnen. Aber jetzt freue ich mich, offen gesagt, daß Sie keinen Versuch dazu gemacht haben. Die Krönung aller meiner Wünsche wird die Verbindung der beiden sein. An ihrem Hochzeitstage werde ich niemanden auf der Welt mehr beneiden, dann wird es keine glücklichere Frau in England geben als mich!