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Jener Freitag war einen ganzen Monat lang der letzte schöne Tag. Am Abend schlug das Wetter um, der Wind drehte von Süden nach Nordosten und brachte zuerst Regen, dann Schloßen und Schnee. Am nächsten Morgen konnte man sich kaum vorstellen, daß drei Wochen Sommer gewesen war. Die Primeln und Krokusse waren unter winterlicher Decke verschwunden, die Lerchen schwiegen, die jungen Blätter der frühbelaubten Bäume sahen schwärzlich und schon wie verwittert aus. Frostig, düster, verdrossen kroch dieser Vormittag dahin. Der Herr blieb in seinem Zimmer; ich ergriff Besitz von dem verlassenen Wohnzimmer und verwandelte es in eine Kinderstube. Dort saß ich, mit dem quäkenden Püppchen von einem Kinde auf meinen Knien, und schaukelte es hin und her. Ich sah zu, wie sich vor dem unverhängten Fenster die Schneeflocken aufhäuften, als plötzlich die Tür geöffnet wurde und jemand atemlos lachend hereinkam. Mehr ärgerlich als erstaunt rief ich, im Glauben, es sei eine von den Mägden: »Still! Was fällt dir ein, dich so albern zu benehmen! Wenn dich Mr. Linton hört!«
»Entschuldige«, erwiderte eine vertraute Stimme, »aber ich weiß, daß Edgar oben im Bette liegt – und ich kann nicht mehr an mich halten!«
Mit diesen Worten kam die Sprecherin ans Feuer, keuchend, die Hand in die Seite gepreßt.
»Ich bin den ganzen Weg von Wuthering Heights gelaufen! Hingefallen bin ich, ich weiß nicht wie oft! Oh, mir tut alles weh. Rege dich nicht auf, ich erkläre dir alles, sobald ich dazu imstande bin. Nur sei so freundlich und bestelle einen Wagen, der mich nach Gimmerton fährt. Laß auch ein paar Kleider aus meinem Schrank heraussuchen.«
Es war Isabella Heathcliff. Ihre Verfassung war keineswegs zum Lachen. Das Haar hing ihr, triefend von Schnee und Wasser, auf die Schultern herab. Sie trug ein Kleid aus ihrer Mädchenzeit, das noch immer zu ihrem Alter, aber nicht zu ihrer jetzigen Stellung paßte, ein langes Kittelkleid mit kurzen Ärmeln; Kopf und Hals waren bloß. Das dünne Seidenkleid klebte vor Nässe an ihr fest; an den Füßen hatte sie nur leichte Morgenschuhe. Unter ihrem Ohr bemerkte ich eine tiefe Schnittwunde, die ohne die Kälte sicherlich stark geblutet hätte. Ihr blasses Gesicht war zerkratzt und zerschlagen. Vor Abspannung konnte sie sich kaum auf den Beinen halten. So können Sie sich vorstehen, daß meine erste Überraschung sich in keinen geringeren Schrecken verwandelte, als ich sie näher betrachtete.
»Meine liebe Mrs. Isabella«, rief ich, »ich gehe nicht weg und möchte kein Wort hören, ehe Sie nicht alles ausgezogen und trockene Sachen am Leibe haben. Ich bestelle auch den Wagen nicht, denn heut abend können Sie nicht mehr nach Gimmerton fahren.«
»Doch, ich muß; zu Fuß oder mit dem Wagen. Aber ich kann mich meinetwegen vorher ordentlich umziehen. Oh, sieh nur, wie es jetzt an meinem Halse herunterläuft! Am Feuer fängt die Wunde wieder zu schmerzen an.«
Ich mußte ihre Wünsche erfüllen, ehe ich sie anrühren durfte. Erst als der Kutscher den Befehl hatte, anzuspannen, und eine Magd sich daran machte, ein paar notwendige Kleidungsstücke zusammenzupacken, ließ sie sich die Wunde verbinden und beim Wechseln ihrer Sachen helfen.
»Also, Ellen«, sagte sie, als wir fertig waren und sie in einem bequemen Stuhl mit einer Tasse Tee vor sich am Kamin saß, »leg das Baby der armen Catherine weg, ich mag es nicht sehen, und setz dich mir gegenüber. Denke nicht, daß mir ihr Tod nicht zu Herzen gegangen ist, weil ich mich beim Eintreten so sonderbar benommen habe. Ich habe bitterlich geweint, mehr als andere, da ich mehr Grund dazu habe. Du weißt, wir haben uns in Feindschaft getrennt, und das vergebe ich mir selbst nicht. Mit ihm aber kann ich trotz allem kein Mitgefühl empfinden, mit dieser Bestie nicht! – Oh, gib mir den Feuerhaken. – Dies«, sie zog den goldenen Ring von ihrem dritten Finger und warf ihn auf den Boden, »dies ist das Letzte, was ich von ihm an mir habe! Ich will ihn zertreten!« Sie stieß in kindlichem Haß nach ihm. »Und ich will ihn verbrennen!« Sie nahm das verachtete Ding und warf es in die glühenden Kohlen. »So. Er soll einen neuen kaufen, wenn er mich zurückbekommt. Er ist fähig, hier zu erscheinen und mich zu suchen, nur um Edgar zu quälen. Deshalb bleibe ich nicht hier, damit der Gedanke gar nicht erst sein böses Gehirn erreicht. Außerdem ist auch Edgar nicht nett zu mir gewesen, nicht wahr? Also will ich ihn weder um Hilfe bitten noch ihm Ungelegenheiten machen. Notgedrungen mußte ich hier zunächst Zuflucht suchen. Ich wußte, daß ich Edgar nicht begegnen würde; sonst hätte ich mich nur in die Küche begeben, mein Gesicht abgewaschen, mich ein wenig erwärmt, hätte mir von dir bringen lassen, was ich brauche, und wäre weitergegangen, irgendwohin. Nur aus der Reichweite meines gottverfluchten – dieses Bösewichts! Ach, war er rasend! Wenn er mich erwischt hätte! Schade, daß Earnshaw nicht so stark ist wie er. Wäre Hindley imstande gewesen, ihn zu überwältigen, ich wäre nicht weggelaufen, ehe ich ihn nicht zerschmettert am Boden gesehen hätte!«
»Aber reden Sie nicht so heftig, Miß!« unterbrach ich sie. »Sie verschieben das Taschentuch, das ich Ihnen umgebunden habe; die Wunde wird wieder bluten. Trinken Sie Ihren Tee, kommen Sie zu sich und hören Sie auf, zu lachen. Wirklich, Lachen ist nicht am Platze, unter diesem Dach und in Ihrer Lage.«
»Das ist wahr! Hör nur das Kind. Es wimmert ständig. Gib es auf eine Stunde fort, ich kann es nicht aushalten. Länger bleibe ich nicht.«
Ich klingelte einer Magd und übergab ihr das Kleine. Ich fragte Isabella, warum sie in einem so schlimmen Zustand aus Wuthering Heights geflohen sei? Wohin sie gehen würde, da sie bei uns nicht bleiben wolle? Sie erwiderte:
»Freilich möchte und sollte ich hierbleiben: um Edgar zu trösten und mich um das Baby zu kümmern, und Grange ist meine wirkliche Heimat. Doch ich sage dir, er würde es nicht zulassen. Heathcliff! Glaubst du, er könnte es ertragen, daß ich vergnügt und gesund würde? Würde er uns hier in Ruhe lassen und nicht vielmehr jeden Hauch von Zufriedenheit vergiften? Glücklicherweise verabscheut er mich so sehr, daß er es nicht dulden kann, mich noch im Umkreis seiner Augen und Ohren zu wissen. Komme ich in seine Nähe, so bemerke ich, wie alle Muskeln in seinem Gesicht sich zu einem unwillkürlichen Ausdruck des Hasses verzerren. Dieser Haß hat seinen Grund nicht nur im natürlichen Widerwillen gegen mich, sondern zugleich ist er das Echo meines eigenen Hasses gegen ihn! Seine triebhafte Abneigung gegen mich ist so stark, daß er mich gewiß durch ganz England hindurch verfolgen würde, wenn er meine Flucht für gelungen hielte. Darum muß ich so weit wie möglich von hier fort gehen. Ich wünsche mir nicht mehr wie früher, von ihm umgebracht zu werden; eher wollte ich, daß er sich selbst töten würde. Meine Liebe hat er vollkommen ausgelöscht, und so bin ich wieder ich selbst. Noch kann ich mich irgendwie erinnern, wie sehr ich ihn liebte. Ja, ich kann mir vorstellen, daß ich ihn immer noch lieben könnte, wenn– – – Nein, nein! Auch wenn er mir zugetan gewesen wäre, so hätte seine teuflische Natur sich doch gezeigt! Catherines Geschmack ist wahrhaft widernatürlich gewesen, da sie ihn nicht nur geliebt, sondern so hoch geschätzt hat, obwohl sie ihn so gut kannte. Ein Ungeheuer! Könnte er aus der Schöpfung ausgetilgt werden und aus meinem Gedächtnis!«
»Still«, sagte ich. »Auch er ist ein menschliches Wesen. Seien Sie duldsamer. Es gibt noch schlimmere Menschen als er.«
»Er ist kein menschliches Wesen und hat keinen Anspruch auf meine Duldsamkeit. Ich gab ihm mein Herz, er nahm es, marterte es zu Tode und warf es mir hin. Ellen, wir fühlen mit dem Herzen, und seit er das meine zerstört hat, kann ich für ihn nichts mehr fühlen. Ich will auch nicht! Mag er bis zu seinem Todestage stöhnen und blutige Tränen um Catherine weinen. Oh, ich will nicht!« Isabella trocknete rasch die Tränen von den Wimpern und begann von neuem: »Du fragtest, was mich schließlich zur Flucht getrieben hat? Ich mußte sie versuchen, weil ich seine Wut allmählich noch über seine eigene Bösartigkeit hinaus gesteigert hatte. Wenn man jemandem die Nerven mit rotglühenden Zangen herausreißt, muß man gewiß noch mehr Kaltblütigkeit aufwenden, als wenn man ihm einfach auf den Kopf schlägt. Bei solcher Behandlung vergaß er die berechnende Vorsicht, deren er sich gerühmt hatte, und er schritt zu roher Gewalttat. Ich aber freute mich nun, daß ich ihn so außer sich gebracht hatte. Daß mir dies gelungen war, weckte meinen Selbsterhaltungstrieb. Da brach ich aus, ins Freie. Und wenn ich ihm doch wieder in die Hände falle, so wird es mir nur als Gelegenheit willkommen sein, mich tiefer als je an ihm zu rächen.
Gestern sollte Mr. Earnshaw, wie du weißt, dem Begräbnis beiwohnen. Aus diesem Grunde blieb er nüchtern, einigermaßen nüchtern. Er fiel nicht um sechs Uhr betrunken ins Bett, um sich um zwölf Uhr betäubt zu erheben. Eben deshalb aber folgte bei ihm eine gedrückte selbstmörderische Stimmung, die zur Kirche ungefähr wie zu einem Tanzvergnügen paßte. Er setzte sich lieber an den Kamin und goß ganze Gläser Schnaps und Branntwein hinunter.
Heathcliff – ich kann seinen Namen kaum aussprechen – ist seit dem letzten Sonntag bis heute nur für gespenstisch kurze Zeiten daheim gewesen. Haben ihm die Engel inzwischen zu essen gegeben oder die Mächte der Unterwelt? Seit einer Woche hat er mit uns nicht gemeinsam gespeist. Er ist erst in der Dämmerung nach Haus gekommen und in sein Zimmer hinaufgegangen. Er schloß sich ein – als hätte es irgend jemandem nur im Traum nach seiner Gesellschaft gelüstet! Dort betete er unaufhörlich wie ein Methodist, nur daß die Gottheit, zu der er flehte, leblos zu Staub und Asche zerfällt. Und wenn er sich an Gott wandte, so vermengte er ihn unheimlich genug mit dem höllischen Vater seiner schwarzen Seele. Er betete so lange, bis er heiser war, bis ihm die Stimme in der Kehle erstickte von seinen lästerlichen Worten. Dann machte er sich wieder auf, geradeswegs wie immer zum Grabe hinab. Ich wundere mich, daß Edgar nicht die Polizei holen und ihn verhaften ließ. Für mich freilich war dies eine Zeit der Befreiung von entwürdigender Tyrannei, und ich empfand sie trotz meines Schmerzes um Catherine wie Festtage. Mein Mut stieg so sehr, daß ich Josefs ewige Abkanzelungen anhören konnte, ohne zu weinen, und nicht mehr wie ein erwischter Dieb durchs Haus schlich. Du wirst staunen, daß ich über Worte dieses Josef weinen konnte, aber er und Hareton sind eine zu grauenhafte Gesellschaft. Lieber saß ich sogar bei Hindley Earnshaw und seinen schlimmen Reden als bei dem ›jungen Herrn‹ und seinem Betreuer, dem scheußlichen alten Mann. Ist Heathcliff im Hause, so muß ich mich bei ihnen in der Küche aufhalten oder in den feuchten unbewohnten Zimmern Hunger leiden. Wenn er nicht da ist, wie in dieser Woche, stelle ich mir einen Tisch und Stuhl an die eine Ecke des Kamins im großen Wohnhaus und kümmere mich nicht darum, was Mr. Earnshaw tut; wie auch er sich nicht in meine Angelegenheiten mischt. Er ist jetzt ruhiger als zuvor, wenn man ihn nicht reizt; eher niedergeschlagen als zornig. Josef versichert, er sei ein anderer Mensch geworden, der Herr habe sein Herz angerührt und ihn geläutert ›wie durch Feuer‹. Ich bemühe mich, Zeichen dieser Wandlung zu entdecken; aber es ist ja nicht meine Aufgabe.
Gestern abend las ich in meinem Winkel bis gegen zwölf Uhr in alten Büchern. Ich mochte bei dem wilden Schneetreiben draußen nicht in mein Zimmer hinaufgehen; meine Gedanken kehrten unaufhörlich zum Friedhof und dem frischen Grabe zurück. Kaum wagte ich, die Augen von der Seite des Buches aufzuheben, denn sogleich rückte jene traurige Vorstellung an den Platz dessen, was ich las. Hindley saß mir gegenüber, den Kopf in die Hand gestützt; vielleicht dachte er an die gleichen Dinge. Heute hatte er aufgehört, zu trinken, bevor sich sein Verstand umnebelte. Mehrere Stunden lang hatte er sich nicht gerührt und kein Wort gesprochen. Im ganzen Hause war kein Laut zu vernehmen, außer dem Heulen des am Fenster rüttelnden Windes, dem schwachen Knistern der Kohlen und dem Knacken meiner Lichtschere, wenn ich manchmal den langen Docht der Kerze abschnitt. Hareton und Josef schliefen wohl fest in ihren Betten. Es war traurig. Ich seufzte beim Lesen, denn alle Freude schien mir unwiederbringlich aus der Welt verschwunden zu sein. Ein Geräusch an der Küchentür unterbrach die trübe Stille: Heathcliff war zurückgekehrt. Vielleicht wegen des jähen Sturms hatte er früher als gewöhnlich seine Wacht verlassen. Diese Tür war verschlossen, und wir hörten ihn herumgehen, um die andere zu erreichen. Ich erhob mich, mit einer unwillkürlichen Äußerung des Unmuts, so daß Hindley, der zur Tür gestarrt hatte, sich umwandte und mich ansah. Dann sagte er: »Ich sperre ihn aus. Fünf Minuten lang. Ist es Ihnen recht?«
›Meinetwegen die ganze Nacht lang. Ja, tun Sie es. Lassen Sie den Schlüssel im Schloß und schieben Sie die Riegel vor.‹
Er war damit fertig, ehe der andere zum vorderen Eingang gelangt war. Dann kam Hindley, stellte seinen Stuhl an meinen Tisch und lehnte sich darüber. Aus dieser Nähe suchte er in meinen Augen den gleichen glühenden Haß, der in den seinen brannte. Er fand wohl nicht, daß mein Aussehen und mein Gefühl mit dem seinen ganz übereinstimmte, nämlich mit dem eines Mörders. Immerhin ermutigte ihn meine Miene zum Sprechen:
›Sie und ich, wir beide haben eine große Rechnung mit dem Mann da draußen zu begleichen. Wären wir nicht Feiglinge, Sie und ich, so würden wir uns zusammentun. Oder sind Sie nicht so sanftmütig wie Ihr Bruder? Wollen Sie alles bis zum letzten erdulden oder doch einmal versuchen, es ihm heimzuzahlen?‹ ›Des Duldens bin ich müde, und ich würde jede Vergeltung begrüßen, die nicht sinnlos auf mich selbst zurückfiele. Leider sind Verrat und Gewalt Speere, die an beiden Enden zugespitzt sind. Sie verwunden diejenigen, die zu ihnen greifen, schlimmer als ihre Feinde.‹
›Verrat und Gewalt sind gerechte Rache für Verrat und Gewalt!‹ schrie Hindley. ›Mrs. Heathcliff, ich verlange von Ihnen nur, daß Sie sitzenbleiben und schweigen. Sagen Sie mir, ob Sie dies können. Sie werden sich bestimmt nicht weniger freuen als ich, wenn Sie dem Ende dieses Verbrechers zusehen können. Er wird Ihr eigener Tod sein, oder Sie kommen ihm zuvor, und er wird mein Untergang sein. Verdammt sei er! Da schlägt er an die Tür, als sei er hier bereits der Herr! Versprechen Sie mir, den Mund zu halten – und bevor die Uhr dort schlägt, es fehlen drei Minuten an eins, sind Sie ein freier Mensch!‹
Er nahm die Waffen aus der Brusttasche, von denen ich in meinem Briefe an dich schrieb, und wollte die Kerze löschen. Ich riß das Licht an mich und ergriff seinen Arm:
›Nein, ich halte nicht den Mund! Sie sollen ihn nicht anrühren. Lassen Sie die Tür verschlossen und bleiben Sie ruhig.‹
›Mein Entschluß ist gefaßt!‹ schrie er, ›und so wahr mir Gott helfe, ich führe ihn aus! Selbst gegen Ihren Willen will ich Ihnen eine Wohltat erweisen, und Hareton verschaffe ich sein Recht! Sorgen Sie sich nicht um mich. Catherine ist tot. Niemand trauert um mich, niemand schämt sich für mich, wenn ich mir nach diesem Augenblick die Kehle durchschneide. Und es ist Zeit, ein Ende zu machen!‹
Ebensogut konnte ich mit einem Bären oder mit einem Irrsinnigen kämpfen. Ich konnte nur an eins der vergitterten Fenster laufen und den Menschen draußen vor der Gefahr warnen: ›Du tust besser, heut nacht ein anderes Unterkommen zu suchen!‹ rief ich in fast triumphierendem Ton. ›Mr. Earnshaw beabsichtigt, dich zu erschießen, wenn du hier einzudringen wagst!‹
›Du tust besser, mir die Tür aufzumachen, du –‹ versetzte er und benannte mich mit einem hübschen Ausdruck, den ich nicht wiederholen will.
›Jetzt mische ich mich nicht weiter ein‹, antwortete ich, ›komm also herein und laß dich erschießen, wenn du es wünschst. Ich habe meine Pflicht getan.‹
Damit schloß ich das Fenster und kehrte an den Kamin zurück. Mit Heuchelei bin ich nicht genügend versehen, um auch noch Angst um sein Leben zu zeigen. Earnshaw beschimpfte mich, nannte mein Verhalten unwürdig, denn ich liebte den Schurken offenbar noch immer. Im innersten Herzen dachte ich, ohne mir ein Gewissen daraus zu machen: welch ein Segen es auch für Hindley wäre, wenn Heathcliff ihn von seinem Elend befreite und welch ein Segen für mich, wenn Hindley Heathcliff vorher zur Hölle sandte. Während diese Gedanken mir durch den Kopf schossen, ging das Fenster hinter mir in Scherben. Heathcliff hatte es eingeschlagen, und sein finsteres Antlitz blickte unheilvoll herein. Aber die Gitterstäbe standen zu dicht beieinander, so daß seine Schultern nicht hindurchkamen. Ich lächelte, im wohltuenden Gefühl meiner Sicherheit. Sein Haar und sein Anzug waren weiß von Schnee. Aus dem Dunkeln glänzten seine von Kälte und Wut knirschenden Zähne, scharf wie die eines Menschenfressers.
›Du läßt mich hinein, Isabella, oder du wirst es bereuen!‹ zischte er.
›Dann würde ich einen Mord begehen. Hier steht Mr. Hindley mit einem Messer und einer geladenen Pistole.‹
›Du läßt mich durch die Küchentür ein!‹
›Hindley wird vor mir dort sein. Du wirst wohl ein Schneegestöber ertragen können, um deiner Liebe willen, sonst wäre sie jämmerlich! Du ließest uns hier ruhig in unseren Betten liegen, solange schönes Wetter war und der Frühlingsmond schien – aber kaum kehrt der Wintersturm zurück, mußt du ein Obdach suchen! Heathcliff, an deiner Stelle würde ich mich über ihr Grab legen und sterben wie ein getreuer Hund. Denn, nicht wahr, die Welt ist nicht mehr wert, weiter darin zu leben! Du hast es mir jedenfalls deutlich gezeigt, daß Catherine die einzige Freude deines Daseins war, und so kann ich mir unmöglich vorstellen, wie du ihren Verlust überleben willst!‹
›Ist er da?‹ schrie Hindley und stürzte zum Fenster. ›Wenn ich den Arm hinausstrecke, kann ich ihn treffen!‹
Ellen, du hältst mich vielleicht für ganz niederträchtig, aber du weißt nicht alles, deshalb richte nicht. Zwar hätte ich ihm auf keinen Fall geholfen, diesen Menschen – selbst diesen Menschen umzubringen. Aber seinen Tod wünschen mußte ich. Darum war ich so unheimlich enttäuscht und auch voller Furcht vor den Folgen meiner höhnischen Reden – als Heathcliff sich auf Hindleys hinausragende Waffe stürzte und sie ihm aus der Faust riß.
Die Pistole entlud sich, das Messer daran sprang zurück und schnitt in Hindleys Handgelenk. Heathcliff zog es mit roher Kraft heraus, so daß eine tiefe Wunde entstand. Er steckte das blutige Messer in seine Tasche, nahm einen Stein auf, zertrümmerte das Gitter und sprang herein. Hindley war bewußtlos zu Boden gesunken, sein Blut strömte, eine Hauptader mußte getroffen sein. Der Bösewicht schlug und trat nach ihm, stieß seinen Kopf auf die Fliesen und hielt mich dabei an der Hand fest. Sonst hätte ich den Josef geholt. Er beherrschte sich so weit, daß er den anderen nicht vollständig umbrachte. Keuchend beendete er seinen Angriff und schleppte den anscheinend leblosen Körper zu der Bank. Er riß den Ärmel von Hindleys Rock herunter, verband die Wunde mit rohen Griffen und spuckte und fluchte dabei ebenso heftig, wie er zuvor getreten hatte.
Inzwischen suchte ich nach dem Alten und berichtete ihm hastig, was geschehen war. Als er es endlich verstanden hatte, eilte er hinunter, zwei Stufen auf einmal nehmend, und keuchte: ›Was ist denn los, was ist denn hier los?‹
›Das ist hier los‹, dröhnte Heathcliff, ›daß dein Herr irrsinnig ist. Sollte er in einem Monat noch leben, so bringe ich ihn in eine Anstalt. Und du, zahnloser Hund, wie kommst du dazu, mich auszusperren? Steh nicht da und brumme und knurre. Hierher. Ich sorge nicht weiter für ihn! Paß auf die Flamme deiner Kerze auf und wisch das Blut weg – mehr als die Hälfte davon ist Branntwein!‹
›Also Sie haben ihn ermordet!‹ rief Josef, schreckensvoll die Hände und die Augen erhebend. ›So etwas habe ich denn doch noch nie erlebt! Möge der Herr –‹
Heathcliff gab ihm einen Stoß, daß er mitten in der Blutlache auf die Knie fiel, und warf ihm einen Lappen zu. Statt aufzuwischen, faltete Josef die Hände und begann ein Gebet, das mich durch die verrückte Ausdrucksweise zum Lachen brachte. Ich war in einer Verfassung, daß nichts mich erschütterte. Wie manche Übeltäter am Fuße des Galgens, so gleichgültig war ich. ›Oh, dich hatte ich ganz vergessen‹, sagte der Tyrann. ›Du kannst das machen! Nieder mit dir! Du hast dich mit ihm gegen mich verschworen, du Viper! Da, das ist die richtige Arbeit für dich.‹
Er schüttelte mich, bis mir die Zähne klapperten. Dann schleuderte er mich zu dem Alten hin, der sein Gebet unbeirrt zu Ende sprach und dann aufstand und schwor, er wolle sich sofort nach Grange aufmachen. Denn Mr. Linton sei Friedensrichter, und wenn ihm auch fünfzig Frauen zu seiner Trauer hinweggestorben wären, diese Sache müsse er mit letzter Kraft untersuchen. Diesen Entschluß vertrat er so hartnäckig, daß Heathcliff es für ratsam hielt, einen eingehenden Bericht der Geschehnisse aus meinem Munde zu erzwingen. Geschwellt von Bosheit, ragte er hoch über mir auf, während ich widerstrebend auf seine bedrängenden Fragen antwortete. Es war ein hartes Stück Arbeit, durch die aus mir herausgepreßten Bekundungen dem alten Mann klarzumachen, daß Heathcliff nicht der Angreifer gewesen sei. Jedenfalls überzeugte er sich bald davon, daß Mr. Earnshaw noch lebte. Josef flößte ihm etwas Branntwein ein, so daß das Bewußtsein allmählich zurückkehrte.
Heathcliff erkannte, daß sein Gegner die Vorgänge während seiner Bewußtlosigkeit vollständig vergessen hatte. Er erklärte ihm, er sei sinnlos betrunken, und behauptete, er könne sein abscheuliches Benehmen nicht länger ansehen; Earnshaw solle sich ins Bett verfügen. Nach diesem klugen Rat verließ uns Heathcliff, zu meiner Freude, und Hindley streckte sich auf den Fliesen am Kamin aus. Ich ging in mein Zimmer, voller Verwunderung, daß ich so gelinde davongekommen war.
Als ich heute gegen halb zwölf Uhr hinunterkam, saß Earnshaw todelend am Feuer. Unser böser Dämon, bleich und hager, lehnte daneben am Kamin. Von den Speisen schienen beide nichts anrühren zu wollen. Ich wartete, bis alles auf dem Tisch kalt geworden war, und begann, allein zu essen. Ja, nichts hielt mich ab, mich herzhaft zu sättigen. Mit einem gewissen Gefühl der Genugtuung, sogar der Überlegenheit, streifte ich manchmal meine stummen Genossen, mit dem Blick des ruhigen Gewissens. Als ich das Essen beendet hatte, nahm ich mir die ungewöhnliche Freiheit, mich in der Nähe des Feuers einzurichten, indem ich um Earnshaws Stuhl herumging und mich in die Ecke neben ihn hinkauerte.
Heathcliff achtete nicht auf mich. Ich schaute zu ihm auf und betrachtete sein Gesicht fast so ruhig, als hätte es sich in Stein verwandelt. Seine Stirn, die ich einst so männlich fand und die mir jetzt nur noch teuflisch erschien, war von einer schweren Wolke überschattet. Seine Basiliskenaugen waren wie erloschen von Schlaflosigkeit, vielleicht von Tränen, denn die Wimpern waren feucht. Seine Lippen, jetzt ohne das gewöhnliche höhnische Grinsen, preßten sich in unaussprechlicher Trauer zusammen. Wäre er ein anderer gewesen, ich hätte mein Gesicht vor solchem Schmerz verhüllt. So aber empfand ich Genugtuung. Obwohl es gewiß unedel ist, einen gefallenen Feind zu verletzen, ich mußte dennoch die Gelegenheit wahrnehmen und einen Pfeil abschießen. Nur seine augenblickliche Schwäche konnte mir diesen Genuß verschaffen, Böses mit Bösem zu vergelten.«
Ich unterbrach Isabella: »Pfui, pfui, Miß! Man könnte meinen, Sie hätten in Ihrem Leben keine Bibel aufgemacht. Es sollte Ihnen genügen, wenn Gott Ihre Feinde heimsucht. Den göttlichen Prüfungen selbst etwas hinzuzufügen, ist gemeine Anmaßung.«
»Gewöhnlich mag dies stimmen, Ellen«, fuhr Isabella fort. »Aber eine Pein, die Heathcliff zu erdulden hat, befriedigt mich nur, wenn ich selbst die Hand dabei im Spiele habe. Lieber wünschte ich sogar, er litte weniger, wenn nur ich ihm dies Leiden zufüge, und wenn er weiß, daß ich die Ursache bin! Ja, viel habe ich ihm zurückzugeben! Verzeihen könnte ich ihm unter der Bedingung: wenn ich Auge um Auge, Zahn um Zahn fordern und Schmerz um Schmerz vergelten könnte. Da er der erste war, der Unrecht tat, will ich, daß er als erster um Verzeihung bittet. Dann, Ellen, vermöchte ich vielleicht großmütig zu sein. Aber es ist ganz unmöglich, daß mir Genugtuung zuteil wird, und darum wird nichts vergeben werden.
Hindley bat um Wasser. Ich reichte ihm ein Glas und fragte, wie er sich fühle. ›Nicht so krank, wie ich wünschte‹ erwiderte er. ›Immerhin, außer meinem Arm schmerzt mich jeder Zoll derartig, als hätte ich mit einer Legion von Dämonen gekämpft!‹
›Das wundert mich nicht, Catherine prahlte damit, sie habe immer zwischen Ihnen und jedem körperlichen Angriff gestanden. Sie meinte wohl, gewisse Leute hätten Sie nur deshalb nicht zu Schaden gebracht, weil man ihr nicht weh tun wollte. Gut, daß die Menschen nicht wirklich aus ihren Gräbern auferstehen. Sonst hätte sie in dieser Nacht einen schauderhaften Auftritt bezeugen müssen. Sind Sie nicht auch an der Brust und an den Schultern verletzt?‹
›Weiß ich nicht. Warum fragen Sie das? Hat er etwa gewagt, mich zu schlagen, als ich am Boden lag?‹
Ich flüsterte: ›Er hat Sie getreten und gestoßen, mit dem Kopf gegen die Steine. Sein Rachen lechzte danach, Sie mit den Zähnen zu zerreißen. Er ist nur zur Hälfte Mensch, oder nicht einmal soviel.‹
Hindley und ich schauten zu dem Gesicht unseres gemeinsamen Feindes auf. In seine Qual versunken, schien er gegen alles ringsum empfindungslos zu sein. Je länger er da stand, desto sichtbarer enthüllten sich seine schwarzen Gedanken in seinen Zügen.
›Hätte ich nur Kraft genug, um ihn noch im Todeskampfe zu erwürgen, dann stürbe ich gern‹, stöhnte Earnshaw, versuchte krampfhaft, sich zu erheben, und sank verzweifelt zurück, angesichts des ungleichen Streites.
›Es ist genug, daß er einen von euch ermordet hat!‹ sagte ich laut. ›In Grange weiß jeder, daß Ihre Schwester noch leben würde, wäre Mr. Heathcliff nicht gewesen. Wieviel besser ist es, von ihm gehaßt, als von ihm geliebt zu werden! Wie glücklich waren ich und mein Bruder, wie glücklich Catherine, ehe er kam!‹
Offenbar drang zwar die Wahrheit dieser Worte zu Heathcliff, aber kaum ein Bewußtsein davon, wer sie sprach. Ich sah, daß seine Aufmerksamkeit erweckt war, Tränen stürzten aus seinen Augen in die Asche, er hielt den Atem an, um die Seufzer zu unterdrücken. Ich aber starrte ihm voll ins Gesicht und lachte verächtlich. Die umwölkten Fenster der Hölle blinkten einen Augenblick lang vor mir auf; doch der Teufel, der gewöhnlich heraussah, erschien so trübe und schwach, daß ich erneut einen spöttischen Laut hören ließ.
›Steh auf und geh mir aus den Augen‹, murmelte Heathcliff. Ich glaube wenigstens, daß er dies sagte; seine Stimme war kaum zu vernehmen.
›Entschuldigung‹, erwiderte ich. ›Aber ich liebte Catherine auch. Ihr Bruder hat jetzt Pflege nötig, und um ihretwillen möchte ich sie ihm zuteil werden lassen. Nun, da sie tot ist, sehe ich Catherine in Hindley, der die gleichen Augen hat wie sie. Freilich, dank deinen Bemühungen schauen sie jetzt braun und blau aus, von dir zerschlagen und –‹
›Steh auf, du Luder, oder es geschieht dir etwas!‹ schrie er und machte eine Bewegung, so daß ich mich fluchtbereit hielt. Aber ich fuhr fort:
›Hätte die arme Cathy dir vertraut und den lächerlichen entwürdigenden Namen einer Mrs. Heathcliff angenommen, so würde ihr Anblick bald ähnlich gewesen sein. Doch sie hätte deine Abscheulichkeiten nicht hingenommen, sondern ihrem Ekel und ihrer Verachtung furchtbaren Ausdruck gegeben!‹
Zwischen ihm und mir befanden sich der Stuhlrücken und Earnshaw. Er konnte mich mit der Hand nicht erreichen, ergriff ein Messer vom Tisch und warf es nach mir. Es traf mich unter dem Ohr, ich verstummte, sprang zur Tür und sagte noch ein Wort. Ich hoffe, daß es ihn tiefer verletzte, als mich sein Geschoß. Mit dem letzten Blick sah ich noch, daß Hindley seinem rasenden Anlauf gegen mich den Weg abschnitt, und daß beide im Ringen hinstürzten. Auf meiner Flucht durch die Küche schickte ich Josef seinem Herrn zu Hilfe, stieß Hareton um, der im Torweg junge Hunde an einer Stuhllehne aufhängte – und, glücklich wie eine durchs Fegefeuer gegangene Seele, lief und sprang und flog ich den steilen Weg hinab. Dann, aus den Windungen des Weges heraus, rannte ich quer über das Moor, rollte Abhänge hinunter, watete durch Sumpf – und eilte immer wie einem Leuchtfeuer dem Licht von Grange entgegen! Oh, lieber will ich für ewig in der Verdammnis wohnen, als nur noch eine Nacht unter dem Dach von Wuthering Heights.«
Isabella endete ihren Bericht. Sie nahm einen Schluck Tee; dann ließ sie sich von mir die Haube geben und in ein großes Umschlagetuch hüllen, taub gegen meine Bitte, noch eine Stunde zu bleiben. Sie stieg auf einen Stuhl, küßte Edgars und Catherines Bildnisse, küßte auch mich zum Abschied und ging zum Wagen hinunter, begleitet vom Hündchen Fanny, unter seinem lauten Freudengebell angesichts der zurückgekehrten Herrin.
Isabella fuhr davon, und unsere Gegend sah sie niemals wieder. Zwischen ihr und Edgar aber begann ein regelmäßiger Briefwechsel, als beide friedlicher geworden waren. Ich glaube, sie wohnte nun im Süden, nahe bei London. Dort bekam sie einige Monate nach ihrer Flucht einen Sohn. Er wurde Linton getauft; von Anfang an war er, wie sie schrieb, ein sehwaches leidendes Geschöpf.
Als Mr. Heathcliff mich eines Tages im Dorfe traf, fragte er, wo Isabella lebe. Ich gab ihm keine Auskunft. Er versetzte, das mache nichts, aber sie solle sich davor hüten, zu ihrem Bruder zurückzukehren. Sie solle nicht bei ihm sein, wenn er für sie sorgen müsse. Durch einen unserer Angestellten erfuhr er dann ihren Aufenthalt und die Geburt des Kindes; er behelligte sie trotzdem nicht, welche Schonung sie wohl seiner Abneigung zu verdanken hatte. Nach dem Kinde fragte er, sobald er mich sah. Als er seinen Namen, Linton, hörte, lächelte er grimmig und bemerkte:
»Die wollen offenbar, daß ich den Jungen auch hasse?«
»Man wünscht ganz einfach nicht, daß Sie irgend etwas über ihn erfahren.«
»Ich werde ihn haben, sobald ich ihn brauche. Man rechne damit!«
Isabella starb, zum Glück, bevor diese Zeit kam. Sie starb dreizehn Jahre nach Catherines Tod, als ihr Sohn Linton etwas über zwölf Jahre alt war.
– Am Tage nach jenem Besuch Isabellas und ihrer Flucht hatte ich keine Gelegenheit gehabt, mit dem Herrn zu sprechen. Als er mir endlich nicht mehr auswich, empfing er die Nachricht, seine Schwester habe ihren Mann verlassen, auf jeden Fall wie eine Erleichterung. Diese Feindschaft gegen Heathcliff stand in seltsamem Widerspruch zu Edgars sonst so mildem Wesen. Er ging nirgends hin, wo auch nur eine Möglichkeit bestand, den anderen zu sehen oder zu hören. Auf diese Weise verwandelte er sich vollständig in einen Einsiedler. Er legte sein richterliches Amt nieder, stellte sogar die Kirchenbesuche ein, mied das Dorf. In den Grenzen seines Parks und seiner Ländereien führte er ein ganz und gar abgeschlossenes Leben, das nur durch einsame Wanderungen im Moor und durch Besuche beim Grabe seiner Frau unterbrochen wurde. Diese machte er meist am Abend oder am frühen Morgen, wenn noch niemand unterwegs war. Aber seine Güte milderte auch sein eigenes Unglück, auf die Dauer. Er war es nicht, der darum betete, Catherines Seele möge ihn verfolgen! Die Zeit brachte ihm Entsagung und eine Schwermut, süßer als alltägliche Freuden. Mit zärtlicher Liebe und frommer Hoffnung pflegte er die Erinnerung an sie. Er hatte auch irdische Tröstungen in der Liebe zu seinem Kinde. Ich sagte, daß er sich in den ersten Tagen nach Catherines Hinscheiden nicht sehr um deren kleine Nachfolgerin zu kümmern schien. Diese kühle Haltung schmolz dahin wie Schnee im April, und ehe das winzige Wesen ein Wort lallen oder ein Schrittchen machen konnte, schwang es schon das Zepter eines Tyrannen in seinem Herzen. Es hieß Catherine; aber er nannte es nicht beim vollen Namen, während er den Namen der ersten Catherine niemals abgekürzt hatte. Der Grund war vielleicht gewesen, daß Heathcliff dies gewöhnlich getan hatte. Die Kleine war nun immer Cathy; Cathy bedeutete ihm sowohl eine Unterscheidung von der Mutter wie auch eine Verbindung mit ihr. Sicherlich aber entsprang seine Zuneigung mehr der Verwandtschaft des Kindes mit ihr, als der Tatsache, daß es sein eigenes Töchterchen war.
Ich zog oft Vergleiche zwischen ihm und Hindley und dachte nach, warum das Verhalten der beiden unter gleichen Umständen so verschieden war. Beide waren liebevolle Gatten gewesen und ihren Kindern zugetan. Ich konnte nicht einsehen, weshalb sie nicht im Guten wie im Bösen denselben Weg gehen konnten. Jedoch Hindley, offensichtlich der klügere Kopf, hatte sich leider als der schlechtere und schwächere Mensch herausgestellt. Als sein Schiff scheiterte, verließ der Kapitän seinen Posten, und die Mannschaft, statt jedes Rettungsversuches, stürzte sich in Aufruhr und Verwirrung, so daß für ihr unglückliches Fahrzeug jegliche Hoffnung versank. Edgar dagegen entwickelte den wahren Mut einer getreuen und gläubigen Seele, auf Gott bauend und von Gott getröstet. Jeder von ihnen wählte sein eigenes Los, der eine vertrauend, der andere verzweifelnd, und sie mußten es gerechterweise bis zum Ende tragen.
Hindley Earnshaws Schicksal erfüllte sich also, wie zu erwarten war. Er folgte seiner Schwester kaum ein halbes Jahr später. Wir in Grange erhielten nie einen deutlichen Bericht über den Zustand, der seinem Tode voranging. Nur bei den Vorbereitungen zu seiner Bestattung, bei denen ich half, erfuhr ich etwas. Doktor Kenneth kam zu uns, um dem Herrn die Meldung zu bringen. »Nun, Nelly«, sagte er, als er eines Morgens ins Gehöft einritt, zu so früher Stunde, daß mich sogleich eine Vorahnung der unheilvollen Nachricht überfiel, »jetzt haben wir beide Anlaß, zu trauern. Wer, glaubst du, hat uns jetzt wieder verlassen? Rate«, er stieg vom Pferde und schlang die Zügel um einen Türhaken, »und nimm nur gleich den Schürzenzipfel hoch, du wirst ihn bestimmt nötig haben.«
»Doch nicht Mr. Heathcliff?«
»Was, für den hättest du Tränen?« sagte der Arzt. »Nein, Heathcliff ist ein zäher Junge. Ich sah ihn soeben: er sieht heute blühend aus, rasch wieder zu Kräften gekommen, seit er seine bessere Hälfte verloren hat.«
»Also wer nur, Mr. Kenneth?« wiederholte ich unruhig.
»Earnshaw. Dein alter Freund Hindley. Mein alter Schwatzbruder, obwohl er es mir seit einiger Zeit zu toll trieb. Also! Ich sagte dir ja, daß wir Tränen vergießen würden. Aber tröste dich. Er starb durchaus charaktervoll, nämlich betrunken wie ein Edelmann. Armer Kerl, mir tut er auch leid. Man vermißt einen nahen Gefährten, selbst wenn er die übelsten Sachen macht und mir auch manchen Streich gespielt hat. Kaum siebenundzwanzig Jahre war er alt; wie du! Wer könnte sich vorstehen, daß ihr im gleichen Jahre geboren seid?«
Ich gestehe, dieser Schlag schmerzte mich mehr als der Schreck über Catherines Tod. Erinnerungen aus der Kindheit umkreisten mein Herz. Ich setzte mich in den Torweg und weinte wie um einen Blutsverwandten. Den Doktor Kenneth bat ich, sich durch einen anderen Angestellten beim Herrn melden zu lassen. Immer wieder hing ich der Frage nach: War das mit rechten Dingen zugegangen? Bei jeder Arbeit quälte mich der Gedanke so hartnäckig, daß ich um Urlaub bat, um dem Toten auf Wuthering Heights die letzten Dienste zu erweisen. Mr. Linton widerstrebte es sehr, seine Zustimmung zu geben. Ich bot alle Beredsamkeit auf, ihm die furchtbare Verlassenheit zu schildern, in der der Arme dort lag; und mein Milchbruder und früherer Herr habe den gleichen Anspruch auf meinen Beistand wie er selbst. Außerdem müsse Mr. Linton, mangels näherer Verwandten, als Vormund Haretons, des Neffen seiner Frau, auftreten, Erkundigungen über die Hinterlassenschaft einziehen und sich um die Interessen seines Schwagers kümmern. Damals war er noch nicht imstande, sich so sachlich zu beschäftigen, aber ich sollte mit seinem Anwalt sprechen, und so gestattete er mir schließlich, zu gehen. Ich besuchte den Anwalt im Dorfe, der auch derjenige Earnshaws gewesen war, und bat ihn, mich zu begleiten. Er schüttelte den Kopf und riet dringend, Heathcliff in Ruhe zu lassen. Denn wenn die Wahrheit bekannt würde, stände Hareton nicht viel besser als ein Bettler da. Der Anwalt sagte:
»Mr. Earnshaw hinterläßt bei seinem Tode nur Schulden. Das ganze Besitztum ist mit Hypotheken überlastet. Der natürliche Erbe hat nur eine Hoffnung: im Herzen des Gläubigers so viel Mitleid zu erwecken, daß dieser bereit ist, einigermaßen schonend mit ihm umzugehen.«
Auf Wuthering Heights erklärte ich, ich wolle dabei helfen, daß alles anständig ausgeführt werde. Mr. Heathcliff erklärte, er sähe nicht ein, was ich hier suche. Aber ich könne bleiben und mich an den Vorbereitungen für die Bestattung beteiligen. »Eigentlich«, bemerkte er, »sollte man den Leichnam dieses Narren ohne die geringste Feierlichkeit in irgendeiner Ecke verscharren. Zehn Minuten habe ich ihn gestern nachmittag allein gelassen – inzwischen verschließt er beide Haustüren vor mir und verbringt dann die ganze Nacht damit, sich vorsätzlich zu Tode zu trinken. Heute früh brechen wir bei ihm ein, weil wir hören, daß er schnauft wie ein Pferd. Da liegt er auf der Bank. Schinden und skalpieren hätten wir ihn können, er wäre nicht aufgewacht. Ich schickte nach Kenneth, und er kam, aber erst, als das Biest ein Aas geworden war. Kalt, steif, tot. Du wirst zugeben, daß man nicht viel Staat mit ihm machen soll.«
Josef bestätigte den Bericht, immerhin brummte er: »Wäre Mr. Heathcliff lieber selbst zum Doktor gegangen, statt mich hinzuschicken! Ich hätte besser auf unseren Herrn aufgepaßt als er. Unser Herr war noch nicht tot, als ich wegging, durchaus nicht!« Ich bestand darauf, das Leichenbegängnis müsse würdig verlaufen. Mr. Heathcliff versetzte, auch darin lasse er mir freie Hand, ich solle nur freundlichst nicht vergessen, daß das Geld für die ganze Angelegenheit aus seiner Tasche komme. Seine Miene war hart und unbefangen, sie zeigte weder Freude noch Betrübnis. Höchstens drückte sie eine schroffe Befriedigung darüber aus, eine schwere Arbeit erfolgreich erledigt zu haben. Einmal beobachtete ich etwas wie Frohlocken in seinem Gesicht, nämlich in dem Augenblick, als man den Sarg aus dem Hause trug. Dann wieder konnte er den Leidtragenden spielen, und bevor er mit Hareton folgte, hob er das unglückliche Kind auf den Tisch und flüsterte mit eigentümlicher Lust in der Stimme: »Nun, mein Jungchen, gehörst du mir, und wir wollen sehen, ob nicht ein Baum ebenso krumm wird wie der andere, wenn der gleiche Wind ihn biegt!« Dem Kleinen gefiel die Ansprache, er spielte mit Heathcliffs Haar und strich über seine Backen. Ich erriet den Sinn und sagte mit scharfer Betonung: »Der Junge kommt mit mir nach Thrushcross Grange, Herr. Nichts in der Welt gehört Ihnen weniger als er.«
»Sagt das Linton?« fragte Heathcliff.
»Allerdings. Er hat mir aufgetragen, ihn mitzunehmen.«
»Schön. Wir wollen dies jetzt nicht erörtern. Aber ich habe beschlossen, mich mit der Erziehung eines jungen Menschen zu beschäftigen. Daher bitte ich dich, deinem Herrn folgendes mitzuteilen: Wenn er versuchen sollte, mir den Jungen wegzunehmen, so würde ich meinen eigenen Sohn an dessen Stelle setzen. Ich werde mich mit allen Mitteln in Haretons Besitz halten. Muß ich ihn trotzdem hergeben, dann hole ich mir den anderen von Isabella bestimmt hierher.«
Die Drohung genügte, um uns die Hände zu binden. Bei meiner Rückkehr wiederholte ich die Worte des Bösewichts, und Edgar Linton, von Anfang an nicht sehr beteiligt, dachte an keine weitere Einmischung.
Der Gast war nun der Herr von Wuthering Heights. Er hielt es in fester Hand. Dem Anwalt wies er nach (und durch ihn Mr. Linton), daß Earnshaw jeden Zoll seines Besitztums gegen Bargeld verpfändet hatte, um seine Spielleidenschaft zu befriedigen. Und er, Heathcliff, war der alleinige Hypothekengläubiger. So kam Hareton, andernfalls der erste Edelmann unserer Gegend, in vollständige Abhängigkeit vom ärgsten Feinde seines Vaters. In seinem eigenen Hause lebt er wie ein Knecht, der nicht einmal Lohn erhält. Er kann keinen Versuch machen, sich sein Recht zu verschaffen, weil er keinen Freund besitzt, ja, weil er gar nicht weiß, daß ihm Unrecht geschehen ist.