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Schöne Einleitung für ein Einsiedlerleben! Vier Wochen Krankheit, Schmerzen und Unruhe! Oh, diese rauhen Winde, der öde nördliche Himmel, die schlechten Wege und die saumseligen Landärzte! Und dann dies Bedürfnis nach menschlichen Gesichtern! Und das Schlimmste von allem: die entsetzliche Ankündigung des Doktor Kenneth, vor Beginn des Frühlings dürfe ich nicht aus dem Hause gehen!
Soeben hat mich Mr. Heathcliff mit einem Besuche beehrt. Vor einer Woche schickte er mir ein Paar Birkhühner, die letzten der Jagdzeit. Der Unmensch, er ist mitschuldig an meiner Erkrankung, und ich hätte es ihm am liebsten gesagt. Aber wie konnte ich einen Mann angreifen, der eine gute Stunde auf dem Rand meines Bettes saß und so freundlich war, über andere Dinge als Pillen, Tropfen, Pflaster und Blutegel mit mir zu plaudern!
Ich fühle augenblicklich eine gewisse Erleichterung. Um zu lesen, bin ich zu schwach, aber ich fühle wieder das Bedürfnis, mich anregen zu lassen. Mrs. Dean könnte in ihrer Erzählung fortfahren; mein Gedächtnis reicht für die wichtigsten Ereignisse, die sie bisher berichtet hat. Ja, ich erinnere mich, ihr Held war plötzlich verschwunden, seit drei Jahren hatte man nichts mehr von ihm gehört, die Heldin hatte geheiratet.
Auf mein Klingeln kam Mrs. Dean und sagte: »Erst in zwanzig Minuten müssen Sie Ihre Arznei nehmen, Mr. Lockwood.«
»Das ist es nicht! Ich möchte –«
»Der Doktor wünscht, daß Sie die Pulver weglassen.«
»Mit Vergnügen! Aber bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Kommen Sie her, setzen Sie sich und rühren Sie das gräßliche Flaschenzeug nicht mehr an. Nehmen Sie lieber Ihre Strickerei aus dem Beutel – so ist es richtig – und nun erzählen Sie mir von Mr. Heathcliff weiter; von dort, wo Sie aufgehört haben, bis zum heutigen Tage. Ist er als vornehmer Herr zurückgekehrt, nachdem er seine Ausbildung auf dem Festland vollendet hat? Oder hat er einen Freiplatz auf der Universität erhalten? Ist er nach Amerika entflohen und dort zu Ehren gekommen, auf Kosten seines Vaterlandes? Oder hat er sich noch rascher auf englischen Landstraßen bereichert?«
»Vielleicht hatte er mit all diesen Berufen ein wenig zu tun, aber ich kann es nicht behaupten. Schon früher sagte ich Ihnen, ich wisse nicht, wie er sein Vermögen erworben habe. Ich habe auch keine Ahnung, mit welchen Mitteln er sich aus der wüsten Unwissenheit, in die er gesunken war, wieder herausarbeiten konnte. Wenn Sie erlauben, gehe ich auf meine eigene Art weiter; hoffentlich wird es Sie unterhalten und nicht ermüden. Fühlen Sie sich heut morgen besser?«
»Viel besser.«
»Das freut mich.«
Ich ging also mit Catherine hierher nach Thrushcross Grange. Zu meiner angenehmen Überraschung machte sich alles viel besser, als ich erwartet hatte. Sie schien richtig verliebt in Mr. Linton, und sogar seiner Schwester erwies sie große Freundlichkeit. Die beiden Geschwister waren freilich sehr darauf bedacht, es Catherine behaglich zu machen. Nicht der Dornbusch neigte sich dem Geißblatt zu, sondern das Geißblatt selbstverständlich dem Dornbusch! Es gab kein wechselseitiges Entgegenkommen: die eine stand unbeugsam da, die anderen gaben nach. Wie könnte man noch boshaft oder übellaunisch sein, wenn man weder auf Widerstand noch auf Gleichgültigkeit trifft? Ich bemerkte, daß Mr. Edgar eine tiefe Angst davor hatte, man könnte Cathys Stimmung irgendwie verderben. Er ließ diese Angst nicht sehen. Aber wenn ich einmal eine scharfe Antwort gab oder wenn ein anderer Angestellter auf einen herrischen Befehl hin eine unmutige Miene machte, runzelte er mißbilligend die Stirn, und dies geschah niemals, wenn es sich um ihn selbst handelte. Er stellte mich oft zur Rede, meiner Schroffheit wegen: denn ein Messerstich könne ihn nicht heftiger schmerzen als irgendein Ärger, den man seiner Frau verursache. Um den gütigen Herrn nicht zu betrüben, lernte ich, nachsichtiger zu sein.
Ein halbes Jahr lang lag das Schießpulver harmlos wie Sand da, weil ihm kein Funke nahe kam, der es zur Entladung bringen konnte. Catherine hatte wohl Zeiten der Schwermut und Schweigsamkeit. Ihr Mann benahm sich dann mit teilnehmender Zurückhaltung; er schrieb solche Anwandlungen den Folgen jener gefährlichen Krankheit zu. Früher hatte sie ja keinerlei Niedergeschlagenheit gekannt. War aber bei ihr wieder Sonnenschein, so strahlte auch er. Alles sah nach einem wirklichen und wachsenden Glück aus.
Es nahm ein Ende. Gewiß, wir müssen auf die Dauer alle einsam werden. Und die Sanften und Großmütigen sind in Wahrheit nur selbstgerechter als die Herrischen. Es nahm ein Ende, als sie beide allmählich empfanden, das, was dem einen wichtig war, habe in den Gedanken des anderen nicht den Vorrang. An einem milden Septemberabend kam ich mit einem schweren Korb voll Äpfel, die ich gepflückt hatte, aus dem Garten. Es war schon dunkel, der Mond blickte über die hohe Mauer des Hofes und warf seltsame Schatten in die Winkel zwischen den Vorsprüngen des Gebäudes. Ich setzte meine Last auf die Stufen neben der Küchentür, ruhte aus und atmete die wunderbare Luft ein. Dem Monde zugekehrt, hörte ich mit einem Male hinter mir eine Stimme:
»Nelly, bist du es?«
Es war eine tiefe Stimme, mit fremdem Tonfall. Zugleich aber lag in der Art der Aussprache meines Namens etwas, was sie mir vertraut machte. Erregt drehte ich mich um. Die Türen waren geschlossen; ich hatte niemanden gesehen, als ich mich den Stufen näherte. Da rührte sich etwas in der Nische des Tors. Ich sah einen großen Mann, dunkel gekleidet, mit dunklem Gesicht und Haar. Seine Hand lag auf der Klinke, als sei er im Begriff, sie zu öffnen. Wer kann das sein? dachte ich. Es ist doch nicht Mr. Earnshaw? Seine Stimme ist anders.
»Ich warte hier seit einer Stunde«, fuhr er fort, indessen ich ihn anstarrte. »Es war totenstill in all der Zeit. Ich wollte nicht hineingehen. Kennst du mich nicht? Sieh her, ich bin kein Fremder.«
Er bog sich ins Licht. Die Wangen hatten eine gelbliche Farbe, halb bedeckt von dem schwarzen Bart. Unter den zusammengezogenen Brauen lagen die seltsamen Augen in tiefen Höhlen. Ich kannte diese Augen.
»Was?« schrie ich, und in erschrockenem Zweifel, ob da ein Besuch aus unserer wirklichen Welt stehe, erhob ich die Hände. Endlich konnte ich weiter sprechen: »Was! Sie sind zurückgekommen? Sind Sie es wirklich?«
»Ja – Heathcliff.« Er blickte von mir hinweg, zu den Fenstern des Hauses hinauf, aus denen eine ganze Reihe von Monden blinkten, während von innen kein Licht zu sehen war. »Sind sie daheim? – Wo ist sie? – Ich glaube, Nelly, du freust dich nicht. Du brauchst nicht so erschrocken zu sein. – Ist sie hier? Antworte. Ich muß sie sprechen. Geh und sage deiner Herrin, jemand aus Gimmerton frage nach ihr.«
»Wie wird sie es aufnehmen! Was wird sie tun? Ich bin noch ganz verwirrt. Es muß sie vollkommen erschüttern. Und Sie sind wahrhaftig Heathcliff? Wie verändert! Nein, es ist gar nicht zu fassen. Sind Sie Soldat gewesen?«
»Geh und richte meinen Auftrag aus. Es ist die Hölle für mich, bis du es getan hast.«
Er drückte die Klinke auf. Ich trat ein. Aber auf dem Wege zum Wohnzimmer, in dem sich Mr. und Mrs. Linton befanden, zögerte ich von neuem. Schließlich überlegte ich mir einen Vorwand: ich wollte fragen, ob die Kerzen angezündet werden sollten. Und ich öffnete die Tür.
Sie saßen zusammen an einem Fenster, durch dessen aufgeschlagene Flügel der Blick weithin über die Bäume im Garten, über den verwilderten grünen Park bis zu den langen, sich windenden Nebelschwaden im Tal von Gimmerton schweifte. Sie haben wohl bemerkt, daß gleich hinter der Kapelle der Teich, der vom Moor gespeist wird, in ein Rinnsal übergeht, das durch die dunstigen Windungen der Schlucht hinabsickert. Wuthering Heights erhob sich über all dem silbrigen Glast; doch unser altes Haus war nicht zu sehen; seine Lage ist tiefer, auf der anderen Seite der Anhöhe. Der Raum, das Paar darin, das Landschaftsbild, alles sah wunderbar friedlich aus. Ich fühlte eine noch stärkere Hemmung, meine Nachricht zu überbringen. Als ich wegen der Kerzen gefragt hatte, wandte ich mich tatsächlich schon um. Aber ich erschien mir töricht und feige, und so flüsterte ich:
»Jemand aus Gimmerton wünscht Sie zu sprechen, Madame.«
»Was will er?«
»Ich habe ihn nicht gefragt.«
»Gut. Schließe die Vorhänge und bringe den Tee. Ich bin sogleich wieder hier.«
Sie verließ das Zimmer.
Mr. Edgar fragte nebenbei, wer er sei.
»Ein Mann, den Mrs. Linton nicht erwartet. Es ist dieser Heathcliff. Sie erinnern sich an ihn. Der bei Mr. Earnshaw wohnte.«
»Wie? Der Zigeuner – der Stallknecht? Warum hast du das Catherine nicht gesagt?«
»Sst! So dürfen Sie ihn nicht nennen, Herr! Es würde sie sehr kränken, wenn sie es von Ihnen hörte. Das Herz ist ihr fast gebrochen, als er davonlief. Ich glaube, seine Rückkehr wird für sie ein Freudenfest sein.«
Mr. Linton ging zu einem Fenster an der anderen Seite und sah auf den Hof; er öffnete es und lehnte sich hinaus. Offenbar standen die beiden darunter. Hastig rief er:
»Bleib nicht draußen, Liebling! Bring den Mann herein, wenn es etwas Besonderes gibt.«
Bald hörte ich unten die Tür, und Catherine flog mit atemloser Schnelligkeit die Treppe hinauf. Sie war zu aufgeregt, um Freude auszudrücken. Nach ihrem Gesicht hätte man eher ein furchtbares Unglück vermuten können.
»Oh, Edgar, Edgar!« keuchte sie und schlang die Arme um seinen Hals. »Oh, Edgar, Lieber, Heathcliff ist wiedergekommen! Er ist es!« Und sie umschlang ihn noch stärker, sie erstickte ihn fast.
»Gut, gut, deshalb brauchst du mich nicht zu erwürgen. Für eine solche Kostbarkeit habe ich ihn nie gehalten. Es ist keine Veranlassung, sich wie eine Wahnsinnige anzustellen.«
»Ich weiß, du mochtest ihn nicht.« Sie drängte ihre Freude ein wenig zurück. »Aber höre, um meinetwillen müßt ihr nun Freundschaft schließen. Kann ich ihn auffordern, heraufzukommen?«
»Hierher? Ins Wohnzimmer?«
»Wohin sonst?«
Er schlug die Küche vor. Dies sei der passende Raum für ihn. Catherine beäugte ihn mit einer fast drolligen Miene. Sie lachte, halb ärgerlich, halb belustigt von seiner Überheblichkeit.
»Erlaube mir, dir zu sagen, daß ich nicht in der Küche sitzen kann! Ellen, stell zwei Tische hin. Der eine ist für deinen Gebieter und Miß Isabella, die Herrschaften. Der andere soll für Heathcliff und mich selbst sein, für die Leute geringeren Standes. Ist es dir so recht, mein Lieber? Oder soll ich anderswo heizen lassen? Bitte, triff deine Anordnungen. Ich laufe hinunter und sichere mir meinen Gast. Ich bin so froh, daß ich fürchte, es ist vielleicht gar nicht wahr!«
Aber Edgar hielt sie fest und sagte zu mir: »Hole du ihn herauf. Und du, Catherine, versuche, dich zu freuen, ohne dich närrisch zu benehmen. Sonst wird der ganze Haushalt Zeuge davon, daß du einen davongelaufenen Dienstboten wie einen Bruder bewillkommst.«
Ich fand Heathcliff unter dem Torbogen, in Erwartung der Einladung. Er folgte mir, ohne ein Wort zu verlieren. Als er ins Zimmer trat, sah man den erhitzten Gesichtern des Ehepaars die heftige Auseinandersetzung an. Aber Catherines Wangen wurden noch röter von einer anderen Empfindung, als ihr Freund in der Tür erschien. Sie eilte ihm entgegen, faßte seine beiden Hände und führte ihn zu Mr. Linton. Dann ergriff sie Lintons widerstrebende Hände und drückte sie in die des anderen.
Jetzt, beim Schein des Kaminfeuers und Kerzenlichts, erkannte ich mit Staunen, wie sehr Heathcliff sich verändert hatte. Er war ein großer, kraftvoller Mann von guter Gestalt geworden, neben dem Mr. Linton dünn und jünglinghaft erschien. Seine gerade Haltung machte den Eindruck, als habe er in der Tat im Heere gedient. Sein Gesicht wirkte durch den Zug von Energie älter als das Edgars. Er sah klug aus, und nichts deutete mehr auf die dereinstige Erniedrigung hin. Eine halb zivilisierte Wildheit lag unter den zusammengezogenen Brauen, in den finsteren und feurigen Augen; doch er beherrschte sie. Seine Umgangsformen waren würdig, durchaus nicht schroff, freilich zu streng, um ganz angenehm zu sein.
Mr. Linton überwand seine Überraschung noch langsamer als ich. Er war unschlüssig, in welcher Art er den sogenannten Stallknecht anreden sollte. Heathcliff ließ seine schmale Hand los und stand da, ihn kühl betrachtend, bis Mr. Linton das Wort ergriff:
»Setzen Sie sich, Herr. Mrs. Linton wünscht, in Erinnerung an alte Zeiten, daß ich Sie freundlich empfange. Selbstverständlich freue ich mich, wenn ihr etwas Vergnügen macht.«
»Auch ich«, erwiderte Heathcliff, »besonders, wenn ich daran beteiligt bin. Ich werde gern eine oder zwei Stunden bleiben.« Er setzte sich Catherine gegenüber. Sie hielt den Blick auf ihn gerichtet, als könnte Heathcliff verschwinden, wenn sie sich abwandte. Er begegnete ihren Augen nicht oft; nur ein rascher Blick dann und wann. Doch mit jedem Mal trat unverhüllter das tiefe Entzücken hervor, von ihren Augen angerufen. Sie waren so vollkommen in ihre wechselseitige Freude versunken, daß sie gar keine Verlegenheit empfanden. Anders Mr. Edgar; er wurde immer blasser. Seine Aufregung stieg, als seine Frau sich erhob, über den Teppich schritt, Heathcliffs Hände von neuem faßte und wie außer sich lachte.
»Morgen werde ich es für einen Traum halten!« rief sie. »Ich werde es gar nicht glauben können, daß ich dich wiedergesehen, dich berührt, dich gesprochen habe, endlich! Und du verdienst nicht einmal, daß ich dich so bewillkommne, du grausamer Heathcliff. Drei Jahre fortzubleiben, drei Jahre zu schweigen, und nicht an mich zu denken!«
»Mehr als du an mich«, murmelte er. »Daß du dich verheiratet hast, Cathy – es ist noch nicht lange her, daß ich es hörte. Und als ich vorhin auf dem Hof wartete, habe ich mir einen ganz anderen Plan gemacht: ich wollte dich nur sehen, nur mit einem Blick dein Gesicht streifen, es sollte nur ein Theaterspiel von Überraschung und Begeisterung werden. Dann aber wollte ich meine Rechnung mit Hindley begleichen. Und wenn es geschehen wäre, wollte ich dem Gesetz zuvorkommen und es selbst an mir vollstrecken. Daß du mich so empfangen hast, verjagt diesen Gedanken. Aber nimm dich in acht, daß du mich beim nächsten Mal nicht anders behandelst! Nein, du wirst mich nicht wieder vertreiben. Hast du dich wirklich um mich beunruhigt? Grund genug war vorhanden. Ich habe hart mit dem Leben gekämpft, seit ich deine Stimme zuletzt hörte, und du mußt mir alles verzeihen, denn ich kämpfte für dich!«
»Catherine, der Tee wird kalt. Ich bitte, sich herzusetzen«, unterbrach ihn Linton, indem er sich bemühte, seinen gewöhnlichen Stimmklang und das übliche Maß an Höflichkeit zu bewahren.
»Mr. Heathcliff hat einen weiten Weg, wo immer er heute übernachten will, und ich bin durstig.«
Die Hausfrau setzte sich auf ihren Platz vor dem Teekessel. Man schellte nach Miß Isabella. Ich schob ihnen die Stühle recht und ging hinaus. Sie blieben kaum zehn Minuten bei Tisch. Später sah ich, daß Catherine sich keinen Tee eingegossen und nichts gegessen hatte, ebensowenig Edgar, in dessen Untertasse etwas verschütteter Tee war. Ihr Gast blieb an jenem Abend nur noch eine Stunde da. Als er aufbrach, fragte ich, ob er sich nach Gimmerton begebe.
»Nein, nach Wuthering Heights. Mr. Earnshaw hat mich eingeladen, als ich ihn heut morgen besuchte.«
Mr. Earnshaw hat ihn eingeladen! Und er hat Mr. Earnshaw besucht! Geradezu unter Schmerzen erwog ich diesen Satz, als er gegangen war. Wird er sich als ein tückischer Heuchler erweisen, ins Land gekommen, um unter einer Maske Unheil anzurichten? Ich sann und sann und hatte ein Vorgefühl, er wäre im Grunde besser weggeblieben.
Mitten in der Nacht wurde ich aus dem ersten Schlummer geweckt. Cathy schlich in mein Zimmer. Sie setzte sich auf den Rand meines Bettes und zog mich an den Haaren, um mich ganz munter zu machen.
»Ich kann nicht schlafen, Ellen«, sagte sie, sich entschuldigend. »Ich brauche jemanden, der mir in meinem Glück Gesellschaft leistet. Edgar grollt, weil ich mich über etwas freue, was ihm nicht das gleiche Gefühl verursacht! Er öffnet nur den Mund, um alberne abfällige Reden zu halten: es sei grausam und selbstsüchtig, von ihm Antworten zu verlangen, wenn er sich müde und schlecht fühle. Er spielt sich immer als Kranker auf, wenn es die geringste Schwierigkeit gibt. Ich äußerte ein paar freundliche Dinge über Heathcliff, schon begann er vor Kopfschmerzen oder vor Mißgunst zu weinen! Da bin ich aufgestanden und habe ihn allein gelassen.«
»Welchen Sinn soll es haben, daß Sie Heathcliff vor ihm loben? In ihrer Jugend haßten sie sich, und Heathcliff könnte es ebensowenig vertragen, des anderen Anpreisung zu hören; so ist die menschliche Natur. Wenn Sie Mr. Linton nicht mit ihm verschonen, kommt es zum offenen Kriege zwischen ihnen.«
»Aber beweist dies nicht, daß Edgar ein Schwächling ist? Ich kenne keine Mißgunst! Niemals ärgere ich mich etwa über den Glanz von Isabellas blondem Haar, ihre weiße Haut, ihre feine Anmut oder über die Art, wie die ganze Familie sie verwöhnt. Auch du, Nelly, bist sofort auf ihrer Seite, wenn wir uns streiten. Ich gebe nach, blindlings, wie eine Mutter, nenne sie Liebling, schmeichele sie immer in gute Laune hinein. Ihrem Bruder ist es angenehm, wenn wir uns vertragen, und seine Freude wiederum freut mich. Aber er ähnelt ihr. Sie sind verzärtelte Kinder und bilden sich ein, die Welt sei nur für ihre Bequemlichkeit geschaffen. Obwohl ich den beiden den Willen lasse, glaube ich, sie müßten einmal etwas auf den Kopf bekommen!«
»Sie irren, Mrs. Linton. Die Geschwister lassen Ihnen den Willen! Ich weiß, was geschehen würde, wenn sie es nicht täten. Nur solange die beiden alle Ihre Wünsche erraten und erfüllen, gehen Sie auf ihre gelegentlichen Launen ein! Anderseits könnte einmal etwas eintreten, das für alle drei von gleicher Wichtigkeit wäre. Dann würde sich plötzlich ein großes Hindernis aufrichten, und jene, die Ihnen schwach erscheinen, könnten sich als ebenso hartnäckig erweisen, wie Sie selbst es sind!«
»Gut, dann werden wir auf Tod und Leben kämpfen!« lachte sie. »Aber nein, an Lintons Liebe glaube ich so fest! Wenn ich ihn umbringen wollte, und er wüßte es, er würde nie einen Gedanken an Vergeltung hegen!«
Ich riet ihr, ihn eben um einer solchen Liebe willen erst recht hochzuhalten.
»Gewiß, aber er müßte nicht wegen jeder Kleinigkeit ins Jammern geraten. Als ich äußerte, Heathcliff sei nun aller Achtung wert, ja der erste Gentleman des Landes könnte es sich zur Ehre anrechnen, sein Freund zu sein, durfte Edgar nicht in Seufzer ausbrechen, im Gegenteil, er selbst mußte es mir bestätigen und sich aus Liebe zu mir darüber freuen. Es ist notwendig, daß er sich an ihn gewöhnt; es wäre gut, wenn er ihn sogar gern hätte. Wieviel Grund hat Heathcliff, ihm gram zu sein! Dafür hat er sich ausgezeichnet benommen.«
»Was sagen Sie dazu«, versetzte ich, »daß er nach Wuthering Heights geht? Offenbar hat er sich in jeder Hinsicht gewandelt. Ein vollkommener Christ: – er reicht all seinen Feinden ringsum die Freundeshand!«
»Ich war ebenso erstaunt wie du, und er hat es mir erklärt. Er habe sich dort eingefunden, um von dir Auskunft über mich zu erhalten; denn er nahm an, du wohntest noch dort. Josef meldete es Hindley; dieser kam und fragte ihn aus, was er während der ganzen Zeit gemacht habe. Schließlich forderte mein Bruder ihn auf, hereinzukommen. Es waren noch andere Leute da, man spielte Karten. Heathcliff setzte sich hinzu, und mein Bruder verlor einen kleinen Betrag an ihn. Als Hindley sah, daß Heathcliff eine Menge Geld hatte, lud er ihn ein, am Abend wiederzukommen, und Heathcliff nahm an. Mein Bruder ist ganz gedankenlos in seinem Umgang; er überlegt nicht, daß er jemandem, den er in gemeinster Weise gekränkt hat, vielleicht mißtrauen sollte. Aber Heathcliff sagt, er nähme die Verbindung mit seinem Peiniger von einstmals in erster Linie deshalb wieder auf, weil er uns in Grange von dort aus leicht zu Fuß erreichen könne. Außerdem sei er anhänglich an das Haus, in dem wir zusammen gelebt hätten. Endlich hofft er, auch ich hätte dann mehr Gelegenheit, ihn dort zu treffen, als wenn er in Gimmerton wohnte. Für den Aufenthalt in Wuthering Heights will er reichliche Bezahlung anbieten. Hindley wird bei seiner Habsucht darauf eingehen – und was er mit der einen Hand errafft, wird er mit der anderen wieder hinauswerfen!«
»Der richtige Ort für einen jungen Mann, um sich häuslich niederzulassen. Haben Sie keine Furcht vor den Folgen, Mrs. Linton?«
»Nicht für meinen Freund; sein scharfer Verstand wird ihn vor Gefahr schützen; höchstens für Hindley. Aber er kann nicht noch schlimmer verkommen, als er es bereits ist, in moralischer Beziehung. Daß ihm körperlich nichts geschieht, dafür will ich sorgen. Seit dem heutigen Abend liebe ich Gott und die Menschen! Ich war mit der Vorsehung gar nicht zufrieden, ich habe sehr schwer gelitten, Nelly! Wenn dieser Mann hier wüßte, wie schwer, so würde er sich vielleicht schämen, mir diese Erlösung, diese Rückkehr durch seine schlechte Stimmung wieder zu verderben. Aus Rücksicht auf Edgar habe ich alles allein getragen. Oh, wenn ich meine ohnmächtige Pein lieber offen hinausgeschrien hätte, dann hätte er es vielleicht vorgezogen, die Erlösung, die Rückkehr ebenso heiß herbeizuwünschen wie ich. Nun ist alles überstanden, und ich will mich für seine Torheit nicht rächen, und nachdem ich das erduldet habe, bin ich imstande, alles zu erdulden! Wenn mich das niedrigste Geschöpf jetzt auf die Wange schlüge, würde ich ihm nicht nur die andere hinhalten, sondern sogar um Vergebung bitten, daß ich es herausgefordert habe! Zum Beweis dafür schließe ich sofort mit Edgar Frieden. Gute Nacht! Ich bin ein Engel!«
In dieser selbstgefälligen Stimmung verließ sie mich. Am Morgen zeigte es sich, daß sie ihre Absicht ausgeführt hatte. Mr. Linton hatte seine mürrische Miene verloren, obwohl seine Heiterkeit noch immer unter Catherines Überschwang litt. Er stimmte zu, als sie am Nachmittag mit Isabella nach Wuthering Heights gehen wollte. Sie wiederum dankte ihm mit soviel Zärtlichkeit und Anmut, daß aus dem Hause mehrere Tage lang ein Paradies wurde, zur Wonne für den Herrn wie für die Angestellten.
Heathcliff – in Zukunft müßte ich wohl Mr. Heathcliff sagen – machte von der Möglichkeit, uns zu besuchen, anfangs nur mit Vorsicht Gebrauch. Er schätzte vermutlich ab, in welchem Maße der Besitzer seine Anwesenheit zulassen würde. Catherine überwand sich dazu, ihre Begeisterung über seine Besuche äußerlich zu mäßigen. Allmählich gestaltete er es zu einem Recht aus, erwartet zu werden. Andererseits besaß er noch viel von der Zurückhaltung, die ihm als Knaben eigentümlich war, so daß er alle jähen Gefühlsäußerungen unterdrücken konnte. Die Unbehaglichkeit, die Mr. Linton empfand, wurde eingeschläfert und bald in eine andere Richtung gelenkt.
Die neue Quelle seiner Sorgen entsprang der unvorhergesehenen Tatsache, daß seine Schwester Isabella mit einem Male von maßloser Zuneigung zu dem geduldeten Gast ergriffen wurde. Sie war eine reizende junge Dame von achtzehn Jahren, kindlichen Wesens, doch mit klarem Verstand und starker Gefühlsfähigkeit. Sie entwickelte ein beträchtliches Temperament, wenn man sie reizte. Mr. Linton, der sie zärtlich liebte, war über diese phantastische Leidenschaft entsetzt. Ganz abgesehen von der Schande der Verbindung mit einem Mann ohne Namen und von der erschreckenden Möglichkeit, sein Besitz könne mangels eines eigenen Sohnes einmal in Heathcliffs Hände geraten, hatte er überhaupt von dessen Charakter eine deutliche Vorstellung. Wenn sein Äußeres sich verändert hatte, sein Wesen war unverwandelt und unwandelbar. Er fürchtete diesen Charakter; er erschrak ahnungsvoll bei dem Gedanken, ihm seine Schwester anzuvertrauen. Er wäre noch trauriger gewesen, wenn er sich klar gemacht hätte, daß ihre Zuneigung ganz unbeeinflußt wuchs und sich anbot, obwohl sie nicht erwidert wurde. Edgar dagegen nahm an, Heathcliff habe das Gefühl in Isabella absichtlich erweckt, um es für seine Pläne auszubeuten. Seit einiger Zeit hatten wir alle bemerkt, daß Isabella Linton sich über etwas grämte. Sie schloß sich ab, war schwierig zu behandeln und stellte Catherines doch sehr begrenzte Geduld durch ihre störrische Redeweise auf eine gefährliche Probe. Wir entschuldigten sie, weil ihre Gesundheit zu schwinden schien; sie wurde immer matter und reizbarer vor unseren Augen. Eines Tages schickte sie ihr Frühstück mit besonders launischen Worten zurück: Die Angestellten hätten ihre Aufträge nicht ausgeführt, die Dame des Hauses lasse sie überhaupt nicht gelten, Edgar vernachlässige sie. Sie habe sich erkältet, weil die Türen offen geblieben seien, wir hätten das Kaminfeuer im Wohnzimmer absichtlich ausgehen lassen – und so ging es weiter mit kleinlichsten Klagen und Anklagen. Catherine bestand ganz einfach darauf, sie solle sich zu Bett legen; sie schalt und drohte, daß sie den Arzt holen lassen würde. Die Erwähnung des Doktor Kenneth brachte Isabella sofort zu der Versicherung, sie sei vollkommen gesund, nur Catherines Härte mache sie unglücklich.
»Wie kannst du sagen, ich sei hart, du verwöhntes Ding! Bist du wahnsinnig geworden? Wann bin ich hart gewesen?«
»In diesem Augenblick! Und gestern!« seufzte Isabella.
»Gestern? Bei welcher Gelegenheit?«
»Beim Spaziergang durchs Moor. Du sagtest, ich sollte allein für mich gehen, weil du mit Mr. Heathcliff herumbummeln wolltest!«
Catherine lachte: »Und das nennst du Härte? Ich meinte damit nicht, daß deine Gesellschaft überflüssig sei, wir haben uns nur nicht darum gekümmert, ob du mitgingst oder nicht. Wir haben dich nicht unmittelbar berücksichtigt, und so wäre Heathcliffs Gespräch für deine Ohren nicht unterhaltsam genug gewesen!«
»Es stimmt nicht! Du wolltest mich fort haben, weil du wußtest, ich wäre gern geblieben!«
»Ist sie bei Verstand?« fragte Mrs. Linton, sich an mich wendend. »Isabella, ich kann dir unsere Unterhaltung Wort für Wort wiederholen. Dann wirst du mir sagen, was dich daran reizen konnte.«
»Die Unterhaltung ist mir gleichgültig. Es kam mir darauf an, mit –«
»Also?«
»Mit ihm zusammen zu sein. Ich will nicht immer von euch weggeschickt werden!« fuhr Isabella hitzig fort. »Du bist mißgünstig, Cathy. Du willst nicht, daß jemand außer dir geliebt wird.«
»Und du bist ein unverschämtes Äffchen!« erwiderte Mrs. Linton überrascht. »Aber ich kann diesen Unsinn nicht glauben! Unmöglich kannst du dir wünschen, daß Heathcliff dich verehrt – unmöglich kannst du ihn für einen angenehmen Menschen halten! Ich hoffe, daß ich dich mißverstanden habe!«
»Gar nicht! Ich liebe ihn mehr, als du jemals Edgar geliebt hast. Ja, und er würde mich heben, wenn du es zuließest.«
»Dann möchte ich nicht um die Welt an deiner Stelle sein!«
Catherine sagte dies mit großem Nachdruck, und es schien sehr aufrichtig gemeint. »Nelly, hilf mir, sie von ihrem Wahn zu überzeugen. Erkläre ihr, wer Heathcliff ist. Sage ihr, daß er ein unberechenbarer Mensch ist, ohne Erziehung, ohne Bildung, eine wüste Wildnis, voller Domen und Felsen. Eher würde ich den kleinen Kanarienvogel an einem Wintertage im Park aussetzen, als dir empfehlen, daß du diesem Manne dein Herz schenkst. Es ist beklagenswerte Ahnungslosigkeit über sein Wesen, Kind, die dir diesen Traum gesandt hat. Ich bitte dich, stelle dir nicht vor, er verberge etwa unter dem rauhen Äußeren unendliche Welten von Güte und Zärtlichkeit. Er ist keineswegs jener ›ungeschliffene Diamant‹, jene grobe Austernschale, die eine Perle enthält. Nein, ein gefährlicher, erbarmungsloser, wölfischer Mann ist er. Niemals würde ich zu ihm sagen: Laß deinen Feind in Ruhe, denn es wäre von dir unedel und grausam, ihm zu schaden! Sondern ich sage: Laß ihn in Ruhe, weil ein solches Unrecht mir widerstrebt! Isabella, er würde dich zerdrücken wie ein Sperlingsei, wenn du ihm einmal lästig würdest. Niemals könnte er eine Linton lieben; allerdings, dein Vermögen und deine Stellung wäre er imstande, zu heiraten! Immer stärker wird er vom Laster der Habsucht besessen sein. Da habe ich dir sein Bildnis gemalt. Und ich bin seine Freundin – ich bin es so sehr, daß ich meinen Mund gehalten und dich ihm ausgeliefert hätte, wenn er dich im Ernst haben wollte.«
»Schäme dich, schäme dich!« Miß Linton starrte empört ihre Schwägerin an. »Du bist schlimmer als zwanzig Feindinnen, eine giftige Freundin!«
»Ach, du glaubst mir also nicht? Du meinst wahrscheinlich, ich sage es nur zu meinem eigenen Nutzen?«
»Ganz bestimmt. Mir graut vor dir!«
»Gut!« schrie Catherine. »Versuche es selbst, wenn es dich dazu treibt. Ich habe das Meine getan. Nun überlasse ich das Weitere deiner verrückten Einbildung!«
Sie verließ den Raum. Isabella stöhnte: »Ich soll nur das Opfer ihrer Selbstsucht werden. Alle sind gegen mich. Sie hat den einzigen Trost meines Lebens zerstört. Nein, sie hat gelogen, nicht wahr? Mr. Heathcliff soll ein Teufel sein! Er hätte ihr nicht in der Fremde die Treue bewahrt, wenn er kein zuverlässiger und ehrenhafter Mensch wäre.«
»Verbannen Sie ihn aus Ihren Gedanken, Miß!« sagte ich. »Er bringt kein Glück, er ist kein Gefährte für Sie. Die scharfen Worte, die Mrs. Linton gebraucht hat, sind die Wahrheit. Sie kennt sein Herz besser als ich oder sonst jemand und würde ihn nicht schlechter darstellen, als er ist. Ehrenhafte Leute verbergen ihre Taten nicht. Er aber, wie hat er gelebt? Wie ist er reich geworden? Warum wohnt er in Wuthering Heights, in dem Hause eines Mannes, den er haßt? Man erzählt, mit Mr. Earnshaw soll es immer schlimmer geworden sein, seit Heathcliff gekommen ist. Sie sitzen die ganze Nacht beisammen. Hindley tut nichts anderes mehr als spielen und trinken. Er hat Geld auf sein Land aufgenommen. Josef sagte mir vor einer Woche in Gimmerton: ›Nelly, bei uns ist bald Bedürfnis nach dem Leichenbeschauer. Der eine hat sich fast die Finger abgesäbelt, weil er den anderen davon abgehalten hat, sich selbst abzustechen wie ein Kalb. So ist der Herr, verstehst du, und das wird so weitergehen, bis das Maß voll ist. Der fürchtet kein Jüngstes Gericht, der kennt nicht Petrus noch Paulus noch Johannes oder Matthäus, er brächte es fertig, sich frech vor sie hinzustellen! Und dieser Bursche, dieser Heathcliff, das ist mir ein Schöner, der lacht wie keiner bei jeder Teufelei. Erzählt er euch nichts von dem feinen Leben, das sie bei uns führen? So treiben sie es: Aufstehen bei Sonnenuntergang – Würfel, Branntwein, bei geschlossenen Fensterläden und Kerzenlicht bis zum nächsten Tage mittags. Dann geht der Narr in seine Stube und flucht und schreit, daß anständige Leute sich vor Scham die Finger in die Ohren stecken. Inzwischen kann der Lump Heathcliff sein Geld zählen, essen, schlafen, und dann verfügt er sich zum Nachbarn und beschwatzt dessen Frau, die Dame Catherine. Sicher erzählt er ihr, wie ihres Vaters Geld in seine Tasche fließt und ihres Vaters Sohn auf der breiten Straße der Sünde hinabrennt und er voran, um das Höllentor aufzumachen.‹ – Liebe Miß Linton, Josef ist ein altes Ekel, aber kein Lügner. Wenn sein Bericht stimmt, so können Sie nicht daran denken, sich einen solchen Gatten zu wünschen, nicht wahr?«
»Du bist nur mit den anderen verbündet, Ellen! Ich höre nicht auf eure Verleumdungen. Wieviel Böswilligkeit muß in dir stecken, daß du mich überreden willst, es gebe kein Glück auf der Welt!«
Ob sie diesen Liebestraum überwunden hätte, wäre sie sich selbst überlassen gewesen, oder ob sie ihr Gefühl dann erst recht und immer inniger genährt hätte, kann ich nicht erraten. Es blieb ihr ja auch wenig Zeit, darüber nachzudenken. Am folgenden Tage fand in der Nachbarschaft ein Treffen der Friedensrichter statt, dem Mr. Linton beiwohnen mußte. Mr. Heathcliff wußte von seiner Abwesenheit und kam viel früher als gewöhnlich zu uns. Schweigsam, in feindseliger Haltung saßen Catherine und Isabella in der Bibliothek – Isabella verstört über ihren Ausbruch und die Preisgabe ihrer Empfindungen bei dem leidenschaftlichen Auftritt von gestern –, Catherine nach reiflicher Überlegung wahrhaft böse auf die andere, und, obwohl sie deren Angriff allmählich lächerlich fand, doch zu solchem Gegenangriff entschlossen, daß dieser Isabella das Lachen vergehen sollte. Sie lächelte, als sie Heathcliff am Fenster vorbeigehen sah. Ich fegte den Kamin und bemerkte den Hohn in ihren Mienen. In ihre Gedanken oder in ihr Buch vertieft, saß Isabella da, bis sich die Tür öffnete. Es war zu spät, um zu entfliehen, wie sie gern gewollt hätte.
»Sehr schön, komm herein!« rief Catherine lustig und zog einen Stuhl ans Feuer. »Hier sind zwei Menschen, die unbedingt einen dritten brauchen, um das Eis zwischen ihnen wieder zu schmelzen. Du bist genau derjenige, den wir beide uns wünschen. Höre, Heathcliff, endlich kann ich dir jemanden vorführen, der mehr für dich eingenommen ist als ich. Du wirst dich hoffentlich geschmeichelt fühlen. Nelly ist es nicht, du brauchst sie nicht anzusehen. Doch meiner armen kleinen Schwägerin bricht das Herz, wenn sie dich nur erblickt, in der Schönheit deines Leibes und deiner Seele! Also liegt es in deiner Hand, Edgars Bruder zu werden. Nein, nein, Isabella, lauf nicht fort« – sie hielt mit gespielter Heiterkeit das Mädchen fest, das verwirrt und empört aufgesprungen war. »Wie zwei Katzen haben wir uns deinetwegen gekratzt, Heathcliff. Aber vor solchen Kundgebungen der Ergebenheit und Bewunderung mußte ich mich für ehrlich geschlagen erklären. Außerdem wurde ich darüber belehrt, wenn ich den Anstand hätte, mich zurückzuhalten, würde meine Rivalin, denn dafür hält sie sich, dir einen Pfeil in die Brust schießen, daß du, für ewige Zeiten getroffen, mein Bild auch für ewige Zeiten vergessen würdest!«
»Catherine!« sagte Isabella, die ihre Haltung wiederfand und gegen den straffen Griff der anderen keinen Widerstand leistete. »Ich wäre dir verpflichtet, wenn du wenigstens bei der Wahrheit bleiben und mich auch im sogenannten Scherz nicht verleumden wolltest. Mr. Heathcliff, ersuchen Sie Ihre Freundin, mich loszulassen. Sie vergißt, daß Sie und ich uns nicht so gut kennen. Was ihr Vergnügen macht, ist für mich sehr peinlich.«
Als der Gast nicht antwortete, sondern sich hinsetzte, vollkommen gleichgültig gegen ihre Empfindungen, wandte sie sich um und ersuchte Catherine mit eindringlichem Flüstern nochmals, sie hinausgehen zu lassen.
»Auf keinen Fall! Du sollst mich nicht noch einmal neidisch nennen, du sollst bleiben! Sage mir, Heathcliff, warum zeigst du gar keine Befriedigung über meine angenehme Nachricht? Isabella schwört, daß die Liebe zwischen mir und Edgar ein Nichts ist im Vergleich zu ihren Gefühlen für dich! Auf diese Weise hat sie es irgendwie ausgedrückt, nicht wahr, Ellen? Gefastet hat sie seit unserem vorgestrigen Spaziergang, aus Kummer und Zorn darüber, daß ich sie angeblich aus unserer Gesellschaft ausgeschlossen und aus deiner Gegenwart verbannt hätte.«
»Ich glaube, du verleumdest sie«, sagte Heathcliff und drehte seinen Stuhl zu ihnen herum. »Jedenfalls wünscht sie sich augenblicklich aus meiner Gesellschaft fort!«
Und er starrte den Gegenstand unserer Unterhaltung so unverwandt an, wie man ein sonderbares abstoßendes Tier betrachtet, etwa einen Tausendfüßler aus Indien, den man trotz des unangenehmen Anblicks aus Neugier kennenlernen will. Das arme Ding konnte dies nicht ertragen. Sie wurde abwechselnd weiß und rot, Tränen stürzten ihr aus den Augen, und sie versuchte unaufhörlich, Catherines Griff zu lockern. Da sich immer ein anderer Finger um ihren Arm schloß, wenn sie den einen gelöst hatte, begann sie ganz einfach zu kratzen, und die Hand ihrer Peinigerin bedeckte sich mit allerhand roten Streifen.
»Das ist ja eine Tigerin!« rief Mrs. Linton, ließ sie frei und schüttelte ihre Hand. »Also, mach, daß du fortkommst und verbirg deine verhaßte Fratze! Übrigens eine große Dummheit, vor ihm deine Krallen zu zeigen! Er wird schöne Schlüsse daraus ziehen! Schau, Heathcliff, ihr Nagel ist scharf wie ein Beil, sie wird dich damit hinrichten, mindestens wirst du deine Augen hüten müssen!«
»Ich werde ihr die Nägel aus den Fingern herausreißen!« war seine rohe Antwort, während sich die Tür hinter ihr schloß.
»Aber warum hast du dieses Ding eigentlich so hübsch gemartert, Cathy? Es stimmt doch gar nicht, was du von ihr erzählt hast!«
»Doch, doch. Seit Wochen stirbt sie vor Sehnsucht nach dir! Heute morgen hat sie von dir geschwärmt und war außer sich, weil ich deine Fehler ins helle Licht rückte, um ihre Anbetung zu dämmen. Aber jetzt kümmere dich nicht mehr darum; ich wollte ihre Dreistigkeit bestrafen, das ist alles. Tatsächlich finde ich sie zu nett, mein lieber Heathcliff, um zuzulassen, daß du sie ganz und gar nimmst und verschlingst.«
»Und mir gefällt sie zu wenig, um es auch nur zu versuchen. Sonst täte ich es wie ein Ghul! Du würdest seltsame Dinge hören, wenn ich mit dem empfindsamen Püppchen allein lebte. Das Harmloseste, was ich täte, wäre noch, ihr die Farben des Regenbogens auf das weiße Gesicht zu malen und ihre blauen Augen alle paar Tage in schwarze zu verwandeln. Sie ähneln denen Lintons auf schauderhafte Weise.«
»Auf entzückende Weise! Es sind Taubenaugen, Engelaugen!«
»Sie wird ihren Bruder beerben, nicht wahr?« fragte er nach kurzem Schweigen.
»Das würde mich betrüben! Gebe der Himmel, daß ein halbes Dutzend Neffen ihr Anrecht auslöschen werden! Aber wende deine Gedanken jetzt davon ab. Du hast es etwas eilig, deines Nachbarn Gut zu begehren. Bedenke, der Besitz dieses Nachbarn ist der meine.«
»Das wäre er nicht weniger, wenn er mir gehörte«, versetzte Heathcliff. »Was aber Isabella betrifft, so ist sie zwar töricht, aber nicht verrückt. Hiermit wollen wir diesen Gegenstand verlassen, wie du es wünschtest!«
Sie kamen davon ab, wenigstens im offenen Gespräch, und Catherine wohl auch in ihren Gedanken. Der Mann aber erinnerte sich im Laufe des Abends oft daran, das fühlte ich. Ich sah, wie er lächelte, richtiger: wie er grinste. Ich sah ihn in ein unheilvolles Nachdenken versinken, sobald Mrs. Linton einmal das Zimmer verlassen hatte. Und ich beschloß, seine Schritte zu beobachten.
Mein Herz stand mehr auf Edgars als auf Catherines Seite, wie bisher. Denn er war gütig, zuverlässig und ehrenhaft. Sie war zwar nicht das Gegenteil davon, doch sie gestattete sich so viele Freiheiten, daß ich wenig Vertrauen in ihre Grundsätze und noch weniger Zuneigung zu ihrer Person hatte. Ich hegte die unbestimmte Erwartung, es würde sich irgend etwas ereignen, was sowohl Wuthering Heights wie Thrushcross Grange ganz von selbst von Heathcliff befreien würde. Und verließe er uns, so wäre alles bei uns wie vor seiner Rückkehr.
Als ein nicht weichender Alpdruck lagen seine Besuche auf mir, ganz gewiß auch auf meinem Herrn. Daß er dort drüben wohnte, bedrückte uns unbeschreiblich. Ich fühlte, Gott hatte das verirrte Schaf seinen eigenen schlechten Wegen überlassen – Hindley –, und ein wildes Tier strich zwischen ihm und der sicheren Hürde herum und wartete seine Zeit ab, um zuzuspringen und zu vernichten.